Davos zwischen Krisenrufen und Selbstzufriedenheit
Erst
hieß es in der alljährlichen Risikostudie des Weltwirtschaftsforums (WEF), die
größten Risikofaktoren in der Welt von heute seien die wachsende Ungleichheit
und die fiskalischen Ungleichgewichte. Dann war plötzlich von „guter Stimmung“
in Davos die Rede. Es sei das erste WEF ohne Krisenrufe seit 2008 – so der
Chefökonom der Financial Times, Martin Wolf, zum Auftakt des Panels über die
weltwirtschaftlichen Aussichten. Doch dann wieder: Die Aussicht, dass die Krise
vorbei ist, sei „ein sehr großer Irrtum“. Die derzeitige Konjunkturerholung sei
„sehr zaghaft und fragil“, so die Chefin des IWF, Christine Lagarde. 2013 sei
ein Make-or-Break-Jahr für die Entwicklung der Weltwirtschaft.
Am
seinem letzten Tag zeigte das WEF, dass seine TeilnehmerInnen mindestens genauso
unsicher sind wie die weltwirtschaftliche Entwicklung selbst. Die Frage kam
auf, wie groß die Gefahr sei, dass der „Modus der Erleichterung“ (Wolf) erneut
der Selbstgefälligkeit und Selbstzufriedenheit weicht. In der Tat hat sich
angesichts einer revidierten IWF-Prognose von durchschnittlichen 3,5% für die
Weltwirtschaft in 2013 wenig an der grundlegenden Situation geändert. Die
globale Ökonomie ist nach wie vor eine Ökonomie der zwei Geschwindigkeiten mit
einer Rezession in Europa und schwachem Wachstum in den USA auf der einen Seite
und relativ kräftigen Zuwachsraten in den Schwellen- und Entwicklungsländern
auf der anderen (auch wenn die Rückkehr letzterer zu dem außerordentlich hohen
Wachstum der letzten zehn Jahre eher unwahrscheinlich ist).
Gefahrenmomente
lauern an allen Ecken und Enden. So könnte der Haushaltsstreit in den USA
schnell zu einem Double-Dip führen, wenn über die Begrenzung der Schulden nach
oben auch dort der Übergang in eine Art „Perma-Austerität“ (Wolfgang Münchau)
erzwungen wird. Ob die Reform der Finanzmärkte über die bisherigen zaghaften
Versuche hinaus doch noch in ernsthafte Bahnen kommt, entscheidet sich in den
nächsten zwei Jahren. Und der derzeitige Höhenflug an den Börsen ist so
ziemlich ohne Bedeutung für diejenigen, die von der nach wie vor hohen
Arbeitslosigkeit oder noch weiter steigenden Jugendarbeitslosigkeit betroffen
sind. Der Chef der OECD, Angel Gurría, sieht deshalb wenig Grund für eine grundsätzliche
Erleichterung. Immerhin: Jetzt wo viele „Davos People“ das Gefühl haben, der
Kelch der Hinrichtung sei noch einmal an ihnen vorbei gegangen, hätten sie die
Chance nutzen können, solche Probleme zu bearbeiten, die lange Zeit
vernachlässigt wurden – von Klimaschutz bis soziale Gerechtigkeit. Diese Chance
hat Davos auch in diesem Jahr verpasst.
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