29. Juni 2011

Spekulation mit Nahrungsmitteln: Transparenz ja, doch wie viel Regulierung?

Die acht zum öffentlichen Bundestagshearing Anfang dieser Woche eingeladenen Sachverständigen (>>> Vom Agrargipfel in Paris zur Anhörung in Berlin) plädierten angesichts starker Preisschwankungen bei Agrarrohstoffen für die Schaffung von mehr Transparenz auf den Warenterminmärkten. In Bezug auf Form und Intensität möglicher Maßnahmen gab es jedoch scharfe Meinungsunterschiede. Helmut Born vom Deutschen Bauernverband plädierte für eine „Versachlichung“ der Debatte. „Für die Landwirte ist es erfreulich, dass hohe Preise aufgrund hoher Nachfrage entstehen“, sagte er. Born sehe keine Hinweise, die auf „exzessive Spekulation“ deuten. Doch seien seiner Ansicht nach Preissicherungsinstrumente notwendig, um sich gegen radikale Preisausschläge zu schützen. Wichtig sei daher, dass die nach der Liberalisierung vergleichsweise jungen europäischen Terminmärkte für Agrarrohstoffe die Realität abbilden. Eine Voraussetzung dafür sei, dass der sogenannte OTC-Markt – Geschäfte, die außerhalb der Warenterminbörse stattfinden – ebenfalls öffentlich wird. Notwendig sei ein weltweites Rohstoffinformationsnetz, das durch verlässliche Zahlen über Erntemengen, Verkaufsmengen und Lagerbestände spekulative Auswüchse verhindert.

Während Volker Petersen vom Deutschen Raiffeisenverband zu: „Mehr Informationen bedeuten mehr Übersicht, vernünftige Planung dem weitgehend zustimmte, sprach sich Rafael Schneider von der Deutschen Welthungerhilfe deutlich gegen Spekulation aus. Um das Recht auf den Zugang zu Nahrungsmitteln zu schützen, forderte Schneider, durch eine Börsenumsatzsteuer die Spekulation auf ausgewählte Produkte unattraktiv zu machen. Heiner Flassbeck, Direktor der Abteilung für Globalisierung und Entwicklungsstrategien bei der UNCTAD, sah eine wesentliche Ursache der hohen Agarpreise in einem Herdenverhalten und nicht marktadäquaten Informationen, wodurch die Märkte in die falsche Richtung gelenkt werden. Die Preise basierten auf den Märkten nicht auf Angebot und Nachfrage, sondern würden durch den Derivatehandel verzerrt. Dort würden nicht Rohstoffe gehandelt, sondern Papiere, die nur auf Rohstoffe basierten. ”Diese Märkte führen ein Eigenleben und schaden der Preisfindung in der Landwirtschaft.“

Markus Henn von WEED teilte die Kritik an der Finanzspekulation. Er widersprach der Behauptung, dass die Preissteigerungen zum Beispiel durch den hohen Bedarf in China zu begründen wären. ”Das Land wächst seit 30 Jahren“, sagte er. Doch noch bis Ende der 90er Jahre waren die Preise für Rohstoffe im Fallen. Das sei ein Widerspruch. Henn empfahl den anwesenden Fachpolitikern, sich in den USA Maßnahmen der Regulation abzuschauen. Dort ist gesetzlich definiert, was exzessive Spekulation ist, so Henn, und forderte sog. Indexfonds für den Agrarrohstoffhandel zu verbieten. Diese Fonds würden nicht anhand objektiver Daten handeln und die reelle Preisbildung stören. Einen negativen Einfluss auf die Agrarmärkte schrieb auch Dirk Müller von der Ethos GmbH den Indexfonds zu. ”Mit ihrem Aufkommen im Jahr 2000 stiegen auch die Preise für Rohstoffprodukte", sagte er.

25. Juni 2011

G20-Aktionsplan: Gegen die Symptome, aber nicht gegen die Ursachen

Stellungnahme von Olivier De Schutter

Zum G20-Aktionsplan zur Preisvolatilität bei Nahrungsmitteln und zur Landwirtschaft gab der Sonderbeauftragte der Vereinten Nation für das Recht auf Nahrung, Olivier De Schutter, folgende Erklärung ab:

Die Tatsache, dass die G20-Agrarminister in Paris eine Übereinkunft erreicht haben, ist eine hervorragende Nachricht, die zeigt, dass die Regierungen zu der Einsicht kommen, dass Business as usual nicht länger eine Option darstellt. Gleichwohl geht der heute angenommene Aktionsplan nur die Symptome an, aber nicht die Ursachen. Mehrere Punkte des Plans sind unzureichend.

1. Die Abschlusserklärung ist besonders enttäuschend in der Frage der Pflanzentreibstoffe. Es ist Konsens unter internationalen Institutionen, dass die Pflanzentreibstoffproduktion und besonders die Umwidmung von Land zur Getreideproduktion einer der Hauptfaktoren des Preisanstiegs bei Grundnahrungsmitteln in den letzten vier Jahren war. Dass die G20 immer noch auf der Notwendigkeit von mehr Studien insistieren statt auf der Notwendigkeit, verzerrende Anreize und Subventionen abzuschaffen, zeigt, wie kommerzielle Interessen gegenüber den Belangen der Nahungsmittelsicherheit triumphieren. Es ist ebenso irritierend, dass Pflanzentreibstoffe als eine Quelle der ländlichen Entwicklung erwähnt werden, wo sich in der Praxis doch – zumindest bis heute – erwiesen hat, von der Produktion von Pflanzentreibstoffen vor allem große Agro-Exportunternehmen profitieren, die die natürlichen Ressourcen des Südens nutzen, um den Durst des Nordens nach erneuerbaren Energien zu befriedigen.

2. Zur Frage der Nahrungsmittelreserven bezieht sich die Abschlussdeklaration auf ein zielgerichtetes System humanitärer Notfallreserven von Nahrungsmitteln. Das ist natürlich ein wichtiges Instrument für das Welternährungsprogramm und wird diesem ermöglichen, im Krisenfall rechtzeitig Zugang zu Nahrungsmittellagern zu haben. Doch gleichzeitig wird die Frage der Nahrungsmittellager, die einen stabilisierenden Effekt auf die Preisbildung haben könnten, geflissentlich umgangen. Aber diese Frage wird notwendigerweise erneut aufgeworfen werden, wenn es darum geht, wie die Notreserven funktionieren sollen: Von welchen Bauern wird gekauft? Berücksichtigen wir dabei die Kleinbauern vor Ort oder werden diese Reserven ein Mittel für US- oder EU-Farmer sein, um ihre Überschüsse los zu werden? Und werden wir zu einem fairen Preis kaufen und damit die Einkommen der Kleinbauern unterstützen, auf deren Angebot wir zurück greifen?

3. Der Abschnitt über finanzielle Regulierung ist zu begrüßen, es fehlt jedoch der wichtigste Punkt. Die Agrarminister ermutigen ihre Finanzministerkollegen, ihren Behörden die Beaufsichtigung der Finanzmärkte zu gestatten und auch die Positionen einzelner Händler zu begrenzen. Gleichwohl resultiert die Spekulation typischerweise nicht aus der Preismanipulation einzelner Marktakteure, die exzessive Positionen eingehen, sondern aus dem gemeinsamen Handeln eine Vielzahl von Akteuren, einem Herdenverhalten. Es ist dieses Herdenverhalten, das den Preisblasen zugrunde liegt.

4. Schließlich ist es wichtig, Länder und ökonomische Akteure zum Hedging gegen die Volatilität in die Lage zu versetzen. Einige Entwicklungsländer wie Malawi, Mexiko oder Ghana nutzen bereits dieses Instrument, sei es, um Importe zu tragbaren Preise zu sichern oder um ihre Exporteinkünfte zu schützen. Aber das bleiben Ausnahmefälle, und die meisten Entwicklungsländer – und die Unternehmen in diesen Ländern – haben im Allgemeinen keine Zugang zu solchen Instrumenten, um gegen das Volatilitätsrisiko zu hedgen. Um diese Instrumente, wie den – in Kooperation mit JPMorgan und der Chase Bank – neu errichteten Fonds der Weltbank zu nutzen, werden Kleinbauern und Kooperativen in den Entwicklungsländern beträchtliche Kapazitäten aufbauen müssen. Doch es ist nicht klar, ob sie das schaffen werden. Man sollte auch sehen, dass solche Instrumente die Konsequenzen der Volatilität angehen und die negativen Folgen für Produzenten und Konsumenten reduzieren; sie sind natürlich keine Mittel, um die Ursachen anzugehen, die vorrangig aus mangelnden Investitionen in die Nahrungsmittelproduktion, aus klimatischen Veränderung, wachsender Konkurrenz um Land zwischen der Expansion der Städte und dessen landwirtschaftlicher Nutzung, aus der Verknüpfung zwischen Nahrungsmittel- und Energiemärkte sowie aus der Spekulation resultieren.

Die Wurzeln des Problems werden in diesem Aktionsplan nicht angegangen: Nahrungsmittelmärkte, die von den Energiemärkte hochgradig abhängig sind, unverantwortliche Bestrebungen zur Steigerung der Produktion und der Nutzung von Pflanzentreibstoffen und Spekulation, die sich nicht auf einige Investoren reduzieren lässt, die die Preise manipulieren. Und während mehr Transparenz in der Lagerhaltung schon helfen kann die Attraktivität der Spekulation zu reduzieren, bleibt zweifelhaft, ob der private Sektor genug Anreize haben wird, um an dem zu schaffenden Informationssystem zu partizipieren. Tatsächlich sind sogar einige Instrumente, mit denen die Symptome bekämpft werden sollen, stumpf: Finanzinstrumente zur Befähigung der Produzenten zum Hedging gegen Preisvolatilität stehen den Kleinbauern nicht zur Verfügung, und wie sie gegenwärtig konzipiert sind, werden auch die Notfallreserven von Nahrungsmitteln aus sich selbst heraus nicht in der Lage sein, die humanitäre Krise zu bewältigen, stabile Einkommen für die Produzenten zu sichern und arme Haushalte vor Preisschocks zu schützen. Der G20-Aktionsplan ist ein Schritt in die richtige Richtung. Doch die derzeitige Situation verlangt nach einem ehrgeizigen Sprung nach vorne.

Brüssel, den 23. Juni 2011

24. Juni 2011

Vom Agrargipfel in Paris zur Anhörung in Berlin

Erwartet schwach fiel der Aktionsplan der G20-Agrarminister in Paris (hier auf dem üblichen "Familienfoto") aus: Zwar wird es ein neues Informationssystem über Nahrungsmittelreserven (Amis) geben und eine neue Fazilität von Weltbank/IFC zur Finanzierung von Hedging in den Entwicklungsländern, aber beim Umgang mit der Subventionierung von Pflanzentreibstoffen ignorierten die Minister die Empfehlungen der von ihnen selbst in Auftrag gegebenen Studie. Und das Thema „Regulierung der Rohstoffmärkte“ reichten sie einfach an die Finanzminister weiter. Doch die weltweite Agrarfrage ist inzwischen zu weit oben auf der internationalen Agenda, als dass sie als Eintagsfliege schnell wieder verschwinden könnte.

Zu dem heißesten Thema, das die Agrarminister in dieser Woche unvollendet ließen, der Spekulation mit agrarischen Rohstoffen, veranstaltet der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz des Deutschen Bundestags bereits am kommenden Montag (27.6.2011) eine öffentliche Anhörung. Zu dem Thema liegen Anträge aller drei Oppositionsparteien vor. Der Antrag der SPD-Fraktion (17/3413) stellt fest, dass auf den Weltmärkten seit Jahren die Preise für Agrarrohstoffe steigen. Neben wetterbedingten Ernteausfällen, steigender Weltbevölkerung und der verstärkten Nutzung von Ackerflächen zur Produktion von Biokraftstoffen spielen nach Ansicht der Abgeordneten zunehmend auch Spekulationsgeschäfte an den Warenterminbörsen eine wichtige Rolle. Auch Bündnis 90/Die Grünen (17/5934) und Die Linke (17/4533) fordern in Anträgen, die Spekulation mit Agrarrohstoffen einzudämmen.

Der Ausschuss hat acht Sachverständige geladen, um den Fachpolitikern darüber Auskunft zu geben, welche Zusammenhänge zwischen der Entwicklung auf den Agrarmärkten und den Finanzmärkten einerseits und der Entwicklung auf den Agrarmärkten und Energiemärkten andererseits derzeit bestehen. Genauer unter die Lupe genommen werden soll der Einfluss auf die Entwicklung der Agrarrohstoffpreise durch Spekulation beziehungsweise Investitionen von ”marktfremden“ Akteuren wie Finanzinstituten und welche Konsequenzen daraus gezogen werden sollten. Ferner soll die Rolle der reinen Spekulationsgeschäfte auf die Preisentwicklung an den Agrar-Rohstoffmärkten geklärt werden. Die Sachverständigen: Dr. Helmut Born, Deutscher Bauernverband e.V., Dr. Volker Petersen, Deutscher Raiffeisenverband e.V., Dr. Rafaël Schneider, Deutsche Welthungerhilfe e.V., Prof. Dr. Heiner Flassbeck, Director Division on Globalization and Development Strategies der Handels- und Entwicklungskonferenz der Vereinten Nationen, Markus Henn, WEED e.V., Dirk Müller Ethos GmbH, Peter Reitz, Eurex Frankfurt AG, Prof. Dr. Michael Schmitz, Institut für Agrarpolitik und Marktforschung. Demnächst mehr dazu in diesem Blog…

23. Juni 2011

G20-Agrarminister in Paris: Mehr Hedging statt Regulierung?

Trotz aller Vorschusslorbeeren, die die Franzosen dafür bekommen haben, dass sie das erste G20-Treffen der Agrarminister ausrichten, droht dieser Gipfel zu einer glatten Bauchlandung zu werden. Schon vorher wurde bekannt, dass die weitreichendsten und kontroversesten Fragen, die sich angesichts der grassierenden Volatilität auf den Rohstoff- und Nahrungsmittelmärkten stellen, entweder ausgeklammert oder aufgeschoben werden, etwa die Subventionierung von Pflanzentreibstoffen, die Politik der Exportverbote oder Maßnahmen zur Eindämmung der Spekulation mit Nahrungsmitteln. Auch die Bundesregierung fordert seit diesem Frühjahr nur noch Transparenz, jedoch keine Regulierung mehr, beklagte Misereor vor dem Treffen.

Dabei waren die Voraussetzungen für ordentliche Konferenzergebnisse gar nicht so schlecht, jedenfalls gemessen an den diversen Studien, die den GipfelteilnehmerInnen vorlagen. In seltener Deutlichkeit beispielsweise forderte eine gemeinsame Studie der WTO, der FAO, der Weltbank und mehrerer UN-Organisationen für die G20 die Einstellung aller staatlichen Subventionen für die Biofuel-Produktion. Die OECD wies in einem gemeinsamen Report mit der FAO darauf hin, dass die derzeitigen Rekordpreise der Nahrungsmittelrohstoffe in absehbarer Zeit nicht zurück gehen werden. Und eine neue UNCTAD-Untersuchung zeigte, wie stark die Rohstoffmärkte inzwischen von Finanzinvestoren dominiert werden und dass der Anteil der Spekulation an den hohen Preisen teilweise bis zu 20% ausmacht (>>> Wie Finanzinvestoren Rohstoffpreise beeinflussen).

Doch jetzt konzentriert sich alles auf die Schaffung von mehr Markttransparenz – was von Oxfam immerhin noch als kleiner Lichtblick in der Finsternis gesehen wird. Auf dem Gipfel soll ein Informationssystem über die Agrarmärkte (Amis) ins Leben gerufen werden, nach dem Modell der Joint Oil Data Initiative (Jodi) für die Ölmärkte. An der Spekulation mit dem Ölpreis hat dieses System, das auch fast zehn Jahre nachdem es ins Leben gerufen wurde, mit seiner Relevanz kämpft, freilich nichts geändert. Und damit die Finanzialisierung der Nahrungsmittelmärkte ja niemand grundsätzlich in Frage stellt, drängt die Weltbank mit einem besonders systemgerechten Vorstoß in das Regulierungsvakuum: In Kooperation mit der Investmentbank JPMorgan will sie eine mit 4 Mrd. US-Dollar ausgestattete Fazilität schaffen, die ein besseres Hedging von Nahrungsmittelpreisen im Süden unterstützen soll. Ein verbessertes Risikomanagement auf den Rohstoffmärkten nennt man das. Dass man dazu ausgerechnet mit dem größten privaten Hedgefonds-Manager, der selbst ein Risikoproduzent ersten Ranges ist, kooperiert, spricht Bände.

21. Juni 2011

Eiertanz um Schuldenschnitt für Griechenland

“Reprofiling” (etwa: Neuprofilierung), “rescheduling” (etwa: Neuterminierung), “roll-over“ (etwa: Überwälzung), „debt-exchange“ (etwa: Schuldentausch) oder gar „credit event“ (etwa: Kreditereignis) – das sind nur einige der Wortkreationen, die in den letzten Wochen geschaffen wurden, um nur eines nicht offen sagen zu müssen: Griechenland braucht einen Schuldenschnitt, einen veritablen Schuldenerlass, eine Restrukturierung seiner Auslandsschulden. Die deutsche Bundesregierung hat sich von ihrer ursprünglichen Forderung nach einer verbindlichen Beteiligung des Privatsektors an den Kosten der Griechenland-Krise abbringen lassen. Der Wunsch nach einer „freiwilligen Beteiligung“ des Privatsektors könnte sinnloser nicht sein: Wie diese Beteiligung erreicht werden soll, bleibt bislang unklar.

„Würde der Privatsektor von sich aus die Kosten der Krise mittragen wollen, bräuchte er dazu keine EU-Ministerrunde“, sagt Jürgen Kaiser, Koordinator des Entschuldungsbündnisses erlassjahr.de in Düsseldorf. Davon kann allerdings keine Rede sein – auch wenn sich die Bundesregierung seine Beteiligung so sehr wünscht. Dagegen sprechen die Fakten. So hatten deutsche Banken dem Bundesfinanzminister schon vor einem Jahr versprochen, ihr Engagement in Griechenland aufrecht zu erhalten. Tatsächlich haben sie seither ihre Forderungen vor allem durch Verkäufe griechischer Anleihen von 14,4 auf 9,9 Mrd. € reduziert.

Vielleicht etwas blauäugig erinnert erlassjahr.de in diesem Zusammenhang daran, dass die Bundesregierung sich in ihrem Koalitionsvertrag (Was ist dieser Vertrag den heute noch wert?) verpflichtet hat, auf die Schaffung eines Insolvenzverfahrens für überschuldete Staaten hinzuarbeiten: „Gewiss kommt diese Forderung aus der entwicklungspolitischen Diskussion um die Schuldenkrise von Entwicklungsländern", so Kaiser. Die Krise in Griechenland heute ist aber nicht weniger dramatisch als die Argentiniens oder Mosambiks im Jahr 2001. Beide Fälle - und zahlreiche weitere - haben gezeigt, dass ohne eine umfassende Entschuldung ein wirtschaftlicher Neuanfang nicht möglich ist. Mosambik wurden durch die multilaterale HIPC-Initiative fast 90% seiner Schulden bei öffentlichen und privaten Gläubigern erlassen. Argentinien hatte durch einen einseitigen Schritt eine Reduzierung seiner Anleiheschulden um fast 70% erreicht. In beiden Fällen folgte auf den Schuldenschnitt eine rasche wirtschaftliche Erholung. Ein Staaten-Insolvenzverfahren kann solche Schuldenschnitte in einem rechtsstaatlichen Rahmen ermöglichen.

Etwas skeptischer sieht dies allerdings Christian Felber im neuen Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung: „Sobald das erste Land vor den Konkursrichter tritt, geht die Wette los, wer der nächste Kandidat ist. Und mit ihrem diversifizierten Waffenarsenal können die Finanzmärkte „mitentscheiden“, wer fällt und wer nicht“, schreibt er in Sieben Szenarien zur Zukunft der Eurozone. Auch eine Insolvenzregelung für Staaten sei also letztlich keine Garantie gegen eine Gesamtinsolvenz der Eurozone.

17. Juni 2011

Der Pariser Club wird 55

Als heute der Pariser Club, der informelle Zusammenschluss von Gläubigerregierungen, zusammenkam und sich an das 55. Jubiläum seines Bestehens erinnerte, waren Aktivisten aus ganz Europa mit einem ironischen “Herzlichen Glückwunsch!” dabei: Entschuldungsinitiativen versammelten sich um 12:30 Uhr vor dem französischen Finanzministerium am Place Bataillon du Pacifique in Paris, nicht nur um die Methoden des Pariser Clubs zu kritisieren, sondern auch, um die Vertreter der Mitgliedsstaaten zur Unterstützung eines fairen und transparenten Schiedsgerichts zu Verschuldungsfragen aufzurufen.

Bei der Aktion erinnerten die Aktivisten mit Bannern, einem Geburtstagskuchen, Luftballons und einem gepfändeten Eiffelturm an eine Ära des schlechten Schuldenmanagements und überreichten das Statement der internationalen Kampagne „Entschärft die Schuldenkrise“. Sie forderten transparente, faire Verhandlungen über Staatsschuldenkrisen, bei denen die Schuldner ein Mitspracherecht haben und die Kosten der Krise gerecht auf Schuldner und Gläubiger verteilt werden.

Vor 55 Jahren bat Argentinien seine Geberländer um Verhandlungen zur Lösung einer Verschuldungskrise des Landes. Diese Verhandlungen markierten die Geburtsstunde des Pariser Clubs, der sich über die Jahre zu einem zwar informellen, aber dennoch mächtigen Instrument zur Verhandlung von Schuldenfragen entwickelt hat. Der Club ist jedoch intransparent und nicht sehr effizient. "Die Verschuldung ganzer Länder sollte nicht hinter verschlossenen Türen verhandelt werden. Die aktuelle Schuldenkrise hat eine Vielzahl von Ländern des Nordens und des Südens an den Rand der Insolvenz gebracht. Wir brauchen einen transparenten und fairen Mechanismus, bei dem eine neutrale Institution – und nicht, wie bisher, nur die Geberländer – zu einer Entscheidung über Entschuldung gelangt. Dazu wird dringend ein internationaler Schiedsgerichtshof für Verschuldungsfragen benötigt“, kommentierte Jana Zwernemann von dem deutschen Entschuldungsbündnis erlassjahr.de.

Wie das EURODAD-Netzwerk in Brüssel hervorhebt, haben die Mitglieder des Clubs der Geberländer die grundsätzlichen Ursachen der Verschuldungskrise ignoriert, inklusive ihrer eigenen Rolle in der Schaffung von nicht nachhaltigen und ungerechten Verschuldungssituationen. Durch die Bereitstellung von Krediten hatten viele Länder oft nur ihre eigenen Interessen im Auge, motiviert durch geo-politische Interessen. Die Mitglieder des Klubs sollten einsehen, dass dieses Vorgehen endgültig als gescheitert anzusehen ist.

15. Juni 2011

Nachtrag: Griechenlands Ausverkauf


Bis zu 50 Mrd. € soll Griechenland durch Privatisierungen in den nächsten drei Jahren aufbringen - reines Wunschdenken, meint Werner Raza in einem neuen Kommentar für den Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung: "Welcher Investor wird Griechenland angesichts der Misere einen fairen Preis zahlen wollen? Zudem braucht Griechenland das Geld schnell, und hat keine Zeit für lange Verhandlungen. Für Schnäppchenjäger ist das ein gefundenes Fressen. Die innenpolitischen Spannungen für den Fall, dass wie angekündigt türkische Unternehmen Kaufangebote für griechische Schlüsselinfrastruktur abgeben, kann man sich schon jetzt lebhaft ausmalen."

10. Juni 2011

Griechenland: Weder Rettung noch Hilfe / Deutsche Scharfmacher

Die aufgeregte (und reichlich späte) Diskussion um die Art und das Ausmaß der Beteiligung der privaten Banken und Anleihehalter an dem neuesten Griechenlandpaket überdeckt, mit welcher brachialen Kürzungs- und Privatisierungskonditionalität dieses Paket verknüpft ist. Dabei legt die in dieser Woche veröffentlichte Interimsnote der sog. Troika aus Europäischer Kommission, EZB und IWF (siehe auch die Faksimile-Abbildung) die Einzelheiten der den Griechen auferlegten Kürzungs- und Privatisierungsorgie schonungslos offen. Während der IWF beim ersten Rettungspaket vor einem Jahr noch die soziale Ausgewogenheit der Kürzungsvorhaben und den Schutz der verwundbarsten Gruppen der Gesellschaft betonte (>>> Athens schmerzhafte interne Abwertung), fehlt derartige Lyrik diesmal völlig.

Insbesondere der Anhang des Dokuments hat es in sich. Danach soll folgendes gekürzt werden:


Der antisoziale Charakter des Programms ist unübersehbar: Die massivsten Kürzungspositionen sind in den Bereichen Löhne, Gesundheits- und Sozialleistungen vorgesehen. Der prozyklische Charakter wird unterstrichen durch die Schrumpfung der öffentlichen Investitionen.

Insgesamt folgt das Dokument der Griechenlandmission von EU, EZB und IWF demselben Grundansatz wie das Rettungspaket vor einem Jahr: Das Land soll sich „gesundsparen“, wobei entsprechend dem Mainstream (>>> Wie der Euro (nicht) zu retten wäre) davon ausgegangen wird, dass die Verhinderung einer Insolvenz noch möglich ist. Es gehört freilich nicht viel zu der Prognose, dass auch dieses Programm dem Anspruch eines Rettungspakets nicht gerecht werden wird. Und wie die sozialen Einschnitte zeigen, dem eines Hilfsprogramms auch nicht. Für ein IWF-Programm ist dies traditionell nicht verwunderlich. Dem Vernehmen nach sollen die größten Scharfmacher bei der Ausformulierung dieser Politik aber nicht in Washington, sondern in Brüssel und vor allem in Berlin gesessen haben.

9. Juni 2011

Portugal: Regierungsprogramm Made by IWF

Vollmundig schrieb ein Teil der Presse Anfang der Woche von einem „Machtwechsel“, als klar wurde, dass die nächste Regierung Portugals von der konservativen PSD geführt wird. Doch das Regierungsprogramm dieser neuen Koalition steht längst fest: Es wurde noch von der alten PS-Regierung formuliert und in einem Letter of Intent an den IWF festgelegt, dem ein „Memorandum of Economic and Financial Policies“ und ein „Technical Memorandum of Understandig“ angehängt sind. Das Dokument trägt das Datum vom 17. Mai und wurde vom IWF am 1. Juni auf seiner Website veröffentlicht.

Dort ist auf insgesamt 69 Seiten minutiös nachzulesen, wie restriktiv die Budgetpolitik künftig sein wird (u.a. Abbau öffentlicher Beschäftigung, Einfrieren der Löhne im öffentlichen Dienst, Suspendierung der Pensionsindexierung), wie die Privatisierungen beschleunigt („We plan zu accelerate our privatization program“) und wie die Rechte der ArbeitnehmerInnen beschnitten werden sollen. So sollen die Bezugsdauer von Arbeitslosengeld gekürzt, die Abfindungen bei Entlassungen reduziert, die Kündigungsschutz abgebaut und die Arbeitszeit „flexibilisiert“ werden. Es ist das gängige Konzept des „Gesundsparens“ von in die Krise geratenen Ökonomien, das in der Regel zu gebremstem oder negativem Wachstum führt, die Konjunktur bremst und die Kräfteverhältnisse zwischen Privaten und abhängig Beschäftigten weiter zu Lasten der Letzteren verschiebt.

Der Vorgang hat aber auch und vor allem eine demokratiepolitische Dimension: Seit der April-Revolution des Jahres 1974 ist die Wahlbeteiligung in Portugal kontinuierlich zurück gegangen, so auch diesmal wieder. Es steht kaum zu erwarten, dass sich daran etwas Wesentliches ändert, wenn zentrale wirtschafts- und sozialpolitische Verpflichtungen der Regierung von außen vorgegeben werden. Und dies von Institutionen, deren institutionelle wie politische Legitimitätsdefizite seit Jahren bekannt sind. Ein besseres Beispiel dafür, wie ungerechte Formen der Globalisierung die Demokratie auch innerhalb der Länder bedrohen, dürfte sich derzeit kaum finden lassen.

>>> Eine Analyse des portugiesischen Sparprogramms im Kontext der Krisenpolitik in der Eurozone findet sich im neuen Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung.

7. Juni 2011

Warum ich unter diesen Bedingungen für Madame Lagarde bin

In diesem Blog erfahren PolitikerInnen aus dem konservativen Lager normalerweise keine Unterstützung. Diesmal schon. So wünschenswert es wäre, den nächsten Geschäftsführenden Direktor des IWF in einem „offenen, transparenten und qualifikationsbasierten“ Auswahlverfahren – die Formel dafür, dass diesmal ein Kandidat der Schwellenländer zum Zuge kommen und das alte Gentlemen’s Agreement, wonach Europa diesen Posten besetzt, der Vergangenheit angehören sollte – zu bestimmen, so wenig realistisch ist dies, wenn die Länder der Südens nicht in der Lage sind, einen gemeinsamen Kandidaten zu präsentieren.

Der einzige Kandidat aus einem Schwellenland, der Mexikaner Agustin Carstens, hat aus gutem Grund keine große Rückendeckung, weder in Lateinamerika, noch in anderen Regionen der Welt. Er ist „voll auf Linie“ mit dem Washington Consensus, wie die Financial Times (FT) schrieb, ein Schüler der Chicago Boys und ein neoliberaler Zentralbank-Präsident, der seine Geschäfte so führt, wie er es als Stellvertretender Geschäftsführer des „alten IWF“ gelernt hat. Zwar gibt er in einem brandneuen Interview mit der FT heute zu bedenken, dass er in Chicago keine „Religion“, sondern nur „Tools“, also Werkzeuge, gelernt habe. Aber was heißt das schon, wenn er im selben Atemzug eine noch härtere Gangart mit den gebeutelten Krisenländern an der Peripherie der Eurozone fordert?

Unter derlei Umständen bleibt für jemanden, der eine Fortführung der – zugegeben begrenzten – Reformansätze unter Strauss-Kahn (>>> Die IWF-Bilanz von Dominique Strauss-Kahn) will, nur eine Unterstützung von Christine Lagarde als Kandidaten für die IWF-Spitze (wie übrigens auch Joseph Stiglitz kürzlich meinte). Es sei denn, Lagarde macht in den kommenden Auswahl-Hearings noch eine Kehrtwende und rückt gänzlich ab von der französischen G20-Agenda, die in ihren zentralen Punkten die erforderlichen Reformen der Weltfinanzmärkte vorantreibt.

Natürlich könnte mensch es auch so machen wie die Präsidentin von Attac Frankreich, Aurélie Trouvé, und sich selbst zum Geschäftsführenden IWF-Direktor vorschlagen. Aber das gehört in einem Gremium, in dem immer noch bzw. bis zu einer wirklichen Reform das Prinzip „One Dollar – One Vote“ gilt, wohl eher in den Bereich der Symbolpolitik. Wer wirklich etwas verändern will, hat hingegen unter den gegenwärtigen Bedingungen keine andere Wahl als Lagarde. Doch es gäbe Schlimmeres.

2. Juni 2011

Vorschlag für Europäische Ausgleichsunion im Bundestag

Die Bundesregierung soll sich auf der EU-Ebene für eine Europäische Ausgleichsunion einsetzen. Dies forderte die Linksfraktion in einem Antrag (17/5904), der in der letzten erstmals im Bundestag beraten wurde. Die Ausgleichsunion sieht vor, dass Strafzinsen auf akkumulierte Leistungsbilanzüberschüsse erhoben werden, um einen Struktur- und Kohäsionsfonds zur Förderung eines produktivitätserhöhenden Strukturwandels in den Defizitländern zu finanzieren. Der Vorschlag folgt damit dem keynesianischen Prinzip, nach dem nicht nur Defizit-, sondern auch Überschussländer einen Beitrag zum Abbau von Ungleichgewichten leisten müssen.

Weiter, so der Antrag, soll die Regierung dem Deutschen Bundestag einen Gesetzentwurf vorlegen, der Maßnahmen zur Belebung der Binnennachfrage durch höhere Löhne, eine Ausweitung der öffentlichen Investitionen sowie des Sozialstaats vorsieht. Schließlich fordert die Fraktion die Bundesregierung auf, den vier EU-Verordnungen zur Beschleunigung und Klärung des Verfahrens bei einem übermäßigen Defizit, zu den Anforderungen an die haushaltspolitischen Rahmen der Mitgliedsstaaten, zu der Durchsetzung der haushaltspolitischen Überwachung sowie zur Koordinierung der Wirtschaftspolitiken nicht zuzustimmen.

Ein Abbau der wirtschaftlichen Ungleichgewichte beziehungsweise der Auslandsverschuldung von Volkswirtschaften der Eurozone könne nur ohne Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Entwicklung erfolgen, wenn Länder mit Leistungsbilanzüberschüssen die Binnenwirtschaft stärken und mehr importieren, schreibt die Fraktion zur Begründung. Ein automatischer und sanktionsbewehrter Mechanismus unter Wahrung der nationalstaatlichen Souveränität sei daher geboten, um weitere Verwerfungen der Eurozone zu vermeiden und die Steuerzahler vor umfangreichen Rettungspaketen zu bewahren.

Der Vorschlag zur Schaffung einer Europäischen Ausgleichsunion wurde ausführlich begründet in einem Papier von Axel Troost (Die Linke) und Lisa Paus (Bündnis 90/Die Grünen) für das Institut Solidarische Moderne. Ein Beitrag von Joachim Becker zur Krisenpolitik in der Eurozone im neuen Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (>>> W&E 05/2011) argumentiert in dieselbe Richtung.