27. Dezember 2006

Deutsche G8-Präsidentschaft: Bono kommt ...

Mit der Beschaulichkeit, in der sich deutsche NGOs auf den G8-Gipfel vom 6.-8. Juni 2007 in Heiligendamm vorbereiten, dürfte es vorbei sein, wenn der irische Rockstar Bono und sein Kollege Bob Geldorf ihren Afrika-Kampagnen-Zirkus nach Deutschland bringen. Schon im nächsten Monat will die von Bono und Geldorf ins Leben gerufene NGO DATA ein Büro in Berlin eröffnen. Geplant ist u.a. eine Serie von Veranstaltungen ("intellectual aid"), zu denen deutsche Minister und Politiker eingeladen werden - zum Zuhören; reden dürfen sie nicht.

Geschickt stößt DATA in ein Vakuum, das von deutschen NGOs im Rahmen ihrer G8-Vorbereitung bislang nicht bearbeitet wird. Zum Gipfel will DATA öffentlichkeitswirksam die Frage stellen, was aus den Versprechungen des G8-Gipfels von Gleneagles vor zwei Jahren geworden ist. "Der deutsche G8-Gipfel sollte zum Thema haben, diese Versprechen in die Wirklichkeit umzusetzen", erklärte ein DATA-Sprecher gegenüber der Financial Times. In der Tat ist dies von der offiziellen Gipfel-Agenda bislang nicht vorgesehen (>>> W&E 11/2006). Während deutsche Politiker von Merkel (s. Photo mit Bono) bis Wieczoreck-Zeuil die Intervention der Bono-Truppe begrüßen, sind die NGOs eher spektisch. Lagerübergreifend wird befürchtet, die Pop-Stars würden, wie in Gleneagles, auf eigene Faust die Nähe der Spitzenpolitiker suchen und sich von der Szene nicht einbinden lassen.

23. Dezember 2006

Krise der Umwelt - Krise von Attac

Das Jahr 2007 dürfte zu einem entscheidenden Jahr für die Zukunft der Globalisierung, aber auch der globalisierungskritischen Bewegung werden, schreiben die "Blätter für deutsche und internationale Politik" im Leitartikel ihrer Januar-Ausgabe (Heft 1/2007). Der Autor, Albrecht von Lucke, geht dabei nicht nur mit den etablierten Parteien, sondern auch mit Attac hart ins Gericht:

"Zu Recht als die wohl wichtigste Bewegung des 21. Jahrhunderts bezeichnet, hat sie (die globalisierungspolitische Bewegung um Attac; R.F.) diesen Anspruch bisher jedoch noch nicht eingelöst – insbesondere was die Klimafrage anbelangt. Bis heute gibt es keine alternative Umweltpolitik auf globalem Niveau, operieren Drittwelt-, Friedens- und Umeltbewegung vor allem aneinander vorbei.
Darin liegt eine Ursache dafür, warum sich Attac derzeit in der Krise befindet. Gewiss kann man dafür, jedenfalls zu einem Teil, das abgeklungene Medieninteresse verantwortlich machen. Hier liegt aber auch eigenes Versagen gerade dieses vielleicht prominentesten Teils der Bewegung. Nach einer anfänglichen Hochphase hat sich Attac in den letzten Jahren das Globalisierungsthema zwar nicht aus der Hand nehmen lassen, aber schon seit geraumer Zeit ist es erstaunlich ruhig um diese Frage geworden. Zum einen rückten nationale Themen, insbesondere der Kampf gegen Hartz IV, stark in den Vordergrund. Zum anderen fehlt es der Bewegung aber auch an inhaltlich-thematischer und konstruktiver Fundierung, insbesondere hinsichtlich der Klimafrage.
Seit Jahren, spätestens seit dem 11. September 2001, betreibt die gobalisierungskritische Bewegung vor allem eine Politik des „Anti“. Die Menschheit gegen Bush, lautete in den letzten fünf Jahren die Devise. Gerade in der Umweltpolitik geht diese Rechnung jedoch nicht auf – insbesondere weil sich Staaten wie die Bundesrepublik allzu gern hinter dem Umweltsünder USA verstecken, der bis heute das Kyoto-Protokoll nicht unterzeichnet hat. Dabei ist auch Deutschland, der vorgebliche ökologische Musterknabe, noch immer weit von Vorbildlichkeit entfernt. Heute beträgt der CO2-Ausstoß eines Bundesbürgers mit im Durchschnitt zehn Tonnen pro Jahr das Zwanzigfache eines Inders, und ganz Afrikas CO2-Ausstoß etspricht derzeit dem der Bundesrepublik...
Gewiss greift Attac als Bewegung für die Tobin-Tax die Devisenspekulation als die avancierteste Form des Turbokapitalismus an und schlägt damit ein eigenes Regulierungsmittel vor. Von einem umfassenden Alternativmodell zum fossilistischen Kapitalismus ist die Bewegung jedoch noch weit entfernt. Dafür bedürfte es eines Ansatzes, der jeden Lebensbereich erfasst und auf seine Zukunftstauglichkeit hin durchleuchtet: von der Wirtschafts- und Arbeits- über die Ernährungs- bis zur Mobilitätspolitik. Davon kann augenblicklich keine Rede sein."

Die Kritik ließe sich fortsetzen. In der Vorbereitung auf den G8-Gipfel, die eine Art Erlösung aus der Krise bringen soll, ist viel von "Protest" und "Gegenwind" die Rede. Kaum einer in der Szene beschäftigt sich jedoch ernsthaft mit der inhaltlichen Agenda des Gipfels, mit der Frage der Alternativen zur Politik der G8 oder mit Vorschlagen zu einer grundlegenden Reform der überkommenen Gipfelarchitektur. Großspurig und ohne Blick für die Realitäten wird von "Massenblockaden" gegen den Gipfel geredet. In der Abschlußerklärung der letzten Aktionskonferenz wird sogar die Blockade und Umzingelung des Rostocker Flughafens angekündigt, "um die ankommenden Regierungschefs zu begrüßen". Abstruser und abenteuerlicher geht's kaum noch. Und so wird es denn wohl statt der "Umzingelung" die weiträumige "Umzäunung" des Tagungsortes geben - und schon hat man einen neuen Grund zum "Protest".

22. Dezember 2006

Global Governance School beim DIE in Bonn

Am Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE), das sich als Think Tank der deutschen Entwicklungspolitik versteht, beginnt im Februar 2007 unter dem Titel "Global Governance School" ein neu eingerichteter Qualifizierungskurs für junge Führungskräfte aus sog. Ankerländern. Dieser ist Teil des neuen Fortbildungs- und Dialogprogramms „Managing Global Governance“, das das DIE zusammen mit der Internationalen Weiterbildung und Entwicklung GmbH (InWEnt) im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) durchführt. Im Rahmen dieser Qualifizierung werden Teilnehmern aus Brasilien, Indien, China, Südafrika und Mexiko fachliche Kenntnisse zu Fragen der Gestaltung der Globalisierung und internationaler Kooperation vermittelt. Zudem findet ein intensiver Austausch zwischen jungen Führungskräften aus Deutschland, Europa und aus den Partnerländern statt. In diesem Sinne will das Programm einen Beitrag zum globalen Management internationaler Herausforderungen und Risiken in den vielfältigsten Bereichen (Wirtschaft, Sicherheit, Umwelt, Energie, Kommunikation, Technologie, Forschung) und zur Intensivierung der strategischen Kooperation Deutschlands mit diesen in Weltwirtschaft und -politik an Bedeutung gewinnenden Ländern leisten.

17. Dezember 2006

BMZ will Verhandlungsdurchbruch bei EPAs

Die Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Heidemarie Wieczoreck-Zeul, will erstmals die Regierungen der AKP-Staaten (Afrika, Karibik, Pazifik) mit an den Tisch laden, wenn sich die Entwicklungsminister der EU zu ihrem regulären informellen Treffen am 12./13. März 2007 auf dem Bonner Petersberg versammeln. Im Hintergund steht die Hoffnung, während der deutschen Präsidentschaft auf einen Durchbruch in den Verhandlungen zwischen der EU und den AKP-Staaten über die sog. Wirtschaftspartnerschaftsabkommen zu erzielen.

Am Vorabend des Treffens, am 12. März, kommen in Bonn die europäischen NGOs zusammen (>>> Internationale NGO-Konferenz). Eingeladen sind u.a. Wieczoreck-Zeul und der europäische Entwicklungskomissar Michel. Die Runde dürfte sich schnell darüber einig werden, daß EPAs entwicklungsfördernd ausgestaltet werden müssen. Die entscheidendere Frage ist allerdings, wie dies in dem für Handelsfragen federführenden Wirtschaftsministerium gesehen wird. Schon am 27. Februar bereiten sich die deutschen NGOs mit einer Veranstaltung in Berlin (>>> David gegen Goliath) auf die EPA-Debatte vor, die allgemein als die wichtigste entwicklungspolitische Frage angesehen wird, die während der deutschen EU-Präsidentschaft zur Entscheidung ansteht.

13. Dezember 2006

Hohe Erwartungen an die deutsche EU-Präsidentschaft

An die am 1. Januar 2007 beginnende deutsche EU-Präsidentschaft (rechts das offizielle Logo) knüpfen entwicklungspolitische NGOs hohe Erwartungen. Das schreibt der Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung in einem Bericht kurz vor dem Ende der finnischen Präsidentschaft aus Brüssel (>>> W&E-Hintergrund Dez 2006). In ihrer Bilanz der zurückliegenden sechs Monate schreibt Denise Auclair, die für das katholische Netzwerk CIDSE und Caritas Europa in der belgischen Hauptstadt arbeitet, die finnische Präsidentschaft habe das Thema "Entwicklungspolitische Kohärenz" auf EU-Ebene durchaus vorangebracht, allerdings nur in prozeduraler Hinsicht. Wie politische Interessenkonflikte zwischen einzelnen Politikbereichen, z.B. zwischen Handels- und Entwicklungspolitik, künftig gelöst werden, sei auch nach dem im Oktober beschlossenen Arbeitsprogramm der EU-Entwicklungsminister offen.


Das heikle Thema der Verhandlungen über sog. Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (EPAs) mit den AKP-(Afrika, Karibik, Pazifik)-Staaten reiche die finnische Präsidentschaft wie "eine heiße Kartoffel" an die Deutschen weiter. Ob diese jedoch eine entwicklungsverträgliche Orientierung in den Verhandlungen durchsetzen werden, wie in Berlin beteuert wird, ist keineswegs sicher. Auch mit Blick auf die im Februar/März 2007 anstehende Überprüfung der Umsetzung der Monterrey-Verpflichtungen (0,39% des Bruttonationaleinkommens für öffentliche Entwicklungshilfe) fragt sich die Autorin, wie die Deutschen eine Führungsrolle in der EU spielen wollen, wenn das eigene Haus nicht in Ordnung ist. - Weitere Beiträge der Ausgabe befassen sich mit dem neuen Trend der EU-Handelspolitik zu Bilateralismus und Regionalismus (Rainer Falk) sowie mit wirtschaftspolitischen Alternativen zur neoliberalen Transformation des europäischen Sozialmodells (Euro-Memorandum-Gruppe).

7. Dezember 2006

Gender-Strategie der Weltbank: Eindimensionale Marktorientierung

Scharfe Kritik an dem neuen Gender-Aktionsprogramm der Weltbank übt der Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung in seiner neuen Ausgabe (>>> W&E 12/2006). Der Aktionsplan ist mit 24,5 Mio. US-Dollar ausgestattet und eine maßgebliche frauenpolitische Leitlinie der Bank für die Haushaltsjahre 2007-2010. Zwar sei es richtig und wichtig, schreibt W&E-Autorin Christa Wichterich, Chancengleichheit auch auf den Märkten voranzubringen. Doch sehe der Aktionsplan die Frauen eindimensional als Marktakteurinnen - sei es als Unternehmerin, als Landbesitzerin, als Kreditnehmerin bei privaten Banken oder als flexible Teilzeitarbeiterin. Unter der Überschrift "Die neuen Smarties der Weltbank" schreibt Wichterich:

"Dagegen verschwinden die konkreten ökonomischen Tätigkeiten von Frauen als Bäuerin, Kleinhändlerin, Dienstleisterin oder Exportarbeiterin hinter diesen Funktionen als Marktakteurinnen. Selbsthilfegruppen und informelle Tätigkeiten sollen gezielt in den Markt integriert werden."

Weitere Beiträge der Dezember-Ausgabe gehen der Frage nach, ob soziale Gerechtigkeit und ökonomsiche Globalisierung miteinander vereinbar sind (Rainer Falk), und würdigen Leben und Werk des kürzlich verstorbenen monetaristischen Ökonomen Milton Friedman (Herbert Schui). In den Rubriken W&E-Infospiegel und W&E-Update finden sich Terminhinweise und Tips für 2007.

2. Dezember 2006

Steinbrück: G8 mittelfristig überflüssig

Vielleicht sollte man doch öfter Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) lesen. Die FAZ berichtete jedenfalls schon am 20. November von Verlautbarungen des deutschen Finanzministers Peer Steinbrück (Photo), die eine beitere Aufmerksamkeit verdienen. Nach dem G20-Treffen in Melbourne (>>> G20 vis-à-vis G8) sagte Steinbrück, die Gruppe der führenden Industrienationen (G8) werde mittelfristig überflüssig werden und solle besser durch die G20 ersetzt werden - "nicht im kommenden Jahr, aber in zwei oder drei Jahren". Sie bilde die Interessen von Schwellenländern und entwickelten Industriestaaten einfach besser ab. Ob ihm da wohl die erstmalige Teilnahme an einem G20-Treffen auf die Sprünge geholfen hat oder der gastgebende australische Finanzminister Peter Costello? Dieser hatte schon am Rande der Jahrestagung von IWF und Weltbank in Singapur gesagt, die G8 seien ein Anachronismus aus einer anderen Welt (>>> G-7, Aging Hero, Must Make Room for 20 Nations). Die Zukunft gehöre der G20, die nach der Asienkrise ins leben gerufen worden war.


Nun hat das entscheidende Wort, wenn es um die G8 geht, sicher die Bundeskanzlerin. Diese freut sich derweil unverdrossen auf ihre Gastgeberrolle im nächsten Juni, wie sie in dem soeben eröffneten Online-Portal der Bundesregierung zur G8-Präsidentschaft (siehe offizielles Logo) kund tut (>>> www.g-8.de). Doch vielleicht ist ja die Äußerung Steinbrücks ein weiteres Indiz dafür, daß es mit der G8 doch schon bald zu Ende geht. Zu wünschen wäre es.

1. Dezember 2006

1 Dec 2006: World AIDS Day


29. November 2006

China-Bashing: Konzerne und Arbeitnehmerrechte in China

"China-Bashing" - das Draufschlagen auf China - gehört derzeit in den USA zu den beliebtesten politischen Methoden, um von der eignen Unfähigkeit abzulenken. Dabei macht es kaum einen Unterschied, welchem politischen Lager die Protagonisten angehören oder ob sie im staatlichen oder privaten Sektor zu Hause sind. Was das wachsende Handelsbilanz der USA betrifft, so wird beim China-Bashing gerne übersehen, daß ein erheblicher Prozentsatz der von dort importierten Produkte aus Niederlassungen oder Vertragsfirmen von US-Konzernen stammt.


Um so pikanter ist es, wenn - wie jetzt bekannt wurde - Konzerne wie Wal-Mart, Google, UPS, Microsoft, Nike, AT&T und Intel über die Amerikanische Handelskammer in Schanghai und den US-China Business Council gegen eine neue Arbeitsgesetzgebung Sturm laufen, die die chinesische Regierung bis Mai 2007 auf den Weg bringen will. Die neuen Arbeitsgesetze werten die Arbeitsnehmerrechte deutlich auf (z.B. in Bezug auf Arbeitsbedingungen, Kündigungsschutz und betriebliche Präsenz von Gewerkschaften), wenngleich sie noch nicht als optimal bewertet werden können. In schriftlichen Stellungnahmen haben die beiden US-Industriellenverbände (und in abgeschwächter Form auch die EU-Handelskammer in China) ihre Besorgnis darüber zum Ausdruck gebracht, das geplante neue Arbeitsrecht könne zur Wiederbelebung gewisser sozialistischer Gepflogenheiten führen und sei zu stark an Regelungen in europäischen Ländern wie Frankreich und Deutschland orientiert. Eine Studie von "Global Labour Strategies" (>>> Behing the Great Wall of China) analysiert die fragwürdigen Lobbypraktiken der US-Konzerne in aller Ausführlichkeit und kommt zu dem Schluß, diese Bestrebungen seien darauf gerichtet, den Status quo der chinesischen Arbeitsverhältnisse aufrecht zu erhalten: billige Löhne, extreme Armut, Verweigerung grundlegender Rechte und Mindeststandards am Arbeitsplatz, fehlender Gesundheitsschutz und präkere Vertragsverhältnisse - also alles Faktoren, die gerne als "unfairer Konkurrenzvorteil" beim China-Bashing ins Feld geführt werden.

Globalisation Product (RED)


Venezuela 3.12.2006: Hugo Chavez

Ein Gespenst geht um in Lateinamerika, genannt "Populismus". Hugo Chavez in Venezuela ist der vielleicht umstrittenste "Populist". An diesem Wochenende stellt er sich zur Wiederwahl. Daß er gewählt wird, ist fast sicher. Der Grund? Er hat sein Wahlversprechen gehalten, den Ölreichtum der Nation mit den Armen zu teilen, die jetzt kostenlose Gesundheitsversorgung, subventionierte Nahrungsmittel und deutlich verbesserten Zugang zu Bildungschancen bekommen. Nachdem Chavez 2002 einen von den USA unterstützten Putsch und 2004 ein Abwahlreferendum überlebte, hat sich die politische Lage im Land stabilisiert und die Wirtschaft floriert - mit 28% Wachstum in den letzten zwei Jahren. Der kommende Sonntag könnte somit erneut den Beweis dafür liefern, wie gut dieser "Populismus" funktioniert.

Letzte Meldungen: >>> Reuters; >>> Venezuela "red, really, red" after vote

25. November 2006

Merkel und Münte: Soziale Globalisierung?

Wenig Aufschluß über die Frage, wie die Bundesregierung sich die "soziale Ausgestaltung der Globalisierung" vorstellt, die sie sich für die G8-Präsidentschaft im nächsten Jahr auf die Fahnen geschrieben hat, brachte die Internationale Konferenz, die das Bundesministerium für Arbeit und Soziales in der letzten Woche unter dem Slogan "Towards Fair Globalisation" veranstaltet hat. Immerhin griff Berlin mit dieser Losung den Titel des jetzt schon über zwei Jahre alten Berichts der von der ILO eingesetzten Weltkommission für die soziale Dimension der Globalisierung auf. Der Bericht brachte eine Fülle konkreter Anregungen für demokratische und soziale Global-Governance-Reformen (>>> W&E 03-04/2004), die bis heute auf ihre Umsetzung warten.


Gemessen an diesen Vorgaben blieben die Reden von Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem gastgebenden Minister Müntefering allersdings stark hinter den Erwartungen zurück, die an eine "fair gestaltete Globalisierung" zu knüpfen wären. Zwar schwant den beiden führenden Politikern der Großen Koalition, daß der Glaubwürdigkeitsverlust der Politik noch zunehmen wird, wenn sie die sozialen und ökologischen Konsequenzen der Globalisierung nicht in der Griff bekommt. Den einzigen konkreten Anhaltspunkt, wie die Globalisierung sozialer zu gestalten sei, gaben jedoch die Hinweise auf die von der ILO erarbeiteten Mindeststandards. Hier wurde die Kanzlerin sogar recht deutlich:
"Die Welthandelsorganisation ist eine sehr mächtige Organisation. Deshalb finde ich, daß man gerade hier über ökologische und soziale Dinge sprechen muß. Die Welthandelsorganisation kennt als eine der wenigen multilateralen Organisationen richtige Sanktionsmechanismen, so daß die Einhaltung der Standards auch hinterher eingeklagt werden kann."
Sollte dies mehr als der Glanzpunkt einer Sonntagsrede gewesen sein, so müßten wir von der Bundesregierung schon bald neue Initiativen für eine Wiederbelebung der Sozialklausel-Debatte in der WTO erwarten können. Darauf deutet allerdings nichts hin. In der Handelspolitik setzt Berlin in neomerkantistischer Manier wie eh und je auf Exportüberschüsse und die dafür notwendige Öffnung der Märkte anderer. Daß dies in Zukunft anders werden könnte, war auch auf der Berliner Konferenz nicht zu erkennen.
Zur Vorbereitung der G8-Präsidentschaft s. auch >>> G8-Paket.

23. November 2006

Globale Reformen: Die nächsten Schritte

Nach der Internationalen Konferenz zur Reform der globalen Institutionen in Genf zeichnen sich in mindestens dreifacher Hinsicht Ansatzpunkte ab, um konkrete Reformen im Sinne einer demokratischeren Global Governance durchzusetzen. Den ersten Ansatzpunkt bietet die im Bericht des Kohärenzpanels vorgeschlagene Aufwertung des UN-Umweltprogramms (UNEP) und die generelle Stärkung der globalen Umweltarchitektur (>>> W&E-Hintergrund Nov 2007). Der zweite Ansatzpunkt liegt in einer neuen Weltkonferenz für Entwicklungsfinanzierung, die nach dem derzeitigen Diskussionsstand in der UN-Generalversammlung im zweiten Halbjahr 2008 in Doha/Quatar stattfinden soll und deren Vorbereitungsprozeß im ersten Halbjahr 2007 beginnen wird. Die Konferenz soll im wesentlichen der Umsetzung des sog. Monterrey-Konsenses von 2002 dienen. Da dieser auch "systemische Fragen" einschließt, eignet sich der Prozeß gut, um den Druck für grundlegende Reformen im internationalen Finanzsystem zu erhöhen. Drittens schließlich wurde in Genf deutlich, wie wichtig es ist, den Einstieg in ein System der internationalen Besteuerung, wie er mit der Flugticket-Abgabe von einigen Ländern begonnen wurde, voranzutreiben. Von zentraler Bedeutung, so wurde hervorgehoben, ist es hier, eine "Koalition von willigen Ländern" zu formieren, die mit der Einführung von Devisentransaktionssteuern beginnt. Die Bedeutung einer solchen strategischen Führungsgruppe könne kaum überschätzt werden.


Im Abschlußplenum wurde darauf hingewiesen, daß es für die zivilgesellschaftliche Mobilisierung wichtig sei, auf drei Ebenen gleichzeitig zu arbeiten: an der Schadensbegrenzung "innerhalb des Systems", an der Reform des Systems und an der Überwindung des Systems im Sinne eines paradigmatischen Wandels. Bis zum magischen Jahr 2015, in dem die Millenniumsziele erreicht sein sollen, so prophezeite Yash Tandon vom South Centre, werde es erforderlich sein, die Schwerpunkte der Arbeit schrittweise von der ersten auf die dritte Ebene zu verlagern (>>> Reform or Transformation?).

20. November 2006

Chancen für eine globale Reformbewegung?

Bestehen zur Zeit Chancen für eine globale Reformbewegung oder fahren die Regierungen fort mit Liberalisierung und Deregulierung im Sinne des neoliberalen Mainstreams? Um diese Frage kreiste die Diskussion am ersten Tag der internationale Konferenz für eine Reform der globalen Institutionen, die von UBUNTU und ITUC in Genf ausgerichtet wird (>>> Konferenz: Reform der globalen Institutionen). Viele Redner, so Martin Khor vom Third World Network, Detlef Kotte von der UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD) und Alexandre L. G. Parola von der Vertretung Brasiliens in Genf, wiesen auf neue Elemente in der internationalen politischen Szenerie hin. Der politische Spielraum zahlreicher Länder gegenüber dem IWF sei durch die vorzeitige Rückzahlung ihrer Schulden gewachsen. Aus dem UN-System heraus würden langsam wieder Alternativen zur überkommenen Strukturanpassungspolitik formuliert, und auch in der WTO gehe es derzeit um die Frage: Rückfall ins Business as usual oder Vorwärts zu einem besseren Multilateralismus.


Geteilt waren die Positionen allerdings in Bezug auf die Aussetzung der Doha-Verhandlungen. Während Parola darauf hinwies, daß ein Scheitern der Runde nicht positiv sei, weil dies den Status quo zementiere, sieht Khor für den Süden immer noch überwiegend negative Elemente in der gegenwärtigen Verhandlungsdisposition. Kotte verwies darauf, daß die Entwicklungsländer auch in anderen Bereichen, etwa im IWF, nicht auf Reformen warten, sondern themenorientierte Koalitionen für konkrete Reformen bilden sollten.

Auffallend viele RednerInnen, so Renata Bloem von der Konferenz der NGOs mit Konsultativstatus bei der UNO (CONGO), Anna Biondi vom neu gegründeten gewerkschaftlichen Dachverband ITUC und auch die finnische Entwicklungsministerin Marjetta Rasi plädierten für eine Stärkung des UN-Wirtschafts- und Sozialrats (ECOSOC) – nicht ohne den Hinweis zu provozieren, derartige Bemühungen gebe es jetzt schon seit Jahrzehnten, ohne daß sie zu irgend etwas geführt hätten. Martin Khor plädierte – bei insgesamt großen Bedenken gegen die Vorschläge des Kohärenz-Panels von Kofi Annan – immerhin dafür, den Vorschlag zur Schaffung einer L27-Gruppe innerhalb des ECOSOC als Alternative zur G8 (>>> W&E-Hintergrund Nov 2006) sorgfältig zu prüfen.

18. November 2006

G20 vis-à-vis G8: Alternative oder Ergänzung?

Die Beratungen der G20 (Finanzminister) an diesem Wochenende in Melbourne (siehe Photo) werfen erneut die Frage auf, welches Potential die Gruppe in die Gestaltung der Global Governance künftig einbringen wird. Während sie die einen für eine pragmatische Alternative zum exklusiven Klub der G8 halten (siehe W&E-Hintergrund Jul-Aug 2006), verweisen andere darauf, daß sich die inhaltliche Agenda der beiden Gruppen kaum unterscheidet. Immerhin steht im Arbeitsprogramm der australischen Gastgeber für die G20-Präsidentschaft in diesem Jahr die weitere Reform des IWF ganz oben auf der Tagesordnung, und auch das Thema "Effektivität der Entwicklungshilfe" soll auf dem diesjährigen Treffen zur Sprache kommen.


Dem australischen Zweig der "Make Poverty History"-Kampagne ist dies freilich nicht genug. Sie will, daß die G20 eine stärkere Rolle beim Monitoring der Umsetzung der Versprechen der Industrieländer in Fragen der Millenniumsziele spielt. Auf einem alternativen Forum am Donnerstag, einem Großkonzenzert am Freitag, bei dem erneut der Rockstar Bono eine führende Rolle spielte und auf einer Demonstration am Samstag wurden die Forderungen an die G20 - von der Steigerung der Entwicklungshilfe über Schuldenstreichung bis zu einer gerechteren Welthandelspolitik - deutlich gemacht.

Um bloßen Zoff ging es allerdings einer kleinen Gruppe von etwa 100 Leuten, die am Samstag aus dem friedlichen Demonstrationszug von 3000 TeilnehmerInnen ausscherten und versuchten, die Absperrungen zum offiziellen Konferenzzentrum zu überwinden. Die Handgreiflichkeiten mit der Polizei (siehe Photo) verschafften dem Ereignis "weit hinten" in Australien dann auch hierzulande doch noch ein bißchen Medienresonanz - verquaste Logik der heutigen Medienwelt.

Hinweis: Die Ergebnisse des G20-Treffens finden sich ab dem 19.11.2006 auf der G20-Website.

17. November 2006

Konferenz: Reform der globalen Institutionen

Am 20./21. November tagt in Genf im Gebäude der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) eine Internationale Konferenz für die Reform der internationalen Institutionen. Träger sind der neu gegründete Internationale Gewerkschaftsbund (ITUC) und das Weltforum der Zivilgesellschaftlichen Netzwerke (UBUNTU). Der Ansatz der Tagung sieht Dialoge zwischen verschiedenen Governance-Ebenen und zivilgesellschaftlichen Akteuren vor ("multi-actor dialogues"). Entsprechend sind Regierungen (z.B. Mexiko, Spanien, Südafrika, Finland, Frankreich usw.) ebenso vertreten wie NGO-Netzwerke und internationale Organisationen.


Die Konferenz soll der Auftakt für die zweite Phase der bis 2009 angelegten Weltkampagne für eine tiefgreifende Reform der Internationalen Institutionen werden. Im Mittelpunkt steht die Frage, wie eine internationale soziale und politische Bewegung geschaffen werden kann, die in der Lage ist, einen Reformprozeß im Sinne der Herstellung wirklicher demokratischer Global Governance zu initiieren. Zur Diskussion steht u.a. die Identifikation von Kernelementen einer internationalen Reformagenda und die Schaffung eines "Weltkomitees für die Reform des Systems der Internationalen Institutionen", das die notwendigen weiteren Schritte identifizieren soll. W&E wird an der Konferenz teilnehmen und berichten.

16. November 2006

Frankreich will Sonderzölle gegen Klimasünder

Nach der Einführung der Flugticket-Abgabe zugunsten der Entwicklungshilfe spielt Frankreich ein weiteres Mal die Vorreiterrolle bei der Einführung neuartiger Finanzierungsinstrumente. Wie Premierminister Dominique de Villepin (s. Photo) Anfang der Woche bekanntgab, will Paris im Rahmen der EU Importabgaben für Produkte aus Ländern einführen, die sich zusätzlichen Anstrengungen auf dem Gebiet des Klimaschutzes verweigern. Dazu könnten die großen Schwellenländer des Südens, wie China und Indien, vor allem aber die USA gehören. Bis Anfang 2007 will die französische Regierung ihre Vorschläge an die EU-Mitgliedsländer konkretisieren.

Die Idee stammt von Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz. In seinem neuen Buch Die Chancen der Globalisierungschreibt der US-Amerikaner Stiglitz:

"... es wird vermutlich auch nichts anderes übrig bleiben, als den USA gegenüber strengere Saiten aufzuziehen. Schon aus Gründen der Fairness in den internationalen Handelsbeziehungen ist es nicht hinnehmbar, daß ein Land die Emission klimaschädlicher Gase durch seine Firmen auch noch subventioniert... Einem Land die Vorteile der Globalisierung durch Handelssanktionen vorzuenthalten, kann ein wirksames Instrument sein, um jenen Verantwortungsbewußsein beizubringen, die die globale Umwelt zerstören."

Der Vorschlag hat bereits die Skeptiker in der EU-Kommission auf den Plan gerufen. Sie wiesen auf die notwendige Einstimmigkeit bei Steuerbeschlüssen in der EU hin, die bereits die EU-weite Einführung der Flugticket-Abgabe verhindert hat. In der Tat zeigt auch die Auseindersetzung um die Tobin-Steuer, daß es für die Durchsetzung solcher Regulierungsformen nicht ausreichend ist, wenn sie rational begründet werden und sich auf die Autorität von Nobelpreisträgern berufen können.

15. November 2006

UN-Reform: Mehr Schwung als erwartet

Der Weltgipfel des letzten Jahres hat mehr Schwung in die internationalen politischen Prozesse gebracht, als viele erwartet hatten. Dies betrifft nicht so sehr die Umsetzung der dort bekräftigten Millennium-Entwicklungsziele (MDGs), wo es nach wie vor große Defizite zu verzeichnen gibt und die großen Industrieländer die auf dem G8-Gipfel in Gleneagles gegebenen Versprechen noch einlösen müssen. Erstaunlich ist vielmehr die Dynamik, die in den Prozeß der Reform der Organisation der Vereinten Nationen selbst gekommen ist. Oft gescholten und vor allem von den USA am liebsten umgangen, waren selten so viele wie heute der Meinung, daß die UN ein unverzichtbarer Rahmen für die Ausgestaltung von Global Governance und Krisenbewältigung sind. Die UN-Reform ein Jahr nach dem Weltgipfel ist das Thema einer neuen W&E-Hintergrund-Ausgabe (s. Abbildung). Ian Williams bilanziert darin die UN-Reformprojekte kurz vor dem Ende der Amtszeit von Generalsekretär Kofi Annan. Thomas Fues hat den soeben erschienenen Bericht des Hochrangigen Panels für systemweite Kohärenz gelesen, der eine Effektivierung im UN-Entwicklungsbereich anstrebt, und kommt zu einem gemischten Urteil. Jens Martens schließlich fragt, ob es neue Chancen für einen Durchbruch in den jahrelangen Bestrebungen zur Reform des UN-Wirtschafts- und Sozialrats (ECOSOC) gibt.

Die Hintergrund-Ausgabe ist auch Bestandteil unseres neuen G8-Pakets "Auf dem Weg nach Heiligendamm", das jetzt fortlaufend aktualisiert und an Gewicht zunehmen wird.

10. November 2006

Grandiose Fehlleistung: Die deutsche G8-Agenda für Heiligendamm 2007

Während viele NGOs die Mitte Oktober in Berlin vorgestellte Agenda der Bundesregierung für den G8-Gipfel in Heiligendamm (Juni 2007) begrüßten, weil Afrika nun doch nicht ganz hinten runter fällt, geht der Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung in seiner November-Ausgabe (s. Abbildung) mit Berlin hart ins Gericht. Über die Ungleichgewichte der Weltwirtschaft wolle die Bundesregierung nur einen Dialog führen und die Rolle des eigenen Landes als Exportweltmeister am liebsten überhaupt nicht thematisieren. Das strukturelle Überschußproblem der Weltwirtschaft sei seit Jahrzehnten nicht in Ostasien, sondern in Europa zu finden. Die Afrika-Agenda habe Berlin für Heiligendamm so gewendet, daß nur noch die afrikanischen Länder zur Ordnung gerufen würden: Sie sollten gefälligst bessere Bedingungen für private Investitionen schaffen. Und von einer Reform der Gipfelarchitektur selbst wolle die Regierung Merkel überhaupt nichts wissen, dies unter dem Vorwand die "Wertegemeinschaft" der G8 müsse erhalten werten.

Als Quintessenz einer ausführlichen Detailkritik der G8-Agenda formuliert der von Rainer Falk verfaßte Leitartikel:

"Signalisieren die Schwerpunkte der deutschen G8-Präsidentschaft also Verantwortung, Verläßlichkeit und Nachhaltigkeit, wie die Bundesregierung uns glauben machen will? Die Antwort ist einfach und ernüchternd. Beim Kampf gegen die Ungleichgewichte der Weltwirtschaft drückt sich Berlin um die eigene Verantwortung schlicht herum. Gegenüber den Erwartungen des Südens an die Industrieländer glänzt der Exportweltmeister nicht gerade durch Verläßlichkeit. Und nachhaltig ist an der deutschen G8-Agenda allenfalls das Festhalten an der Tradition eines exklusiven Klubs, der sich in der Realität aber längst überlebt hat."

Und: Um den Weg nach Heiligendamm inhaltlich besser zu unterfüttern, hat W&E - gleichsam als Marschgepäck - ein G8-Paket zusammengestellt. Neben der Hintergrundserie "Baustellen der Globalisierung" enthält es weitere Ausgaben mit Artikeln zu G8-Themen.

7. November 2006

Steuerpolitik: Let's race to the bottom

Als "U-turn" bewertet Daniel Altman in seinem Blog Managing Globalization auf der Website der International Herald Tribune die jüngsten Vereinbarungen der Großen Koalition in Deutschland zur Senkung der Unternehmenssteuern von 39 auf 29%. Bislang habe Deutschland gemeinsam mit Frankreich versucht, die Steuersätze für Unternehmen in der EU zu harmonisieren. Angesichts niedrigerer Sätze in etlichen Nachbarländern, vor allem in Osteuropa, warnten die beiden Länder vor einem "race to the bottom" (Wettlauf zum Abgrund).

Doch statt diesen Wettlauf zu stoppen, mache Deutschland jetzt mit und heize ihn kräftig an. Für SPD-Finanzminister Peer Steinbrück (Photo) und Roland Koch (CDU) ist dies sinnvoll, da die deutsche Wirtschaft so wieder "wettbewerbsfähig" werde und Arbeitsplätze entstünden. Während Altman die Argumentation der beiden offensichtlich teilt ("Die Besteuerung von Unternehmensgewinnen ist eines der lausigsten Instrumente der Erzielung von Staatseinnahmen."), kam von Attac heftiger Widerspruch. Es sei pure Ideologie zu meinen, durch weltweiten Wettbewerb alle Probleme optimal regeln zu können.

In der Tat: Solange die Politiker dieses Dogma wie eine Monstranz vor sich hertragen, können wir wirksame internationale Vereinbarungen zur Begrenzung des Steuerwettbewerbs in den Wind schreiben.

3. November 2006

Gewerkschaften und Global Governance

Starke Worte fand der Generaldirektor der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), Juan Somavia (s. Photo), auf dem Gründungskongreß des Internationalen Gewerkschaftsbundes (ITUC) in Wien. Somavia sprach zum Auftakt der Diskussion am zweiten Tag des Kongresses über "Kohäsion oder Chaos - Die globalen Institutionen". Die gegenwärtige Form der Globalisierung sei nicht unvermeidlich. Sie sei von Menschen gemacht und könne daher auch verändert werden. "Die Politik der Finanzmärkte, des Handels und der Arbeitsmärkte kann verändert werden, wenn wir feststellen, daß sie nicht optimal funktionieren." Somavia fügte hinzu:

"Bis heute wird uns gesagt, liberalisiert Eure Märkte und privatisiert den Staat, und Ihr werdet wirtschaftliches Wachstum haben und neue Arbeitsplätze bekommen. Doch wir sehen jeden Tag, daß das nicht funktioniert. Mit gutem Grund können wir fragen: Wann haben wir je über den Washington Consensus abgestimmt? Wann wurde diese Agenda (der Deregulierung, Privatisierung und Flexibilisierung; d.Red.) demokratisch angenommen. Wann wurde sie beschlossen? Offensichtlich war dies niemals der Fall."
Weniger gut kam die Botschaft des Generaldirektors der WTO, Pascal Lamy, an. Lamy sagte, im Prinzip schaffe Handel Arbeitsplätze. In welchem Umfang, sei jedoch abhängig von der Politik, die von den Ländern, insbesondere auf dem Gebiet der Bildung, gemacht werde. Lamy kündigte eine demnächst erscheinende Studie von WTO und ILO zur Auswirkung des Handels auf die Beschäftigung an.

1. November 2006

Globalisierung und Gewerkschaften

Mit der Globalisierung müsse der Internationalismus ins Zentrum der gewerkschaftlichen Organisationsarbeit und Verhandlungsstrategie gerückt werden, schrieben Guy Ryder und Willy Thys in einem Beitrag für die Financial Times, den W&E in deutscher Übersetzung dokumentiert hat. Bis gestern waren die beiden jeweils Generalsekretär des Internationalen Bundes Freier Gewerkschaften (IBFG) bzw. des Weltverbandes der Arbeitnehmer (WCL). Heute wird aus den beiden Dachverbänden ein einziger Internationaler Gewerkschaftsbund (ITUC). Dem neuen Dachverband gehören acht weitere nationale Gewerkschaftsverbände an. Insgesamt beansprucht er, 166 Millionen ArbeitnehmerInnen in 309 Mitgliedsorganisationen aus 156 Ländern zu repräsentieren.

Die Gewerkschaften sind zum Internationalismus gezwungen, wollen sie ein zentraler politischer und wirtschaftlicher Akteur in einem internationalen Umfeld bleiben, das mehr Verlierer als Gewinner produziert. Die Ungleichheit der ökonomischen Globalisierung hat gravierende Auswirkungen auf Arbeiter und Angestellte. Off-shoring, Mißachtung von Gewerkschaftsrechten und wachsende Armut sind nur einige Stichworte. Wie der alte IBFG- und wahrscheinlich auch der neue Generalsekretär des ITUC, Guy Ryder, erklärte,

"wird die Schaffung des ITUC die Kapazitäten der Gewerkschaftsbewegung auf nationaler und internationaler Ebene stärken. Gestärkt werden wir größeren Einfluß auf Unternehmen, Regierungen und internationale Finanz- und Handelsinstitutionen ausüben können."
Keine Überraschung ist es, daß der Generaldirektor der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), Juan Somavia, heute eine Grußadresse an die Gründungsdelegierten richtet. Schon ungewöhnlicher ist es, daß sich der Generaldirektor der Welthandelsorganisation (WTO), Pascal Lamy, morgen über Satellit per Video-Link an den Gründungskongreß wendet. Bis heute waren die Gewerkschaften wenig erfolgreich in ihrem Bemühen, die WTO für die weltweite Durchsetzung von Sozialstandards zu gewinnen, vor allem der sog. Kernarbeitsnormen. Aber das kann sich ja ändern. Es muß sich sogar, wenn die WTO langfristig wieder mehr internationale Akzeptanz bekommen soll. Und als führender französischer Sozialist müßte Lamy eigentlich stark daran interessiert sein, soziale Korrektive in die Globalisierung einzubauen.

Website des ITUC mit Berichten, Dokumenten, Videos und anderen Infos vom Gründungskongreß: >>> www.ituc-csi.org

27. Oktober 2006

Deutsche Bundesbank: Primäre Risikofaktoren auf den Finanzmärkten

Das internationale Finanzsystem sei derzeit zwar in einer guten Verfassung. Dennoch dürften nach wie vor bestehende Risikofaktoren der Finanzmärkte nicht übersehen werden. Diese Auffassung vertrat der Leiter der Abteilung "International Financial Systems" der Deutschen Bundesbank, Erich Harbrecht, auf einem Internationalen Policy Workshop von Inwent (Internationale Weiterbildung und Entwicklung gGmbH) letzte Woche in Berlin. "Primäre Risikofaktoren" sieht Harbrecht insbesondere in der (1) wachsenden Komplexität der Finanzinstrumente, der (2) wachsenden Bedeutung der Hedgefonds, den (3) Offshsorezentren und der (4) mangelnden Transparenz der Märkte.

Während die Komplexität der Finanzinstrumente die Risikoeinschätzung erschwere, seien die Hedgefonds weitgehend unreguliert und könnten durch Herdenverhalten die Marktdynamik und Liquidität gefährden. Offshore-Finanzzentren seien oft schlecht reguliert und entzögen sich der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit der Aufsichtsbehörden. Insgesamt bestünden immer noch starke Informationsdefizite über die Finanzmärkte. Letztere müßten aber behoben werden, wenn die Disziplin der Marktakteure verbessert werden solle. Finanzkrisen könnten aber auch in Zukunft nicht ausgeschlossen werden. Nur schwer zu verstehen war allerdings Harbrechts Plädoyer, daß sich die Rolle der Regulierungs- und Aufsichtsbehörden an die massiven Veränderungen auf den Finanzmärkten anpassen müßten, ohne "die Freiheit der Märkte" aus dem Auge zu verlieren: "Märkte müssen frei sein" - warum eigentlich?

25. Oktober 2006

Wie ernst ist Berlin das Bekenntnis zur UNO?

Für den 10. November wird die Veröffentlichung des bereits für den Sommer angekündigten Berichts des von Kofi Annan eingesetzten "Hochrangigen Panels für systemweite Kohärenz im UN-System" erwartet. Derzeit kursieren allerdings noch die Entwürfe, wie die ehemalige schwedische Entwicklungsministerin und jetzige schwedische Botschaftern in Deutschland, Ruth Jacoby, die selbst Mitglied des Panels ist, in der letzten Woche auf einer Konferenz des Eine-Welt-Forums der SPD sagte. Der bereits im Vorfeld stark kontrovers diskutierte Report (>>> Frontalangriff auf die UN; >>> Systemweite Kohärenz bei den Vereinten Nationen) soll eine innerorganisatorische Reform der UN-Organisationen im Bereich der Entwicklungspolitik in die Wege leiten.

Nach Jacoby erweist es sich als eines der größten Probleme der Panelisten, die richtige Balance zwischen der normbildenden Rolle der UN und ihren operativen Aktivitäten zu halten. Dem Vernehmen nach wird der Bericht u.a. dafür plädieren, die Sekretariate der UN zu "streamlinen", das UN-Umweltprogramm (UNEP) zu stärken und die Repräsentanz der UN vor Ort, d.h. in den Nehmerländern zu vereinheitlichen. Die ursprünglich vor allem von westeuropäischen Ländern lancierte Idee, künftig nur noch drei UN-Organisationen (für Entwicklung, Umwelt und humanitäre Hilfe) zu haben, ist offensichtlich zugunsten einer besseren Vernetzung und Arbeitsteilung der bestehenden Organisationen aufgegeben worden. Auf der besagten Veranstaltung plädierten Jacoby und die deutsche Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczoreck-Zeul u.a. für die Aufrechterhaltung bzw. Schaffung einer eigenstänfigen UN-Frauenorganisation. In Bezug auf die künftige Finanzierung der UN dürfte der Bericht für eine Stärkung des Anteils der Pflichtbeiträge plädieren.

Letzteres ist vor allem für Deutschland ein neuralgischer Punkt, wie sich einen Tag später im Haushaltsausschuß des Bundestags zeigte. Die Haushälter kürzten die in der Vorlage für den BMZ-Haushalt des nächsten Jahres vorgesehenen UN-Beiträge von 220 Mio. € kurzerhand um 40 Mio. € - eine peinliche Schlappe für das BMZ, die die Ministerin (s. Photo) allerdings so nicht hinnehmen will. Von der Kürzung betroffen wären nach Presseberichten neben dem Globalen Fonds gegen AIDS, Malaria und Tuberkulose erneut das Entwicklungprogamm UNDP, das UN-Wüstensekretariat und der Doha-Trust-Fonds der WTO ("Aid-for-Trade"), aber auch die bei der Weltbank angesiedelte Globale Umweltfazilität (GEF).

Will die Bundesregierung ihren wachsenden internationalen Verpflichtungen nicht nur militärisch gerecht werden, müßte als erstes einmal der engstirnige Grundsatzbeschluß des Haushaltsausschusses aus dem Jahre 1993 revidiert werden, nach dem höchstens ein Drittel der deutschen Entwicklungshilfe über multilaterale Organisationen, darunter die EU, vergeben werden darf.

21. Oktober 2006

Bonos Punk-Kapitalismus: Get (RED)

Rot war bislang die Symbolfarbe linker Bewegungen. Jetzt ist (RED) auch ein Symbol für progressives Shopping. Dank U2-Sänger Bono und seinem Freund Bobby Shriver gibt es inzwischen (RED)-iPods, (RED)-Turnschuhe, (RED)-T-Shirts, (RED)-Mobiltelefone, (RED)-Parkas usw. Vor einer guten Woche wurde das neue Label mit großem Aufwand in den USA gelauncht. Mit von der Partie ist eine Gruppe von Markenproduzenten, von American Express über GAP (Textilien), Converse (Turnschuhe), Apple und Motorola bis hin zu Emporio Armani. Sie alle haben sich verpflichtet, einen Teil der Gewinne, die mit den (RED)-Produkten gemacht werden, an den Globalen Fonds zum Kampf gegen AIDS, Malaria und Tuberkulose abzuführen.

Ein (RED)-Manifesto begründet die Initiative, die sich explizit nicht als karitative Idee, sondern als "Geschäftsmodell" versteht:

"Als Konsumenten in der Ersten Welt haben wir eine ungeheure Macht. Unsere kollektiven Kaufentscheidungen können dem Lauf des Lebens und der Geschichte auf diesem Planeten einen anderen Lauf geben. So einfach ist die Idee hinter (RED). Und so mächtig ... Wenn Du ein (RED)-Produkt kaufst oder eine Dienstleistung von (RED) bestellst, wird das Unternehmen einen Teil seiner Profite zur Verfügung stellen, um Medikamente für unsere Brüder und Schwestern in Afrika zu kaufen, die ansonsten an AIDS sterben würden.
Wir glauben, daß die Konsumenten, wenn ihnen diese Wahl geboten wird und die angebotenen Produkte ihren Bedarf treffen, werden sie sich für (RED) entscheiden. Und wenn sie sich für (RED) entscheiden, werden sich auch andere Marken dafür entscheiden, (RED) zu werden, weil es wirtschaftlich Sinn macht. Und je mehr dies werden, umso mehr Menschenleben können gerettet werden."

(RED) unterscheidet sich von freiwilligen Industriespenden dadurch, daß sich Firmen vertraglich dazu verpflichten, Abgaben in einer bestimmten Höhe (beim Apple-(RED)-iPod zum Beispiel 10 US-Dollar pro verkauftem Artikel) auf den erzielten Gewinn zu leisten. Eine Art Tobin-Steuer also, die dazu noch das Gefühl vermittelt, gute Werke zu tun. Bis jetzt hat die "Punk-Kapitalismus"-Initiative (Bono), die auf dem Weltwirtschaftsforum Anfang des Jahres erstmals vorgestellt wurde, 10 Mio. US-Dollar gebracht. Doch weit mehr wird erwartet, wenn die neuen Produktlinien erst einmal breit in den Markt eingeführt sind. Allein von einem Vorgängermodell seines iPods verkaufte Apple in einer Sommersaison 14 Millionen Exemplare.

Für den Exekutiv-Direktor des Globalen Fonds, Richard Feachem, handelt es sich bei (RED) um ein typisches Win-Win-Modell: "Die Konsumenten bekommen die neuesten hippen Produkte, die Unternehmen steigern ihren Umsatz und der Fonds bekommt die dringend benötigten Mittel für seine lebensrettenden Projekte in Afrika."

13. Oktober 2006

Finanzmarkt-Risiko Hedge Funds

In regelmäßigen Abständen befragt das Wall Street Journal gut 50 hochrangige Ökonomen aus der Privatwirtschaft nach ihrer Meinung zu wichtigen Fragen der wirtschaftlichen Entwicklung. Die neueste Umfrage brachte ans Licht, daß die Mehrheit von ihnen Hedge Funds für ein Risiko der Finanzmärkte halten, das stärker reguliert werden muß. 23 von 41 Ökonomen, die auf sich an der Umfrage beteiligten, sagten, die jetzige Regulierung der Hedge Funds sei zu lax. Rund 60% sagten, die Fonds stellten ein beträchtliches Risiko dar.

Im letzten Monat hatten die Milliardenverluste des Fondsverwalters Amaranth, der innerhalb einer Woche fast 5 Mrd. Dollar im Gasgeschäft verwettet hatte, erneut Fragen nach der Möglichkeit von Kettenreaktionen auf den Finanzmärkten aufgeworfen. Amaranth sei lediglich "die Spitze des Eisbergs", sagte Allan Sinai von Decision Economics Inc. im Rahmen der Umfrage. Der Präsident der Federal Reserve Bank von New York, Timothy Geithner, regte nach dem Amaranth-Debakel eine Untersuchung an, um herauszufinden, ob Banken und Händler im Umgang mit Hedge Funds auf ausreichende Sicherheiten bestünden. Insgesamt sind derzeit etwa 1,2 Billionen Dollar in Hedge Funds angelegt, doppelt so viel wie vor fünf Jahren noch.

Die ökonomische Debatte, so scheint es, lebt von Krisen. Aber vielleicht führt derlei Druck ja dazu, daß die vor zehn Jahren proklamierte Neue Internationale Finanzarchitektur doch nicht als Ruine endet. Nach deren Schicksal jedenfalls fragt ein hochkarätig besetztes Seminar, zu dem die Berliner NGO weed für Ende November eingeladen hat.

11. Oktober 2006

"Mission creep" der Europäischen Investitionsbank?

Die künftige Rolle der Europäischen Investitionsbank (EIB) gerät immer stärker in die Diskussion. Auf dem gestrigen Ecofin-Treffen in Luxemburg stritten die EU-Finanzminister über die Frage, ob die quasi-staatliche Hausbank der EU künftig stärker Kredite nach Asien und Lateinamerika vergeben oder an ihrem bisherigen Schwerpunkt in Europa unverändert festhalten solle. Während der niederländische Finanzminister Gerrit Zalm von "mission creep" sprach, also der schleichenden Aneignung von immer mehr Aufgaben durch die Bank, plädierten andere für die Ausweitung des Engagements in den Süden.

Hintergrund ist ein Vorschlag der Europäischen Kommission, wonach der Anteil der EIB-Kredite für Asien und Lateinamerika in den nächsten sieben Jahren von 12 auf 18% aufgestockt werden soll. Nach Angaben der Financial Times sollen in diesem Zeitraum insgesamt 33 Mrd. Euro in die Länder Afrikas, Asien, Lateinamerikas und die sog. Nachbarschaftsländer fließen. Traditionell entfielen rund 90% der EIB-Kredite auf die EU.

Während die Niederländer wollen, daß das so bleibt, macht sich vor allem Spanien für eine Ausweitung des Engagements im Süden stark - nicht immer allerdings mit überzeugenden Argumenten. So sagte der spanische Finanzminister Pedro Solbes, mit den EIB-Finanzierungen in Lateinamerika würden mehr Auslandsaufträge für europäische Investoren einher gehen und bestätigte damit ungewollt die Kritik zahlreicher NGOs an der Vergabepolitik der EIB (>>> In Whose Interest?).

Eine stärkere Präsenz der EIB im Süden des Globus wäre - als Alternative zur Weltbank - sehr wohl wünschenswert, wirft aber Fragen nach Vergabekonzept und -kapazität der Bank auf. Auf einem für Ende November geplanten Seminar wollen NGOs jetzt erst einmal fragen, wie es um die Rechenschaftspflicht der EIB gegenüber den von ihren Projekten Betroffenen bestellt ist. Auch die EIB bemüht sich verstärkt um Bündnispartner im zivilgesellschaftlichen Lager: Im letzten Monat unterzeichnete sie ein Memorandum of Understanding mit dem größten internationalen Umweltverband, der IUCN. Darin wird festgehalten, wie man künftig in puncto Schutz der Biodiversität zusammenarbeiten will.

10. Oktober 2006

Waffenexporte: Warum globaler Handel globale Kontrolle braucht

Europa und Nordamerika werden immer mehr zu einem "IKEA der Rüstungsindustrie". Sie liefern die Komponenten für die Mißachtung von Menschenrechten, die dann vor Ort zusammengesetzt werden. Mit solch drastischen Vergleichen haben Oxfam International, Amnesty International und das Internationale Netzwerk gegen Kleinwaffen (IANSA) in der letzten Woche eine Studie (Arms without Borders) vorgestellt, die in der Forderung nach einem Internationalen Vertrag über den Waffenhandel gipfelt.

"Die Globalisierung hat den Waffenhandel umgekrempelt", argumentiert die Studie. "Rüstungsfirmen operieren von einer zunehmenden Zahl von Standorten und beziehen ihre Komponenten aus der ganzen Welt. Ihre Produkte werden oft in Ländern mit nachlässigen Kontrollen des Endverbrauchs zusammengebaut. Zu leicht geraten sie in die falschen Hände... Die sich häufenden Schlupflöcher auf nationaler Ebene zeigen, daß dieser globalisierte Handel durch globale Regeln kontrolliert werden muß."
Die Studie analysiert die sich wandelnden Eigentums- und Produktionsstrukturen in der Rüstungsindustrie seit Beginn der 90er Jahre. Waffensysteme bestehen heute in der Regel aus Komponenten von allen Teilen des Globus, ohne daß eine einzige Firma für alle Komponenten verantwortlich gemacht werden könnte. Auch die Unternehmen selbst agieren immer globaler, bauen Produktionsstätten an Offshore-Standorten auf, gründen ausländische Niederlassungen und gehen Kooperationsbeziehungen mit dubiosen Zulieferern ein.

8. Oktober 2006

Mitverantwortung der Gläubiger: Norwegen schreibt Geschichte

Es geht also doch! Die Ankündigung der norwegischen Regierung in der letzten Woche, auf die Rückzahlung der Schulden von fünf Entwicklungsländern in Höhe von 80 Mio. US-Dollar zu verzichten, ist von paradigmatischer Bedeutung. Zum erstenmal begründet ein Gläubigerland seinen Forderungsverzicht explizit mit seiner Mitverantwortung: Die Kreditgarantien für den Schiffsexport seit Mitte der 70er Jahre, aus denen die Schulden stammen, seien ein "entwicklungspoltischer Fehlschlag" gewesen, für den sein Land jetzt die Verantwortung übernehme, sagte der norwegische Entwicklungsminister Erik Solheim (Sozialistische Linkspartei; siehe Photo).

Norwegen wolle u.a. einen Akzent in der internationalen Debatte um die Mitverantwortung der Gläubiger für die Entstehung von Überschuldungssituationen setzen - ein wichtiger Präzedenzfall, wie z.B. das Brüsseler Network on Debt and Development (Eurodad) urteilt. Beispielhaft ebenso: Norwegen wird die Schuldensteichung nicht aus dem Entwicklungshilfe-Budget finanzieren und auch nicht von der OECD als zusätzliche Entwicklungshilfe anrechnen lassen.

5. Oktober 2006

Ein UNO-Entwicklungsfonds: Peinlich oder passend?

In ihrem jüngsten Bericht zur Wirtschaftlichen Entwicklung in Afrika (Doubling Aid: Making the 'Big Push' Work) argumentiert die UNCTAD, für die Entwicklungshilfe müsse ein neuer institutioneller Rahmen gefunden werden, wenn ihre Verdoppelung (wie von den Gebern versprochen) ernst gemeint ist und sie den afrikanischen Entwicklungsbedürfnissen wirklich gerecht werden soll. Sie müsse effektiver, transparenter und vorhersagbarer werden und von übermäßiger Politisierung, hohen Transaktionskosten und unrealistischen Forderungen an die Nehmer befreit werden. Vor allem solle sie multilateraler werden. Deshalb sei es an der Zeit, über ein Finanzierungsfenster bei den Vereinten Nationen, einen UN-Entwicklungsfonds, nachzudenken. In diesem Fonds sollten die Weltbank-Tochter IDA (International Development Assoziation) und die vom IWF verwaltete PRGF (Poverty Reduction and Growth Facility) aufgehen. Darüber hinaus sollte er die zusätzlichen Entwicklungshilfe-Mittel, die die Geber versprochen haben, kanalisieren.

Todd Moss vom Center for Global Development in Washington (das den Demokraten nahesteht) beeilte sich sogleich, den Vorschlag als "peinlich", "naiv" und "närrisch" zu bezeichnen, da er die Interessen der Geber, allen voran der USA, nicht in Rechnung stelle. Er sei allenfalls geeignet, den Konservativen die nötige Munition zu liefern, damit sich die USA überhaupt aus den UN zurückziehen (>>> Pity the Fools: The UN's embarrassing aid proposal).

Doch der UNCTAD-Vorschlag ist keineswegs so abwegig, wie Todd Moss meint. Auch ist es keineswegs so, daß Hilfe künftig ohne Bedingungen gegeben werden soll. Vielmehr müsse, so die Autoren, in einer "neuen Hilfe-Architektur" von den Empfängern die Aufstellung klarer Entwicklungspläne verlangt werden, aus denen hervorgehe, wie, wofür und in welchen Zeitraum der Hilfestrom genutzt werden soll. Nur in Abhängigkeit von der Realisierung festgelegter Ziele solle das Geld ausgezahlt werden - allerdings über eine längere Frist und flexibler als heute unter dem IWF- und Weltbank-Regime. Letzteres würde vielen Gebern (und natürlich den Bretton-Woods-Zwillingen) nicht gefallen, da hat Moss schon Recht. Doch zeigt seine Kritik vor allem, wie groß die Skepsis gegenüber einer demokratischer und multilateraler organisierten Entwicklungshilfe auch im liberalen Spektrum der USA ist.

Um die Verdoppelung der Hilfe effektiv zu managen, braucht es andere, breiter und universeller akzeptierte Strukturen als die heutigen. deren Ineffizienz allenthalben kritisiert wird. Insofern ist der UNCTAD-Vorschlag eher passend als peinlich.

3. Oktober 2006

"Royal Commission" für die Weltwirtschaft?

Auch der Chef von Deutsche Bank Research, Norbert Walter, bringt in puncto Global Governance Bemerkenswertes zu Papier. Unter der etwas altmodisch anmutenden Überschrift "Sehnsucht nach Ordnung" beklagt er in einem aktuellen Kommentar den Anachronismus der G7 und die Ineffizienz der internationalen Organisationen. Die internationale Struktur

"entartet zum Recht des wirtschaftlich-militärisch Stärkeren ohne sachgerechte Regulierung auf der jeweils angemessenen Ebene. Und für lebenserhaltende Bereiche wie den Umweltschutz fehlt eine angemessene Regulierung oft ganz."

Doch frühestens nach den Präsidentschaftswahlen in Frankreich und den USA im nächsten Jahr sieht Walter, der den einen als Neoliberaler im Schafspelz und den anderen als Hofnarr der Bourgeoisie gilt,
"ein Fenster für internationale Integration und mehr Akzeptanz und Aufgaben für internationale Organisationen, die eine Ordnung der Weltwirtschaft mit intelligenter Regulierung und Überwachung sichern. Wir brauchen die Nachfolger der Bretton-Woods-Organisationen, eine globale Umweltbehörde, eine Aufwertung des Aufsichtsregimes für die Regulierung der Finanzmärkte (vielleicht bei der BIZ) und ein Regulierungssystem für internationale Wanderung, das Integrationsfähigkeit und Entfaltungsmöglichkeiten optimiert."
Wahrlich eine bemerkenswerte Ansammlung von "Baustellen der Globalisierung"! Damit auch alles zusammenpaßt, will Walter eine "Royal Commission für eine effektivere Weltwirtschaftsordnung" ins Leben rufen. Königlich? Ja, was Kompetenz und Ansehen betrifft. Und die Gruppe müsse sowohl die Unterstützung der G3 (USA, Japan und EU) als auch der G20 (Entwicklungsländer) haben, wenn ihre Neubauten nicht gleich wieder einstürzen sollen. Na da könnte der G8-Gipfel in Heiligendamm doch zumindest etwas Vorarbeit leisten ...

Stiglitz und Keynes: Retter der Globalisierung

Joe Stiglitz ist beliebt - bei den Kritikern der Globalisierung ebenso wie beim aufgeklärten Establishment. In seinem neuen Buch Making Globalization Work (>>> Auszug aus dem Vorwort) versucht er sich an dem Modell für eine andere Globalisierung. Sein Kronzeuge ist kein geringerer als John Maynard Keynes. Dieser habe mit seiner "Allgemeinen Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes" mehr für die Rettung des kapitalistischen Systems getan als alle marktwirtschaftsfreundlichen Finanzmagnaten zusammen. Wäre man in den 30er Jahren den Ratschlägen der Konservativen gefolgt, so wäre die Große Depression weit schlimmer ausgefallen. Ähnlich sei es heute mit der Globalisierung:

"Ich glaube, daß es schwierig sein wird, den gegenwärtigen Schwung der Globalisierung aufrecht zu erhalten, ohne daß wir ihre Probleme anerkennen und bearbeiten. Wie die Entwicklung ist die Globalisierung nicht unvermeidlich... Wenn sie zur Absenkung des Lebensstandards für viele oder die meisten Bürger eines Landes führt und die grundlegenden kulturellen Werte bedroht, werden die politischen Forderungen lauter werden, sie zu verlangsamen und zu stoppen."

Das Buch enthält einige Vorschläge, die diskutierenswert sind. So wäre es für Stiglitz legitim und sogar WTO-kompatibel, wenn die Europäer US-amerikanische Stahlimporte mit Strafzöllen belegten, weil die von Bush Jr. für die umweltintensive Stahlproduktion durchgesetzten Subventionen und die fortgesetzte Weigerung, dem Kyoto-Protokoll beizutreten, schädlich für das Weltklima sind. Was bei Thunfischimporten, bei deren Fang vom Aussterben bedrohte Meeresschildkröten ins Netz gehen, legitim ist, müßte dann, wenn es um die Zukunft des Globus geht, allemal zu rechtfertigen sein, fand Stiglitz bei den Fachleuten der WTO-Panels heraus.

2. Oktober 2006

Lücke in internationaler Finanzarchitektur

Am 11. Oktober diskutiert das Bundeskabinett in Berlin über die Tagesordnung des G8-Gipfels, der im nächsten Juni in Heiligendamm stattfindet. Aus diesem Anlaß fordert das Bündnis erlassjahr.de - Entwicklung braucht Entschuldung von Bundeskanzlerin Merkel, das Thema Klima und Energie nicht allein aus dem Blickwinkel der Versorgungssicherheit für die Industriestaaten zu behandeln. "Schlagen Sie dem G8-Gipfel vor,", so die Erlaßjahr-Aktivisten, "in die globale Finanzarchitektur einen Modus zu integrieren, der Entwicklungsländern, die aufgrund der Energiekosten die Millenniumsziele nicht erreichen können, ein Zahlungsmoratorium ermöglicht."

erlassjahr.de erinnert die Bundesregierung daran, daß die Ölpreisschocks von 1973/74 und 1979/80 eine wichtige Rolle bei der Entstehung der Schuldenkrise spielten, mit der viele Entwicklungsländer immer noch kämpfen. Heute sehen sich die Finanzminister vieler Entwicklungsländer vor die Notwendigkeit gestellt, die im Rahmen der Schuldendiensteinsparungen für die Armutsbekämpfung vorgesehenen Mittel für den Energiebedarf ihrer Länder, insbesondere für Öl auszugeben - womit der Druck auf die Neuverschuldung steige.