14. Dezember 2008

Zwischen Posen und Kopenhagen: Grüner Deal für den Klimaschutz?

"Der Klimagipfel von Posen hat nicht mehr als die formalen Voraussetzungen dafür geschaffen, um in zwölf Monaten in Kopenhagen ein ambitioniertes globales Abkommen für die Zeit nach 2012 zu erreichen. Zugleich wurde deutlich, dass es bei zentralen Akteuren an dem politischen Willen mangelt, um ein solch weitreichendes internationales Abkommen auch wirklich zu erreichen", erklärte zum Ende der Klimaschutz-Verhandlungen der Germanwatch-Vorsitzende und W&E-Mitherausgeber Klaus Milke. Insbesondere bei vielen Industriestaaten fehlte die Bereitschaft, ernsthaft über eine Verringerung ihrer Emissionen bis 2020 um 25-40% gegenüber 1990 zu verhandeln. Dies entspricht den Vorgaben des IPCC. Eine Ausnahme bildeten hier die Europäische Union, Norwegen und die Schweiz.



Außerdem fehlt bei allen Industriestaaten die Bereitwilligkeit, in die notwendige großangelegte Finanz- und Technologiekooperation einzusteigen. Diese ist aber dringend notwendig, da im Mandat der Klimakonferenz von Bali 2007 das Ausmaß der Klimaschutzaktivitäten der Schwellen- und Entwicklungsländer an die Größenordnung dieser Kooperation geknüpft wurde. Dies hatte bereits Auswirkungen, die den weiteren Prozess belasten. Die Entwicklungsländer scheiterten beim Versuch Verhandlungen über einen zusätzlichen Finanzmechanismus zu installieren, der für den Zeitraum bis 2012 zuverlässige Geldströme für den Anpassungsfund liefern sollte. Ebenso gelang es ihnen nicht, Verhandlungsbereitschaft für einen großen Finanzmechanismus für die Zeit nach 2012 in der Abschlusserklärung zu verankern. Zu dieser zentralen Debatte waren alle Industrieländer kaum vorbereitet erschienen.

Der internationale Klimazug kann nur dann wieder flott gemacht werden, wenn die USA, China und die EU tatsächlich einen Grünen Deal zur Rettung der Wirtschaft und des Klimas organisieren. Massive Investitionen in Energieeffizienz, Erneuerbare Energien und die dafür notwendige Infrastruktur könnten eine dreifache Dividende abwerfen. Erstens sind sie sehr arbeitsintensiv, schaffen Arbeitsplätze und kurbeln die Wirtschaft an. Zweitens lässt sich das bei der Öl-, Gas- und Kohlerechnung eingesparte Geld sinnvoll nutzen. Drittens wäre das der Einstieg in ernsthaften Klimaschutz. – Im nächsten Jahr wird es bis zum Kopenhagen-Gipfel im Dezember 2009 eine zunehmende Zahl von Zwischenverhandlungen geben.

2. Dezember 2008

Der Doha-Consensus und die Kakophonie der NGOs

Dass die deutsche Entwicklungsministerin Heidemarie Wiezcorek-Zeul das Konferenzergebnis als „Erfolg“ ansieht, überrascht nicht. Der Doha Consensus steht dem Monterrey Consensus in der Tat in kaum etwas nach. Eine Kürzung der Entwicklungshilfe wurde abgewehrt, alte Zusagen bekräftigt. Mit der positiven Bezugnahme auf die Accra-Aktionsagenda über die Wirksamkeit der Hilfe wurde er sogar erweitert. Die steigende Bedeutung innovativer Finanzierungsinstrumente wird anerkannt. Die Zusammenarbeit in Steuerfragen soll verstärkt werden, das Wie wurde allerdings auf 2009 vertagt.


Überraschender ist da schon die Kakophonie der Bewertungen durch die NGOs. Diese reichen von himmelhoch jauchzend bis zu Tode betrübt. Während die einen Signale sehen, „dass die Entwicklungsländer nicht im Stich gelassen werden“ (VENRO), beklagen die anderen, dass es die Konferenz nicht geschafft habe, „die UNO als das Zentrum der Antwort (auf die globale Finanzkrise) zu etablieren“ (Oxfam International). Wieder andere behaupten, „alle Augen wendeten sich jetzt dem G20-Treffen in London zu, auf dem die Bedürfnisse Afrikas umfassender berücksichtig werden müssen“ (ONE).

Derlei Einlassungen zeugen nicht gerade von strategischem Urteilsvermögen. Natürlich sind die in Doha gefassten Beschlüsse ambivalent. Aber der zentrale Punkt – und hier liegt das Gemeinsame Statement der Doha-NGO-Gruppe (DNG) genau richtig – ist, dass die UNO im Spiel bleibt bzw. ins Spiel kommt in der Debatte um die Reform des internationalen Finanzsystems. Ohne Vorbehalte und Gegenstimmen haben sich die Delegationen in Doha darauf geeinigt, dass „die UN eine Konferenz auf der höchsten Ebene über die weltweite Wirtschafts- und Finanzkrise und ihre Bedeutung für die Entwicklung abhalten wird“. Die Modalitäten dazu sollen spätestens bis März, also noch vor dem G20-Gipfel am 2. April in London, geklärt sein.

Natürlich hat auch diese Konferenz wieder viele Gelegenheiten verpasst. Vor allem mangelt es vielen Empfehlungen an der Festlegung verbindlicher Umsetzungsschritte. Anderes wurde völlig unzureichend behandelt oder auf künftige Treffen vertagt. Aber eine Weltkonferenz der UN zur globalen Wirtschafts- und Finanzkrise schon im nächsten Jahr – das haben die Organisationen der Zivilgesellschaft zwar gefordert, angesichts der schlechten Vorzeichen, unter denen die Doha-Konferenz stand, aber kaum zu hoffen gewagt.

Der Weg zu einem neuen Bretton Woods geht also weiter. Doch weder die G8 noch die G20 schreiben diese Geschichte allein. Die UN haben in diesen Prozess – auch das hat sich in Doha gezeigt – einiges einzubringen, fachliche Expertise und Kompetenz (>>> Apropos UN-Kompetenz in Wirtschaftsfragen), vor allem aber die Eigenschaft, das einzige globale Forum zu sein, das einer Neuen Internationalen Finanzarchitektur wirkliche Legitimität verleihen kann.

Eilmeldung: Der Consensus von Doha ist da

So schnell kann es gehen. Plötzlich scheinen alle Hürden aus dem Weg geräumt. Die UN-Konferenz für Entwicklungsfinanzierung hat soeben auf Ministerebene das zuletzt entscheidende Hindernis der Verhandlungen aus dem Weg geräumt. Positiv formuliert: Es wird im nächsten Jahr eine UN-Konferenz „auf höchster Ebene“ geben, die die globale Wirtschafts- und Finanzkrise und ihre Auswirkungen auf die Entwicklung (der Entwicklungsländer) zum Gegenstand haben soll. Schon bis März 2009, also noch vor dem für April geplanten 2. Gipfel der G20, sollen die organisatorischen und prozeduralen Voraussetzungen geschaffen werden, und zwar vom Präsidenten der UN-Generalversammlung, Miguel d’Escoto, unter Einbeziehung des UN-Generalsekretär, Ban Ki-moon. Darauf haben sich zuletzt alle Verhandlungsgruppen, die EU, die G77 und auch die USA mit der JACUNZ-Gruppe (Japan, Australien, Kanada, USA und Neuseeland) geeinigt.

Erste Bewertung: Faktisch bedeutet dies, dass das Thema nicht von den G20 monopolisiert werden kann; die UNO bleibt im Prozess der Reformierung der globalen Finanzarchitektur. Und die Debatte um das Thema und die Re-Regulierung der Weltwirtschaft kann jetzt so richtig beginnen. Zwar waren heute Abend einige Details noch unklar (z.B. ob es gelingen würde, das eigentliche Follow-Up des Monterrey-Prozesses auf einen verbindlicheren Monitoring-Mechanismus anzuheben); aber dies bleibt zweitrangig, wenn es gelungen sein sollte, das Gewicht der UN-Mehrheit in der Reform der internationalen Finanzarchitektur zu erhöhen.

Siehe auch: UN-Pressemitteilung

1. Dezember 2008

Doha-Verhandlungen in der Schwebe


Von Klaus Schilder

Die Verhandlungen der UN-Konferenz über Entwicklungsfinanzierung hier in Doha stecken in einer kritischen Phase. Nachdem am gestrigen Sonntag sowohl die G77 (Entwicklungsländer) als auch die EU Kompromissbereitschaft für den Text der Schlusserklärung signalisierten, brachten die USA die Verhandlungen anschließend mit einer großen Zahl von Änderungswünschen fast zum Stillstand. Es folgen hektische Stunden bilateraler Verhandlungen hinter verschlossenen Türen, zuletzt unter Beteiligung der anwesenden Ministerinnen und Minister. Schließlich zog der Präsident der UN-Generalversammlung, Pater Miguel d’Escoto Brockmann, den bisherigen Verhandlungstext unter Verweis auf Fehler in den Formulierungen zurück. Ein Konsens scheint aber dennoch möglich.

Hauptstreitpunkt war bis zuletzt die derzeitige Weigerung der USA, Diskussionen über die umfassende Neuordnung der internationalen Finanzarchitektur unter dem Dach der UN in Form einer UN-Weltkonferenz zur Reform des internationalen Wirtschafts- und Finanzsystems – kurz: einer Bretton-Woods-II-Konferenz – zuzustimmen. EU und G77 hatten sich mit anderen Partnern darauf verständigt, die UN Generalversammlung mit der Ausarbeitung der genauen Modalitäten für eine solche Konferenz zu beauftragen. Die USA zielen dagegen darauf ab, einen solchen breit getragenen Gipfel zu verhindern oder zumindest auf eine wahrscheinlich folgenlose Erörterung im Rahmen der 64. Generalversammlung Ende 2009 zu reduzieren. Auch werden konkrete Festlegungen über den FfD-Folgeprozess einschließlich der Frage einer weiteren Überprüfungskonferenz im Jahr 2013 von den USA blockiert. VertreterInnen der Zivilgesellschaft forderten die UN-Mitgliedsstaaten daraufhin auf, notfalls gegen die undemokratischen Machtspiele der USA demonstrativ über eine Abschlusserklärung „minus eins“ abzustimmen (http://www.petitiononline.com/G192vote).

Gegenstand intensiver politischer Beratungen auf Ministerebene waren zudem die Abschnitte, die sich mit Verpflichtungen zum Kampf gegen den Klimawandel und dessen Finanzierung sowie mit systemischen Reformen im Welthandelsregime beschäftigen. Auf Betrieben der USA wurden schließlich die Aufforderung zur Erreichung der internationalen ODA-Verpflichtungen von 0,7% des BNP abgeschwächt. Positiv dagegen: Die von vielen NGOs, darunter dem Netzwerk für Steuergerechtigkeit, geforderte Stärkung des UN-Komitees für Steuerfragen ist dagegen unstrittig, wenn auch ohne Festlegung auf Aufwertung zu einem zwischenstaatlichen Gremium.

Auch wenn ein Kompromiss , der das Gesicht der teilnehmenden Regierungsvertreter wahrt, nun auch ohne nächtliche Verhandlungsrunde möglich scheint so ist schon jetzt klar, dass es ein äußerst schwacher Kompromiss sein wird, der zumindest Zweifel an der Handlungsfähigkeit der UN angesichts der Auswirkungen der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise, insbesondere für die Ärmsten der Welt, nährt. Die Arbeit fängt nach Doha also erst richtig an.

Apropos UN-Kompetenz in Wirtschaftsfragen: Aussichten für 2009

Als Konsequenz der globalen Finanzkrise erwarten UN-Ökonomen im nächsten Jahr einen Rückgang des weltweiten Pro-Kopf-Einkommens und für die Entwicklungsländer rückläufige Exporteinnahmen und Kapitalzuflüsse sowie steigende Kreditkosten. Der US-Dollar dürfte erneut an Wert verlieren, wobei eine „harte Landung“ nicht ausgeschlossen ist. Auch einen Rückgang der öffentlichen Entwicklungshilfe (ODA) sagen die UN-Experten in dem heute veröffentlichten Outlook-Kapitel der „World Economic Situation and Prospects 2009“ voraus.

Der Bericht wird in diesem Jahr möglicherweise etwas ernster genommen als in den Vorjahren, nachdem sich gezeigt hat, dass die Prognosen der UN-Abteilung für wirtschaftliche und soziale Fragen (DESA) und der UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD) in den vergangenen Jahren durchweg eher eingetroffen sind als die der arrivierten Bretton-Woods-Institutionen IWF und Weltbank oder der nationalen Mainstream-Institute, etwa der deutschen „Wirtschaftsweisen“. Wenn die Financial Times Ende letzter Woche behauptete, niemand habe die Finanzkrise vorausgesagt, dann ist das also nicht nur für die Individuen der Ökonomen-Zunft, sondern auch für die Institutionen schlicht falsch. Es gibt Wirtschaftswissenschaftler wie Robert Shiller und Nouriel Roubini, die die aktuelle Krise vorhersagten, und eben auch die genannten UN-Institutionen, wenn auch nicht in allen Einzelheiten (s. z.B. >>> W&E-Hintergrund Jan 2008: Von der Subprime-Krise zur globalen Rezession?).

Jomo Kwame Sundaram, UN Assistant Secretary-General for Economic Development, erfüllt dieses gute Abschneiden mit einer gewissen Genugtuung, aber nicht mit Schadenfreude. Denn es geht auf diesem Gebiet ja immer auch um das Leid und das Schicksal von Millionen von Menschen. Die Leute sollten aber vielleicht auch bei den Empfehlungen besser hinhören, die aus New York und Genf kommen, als in der Vergangenheit, als von den schlechten Botschaften niemand etwas wissen wollte. Der neueste Prospects-Report, dessen vollständige Version Anfang Januar 2009 erscheint, fordert u.a.
* eine grundlegende Revision der Governance-Strukturen von IWF und Weltbank,
* grundlegende Reformen des bestehenden Systems der Regulierung und Aufsicht über die Finanzmärkte,
* eine Reform des derzeitigen internationalen Reservesystems, weg von der nahezu ausschließlichen Orientierung auf den Dollar und hin zu einem Multiwährungsstandard, sowie
* eine Neuorganisation der globalen Liquiditätsversorgung und Ausgleichsfinanzierung durch ein multilaterales und regionales Pooling nationaler Währungsreserven ohne die berüchtigte politische Konditionalität, wie sie IWF und Weltbank praktizieren.

30. November 2008

UNCTAD-Generalsekretär beklagt Doppelstandards in der Finanzkrise

In ungewöhnlicher Offenheit hat der Generalsekretär der UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD), Supachai Panitchpakdi (s. Photo), in Doha die Doppelstandards der Industrieländer und des IWF in der gegenwärtigen Finanzkrise beklagt. Auf einem Panel über die Globale Finanzkrise, die globalen Ungleichgewichte und Policy Space erzählte Supachai erstmals, mit welchen Forderungen er sich in den Jahren 2007/8 konfrontiert sah, als er zum Stellvertretenden Finanzminister Thailands wurde: „ Sie sagten nur: Kürzt, kürzt, kürzt Eure Ausgaben, hebt Eure Zinssätze und bestraft Eure Banken! Lasst keinen moral hazard zu! Wie oft haben Sie diese Worte in den letzten Monaten gehört, als die Banken im Norden gerettet wurden?“

Thailand habe das Rettungspaket des IWF damals nur teilweise in Anspruch genommen. Das zeige, dass Policy Space-Begrenzungen menschengemacht sind und auch von Menschen wieder beseitigt werden können. So habe auch Thailand viel zu früh den Kapitalverkehr freigegeben und sich damit schutzlos dem Zustrom spekulativen Privatkapitals ausgeliefert, später das IWF-Geld aber vorfristig, schon nach zwei Jahren, zurückgezahlt (Nach den Bestimmungen der IWF-Satzung sind Kapitalverkehrskontrollen eindeutig erlaubt; aber die ganze Beratertätigkeit des Fonds ging genau in die entgegengesetzte Richtung.)

Heute macht der Fonds wieder eine Kehrtwende, aber nur scheinbar. Den Industrieländern rät er zu Stimuluspaketen, zur Rettung ihrer Banken und zur besseren Regulierung ihres Finanzsektors. Die anwesende Vertreterin des IWFs, die Chefin seiner Afrika-Abteilung, Antoinette Sayeh, hatte dafür eine eigentümliche Erklärung parat: Nur solche Länder, die es sich leisten könnten, dürften antizyklisch auf die Krise reagieren, aber die meisten Länder seien eben Defizitländer und könnten dies nicht. Hier gehe es darum den Haushalt angesichts der durch die Realität diktierten Anpassung zu schützen. – Spitzfindiger hat mir selten jemand die in das internationale System eingebauten Machtasymmetrien erklärt. Die Frage von Heiner Flassbeck (UNCTAD), ob dies vielleicht damit zusammenhänge, dass es seit Anfang der 1970er Jahre kein Währungssystem mehr gebe, das auch den Defizitländern Regulierungsspielräume einräume, blieb leider unbeantwortet.

Tag der schönen Worte oder mehr in Doha?

Für Jean Merckaert vom Globalen Caritas-Netzwerk klang es ein bisschen, als sei Nicolas Sarkozy zum Robin Hood der armen Länder avanciert. Und in der Tat machte sich wieder einmal ein französischer Präsident, der hier als Ratspräsident der EU auftrat, zum Fürsprecher der Opfer der globalen ökonomischen Krise. Die Welt müsse verändert werden, einschließlich ihrer Institutionen und ihres Finanzsystems. Und vor allem Afrika müsse mehr Mitsprache im IWF und in der G20 und auch ein Sitz im UN-Sicherheitsrat eingeräumt werden. Der Europäische Kommissionspräsident, José Manuel Baroso, stand Sarkozy in nichts nach: „Wir müssen innovativer werden und uns auf ein neues Paradigma zu bewegen.“

Natürlich sind solche Einlassungen stets an der Praxis der Akteure zu messen, und entsprechend gibt es zahlreiche Stimmen von NGOs, die das tun. Aber dennoch ist hier am ersten Tag der UN-Konferenz für Entwicklungsfinanzierung so etwas wie eine möglicherweise praxisverändernde Dimension des Diskurses deutlich geworden. So forderte die deutsche Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczoreck-Zeul gleich mehrfach die Überführung der G20 in einen Global Council, wie er schon im Prozess der Erarbeitung des Monterrey Consensus (im Zedillo-Report) angedacht worden war. Vor allem Afrika dürfe von der G20 nicht vergessen werden. Bei einem Panel über die „Erneuerung des Multilateralismus“ machte UN-Generalsekretär Ban Ki-moon, der beim Eröffnungsplenum am Morgen eher blass gewirkt hatte, allerdings klar, dass Inklusion und Partizipation nicht bedeuten könne, „dass wir einfach die Zahl hinter dem Buchstaben G erhöhen“. Ein neuer Multilateralismus müsse „elastisch genug“ sein, um mit den globalen Herausforderungen auch institutionell jeweils adäquat umgehen zu können.

Zum neuen Leitmotiv jenseits der kruden Entgegensetzung „Hier G20 – dort G192“ könnten die Begriffe „Brückenbau“ (Ban) und „variable Geometrie“ (Pascal Lamy) werden. Eine Brücke zwischen dem Washingtoner Finanzgipfel und der UN-Konferenz in Doha wollte Ban schon mit dem Vorabtreffen der (wenigen) anwesenden Staats- und Regierungschefs am letzten Freitag schlagen. Bei dem erwähnten Panel präsentierte WTO-Generaldirektor Pascal Lamy sogar den einstmals berüchtigten „Green Room“ der WTO-Verhandlungen als eine Art G30, an der neben den G20 auch noch Vertreter ärmerer Länder, etwa der LDCs oder der AKP-Staaten, beteiligt sind. Für den Administrator des UN-Entwicklungsprogramms (UNDP), Kemal Dervis, war klar, dass künftig die G20 (mit einer noch zu entscheidenden Form der Rotation oder als G20-Plus) das Zentrum der Global Governance sein werden. Allerdings werde es immer einen gewissen Mix zwischen informellen und formellen, vertragsbasierten Formen der internationalen Entscheidungsfindung geben. Aktuell plädierte Dervis für ein global koordiniertes, keynesianisches Konjunkturprogramm in der Größenordnung von 3% des globalen Outputs. Dieses Programm müsse eine starke grüne Färbung bekommen, indem 10-15% davon in klimafreundliche Investitionen flössen. – Natürlich bleiben noch viele Fragen offen. Aber ein bisschen deutlicher geworden ist am ersten Konferenztag schon, was es heißen kann, die Doha-Konferenz als Ideenspender und als Forum zu nutzen, das neue Initiativen für die Global-Governance-Reform produziert.

29. November 2008

Doha ist eine Baustelle: Dächer für die Verwundbaren?

Von Reinhard Hermle

Nicht nur eine eindrucksvolle Skyline architektonisch anspruchsvoller Wolkenkratzer ziert Doha, die Hauptstadt des Emirats Katar am Persischen Golf, sondern auch zahllose von hohen Kränen überragte Baustellen. Sie zeugen von dem offenbar noch ungebrochenen Bauboom und dem Willen der Eliten, das Emirat zu einem attraktiven Standort für Investoren und Touristen zu machen. Wie weit dies nachhaltig ist, muss sich – nicht zuletzt wohl auch im Hinblick auf die globale Finanzkrise, die auch die Ölstaaten nicht verschonen wird – noch erweisen.

Immerhin ist es dem Emirat gelungen, große internationale Konferenzen ins Land zu holen. So fand der Auftakt zu den laufenden Verhandlungen über eine weitere Liberalisierung des Welthandels im November 2001 in Doha statt. Nach dem Schock der Terroranschläge vom 11. September schien Einverständnis darüber zu bestehen, dass es auch darum gehen müsse, die Armut in der Welt zu überwinden, um politischer Radikalisierung den Boden zu entziehen. Deshalb sollte die Handelsverhandlungen vor allem den Interessen der armen Länder Rechnung tragen. Dieser Prozess trägt daher auch den Namen „Doha-Entwicklungsrunde“. Diese Baustelle ist bis heute nicht geschlossen, weil sich teils die USA und EU nicht einig sind, aber vor allem auch die Entwicklungsländer fürchten, ein weiteres Mal über den Tisch gezogen zu werden.

Gerade wird in Doha mit der zweiten UN-Konferenz zur Entwicklungsfinanzierung eine neue Baustelle von weitreichender Bedeutung aufgemacht. Die Handwerker sind vor Ort. Bauteile für das Haus der weltweiten Partnerschaft, das gebaut werden soll, sind angeliefert. Sie passen noch nicht wirklich zusammen. Die Statik stimmt nicht. Es ist umstritten, wer die Architektur letztlich bestimmen soll. Offen ist, ob es gelingt, ein Dach zu zimmern, das insbesondere auch die Menschen in den schwachen Ländern vor den Stürmen schützt, die sie in Gestalt der vielfältigen aktuellen Krisen umtoben. Am kommenden Dienstag werden wir mehr wissen.

Bretton Woods II? Wir brauchen eine neue UN-Währungs- und Finanzkonferenz

Lesen Sie die Abschlußrede von Jens Martens, Global Policy Forum, auf dem Civil Society Forum in Doha (>>> in unserem englischen Newsblog)

28. November 2008

Doha: Lassen die Reichen die Armen links liegen?

Für die ärmsten Nationen der Welt ist es eine der wichtigsten Konferenzen in den letzten sechs Jahren. Doch die politischen Führungen der Industrieländer haben offensichtlich beschlossen, das UN-Treffen für Entwicklungsfinanzierung in Doha links liegen zu lassen. Jedenfalls wird sich hier zeigen, ob sie die entwicklungspolitischen Versprechen der letzten Jahre ernst gemeint waren oder ob die westlichen Regierungen beabsichtigen, die aktuelle Finanzkrise zum Anlass und zur Entschuldigung zu nehmen, um der Entwicklungswelt den Rücken zuzuwenden.

Die deutsche Presse gab heute, Freitag, schon einen Vorgeschmack darauf, wie wichtig ihr das Thema ist: Keine der großen Tageszeitungen brachte bislang eine Vorschau auf die Konferenz, weder Süddeutsche noch FAZ, weder FR noch taz. Letztere bringt allerdings morgen einen Vorabbericht, der sich auch auf unserem Vorschau-Artikel (>>> Was steht auf dem Spiel?) stützt und am Schluss seinen Autur zitiert:

„Ein bloßes Wachstum der Kapitalflüsse führe aber ohnehin nicht notwendigerweise zu einem Wachstum für die Armen, erklärt Rainer Falk, Herausgeber des Informationsbriefs Weltwirtschaft & Entwicklung. Wichtiger noch als höhere Entwicklungshilfe wäre ein umfassenderer Wandel des globalen Wirtschafts- und Finanzsystems. "Gerade das ist die vielleicht wichtigste Chance der Doha-Konferenz", meint Falk.“

Die Fakten, warum das notwendig ist, liegen klar auf der Hand. Oxfam International hat sie heute nochmal in einem Pressebriefing zusammengestellt:

Die Bedeutung der Finanzkrise:
* Die Weltbank schätzt, dass durch die aktuelle Krise 40 Mio. Menschen zusätzlich in die Armut gestoßen werden.
* In der Rezession Anfang der 1990er Jahre fiel die internationale Entwicklungshilfe und brauchte bis 2003, um das Niveau des Jahres 1992 wieder zu erreichen (gemessen am BNE).

Entwicklungspolitische Versprechen:
* Das 0,7%-Ziel zu erreichen, würde die OECD-Länder 140 Mrd. Dollar zusätzlich pro Jahr kosten – ein Bruchteil der rund 3 Billionen, die in kürzester Zeit für die Bankenrettung mobilisiert wurden.

Kapitalflucht:
* Für jeden Dollar Entwicklungshilfe, die er bekommt, verliert der afrikanische Kontinent sieben Dollar durch die Kapitalflucht.
* Steuervermeidung bedeutet, dass den Entwicklungsländern jedes Jahr 160 Mrd. Dollar an Einkommen verloren geht.
* Der größte Batzen an verlorenem Geld der Entwicklungsländer entfällt nicht auf Korruption (5%) oder Verbrechen (35%), sondern auf Steuervermeidung und Steuerflucht durch Transnationale Konzerne, schätzungsweise 350-500 Mrd. Dollar pro Jahr.

Innovative Finanzierungsmechanismen:
* Eine kleine Steuer von bis zu 1% auf grenzüberschreitende Währungstransaktionen könnte dreimal so viel erbringen als die heutige Entwicklungshilfe.

27. November 2008

Doha: Bleibt die Zivilgesellschaft ungehört?

Von Klaus Schilder

Es soll ein starkes Signal für die UN-Konferenz über Entwicklungsfinanzierung sein: Mehr als 400 Vertreter von Nichtregierungsorganisationen haben ihre Forderungen an die politischen Führer auf dem Forum der Zivilgesellschaft in eine gemeinsame Erklärung gefasst. Die Kernbotschaft lautet: Angesichts der globalen Finanz-, Ernährungs- und Ressourcenkrise und der dramatischen Auswirkungen des Klimawandels kann es kein „Weiter so wie bisher“ geben! Das internationale Finanzkasino braucht keine strengeren Regeln, es muss geschlossen werden!

Von Doha muss daher ein politischer Impuls für einen globalen Konsens ausgehen, der Armutsbekämpfung, soziale Gerechtigkeit, die Achtung der Menschenrechte, Geschlechtergerechtigkeit, menschenwürdige Arbeit und ökologische Nachhaltigkeit zu den Kernprinzipien gemeinsamen Handelns macht. Die Lösung globaler Probleme darf nicht einem Club reicher Staaten, die handverlesene Schwellenländer an ihren Tisch geladen haben, überlassen werden. Eine neue globale Finanz- und Wirtschaftsstruktur, die die Interessen der Armen und Marginalisieren der Welt respektiert, muss unter kollektiver Mitwirkung aller UN-Mitgliedsstaaten - der G192 - entworfen werden, wenn sie demokratisch legitimiert sein soll. Dafür lohnt es zu kämpfen!

Die Botschaften sind klar, nur werden sie auch politisches Gehör finden? Die Doha-Konferenz läuft Gefahr, selbst hinter die Ergebnisse der ersten Finanzierungskonferenz in Monterrey zurückzufallen, wenn nicht gar zu scheitern. Und die G77 scheinen zu tief gespalten, um das Ruder zu wenden: Während sich Brasilia, Peking und Pretoria am „Tisch der Reichen“ Stimme und Mitsprache erhoffen, öffnen sich im Rest der Gruppe längst überwunden geglaubte ideologische Grabenkämpfe. Der Doha-Konferenz kommt damit immense Bedeutung für das multilaterale System selbst zu: Ein gesichtswahrender Mini-Konsens wäre angesichts des globalen Handlungsbedarfs inakzeptabel und käme einem Scheitern der Vereinten Nationen bei globalen Problemlösungen gleich. Politisch schwerwiegender: Er würde globalen Entscheidungen in demokratisch nicht legitimierten, exklusiveren Gremien wie der G20 den Weg bereiten. Ein globaler Konsens kann aber nur von einer zweiten UN-Währungs- und Finanzkonferenz, die auch von institutionellen Rahmen ein echtes „Bretton Woods II“ wäre, ausgehen. Doha könnte der erste Schritt dazu sein.

Dr. Klaus Schilder ist Referent für Entwicklungspolitik bei terre des hommes, Osnabrück, und z.Zt. in Doha.

‚Aid Pledge‘ der OECD: Von der Finanzkrise zur ODA-Krise?

Die Organisation für wirtschaftlichen Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hat sich gestern auf einer Sondersitzung ihres Exekutivkomitees der Verpflichtung der G20 angeschlossen, sich in den nächsten 12 Monaten mit Rücksicht auf die lahmende Weltkonjunktur neuer protektionistischer Maßnahmen zu enthalten. Gleichzeitig haben die Geberländer im OECD-Entwicklungshilfe-Ausschuss (DAC) positiv auf die Aufforderung des OECD-Generalsekretärs Angel Gurría und des DAC-Vorsitzenden Eckhard Deutscher reagiert, sich öffentlich zur Aufrechterhaltung ihrer Verpflichtungen in Sachen Entwicklungshilfe zu bekennen (‚Aid Pledge‘).

In einem Brief an die Staats- und Regierungschefs der OECD-Länder hatten die beiden im Oktober (>>> Echo und Widerhall) davor gewarnt, dass unter dem allgemeinen finanziellen Druck aus der Finanzkrise eine allgemeine Krise der Entwicklungshilfe werden könnte. In einem Statement erklären die DAC-Mitglieder jetzt, dass ihre Regierungen „erneut ihre Hilfeverpflichtungen bekräftigen und übereinstimmen, den Fluss der Entwicklungshilfe in dieser Höhe aufrechtzuerhalten“.

Statt „aufrechtzuerhalten“ hätte es freilich besser „zu erhöhen“ geheißen. Denn nach den ebenfalls in dieser Woche veröffentlichten endgültigen ODA-Zahlen für 2007 ist die öffentliche Entwicklungshilfe in diesem Jahr auch bei Herausrechnung des Schuldenerlass-Anteil gestiegen, aber nur um 2% - viel zu wenig, um den OECD-Verpflichtungen gerecht zu werden (s. Graphik). Nach diesen Angaben müssten über 30 Mrd. US-Dollar (im Wert von 2004) zusätzlich in die Entwicklungshilfe-Haushalte der Industrieländer fließen, um die Gelöbnisse von Gleaneagles und des Millennium+5-Gipfels von 2005 bis 2010 zu erfüllen. Etwas salomonisch heißt es in der DAC-Veröffentlichung, die FfD-Konferenz in Doha „sollte in Bezug auf die künftigen Intentionen hinsichtlich des Umfang der Hilfe Klarheit schaffen“. Wenn da mal nicht der Wunsch der Vater des Gedankens war …

Sorgen Sie dafür, Frau Merkel ...

Mit dieser Anzeige (Vegrößerung durch Anklicken) präsentiert das Bündnis "Deine Stimme gegen Armut" in der Freitagsausgabe der Financial Times Deutschland seine Forderungen an die Bundesregierung für die Doha-Konferenz.

Schlechte Signale vor Konferenzbeginn in Doha

Von Reinhard Hermle

Es passt ins Bild: Nicht nur die Chefs von Weltbank und IWF reisen nicht an den Persischen Golf. Sie folgen dem schlechten Beispiel, das viele Staats- und Regierungschefs geben. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel lässt sich lieber auf dem CDU-Parteitag feiern, als sich in Doha der Herausforderung zu stellen, wie die armen Länder angesichts der dramatischen Finanz- und Wirtschaftskrise, die nach Schätzungen der Weltbank im kommenden Jahr 40 Millionen Menschen in neue Armut stürzen wird, ihre Entwicklung voranbringen können. Und obwohl deshalb die Doha-Konferenz vielleicht eine der wichtigsten seit der Konferenz in Monterrey im März 2002 ist, findet sie bei den Staats- und Regierungschefs wenig Beachtung.

Aus dem Kreis der Industrieländer hat nur der französische Präsident Sarkozy als derzeitiger EU-Ratspräsident sein Kommen zugesagt. Dies ist kein gutes Signal. Man sollte erwarten, dass sich die politischen Führer mit der gleichen Intensität und Energie um die zunehmende soziale Krise der Entwicklungsländer kümmern, die sie im Hinblick auf der Finanz- und Wirtschaftskrise gezeigt haben. Wenn sie das nicht tun, sagt das auch etwas aus über die Ernsthaftigkeit, mit der sie die früher gemachten und immer wieder bekräftigten Versprechen einzuhalten gedenken, die Quantität und Qualität der Hilfen für die armen Länder zu erhöhen.

Dr. Reinhard Hermle ist entwicklungspolitischer Berater von Oxfam Deutschland und derzeit in Doha.

26. November 2008

Zoellick: Truthahn-Essen statt Doha

Er präsentiert sich gern als einer, der in der jetzigen Finanzkrise die Fahne der Dritten Welt hochhält. Doch jetzt hat Weltbank-Präsident Robert Zoellick – ebenso wie IWF-Chef Strauss-Kahn - seine Teilnahme an der kommenden UN-Konferenz für Entwicklungsfinanzierung in Doha, der Hauptstadt des arabischen Emirats Katar, abgesagt. Das Umfeld von UN-Generalsekretär Ban Ki-moon soll sichtlich wütend gewesen sein, berichtet die Washington Post. Kein Wunder, hatte sich Ban Ki-moon doch erhofft, in Zoellick einen Bündnispartner in Doha zu haben, der gemeinsam auf die Bekräftigung der westlichen Versprechen in Sachen Entwicklungshilfe drängt.

Wie verlautet, soll Zoellick Probleme gehabt haben, die Feierlichkeiten des Thanksgiving Days und die Teilnahme in Doha unter einen Hut zu bringen. Doch das ist unglaubwürdig: Der Tag, an dem die US-Menschen gerne Truthähne verspeisen, ist bereits morgen, die offizielle UN-Konferenz beginnt dagegen erst am Samstag.

Viel eher treffen andere Befürchtungen zu, die man im UN-Hauptquartier in New York hegt: Zoellick will, dass die Fragen der künftigen Architektur des globalen Finanzsystems ausschließlich im Rahmen der G20 besprochen werden. Das passt auch zu Zoellicks Einlassungen, die G20 sollten ein Steering-Komitee bilden, um zu verdeutlichen, dass es sich gegenüber den G8 um einen Neuanfang handelt. Es wäre freilich ein wahrhaftiger Geburtsfehler, wenn die G20-Karriere in der Global Governance mit Düpierungen der Internationalen Gemeinschaft beginnt.

25. November 2008

Kneift Strauss-Kahn in Doha?

Nachdem seine Reise zur UN-Konferenz über Entwicklungsfinanzierung in Doha zunächst als selbstverständlich galt, gibt es jetzt Hinweise darauf, dass der Geschäftsführende Direktor des IWF, Dominique Strauss-Kahn, doch nicht teilnehmen wird. Für den „Reformdirektor“, wie er sich gerne selbst sieht, ist dies mehr als unverständlich, steht doch in Doha unter dem Punkt „Systemische Fragen des Finanzsystems“ auch die künftige Rolle und Reform des IWF auf der Tagesordnung. Schwer zu erklären wäre die Abwesenheit des IWF-Chefs auch, weil dem Fonds im Vorbereitungsprozess auf Doha ein außergewöhnlicher Einfluss eingeräumt wurde: Er kann praktisch gleichberechtigt wie die Mitgliedsstaaten Änderungsvorschläge zu den Konferenzdokumenten einbringen.

Ein Fernbleiben des IWF wäre ein starkes politisches Signal, dass den UN-Prozess im Kontext der Debatte um eine neue internationale Finanzarchitektur weiter schwächen würde. NGOs aus aller Welt haben deshalb einen Offenen Brief an Strauss-Kahn geschickt und ihn aufgefordert, doch noch nach Doha zu fahren.

Der Brief kann noch unterschrieben werden: >>> hier.

23. November 2008

Von der G20 zur G192? Vor dem UN-Gipfel zur Entwicklungsfinanzierung

Als im Vorfeld des Weltfinanzgipfels der G20 der amtierende Präsident der UN-Vollversammlung Miguel d’Escoto Brockman darauf hinweisen wollte, dass alle 192 UN-Mitglieder an der Schaffung einer neuen internationalen Finanzarchitektur beteiligt werden müssten, sprach er trotzig von der Gruppe der 192 (G192). Eine solche Plattform bietet jetzt die zweite UN-Konferenz zur Entwicklungsfinanzierung (FfD: Financing for Development), die vom 29. November bis 2. Dezember 2008 in Doha/Katar stattfindet. Vorschaltet ist in dieser Woche ein „Civil Society Event“, und zugleich wird es eine kaum noch zu überschauende Palette von „Side Events“ geben.



Lange haben NGOs keine so großen Hoffnungen mehr in eine hochrangige UN-Konferenz gesetzt. Entsprechend groß wird die Präsenz vor Ort sein. Dabei ist der Ausgang der Konferenz nach dem derzeitigen Stand der Vorbereitung (>>> G192-Gipfel in Doha: Was steht auf dem Spiel?) völlig offen. Das Spektrum der Möglichkeiten reicht von einem relativ detaillierten Outcome-Dokument bis zu einem wortkargen Papier von einer Seite, auf der lediglich eine halbherzige Bekräftigung des Consensus von Monterrey stattfindet, wo 2002 der erste UN-Gipfel zur Entwicklungsfinanzierung stattfand.

Der Gipfel teilt mit dem Weltfinanzgipfel das Handicap, dass allzu konkrete Beschlüsse vor dem Amtsantritt der neuen US-Administration unter Barack Obama wenig Sinn machen. Er bietet jedoch die Chance, konkrete inhaltliche Initiativen vorzuschlagen und auf den Weg zu bringen, die dann in einem Follow-Up weiter verfolgt werden. Umso spannender wird es sein, den Verhandlungsverlauf und die Beschlüsse von Doha genau zu beobachten. Die Leserinnen und Leser dieses Blogs werden dabei sein: Ab Freitag dieser Woche wird direkt aus Doha gebloggt.

19. November 2008

Noch mehr IWF-Abkommen: The same procedure...

Es war Zeit, unsere Tabelle über „Neue IWF-Abkommen im Zeichen der Finanzkrise“ zu aktualisieren (s.u.; Vergößerung durch Anklicken). Denn in den letzten Tagen wurden zwei weitere Stand-by-Abkommen unter Dach und Fach gebracht, das eine mit Pakistan über 7,6 Mrd. Dollar, das andere mit Serbien über gut 500 Mio. Dollar. Während das Abkommen mit Serbien das Land verpflichtet, sein Haushaltsdefizit von 2,7 auf 1,5% des Bruttoinlandsprodukts zu kürzen, soll in Pakistan das „Vertrauen in- und ausländischer Investoren“ wieder hergestellt werden, und zwar durch eine „Verschärfung der Haushalts- und Währungspolitik“. Es ist also das glatte Gegenteil dessen, was der Fonds den Industrieländern als Mittel gegen die Krise empfiehlt: Hier die Aufforderung zu konjunkturpolitischen Stimuli, dort die alte Politik des Gürtel-enger-Schnallens.


Dass es reiner Irrglaube ist, der IWF hätte seine Konditionalität im Zusammenhang mit den neuen Abkommen bereits wesentlich gelockert, geht auch aus dem jetzt veröffentlichten Letter of Intent hervor, den die ungarische Regierung im Gegenzug zu den Stand-by-Mitteln an den Fonds geschickt hat. Dort kann nachgelesen werden, wie die Regierung bis 2009 das Haushaltsdefizit drücken will: durch stagnierende Löhne im gesamten öffentlichen Sektor, durch Abschaffung des 13. Monatsgehalts für alle öffentlichen Bediensteten, durch die Kürzung der 13. Monatsrente für Pensionäre und ihre Abschaffung für Frührentner usw. Es ist also nach wie vor so, dass der Canossa-Gang zum IWF mit sozialen Einschnitten verbunden ist, auch wenn im Falle Pakistans neben der Wiederherstellung des „Vertrauens der Anleger“ auch davon die Rede ist, dass soziale Sicherheitsnetze erhalten oder geschaffen werden müssen.

Der IWF hat übrigens Anfang der Woche die Zivilgesellschaft aufgerufen, sein sog. Policy Support Instrument (PSI) zu kommentieren. Das PSI gibt dem Fonds die Möglichkeit, auch in solchen Niedrigeinkommensländern tätig zu werden, die sein Geld nicht brauchen oder nicht wollen. Na denn …

Susan George über den Zusammenhang zwischen drei Krisen: Ungleichheit, Finanzkrise und Klima

17. November 2008

Nach dem Weltfinanzgipfel: Kontroverse Bewertungen und Ausblick

Wie meistens in solchen Fällen, reichen die Bewertungen des Weltfinanzgipfels, der am letzten Samstag in Washington stattfand, von „reiner Kosmetik“ (>>> attac) bis zu vorsichtigem Optimismus (>>> DIE). Eine oft geäußerte Kritik besteht darin, dass die ärmsten Länder der Welt (u.U. die größten Opfer der globalen Finanzkrise) auf dem Gipfel der G20 gar nicht vertreten waren. Das stimmt, verstellt aber den Blick für die seismischen Veränderungen in der internationalen wirtschaftlichen Konstellation, für die der Gipfel steht. Früher wurden derartige Fragen allein im exklusiven Kreis der G7/8 ausgehandelt und hernach den bestehenden Finanzinstitutionen übergestülpt. Jetzt besteht wenigstens die Chance für die Eröffnung eines Veränderungsprozesses. So begrüßte Oxfam International – neben viel Kritik – das in der Gipfeldeklaration enthaltene Bekenntnis zu Reform der Bretton-Woods-Institutionen.

Ebenso oft geäußert wird die Kritik, dies sei nicht „unser Gipfel“, sondern der „der Regierungen“. Doch wer – bitte schön – soll über die notwendige Re-Regulierung der globalen Finanzmärkte beschließen, wenn nicht die Regierungen? Wer soll neue internationale Institutionen schaffen oder existierende reformieren, wenn nicht die Mitgliedsländer, die durch ihre Regierungen vertreten werden?

Neben der Bewertung der Gipfelergebnisse (meine Analyse findet sich hier >>> Weltfinanzgipfel im Interregnum) steht jetzt die Frage an, was daraus zu machen ist und welches die nächsten Stationen sind. Neben den G20-Arbeitsgruppen zur Finanzmarktreform, dem neuen Wind für die Doha-Runde (den der Gipfel möglicherweise bringt), und dem nächsten G20-Gipfel (voraussichtlich am 30. April in London) sollte der zweite UN-Gipfel für Entwicklungsfinanzierung nicht vergessen werden, der noch Ende November/Anfang Dezember 2008 in Doha/Katar stattfindet. In einem Klima, das offener denn je für Veränderungen und Reformen ist, könnte dem Treffen in Doha die besondere Rolle eines Impulsgebers zufallen; zumal die dortige Agenda nicht auf entwicklungspolitische Fragen im engeren Sinn beschränkt ist, sondern im Gegenteil dieselben „systemischen Fragen“ der Finanzarchitektur einschließt, die auch im Mittelpunkt des G20-Prozesses stehen.

15. November 2008

G20 Statement

Stiglitz-Task Force zur Reform der Weltfinanzen steht

Am Vorabend des Weltfinanzgipfels der G20 in Washington hat gestern der Präsident der UN-Generalversammlung, Miguel D’Escoto, die Zusammensetzung der Hochrangigen Task Force bekanntgegeben, die Reformvorschläge für das international Finanzsystem ausarbeiten soll. Joseph Stiglitz (Photo). Nobelpreisträger für Wirtschaft 2001 und ehemaliger Chefökonom der Weltbank führt, wie bereits bekannt, den Vorsitz der Kommission, die offiziell Commission of Experts on Reforms of the International Monetary and Financial System heißt. Die anderen Mitglieder der Kommission sind:

* Jomo Kwame Sundaram, derzeit Assistant Secretary-General for Economic Development und des UN Department of Economic and Social Affairs (DESA);
* José Antonio Ocampo aus Kolumbien, ehemaliger Under-Secretary-General for Economic and Social Affairs;
* Zeti Akhtar Aziz, Gouverneur und Vorsitzender der Zentralbank Malaysias;
* Jean-Paul Fitoussi, Professor für Wirtschaft am Institute d’Etudes Politiques de Paris in Frankreich;
* Avinash Persaud aus Barbados, Vorstandsvorsitzender von Intelligence Capital Limited;
* Yaga Venugopal Reddy, ehemaliger Gouverneur der indischen Zentralbank;
* Eisuke Sakakibara aus Japan, derzeit Professor an der Waseda University in Tokio;
* Chukwuma Soludo, Gouverneur der nigerianischen Zentralbank;
* Yu Yongding aus China, Direktor des Institute of World Economics and Politics.

Weichen für die Gründung der Task Force, mit sich die Vereinten Nationen eine Stimme in der Debatte um eine Reform des Weltfinanzsystems geben, wurden schon im Oktober bei einem Panel in New York gestellt (>>> UN-Panel: Zeit für ein neues Bretton Woods). Die Position von Stiglitz findet sich in W&E 11/2008 (>>> Die Stiglitz-Prinzipien für eine Reform des Finanzsystems).

14. November 2008

Weltfinanzgipfel: Was kann man erwarten?

Die Financial Times wagt in ihrer heutigen Ausgabe den Versuch, die Ergebnisse des Weltfinanzgipfels in Washington vorherzusagen. Ich habe das mal in einer Tabelle zusammengefasst (Vergrößerung durch Anklicken!). Das Ergebnis ist erwartungsgemäß ernüchternd. In den meisten Bereichen wird es bei Appellen oder Bekenntnissen bleiben. Ein konkreter Prozess zur Ausarbeitung neuer Finanzmarktregulierungen dürfte durch die Einrichtung von Arbeitsgruppen auf den Weg gebracht werden. Die künftige Rolle des IWF bleibt Gegenstand von weiteren Untersuchungen (was auf den Dissens zu diesem Thema verweist). Ein wenig Bewegung gibt es vielleicht bei der Aufwertung der Rolle der Schwellenländer im Forum für Finanzstabilität (FSF). Dessen Vorsitzender Mario Draghi ist jedenfalls dafür.

Wahrscheinlich ist auch die Verständigung auf weitere G20-Gipfel, um die Integration der Schwellenländer in das künftige System der Finanzmarktregulierung zu sichern. In einem neuen Buch der Washingtoner Brookings Institutions (>>> The G-20 Financial Summit: Seven Issues at Stake) plädieren Colin Bradford und Johannes Linn vehement dafür, die Gelegenheit zu nutzen, um auf diese Weise dauerhafte Veränderungen in den Global Governance-Strukturen durchzusetzen. Hoffnungen darauf, dass die Antwort auf die Finanzkrise mit anderen thematischen Herausforderungen verknüpft wird (G20 for a Green Economy? ist der Titel eines Arbeitspapiers, das das Worldwatch Institute schnell noch herausbrachte), dürften demgegenüber enttäuscht werden, von diesem Gipfel jedenfalls. Aber auch wenn man den Blick nur auf die Finanzmärkte richtet – ein neuer Washington Consensus oder gar ein Bretton Woods II ist das nicht, was dieser Gipfel zustande bringen wird. Am Sonntag Morgen wissen wir mehr.

Bush, Brown, Fraenkel: Downplaying expectations

13. November 2008

Vor dem Weltfinanzgipfel: Alles starrt nach Washington

Alles starrt derzeit nach Washington. Schon das ist problematisch. Denn schon jetzt lässt sich sagen, dass New York der bessere Tagungsort gewesen wäre und Ban Ki-moon der geeignetere Gastgeber. Der Kontext wäre der der Vereinten Nationen gewesen und nicht der Schwebezustand zwischen einem abgewirtschafteten und einem voller Hoffnungen erwarteten US-Präsidenten. Dennoch gibt es kaum jemanden, der sich nicht für das morgen Abend beginnende Ereignis positioniert hätte (hier ein Photo von einem G20-Finanzministertreffen letztes Jahr in Kapstadt). In Windeseile haben zivilgesellschaftliche Organisationen aus aller Welt Forderungspapiere zusammengestellt. Diese bemängeln teils die nicht gerade partizipativen Vorgehensweisem im G20-Kreis, teils wiederholen sie alte Forderungen, die in ihrer Allgemeinheit kaum zu überbieten sind. Wesentlich substanzieller dagegen ist ein Papier, das Oxfam International heute unter dem Titel If Not Now, When? vorgelegt hat.

Über viele dieser Stimmen vor dem Gipfel habe ich in unserem englischsprachigen Nachrichtenblog berichtet (>>> The European Civil Society Round-Up), so auch über die Washington Declaration, mit der der International Gewerkschaftsbund (ITUC) in die US-Hauptstadt fährt. Was die Gewerkschaftsinternationale von den anderen NGOs unterscheidet, die sich mit den Finanzgipfel-Themen beschäftigen: Sie hat unmittelbaren Zugang zu denjenigen, die sich auf dem Gipfel versammeln. So treffen sich die Gewerkschafter noch vor dem Gipfel mit Strauss-Kahn (IWF) und Zoellick (Weltbank) sowie diversen G20-Führern zusammen, denen sie ihre Reformpläne erläutern.

ITUC oder Oxfam verfügen inzwischen über recht ausgearbeitete konzeptionelle Vorstellungen, die sich an einem neuen New Deal orientieren. Dieser müsse heute „sowohl global als auch grün“ sein, wie es in dem Oxfam-Papier treffend heißt. Eher feuilletonistisch geraten sind dagegen zwei aktuelle Stellungnahmen aus dem Bereich der arrivierten Politikberatung, auch wenn dort ebenfalls in dieser Richtung nachgedacht wird. Simon Maxwell vom Oversees Development Institute in London und Dirk Messner vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik beschworen eine neue globale Ordnung, die in fünf Schritten entstehen soll – in einem Aufsatz in OpenDemocracy, dessen deutsche Fassung in der aktuellen „Zeit“ nachzulesen ist. Mehr als überschwänglich ist ihre Hoffnung auf Europa. Dabei übersehen sie, dass sich die Europäer (siehe ihre Bockigkeit gegenüber einer IWF-Reform) auf dem Weg zu einem neuen Bretton Woods derzeit selbst im Weg stehen. Geradezu pessimistisch dagegen sind Heribert Dieter von der Stiftung Wissenschaft und Politik und Richard Higgort von der Universität Warwick. Sie befürchten, dass der Weltfinanzgipfel und die sich daran wahrscheinlich anschließende Serie von Beratungen eher scheitern könnten (wie die Londoner Weltwirtschaftskonferenz von 1933) als dass daraus etwas wird, was wirklich den Namen „Bretton Woods II“ verdient. Nimmt man die Blockierer in den USA, die auch im Obama-Lager zu finden sind, und die Europäer zusammen, dann ist das nicht auszuschließen.

9. November 2008

G20-Finanzminister in Sao Paulo: Selbstbewusste Schwellenländer

Die Schwellenländer haben das G20-Finanzministertreffen in Sao Paulo an diesem Wochenende genutzt, um mehr Einfluss in den internationalen Finanzinstitutionen wie IWF und Weltbank zu fordern und „neue, offenere und partizipatorischere Governance-Strukturen“ (Lula) zu verlangen. Die internationale Regulierung der Finanzmärkte sollte nicht den reichen Ländern überlassen werden. Besonders der brasilianische Präsident Lula nutzte die Gelegenheit, um den Industrieländern einen Vorgeschmack darauf zu geben, was sie bei dem G20-Weltfinanzgipfel in der kommenden Woche in Washington erwartet. Lula rief auf zu einem „Pakt zwischen den Regierungen, um eine neue Finanzarchitektur für die Welt zu schaffen“. Bereits am Vorabend der G20-Konferenz hatte zur Abstimmung untereinander ein Treffen der sog. BRIC-Staaten (Brasilien, Russland, Indien und China) stattgefunden.



Unterdessen hatte der Geschäftsführende Direktor des IWF, Dominique Strauss-Kahn in einem Financial-Times-Interview die Erwartungen an den Washingtoner Gipfel gedämpft, indem er darauf hinwies, dass er nicht gedenke, das aufwendige Quotenverfahren, in dem die Stimmrechtsverteilung unter den IWF-Mitgliedsländern festgelegt wird, erneut zu eröffnen. Damit zeigt Strauss-Kahn erstmals seit seinem Amtsantritt offen, dass ihm das europäische Hemd näher als der globale Rock ist. Die Europäer orientieren zwar auf eine Stärkung des IWF als Watchdog gegen zukünftige Finanzkrisen, stellen aber mit ihrer Überrepräsentation im IWF (so hält Belgien genauso viel Stimmen wie Brasilien) das größte Hindernis für eine tiefgreifende Reform des Fonds dar.

In seiner neuen Ausgabe (>>> W&E 11/2008) analysiert der Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung ausführlich den derzeitigen Wettlauf zu einem neuen Bretton Woods: Zwar ist das G20-Format ein Fortschritt gegenüber dem G8- oder G8+5-Modell, voreilig ist es jedoch, dieses Gremium sogleich zum „Steering Committee“ der Weltwirtschaft zu stilisieren. Auch ist in der gegenwärtigen Situation nicht von vorneherein auszuschließen, den IWF durch eine völlig neue internationale Finanzorganisation zu ersetzen, wie sie u.a. der Wirtschaftsnobelpreisträger Stiglitz vorgeschlagen hat (>>> Prinzipien für eine Reform des Finanzsystems). Peter Wahl (attac/weed) plädiert demgegenüber in einem bemerkenswerten Papier (Titel: With Realistic Radicalism) dafür, die (um ärmere Länder erweiterte) G20 zum Steuerungsausschuss des IWF zu machen. Fragt sich nur: Was ist daran radikal und was realistisch?

6. November 2008

30. Oktober 2008

Neue IWF-Fazilität: Liquidität für Musterknaben

Der IWF ist erfinderisch. Die neueste Innovation heißt „Short-term Liquidity Facility“ (SLF) und soll Schwellenländern kurzfristig, d.h. über drei Monate Kreditmittel in der fünffachen Höhe ihrer Quote zur Verfügung stellen. Der neue Kreditmechanismus zielt darauf ab, Länder vor den Ansteckungsgefahren der internationalen Finanzmärkte zu bewahren. Der Clou: Die Mittel werden ohne Konditionalität und ohne aufwendige Prüfung durch eine IWF-Mission vergeben.



Der „Genuss“ des neuen Programms setzt allerdings voraus, dass das betreffende Land über längere Zeit eine „solide“ Wirtschaftspolitik verfolgt hat und „on-track“ mit dem IWF ist. Genau das ist der Pferdefuß. Denn kein anderer als der Fonds selbst bestimmt, was eine „solide Wirtschaftspolitik“ ist. Die neue Fazilität läuft darauf hinaus, dass die Entwicklungsländer vom Fonds in zwei Gruppen aufgespalten werden, solche, die berechtigt sind, die neuen Mittel zu kommen, und solche, die es nicht sind.

Die SLF ist in vieler Hinsicht der „Contingency Credit Line“ (CCL) nachempfunden, die der IWF nach der Asienkrise aus der Taufe hob und die ebenfalls eine Art Vorabprüfung oder Vorabkonditionalität vorsah. Allerdings hat damals kein einziges Land die Mittel beantragt, weil das als rufschädigend auf den Kapitalmärkten angesehen wurde. Dieses Problem soll jetzt umgangen werden, indem Vertraulichkeit vereinbart wird. Dem widerspricht allerdings, das der Geschäftsführende Direktor des IWF, Dominique Strauss-Kahn, ein Land schon mal explizit und öffentlich vom Zugang zu der neuen Fazilität ausschloss: Argentinien. Man wird sich also darauf einstellen müssen, dass wir eine Art Zweiklassengesellschaft unter den IWF-Klienten bekommen werden: Länder, die die SLF nutzen können, und Länder, die auch weiterhin einschneidende Konditionen, z.B. Haushaltskürzungen wie jüngst Ungarn, erfüllen müssen, wenn sie einen Kredit vom IWF haben wollen.

Echo und Widerhall: Die Wirklichkeit der Hilfe und Aid Pledge-Aufruf der OECD

Der neue, der 16. Bericht zur Wirklichkeit der Entwicklungshilfe dokumentiert den Rückgang der öffentlichen Entwicklungshilfe der Industriestaaten von 104,4 Mrd. US-Dollar in 2006 (0,3% des Bruttonationaleinkommens/BNE) auf 103,7 Mrd. US-Dollar in 2007 (0,28% des BNE). Damit verletzt die Gebergemeinschaft ihre im Rahmen der EU und auf G8-Gipfeltreffen getroffenen Selbstverpflichtungen. Das Ziel, 0,7% des BNE für Entwicklungshilfe auszugeben, erfüllen nur Norwegen, Schweden, Luxemburg, Dänemark und die Niederlande. Deutschland liegt mit 0,37% nur im Mittelfeld auf Rang 12 von den 22 Geberstaaten. Zwar setzt sich der Aufwärtstrend für Entwicklungshilfe im Bundeshaushalt fort, damit erfüllt die Bundesregierung die Verpflichtungen aber nur zur Hälfte. Um ihre Zusagen vollständig einzuhalten, müsste das Entwicklungshilfebudget um 1,6 Mrd. € pro Jahr steigen.

Die Herausgeber des deutschen Berichts, die Welthungerhilfe und das Kinderhilfswerk terre des hommes, befürchten weitere negative Einschnitte für die Entwicklungsländer insbesondere im Gefolge der aktuellen Finanzmarktkrise. Sie verweisen auf die hohe Verwundbarkeit der Entwicklungsländer und die Notwendigkeit, auch für die Entwicklungshilfe schnell weiteres Geld zu mobilisieren. Eine zentrale Rolle für die Bekämpfung von Hunger und Armut spielen aber auch die öffentlichen Finanzen in den Entwicklungsländern selbst. Nach groben Schätzungen verlieren die Entwicklungsländer pro Jahr mindestens 500 Mrd. US-Dollar durch Unterschlagung und Steuerhinterziehung und damit das Fünffache der weltweiten Entwicklungshilfe. Nötig ist deshalb nach Ansicht der beiden Hilfsorganisationen ein zwischenstaatliches Gremium zur Überwachung der Kapitalströme sowie Unterstützung beim Aufbau eines Steuer- und Einnahmesystems in den Entwicklungsländern.

Der Bericht zur Wirklichkeit der Hilfe wurde einst als Schattenbericht zu den offiziellen Zahlen des Entwicklungshilfe-Ausschusses (DAC) der OECD konzipiert. Inzwischen unterscheiden sich die Ansätze aber kaum noch. Betrachtet man den zeitgleich erschienenen Aufruf der OECD an die Geberregierungen, im Angesicht der Finanzkrise ihre Entwicklungshilfe-Versprechen in einem „Aid Pledge“ zu bekräftigen, so fragt man sich, was der Widerhall von wem ist. Ohne sofortiges Handeln könne nicht verhindert werden, dass sich die Finanzkrise zu einer Krise der Entwicklungshilfe auswächst, schreiben OECD-Generalsekretär Angel Gurría und DAC-Vorsitzender Eckhard Deutscher in einem Brief an die Staats- und Regierungschefs der OECD. Sie warnen davor, die Fehler zu wiederholen, die in der Rezession Anfang der 1990er Jahre gemacht wurden, als die Weichen für einen lang anhaltenden Rückgang der öffentlichen Entwicklungshilfe gestellt wurden.

28. Oktober 2008

Er ist wieder da ...

26. Oktober 2008

IWF: Back in Business?

Mit diesem Wochenende kann der Geschäftsführende Direktor des IWF, Dominique Strauss-Kahn, zufrieden sein. Nicht nur dass ihn der fondsinterne Untersuchungsausschuss von der Anschuldigung freisprach, in der Affäre mit einer Mitarbeiterin seine berufliche Position missbraucht zuhaben. Auf dem ASEM-Treffen der europäischen und asiatischen Staatschefs in Peking erhielt der IWF auch die bislang stärkste Unterstützung, angesichts der aktuellen Finanzkrise eine größere Rolle zu spielen. Der IWF solle eine „kritische Rolle“ bei der Unterstützung von ernsthaft durch die Krise betroffenen Ländern spielen, wenn diese ihn darum bitten, heißt es in dem kurzen Statement zum Ende des Gipfels.


Tatsächlich ist der Fonds spätestens seit der kürzlichen Jahrestagung dabei, nach dem alten Motto zu verfahren: „Wir sind bereit!“ Und seit kurzem stehen die Länder wieder Schlange. Mit Island hat erstmals seit 1976 (als England den Fonds um Hilfe ersuchte) wieder ein Industrieland ein Stand-by-Abkommen mit dem IWF abgeschlossen. Weitere Kandidaten aus den „Emerging Economies“, die bereits abgeschlossen haben oder noch verhandeln, sind die Ukraine, Weißrussland, Ungarn, Pakistan und die Türkei. Darüber hinaus werden derzeit als besonders krisenanfällige Länder gehandelt: Südafrika, Argentinien, Rumänien, Bulgarien und die drei baltischen Länder Litauen, Estland und Letland (>>> Die Verwundbarkeit Osteuropas in der Finanzkrise).

Der Fonds also „back in business“? Mit Einschränkungen: Erstens gilt nach wie vor, dass viele Länder den Gang nach Washington scheuen wie der Teufel das Weihwasser. So haben die aktuellen Neukunden des IWF zunächst andere Hilfsquellen ausgelotet – von der Europäischen Zentralbank bis zu den Chinesen. Der Fonds hat also Konkurrenz bekommen. Und zweitens bauen gerade die Asienkrisen-Länder dieses Mal lieber selbst vor. So gaben die ASEAN-plus-3-Länder (ASEAN-Mitglieder plus China, Japan und Südkorea) kurz vor dem ASEM-Gipfel in Peking bekannt, die Chiang-Mai-Initiative in einen multilateralen Mechanismus – einen Beistandsfonds in Höhe von 80 Mrd. Dollar – ausbauen zu wollen.

Die freudige Bereitschaft des Fonds, den Opfern der Finanzmarktkrise beizuspringen, entspricht grundsätzlich seinem Mandat, die Zahlungsbilanzlücken der durch exogene Schocks in Not geratenen Mitgliedsländer zu überbrücken. Die entscheidende Frage ist allerdings, wie dies geschieht, auf antizyklische Weise oder in einer krisenverschärfenden Manier, wie vor zehn Jahren in Ostasien. Man wird also genau beobachten müssen, was an dem Versprechen einer gelockerten Konditionalität, mit der der IWF um neue Kunden wirbt, wirklich dran ist. Ob es sich um einen Neuanfang handelt oder um bloßes „Streamlining“, werden wir erst sehen, wenn die ersten neuen Kreditverträge im Wortlaut vorliegen – wahrscheinlich schon in der kommenden Woche.

24. Oktober 2008

Am Abgrund der Finanzkrise: Und plötzlich geht es doch!

Gastkommentar von Gerhard Schick

Es gibt kaum einen globalisierteren Markt als den für Finanzdienstleistungen. Das gilt erst recht für die Europäische Union. Dort ist er von einem nationalen Markt kaum mehr zu unterscheiden. Und dennoch meinte die Bundesregierung 15 Monate lang – von Juni 2007, als die ersten Hedgefonds wackelten, bis September 2008 –, dass erstens Deutschland kaum betroffen sein würde, weil es sich in erster Linie um ein US-amerikanisches Problem handele, und zweitens man im Fall des Falles mit nationalen Alleingängen diese Krise besser beantworten würde. Zwei eklatante und langfristig teure Fehleinschätzungen, die bisher in der Bewertung des Krisenmanagements der Bundesregierung eine zu geringe Rolle spielen. Nicht zuletzt deswegen fällt es ja viel zu gut aus.

Die Argumentation, die Krise sei ein US-Phänomen und deshalb auch von den USA zu schultern, scheint zunächst überzeugend, weil sie dem Impuls entspringt, dass deutsche SteuerzahlerInnen nicht für Fehler der US-Finanzaufsicht zahlen sollen. Das ist ja auch richtig. Allerdings hat sich mit der Pleite der US-Bank Lehman Brothers gezeigt, dass Fehlentscheidungen der US-Regierung europäische und eben auch deutsche Banken und Märkte massiv in Schwierigkeiten bringen können. Nicht zuletzt daran wird deutlich, dass eine bessere internationale Koordinierung der Krisenbewältigung eine Verschärfung der Krise vielleicht hätte vermeiden können. Genau das wurde im April 2008 vom Financial Stability Forum vorgeschlagen, von den Finanzministern aber abgelehnt. Eine gravierende Fehlentscheidung.

Auch auf europäischer Eben sperrte sich die Bundesregierung gegen einen gemeinsamen Ansatz. Meine Frage im Finanzausschuss, wie dann bei der Pleite einer größeren, grenzüberschreitend tätigen europäischen Bank reagiert würde, blieb von der Bundesregierung unbeantwortet. Kopf in den Sand als Krisenmanagement. Die Folge: Unilateral garantierte Irland seinen (!) Banken alle Einlagen. Das setzte mitten in einer dramatischen Phase der Krise die anderen Banken und Staaten unter Druck. Nicht zuletzt sind die Schwierigkeiten bei der irischen Hypo Real Estate-Tochter Depfa darauf zurückzuführen. Diese haben nicht nur eine extrem aufwändige und schwierige Rettungsaktion für die HRE erfordert. Auch die irische Bankengarantie selbst hat weitere Staaten zu überstürzten Garantieerklärungen gezwungen. Ohne Rücksprache mit den EU-Partnern garantierten auch Bundeskanzlerin Merkel und Finanzminister Steinbrück dann das Geld der Sparerinnen und Sparer. Dieses Versprechen zwang weitere EU-Staaten zu ähnlichen Garantien. Andernfalls hätten in Ländern ohne eine solche Absicherung die Menschen ihr Geld einfach über die Grenzen in Sicherheit gebracht. Der nationale Eigensinn der Kanzlerin und ihres Finanzministers hat also viel Schaden angerichtet.

Der Blick in den Abgrund der Finanzmärkte hat nun zu einem späten Umdenken geführt. Erst vor kurzem hat sich ein EU-Gipfel auf einen Rahmen einigen können, in dem die Mitgliedsländer ihre Finanzbranche unterstützen können. Das soeben verabschiedete Rettungspaket bewegt sich innerhalb dieses Rahmens. Endlich, möchte man sagen, kocht nicht mehr jeder sein eigenes Süppchen. Dass der Rettungsplan der Bundesregierung EU-weit abgesprochen ist, ist dann auch einer seiner besseren Aspekte. Internationale Finanzmarktgipfel werden vorbereitet. Globale Regelsetzung ist also vielleicht doch möglich. Zu hoffen ist, dass dieser Lerneffekt nicht zu schnell verpufft. Denn das, was jetzt ansteht, ist eine neue internationale Finanzmarktarchitektur, die die Fehler überwindet, die in die jetzige Krise geführt haben. Einer dieser Fehler ist der Verzicht auf klare, verbindliche internationale Regeln und Eingriffsmechanismen.

Dr. Gerhard Schick ist Mitglied des Deutschen Bundestags und gehört der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen an.

23. Oktober 2008

Weltfinanzgipfel im L20-Format

Bis zuletzt scheint George W. Bush das Heft in der Hand behalten zu wollen, falls davon angesichts multipler Globalkrisen und des Niedergangs des US-Empires überhaupt noch die Rede sein kann. Plötzlich werden Dinge realisiert, die noch vor einem halben Jahr für unmöglich galten. Während Sarkozy und die Europäer noch von G8+5 redeten, hat Bush kurzerhand die Staats- und Regierungschefs der G20 zum Weltfinanzgipfel nach Washington eingeladen. Zu der bislang auf Finanzminister-Ebene tagenden G20 gehören folgende Länder: Neben den G8-Ländern (USA, Großbritannien, Deutschland, Frankreich, Kanada, Italien, Japan, Russland, die EU-Kommission), die EU-Ratspräsidentschaft (falls nicht G8), Australien als Industrieländer sowie Argentinien, Brasilien, China, Indien, Indonesien, Südkorea, Mexiko, Saudi-Arabien, Südafrika und die Türkei. Zusammengenommen repräsentieren diese Länder zwei Drittel der Weltbevölkerung und rund 90% der globalen Wirtschaftsleistung. Teilnehmen an dem für den 15. November vorgesehenen Gipfel sollen auch die Chefs von IWF und Weltbank, des Financial Stability Forums sowie der UN-Generalsekretär.



Man mag die Auswahl des Tagungsorts kritisieren (die Europäer hatten New York, die Entwicklungsländer explizit das UN-Hauptquartier gewollt) oder auch das Ansinnen Bushs, möglichst viel vom Modell des „demokratischen Kapitalismus“ (Bush) retten zu wollen – hier gibt ein konservativer Präsident am Ende seiner Amtszeit den Startschuss zu Umsetzung jenes L20-Modells (L=Leaders), das auch an dieser Stelle immer wieder vorgeschlagen und gefordert worden war (>>> W&E 11/2004, >>> W&E-Hintergrund 2006, >>> W&E-Hintergrund Mai-Juni 2007). Das L20-Modell gilt teils als pragmatischer Einstieg in eine weitergehende Reform des Global-Governance-Systems, teils hatten es die eigenen Protagonisten schon wieder aufgegeben, weil sie die Realisierungschancen nur sehr niedrig einschätzten. Es wäre jedenfalls ein deutlicher Schritt auf dem Weg zu einer Ablösung der G8 als zentraler weltwirtschaftlicher Steuerungsinstanz, hin zu einer deutlich verbesserten weltwirtschaftlichen Repräsentation der Staaten jenseits von G8.

Man darf gespannt sein, wie die amtierende G20-Präsidentschaft Brasilien auf die Bush-Initiative reagieren wird. Das diesjährige G20-Finanzministertreffen findet schon am 8./9. November in Sao Paulo statt. Interessant ist auch, dass der auch im Entwurf für die Abschlusserklärung des Doha-Treffens über Entwicklungsfinanzierung geforderte Weltfinanzgipfel (>>> W&E 10/2008) jetzt bereits vor Doha stattfindet. Interessanter noch aber ist, dass der Gipfel in Washington nur der Auftakt einer ganzen Serie von Gipfeltreffen werden soll. Ziel des Gipfels, so heisst es in der entsprechenden Verlautbarung des Weißen Hauses, sei es “to strengthen the underpinnings of capitalism by discussing how they (the leaders) can enhance their commitment to open, competitive economies, as well as trade and investment liberalization”. Aber das ist nur der Auftakt im Ringen um die Agenda für den Bretton-Woods-II-Prozess, das spätestens jetzt begonnen hat.

22. Oktober 2008

Weltweite Massenproteste: Über 116 Millionen Menschen für MDGs

Mehr als 116 Millionen Menschen in über 110 Ländern und damit fast 2% der gesamten Weltbevölkerung stellten einen neuen Guinness Weltrekord auf: Gemeinsam standen sie letztes Wochenende für eine Welt ohne Armut auf. Sie forderten von den Regierenden die Umsetzung der UN-Millenniumsziele und wirksame Maßnahmen zur Armutsbekämpfung. Alleine in Deutschland beteiligten sich über 127.000 Menschen am Weltweiten Aktionstag „Stand Up“. Diese Zahlen gaben heute die Organisatoren der Aktion, die UN-Millenniumkampagne und der Global Call to Action against Poverty (in Deutschland: Deine Stimme gegen Armut), bekannt.

„Die Geschichte hat gezeigt, dass Massenproteste die Kraft haben, auch große Missstände zu beenden.“ erklärte Eveline Herfkens, Gründerin der UN-Millenniumkampagne. „Dieses Wochenende sind die Stimmen gegen Armut so laut geworden, dass die Regierenden darauf reagieren müssen“. Im Vergleich zum Vorjahr hätten sich die Teilnehmerzahlen annähernd verdreifacht, was den zunehmenden Rückhalt und den Unmut in der Bevölkerung verdeutliche. „Die Finanzkrise ist keine Entschuldigung, die Armutsbekämpfung auf der politischen Agenda nach unten zu schieben“, ergänzte Renée Ernst, Beauftragte der UN-Kampagne in Deutschland. „Im Gegenteil, gerade jetzt gilt es zu verhindern, dass die Ärmsten der Armen auch noch die Zeche für das Missmanagement der Banken zahlen müssen.“



Bundesweit beteiligten sich mehr als 127.000 Menschen an mehr als 175 Stand Ups. Darunter gab es Aktionen in Schulen, an Universitäten, Theatern, Sportvereinen und auf Marktplätzen. Zur Hauptveranstaltung in Berlin war auch Bundesentwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul erschienen. Sie rief dazu auf, den Politikern Rückenwind für Maßnahmen der Armutsbekämpfung zu geben und betonte, dass es in Anbetracht der für das Banken-Rettungspaket verabschiedeten Mittel auch möglich sein müsse, genügend Mittel zur Beendigung von Hunger und Armut aufzubringen. Weltweit nutzten NGOs und Aktivisten den Aktionstag, um ihren Forderungen an die eigene Regierung Gehör zu verschaffen. Die Teilnehmer verteilen sich wie folgt auf die unterschiedlichen Regionen:
• Afrika und Arabische Staaten: 42.344.021
• Asien: 73.151.847
• Europa: 951.788
• Lateinamerika: 211.250
• Nordamerika: 123.920
• Ozeanien: 210.803
• Gesamt: 116.993.629

Amerikanische Grabgesänge ...

... und europäische Rettungsversuche

Noch ein Bock im Garten – und draußen wartet der Gärtner

Das Verwunderliche an der Ernennung von Otmar Issing (s. Foto) zum Vorsitzenden der von der Bundesregierung geplanten Kommission zur Neuordnung der Finanzmärkte ist nicht, dass uns nach dem Rückzug von Hans Tietmeyer der vielleicht engste Geistesverwandte des ehemaligen Bundesbank-Präsidenten präsentiert wird. Das Verwunderliche ist, dass dies nunmehr ohne jeden Hauch von Kritik des sozialdemokratischen Koalitionspartners, ja offensichtlich mit dessen ausdrücklicher Zustimmung über die Bühne geht. Es war wohl doch nicht die inhaltliche Kritik am „System Tietmeyer“ (Pierre Bourdieu), die den Aufschrei der Sozialdemokraten auslöste, sondern lediglich die peinliche Tatsache, dass Tietmeyer inzwischen im Aufsichtsrat der Hypo Real Estate sitzt, die jüngst von der Bundesregierung gerettet werden musste, weil sie sich in der soeben geplatzten Finanzblase verzockt hatte.

Wie Tietmeyer ist Issing einer derjenigen Prediger und Ideologen der Finanzmarktderegulierung und des Diktats der Märkte, die uns die derzeitige Krise beschert haben. Nach acht Jahren im Vorstand der Deutschen Bundesbank (1990-1998) galt er danach (1998-2006) war Deutschlands führender Monetrarist danach (1998-2006) Chefvolkswirt im Vorstand der Europäischen Zentralbank, der mit Argusaugen über Zinssätze wachte und im Interesse der Geldvermögensbesitzer einseitig die Stabilitätskriterien im Auge hatte, um etwaige Inflationsgefahren im Keim zu ersticken. Dass Issing einer ähnlichen Kommission auf EU-Ebene angehört, wie die Bundesregierung seine Ernennung begründet hat, spricht nicht für die Personalie, sondern eher gegen sie. Schließlich täte es auch auf EU-Ebene gut, die neoliberalen Säulenheiligen vom Sockel zu stoßen, wenn es wirklich um eine Neue Internationale Finanzarchitektur geht und nicht bloß um kosmetische Operationen an der alten.

Dass es auch anders geht, haben soeben die Vereinten Nationen demonstriert. Der derzeitige Präsident der Generalversammlung, Miguel D’Escoto, hat für den 30. Oktober ein Panel zur Globalen Finanzkrise einberufen, aus dem kurz danach eine High-Level Task Force zur Überprüfung des globalen Finanzsystems hervorgehen soll. Der Vorsitzende dieser Task Force steht schon fest: Es ist der Columbia-Professor und Nobelpreisträger Joseph Stiglitz. In seinen zahlreichen Büchern, zuletzt in The Washington Consensus Reconsidered. Towards a New Global Governance (zusammen mit Narcis Serra) hat Stiglitz jede Menge Ideen zusammengetragen, wie ein wirklicher New Deal für die Weltwirtschaft aussehen könnte. Vielleicht zeigt die Ernennung von Stiglitz ja, dass der Wettlauf zu einem „Bretton Woods II“ längst noch nicht im Sinne derjenigen entschieden ist, die nach ein paar Gipfeltreffen schnell wieder zur Tagesordnung des „freien Marktwirtschaftskapitalismus“ (Bush Jr.) übergehen wollen.

16. Oktober 2008

Über Böcke als Gärtner

Die in die Hose gegangene Ernennung des ehemaligen Bundesbankpräsidenten und heutigen Aufsichtsrats der Hypo Real Estate, Hans Tietmeyer, zum Vorsitzenden einer Kommission für neue Finanzmarktregeln ist kein Ausrutscher. Sie ist Indiz dafür, wie wenig die derzeit handelnden Akteure in Berlin (und andernorts) von den Ursachen der aktuellen Finanzmarktkrise begriffen haben und wie phantasielos und interessengebunden sie an die notwendige „Neue Internationale Finanzarchitektur“ herangehen. Klar ist inzwischen immerhin, dass Rettungspakete, wie das gestern im Bundestag beratene Maßnahmepaket zur Stabilisierung des Finanzmarkts zwar aktuelle Zusammenbrüche verhindern können, jedoch nicht gleichbedeutend mit einer grundsätzlichen Stabilisierung und Neuregulierung der Finanzarchitektur sind. Doch der Irrtum liegt darin zu glauben, man könne letzteres den alten Predigern der Deregulierung – siehe Tietmeyer – anvertrauen. Weitere Beispiele:

Da fordert Bundespräsident Horst Köhler die Manager des Bankensektors auf, sich für ihre Gier zu entschuldigen. Dabei haben diese lediglich die politischen Rahmenbedingungen genutzt, an deren Herstellung Köhler selbst an führenden Stellen beteiligt war – als Sherpa der Regierung Kohl bei G7-Gipfeln, als Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes, als Direktor der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung und zuletzt als Geschäftsführender Direktor des IWF. Treffend merkte dazu Attac an, statt Ermahnungen anderer würde Köhler Selbstkritik gut zu Gesicht stehen.

Überhaupt der IWF! Köhlers Verdienst wird gelegentlich in dem unter seiner Leitung begonnenen Streamlining der IWF-Konditionalität gesehen. Aber Streamlining bedeutet eben keine inhaltliche Kehrtwende und schon gar nicht Abschaffung. Und wenn der neue IWF-Direktor Strauss-Kahn jetzt wieder Kredite auf der Basis dieser gestreamlinten Konditionalität anpreist, dann zeigt dies nur, wie sehr in dieser Institution trotz aller Reformrhetorik Business as usual herrscht. Es wäre deshalb angebracht, wenn die alten Prediger von Deregulierung, Liberalisierung und Privatisierung, zu denen im übrigen auch Weltbank-Präsident Robert Zoellick (hier mit seinem Mentor Bush) gehört, jetzt erst einmal ins zweite Glied treten würden, statt sich dreist an die Spitze eines „modernisierten Multilateralismus“ (Zoellick) oder eines Bretton Woods II zu stellen. Denn eine Neue Internationale Finanzarchitektur wird mit dem alten Personal kaum zu machen sein.