11. Februar 2011

WSF-Finale: Experimentierwerkstatt der Allianzbildung

Gastblog von Beat Dietschy*)

Das Weltsozialforum neigt sich dem Ende zu. In thematischen Versammlungen wird heute zusammengetragen, was in den vergangenen drei Tagen in rund 1000 Podien, Workshops und Netzwerktreffen angedacht und ausgetauscht worden ist. Nun geht es darum, Aktionspisten zu diskutieren und Zusammenarbeit zu vereinbaren. Beispielsweise im Blick auf „Rio plus 20“. Die UN-Konferenz, 20 Jahre nach dem Erdgipfel von 1992, im Mai 2012, darüber besteht ein breiter Konsens, muss einem neuen Entwicklungsmodell zum Durchbruch verhelfen, das den Namen „nachhaltig“ tatsächlich verdient. Das Fiasko der Klimakonferenzen von Kopenhagen und Cancún darf sich nicht wiederholen, mahnt der kanadische Umweltaktivist Pat Mooney. Und der bolivianische Uno-Botschafter Pablo Solón, der in Cancún als einziger Landesvertreter dem kläglichen Verhandlungsergebnis in der Schlussabstimmung die Zustimmung verweigert hatte, doppelt nach: Die Reproduktionsfähigkeit der Erde sei mit Marktmechanismen nicht zu garantieren. Er fordert eine Weiterentwicklung des UN-Rechtssystems mit Rechten der Natur.

Der Vorschlag für Rechte der Natur stößt auf Sympathien. Aber man hebt, erstaunlicherweise, nicht ab. Diskutiert wird vor allem, wie in den 14 Monaten bis zur Konferenz in Rio eine breite Mobilisierung der Zivilbevölkerung erreicht werden kann. Denn „Rio II“ darf nicht scheitern oder in wortreichen Nullsummenspielen enden. Eine neue Zivilisation wird gesucht, aber nicht beschworen. Worum es geht, ist, die Weichen in die richtige Richtung zu stellen. Der Austausch in der „Rio plus 20“-Versammlung ist, während ich das schreibe, noch im Gange. Auch in den rund drei Dutzend andern Foren wird noch nach Konvergenzen gesucht, so etwa im Bereich der Schuldentilgung, der Freihandelsverträge, Frauen und Entwicklung, Wasser als öffentliches Gut.

Unmöglich, sich schon den Überblick über das ganze Forum zu verschaffen. So frage ich in unserer Reisegruppe nach dem, was bleibt. „C’est génial, ce Forum“, lobt Catherine Morand von Swissaid das reiche Angebot an Austauschmöglichkeiten. Für jede gebe es etwas zu entdecken. Walo Bauer, Stiftungsrat von Fastenopfer, ist beeindruckt von der Kunst der Improvisation, die er in Senegal und am Forum selber angetroffen hat: „Mit zum Teil prekärsten Mitteln wird Erstaunliches erreicht.“ Chaos ist nicht immer negativ, pflichtet auch Anne-Catherine Menetrey (Grüne) bei: Man treffe auf Themen und Menschen, denen man sonst nie begegnet wäre.

Seit 2003, als ich am dritten Weltsozialforum in Porto Alegre dabei war, hat das Treffen sich weiter entwickelt. Zwar haben sich die Krisen verschärft und multipliziert: Krieg in Irak, in Afghanistan, zerfallende Staaten, Wirtschafts- und Finanzkrise, Klimawandel ohne Antwort der Regierungen. Sehr konkret haben Betroffene über die Folgen berichtet: Frauen, die mit unbezahlbaren Lebensmittelpreisen konfrontiert sind, Bauern, denen ihre Lebensgrundlage, das Land und das Wasser weggenommen wird (Land- und Wassergrabbing), MigrantInnen ohne Perspektiven, unterbezahlte Lehrerinnen und Lehrer. Aber es dominieren trotz Protest und scharfer Kritik nicht die Rufe nach Instantlösungen.

Mir scheint, dass die Bereitschaft noch zugenommen hat, langfristige Auswege aus der Mehrfachkrise zu suchen. Auch das Maß an Selbstkritik ist beachtlich: Nicht einfach die andern sind schuld, etwa die (zweifellos vorhandenen) Multinationalen, welche landwirtschaftliche Böden sich sichern. Auch die einheimischen Landlords und das Versagen der Regierung, ja die eigenen Fehler, werden benannt. Das Forum ist noch stärker eine Plattform für Lernen im Austausch, in Begegnung geworden, eine Experimentier-Werkstatt, in der Allianzen geschmiedet werden. So haben sich beispielsweise Gruppierungen, die gegen die desaströsen Folgen von Bergbau im Kongo, in Peru und Mexiko angehen, zusammengefunden. Ihr ambitiöses Ziel: die Raubbauwirtschaft überwinden. Der Wille, eine andere, bessere Welt zu finden, ist ungebrochen. Die Einsicht, so scheint mir, ist noch gewachsen, dass sie nicht aus einem grossen Wurf geboren wird, sondern aus den vielen Puzzleteilen des Umdenkens, Umlernens, Andersmachens langsam Gestalt gewinnt. Das Forum ist in diesem Sinne für mich eine Schule des Ungehorsams gegenüber jeder „pensée unique“, eine Schule der Entwöhnung, die zum Selberdenken führt. Angestossen vom „Süden“, der, wie Samir Amin sagt, „eigenständig denkt und handelt“.

*) Beat Dietschy ist Zentralsekretär von Brot für Alle. Wir übernehmen seinen Beitrag mit freundlicher Genehmigung aus dem alliancesud-Blog aus Dakar.

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