22. April 2009

Die Scheuklappen der Finanzmarktökonomik ablegen!

Gastkommentar des AK Postautistische Ökonomie e.V.

Krisenzeiten sind für gewöhnlich Zeiten tiefer Reflexion, in denen Handlungs- und Denkmuster hinterfragt und gegebenenfalls überwunden werden. Die Weltwirtschaft, und mit ihr auch die herrschende Lehre in den Wirtschaftswissenschaften, steckt in einer solchen Krise. Denn der Zusammenbruch des internationalen Finanzsystems und die sich daraus entwickelnde Weltwirtschaftskrise sind im Kern auf die von der Mehrheit in den Mainstream-Wirtschaftswissenschaften propagierte uneingeschränkte Marktgläubigkeit zurückzuführen. Eine Studie des Kiel Institute for World Economy belegt dies eindeutig.

Trotz einer offensichtlichen Ratlosigkeit und der klaren Mitverantwortung der herkömmlichen ökonomischen Theorie hält die Bundesregierung jedoch unbeirrt an ihren altgedienten Beratern fest. Unterstützt von Kernmodellen der ökonomischen Standardtheorie redeten diese jahrzehntelang einer Wirtschaftspolitik der Deregulierung, der Liberalisierung und des Lohnverzichts das Wort. Nach dem Bankrott dieser Modelle war zu erwarten, dass dieses Beratungsmonopol sein Ende finden wird. Der heutige Wirtschaftsgipfel der Bundesregierung macht jedoch erneut deutlich, wie wenig diese an einem echten Wandel interessiert ist. Dass ausgerechnet Wolfgang Franz und Hans Werner Sinn, beides ausgewiesene Anhänger marktliberaler Ansätze, den Gipfel beraten sollen, zeigt, dass die Bundesregierung weiterhin dem „alten“ Denken verhaftet bleibt. Um der Krise gerecht zu werden, muss aber ein breit gefächerter Ansatz gewählt werden.

Auch wenn ein erster Blick in die deutsche Universitäts- und Forschungslandschaft den Schluss der Alternativlosigkeit nahe legt, ergibt ein genauerer Blick ein ganz anderes Bild: Im Schatten der herrschenden Lehre haben sich über die Jahre hinweg alternative Ansätze in den Wirtschaftswissenschaften entwickelt. Zu nennen sind hier u.a. die Komplexitätsökonomik, die originäre institutionelle Ökonomik, der Post-Keynesianismus, die evolutorische Ökonomik, die Neo-Schumpeterianische Ökonomik, die Ökologische Ökonomik und die feministische Ökonomik. Um der Komplexität der Krise gerecht zu werden, ist es daher dringend notwendig, diese alternativen ökonomischen Ansätze zu Wort kommen zu lassen.

Unerlässlich ist zudem eine Debatte über das Verhältnis von Wissenschaft und Politik. Wir können nicht weiter zulassen, dass Vertreter einer bestimmten wirtschaftspolitischen Position unter dem Anschein der „Objektivität der Wissenschaft“ einen derart großen Einfluss auf die Politik einer ganzen Gesellschaft nehmen. Wir fordern, dass der besagten Vielfalt sowohl in der Lehre der Wirtschaftswissenschaft, in der Forschung, als auch in der sog. Politikberatung endlich Rechnung getragen wird. Erster Schritt: Das Beratergremium für den Wirtschaftsgipfel könnte durch Ökonomen wie Peter Bofinger (Sachverständigenrat), Jörg Huffschmid (Europäische Memorandumgruppe), Trevor Evans (HWR Berlin) oder auch aus dem Bereich der Politikwissenschaft durch die Genderexpertin Brigitte Young (Universität Münster) erweitert werden.

Weitere Möglichkeiten: Ethik nicht nur für Unternehmen, sondern auch für ÖkonomInnen. George DeMartino hat 2005 einen Ethikkodex für WirtschaftswissenschaftlerInnen vorgeschlagen. Wir haben diesen Vorschlag auch auf unserer Webseite www.paecon.de zugänglich gemacht. Schließlich kann aber nur eine plurale Wissenschaftslandschaft jenseits „mathematischer Traumwelten“ eine andere Ökonomik bewirken.

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