5. März 2014

Ungleichheit: Topthema ohne Konsequenzen?

In ihrem BuchDie Superreichen“ bemerkt Chrystia Freeland, dass die Wohlhabenden durchaus gerne über die Armut reden und wie man sie lindern kann. Kommt die Sprache jedoch auf das Thema Ungleichheit, blocken sie ab – zu naheliegend ist es, Armut und Reichtum in Verbindung zu setzen oder daraus gar die Forderung nach Umverteilung abzuleiten. Diese paradoxe Tabuisierung eines Zusammenhangs scheint derzeit Löcher zu bekommen. Die Ungleichheit ist dabei, zu einem Topthema auf der internationalen Agenda zu werden – seit Beginn dieses Jahres mit wachsender Geschwindigkeit, so scheint es.


Erst proklamierte das Weltwirtschaftsforum in Davos in seinem diesjährigen Global Risk Report die wachsende Einkommensungleichheit als eines der gefährlichsten Risiken in der Welt. Die internationale Entwicklungsorganisation Oxfam zog sogleich mit einem Bericht nach, der herausstellt, dass das reichste eine Prozent der Weltbevölkerung fast die Hälfte des globalen Reichtums hält, während sich die restlichen 99 Prozent die andere Hälfte teilen müssen (>>> W&E-Hintergrund Februar 2014: Ökonomie und Politik der globalen Ungleichheit; s. Abb.). Den dritten Akkord setzte sodann das UN-Entwicklungsprogramm (UNDP) mit einem Report „Humanity Divided: Confronting Inequalität in Developing Countries. Zwischen 1990 und 2010 wuchs die Einkommensungleichheit in den Entwicklungsländern im Schnitt um 11%, erfährt man dort.

In der letzten Woche ist nun auch der Internationale Währungsfonds (IWF) mit einem 30-seitigen Papier (>>> Redstribution, Inequality, and Growth) in die Debatte eingestiegen. Danach ist das alte Dogma, wonach hohe Steuern und Transfers das Wachstum abwürgen, unbegründet. Im Gegenteil: Länder mit weniger Ungleichheit weisen im Allgemeinen sogar höhere Wachstumsraten auf, während hohe Ungleichheit zu abnehmendem Wachstum führt – eine Korrelation, die durch die Jahrzehnte der neoliberalen Offensive, während der die Ungleichheit auf neue Rekordhöhen stieg, das Wachstum aber deutlich hinter dem des „Goldenen Zeitalters“ der Nachkriegsphase zurück blieb, bestätigt wird. Insgesamt meinen die IWF-Autoren, dass auch die direkten und indirekten Effekte von Umverteilungspolitiken sich im Schnitt positiv auf das Wachstum auswirken.

Wer nun aber gedacht hätte, derlei Erkenntnisse würden den IWF zu einer Politikänderung bewegen, sieht sich getäuscht: Aus ihrer Studie ergäben sich „keine direkten Implikationen für die Politikberatung des Fonds“, beeilte sich Ko-Autor Jonathan D. Ostry zu versichern. Man solle das „nicht als Werbung für oder gegen“ eine besondere Politik verstehen. Da ist die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) schon deutlicher: Ungleichheit sei nicht unvermeidlich, lautet die Hauptthese eines neuen ILO-Buches (>>> Wage-led growth: An equitablestrategy for economic recovery). Will sagen: Eine aktivere Lohnpolitik bzw. eine auf die Steigerung der Masseneinkommen zielende Wachstumsstrategie könnte die wirtschaftliche Erholung von der Krise befördern und zugleich die Umverteilungsexzesse der letzten Jahrzehnte im Sinne größerer sozialer Gerechtigkeit korrigieren.

1 Kommentar:

Mika Latuschek hat gesagt…

"Länder mit weniger Ungleichheit weisen im Allgemeinen sogar höhere Wachstumsraten auf, während hohe Ungleichheit zu abnehmendem Wachstum führt"

Für die sogenannten entwickelten Länder wäre zu fragen, ob Wachstum der Maßstab sein sollte. Hier ist eher der Zusammenhang zwischen Ungleichkeit und Gesundheit oder Umweltzustand interessant. Andreas Exner schreibt dazu:

>> Die bahnbrechenden Arbeiten von Richard Wilkinson und Kate Pickett in “The Spirit Level” (2009) zeigen: Gesundheit und Wohlbefinden hängen in reichen Ländern nicht vom absoluten Niveau des Durchschnittseinkommens ab. Mit einer Vielzahl an Daten wird belegt, dass statistisch betrachtet vor allem die Ungleichheit der Einkommen darüber entscheidet, wie viele Menschen psychisch erkranken, fettleibig oder übergewichtig sind. Das steht der herrschenden Sicht diametral entgegen.

Noch überraschender ist vielleicht, dass Ungleichheit auch unserer Umwelt schadet. Nicht nur das. Soziale Ungleichheit ist in der Tat die wichtigste Ursache der ökologischen Krise, wie neue Forschungsergebnisse zeigen. <<

Weiterlesen:
Exner, A.: "Ungleichheit zerstört unsere Umwelt. Warum Verzicht falsch und ein ökologischer Lebensstil zu wenig ist"
http://www.social-innovation.org/?p=4048