2. Februar 2010

Haitis Auslandsschulden: Wie geht es weiter?

Gastkommentar von Jürgen Kaiser

Als am 12. Januar das Erdbeben Haiti erschütterte und über 100.000 Menschen tötete, lag die "Entschuldung" des Halbinselstaates unter der HIPC-Initiative gerade mal ein halbes Jahr zurück. Am 1.7.2009 wurden Haiti 1,2 Mrd. US-Dollar Zahlungsverpflichtungen erlassen. Nach der Streichung verblieben aber immerhin noch Auslandsschulden im Umfang von 1,051 Mrd. US-Dollar (s. Tabelle).

Die Auslandsverschuldung ist nicht irgendeines von Haitis zahlreichen Problemen. Vielmehr stand die Belastung durch den Schuldendienst am Beginn der staatlichen Existenz. 1825 setzte die ehemalige Kolonialmacht Frankreich durch, dass ehemalige Plantagenbesitzer mit insgesamt 90 Mio. Goldfranken (nach heutigem Wert etwa 17 Mrd. €) entschädigt werden mussten. Schon zehn Jahre später musste Haiti erste Kredite in der Londoner City aufnehmen, um weiter an Frankreich zahlen zu können. Seinen Zahlungsverpflichtungen konnte das Land – wenn überhaupt – nur durch eine dramatische Überausbeutung der natürlichen Ressourcen nachkommen. Nach 200 Jahren erzwungener Weltmarktintegration sind Haitis Ökosysteme heute in einem beispiellosen Umfang zerstört.

Auf diesem Hintergrund hat die Befreiung von anhaltender und unbezahlbarer Auslandsverschuldung in Haiti einen noch höheren Stellenwert als in anderen armen Ländern. Umso bemerkenswerter war, dass der Direktor des IWF, Dominique Strauss-Kahn, am 20. Januar einen weitgehenden Schuldenerlass für Haiti ankündigte:

„Das Wichtigste ist, dass der IWF nun mit allen Gläubigern zusammenarbeitet, um sämtliche Schulden zu beseitigen, einschließlich unseres eigenen (neuen) Kredits. Wenn wir das schaffen – und ich bin sicher, dass wir es schaffen werden - wird selbst dieser Kredit sich in einen verlorenen Zuschuss verwandeln, denn dann werden alle Schulden gestrichen sein.“

Dieser Vorstoß ging über die von anderen Gläubigern rasch ausgesprochenen Moratorien für Haiti hinaus und zeigte die Bereitschaft, dem Land tatsächlich einen schuldenfreien Neuanfang zu ermöglichen. Weiter ging nur Venezuela, das die verbliebenen haitianischen Schulden für gestrichen erklärte. Auch Taiwan erklärte seine grundsätzliche Bereitschaft zum Verzicht.

Auf seiner regulären Sitzung am 27. Januar hätte das Exekutivdirektorium des IWF die Ankündigung des Direktors zumindest in einen Grundsatzbeschluss übersetzen müssen. Das ist nicht geschehen. Vielmehr hat der Vorstand 102 Mio US-Dollar Nothilfe, d.h. neue Schulden, bewilligt. Dass der Fonds die von den Medien und der internationalen Öffentlichkeit stark wahrgenommene und gelobte Initiative des Direktors einfach ignorieren würde, hat vor allem die überrascht, die Strauss-Kahn eigentlich für einen starken Direktor halten.

Die Option einer symbolkräftigen Entschuldung unter dem unmittelbaren Eindruck der Katastrophe steht jetzt nicht mehr auf der Tagesordnung. Die von den Gläubigern vielfach beschworene Betroffenheit der ganzen Welt hat für ein starkes Statement des IWF-Direktors gereicht. Für eine tatsächliche Schuldenstreichung unter Außerachtlassung der ohnehin fragwürdigen Regeln von HIPC/MDRI reichte sie nicht.

Die gute Nachricht dabei ist, dass Haiti, was Verschuldung angeht, Zeit gewonnen hat: Abgesehen von jeweils 900.000 US-Dollar auf seine IWF-Altschulden werden alle Schuldendienstzahlungen 2010/2011 absehbar gestrichen oder ausgesetzt. Und selbst für diese Zahlungen einen Sponsor unter den reichen IWF-Mitgliedern zu finden, dürfte nicht allzu schwierig sein.

Denkbar wäre auf diesem Hintergrund dann ein Verfahren, welches nach einem zinsfreien Moratorium eine Internationale Schuldenkonferenz unter dem Vorsitz der UNO einberuft. Diese würde - etwa im Januar 2012 - eine Bestandsaufnahme der haitianischen Zahlungsverpflichtungen vorlegen und verbindlich darüber befinden, welche Schulden gezahlt werden sollten und welche nicht. Das Ergebnis würde kaum von einer vollständigen Schuldenstreichung abweichen. Der Unterschied läge im Prinzip: Nicht die Gläubiger würden einsichtsvoll zugestehen, dass bestimmte Forderungen einfach nicht mehr eintreibbar sind. Vielmehr würde dann eine unparteiische Instanz darüber befinden, welche Schulden der Staat Haiti bezahlen kann und sollte, ohne seine Verpflichtungen gegenüber seinen Bürgern zu vernachlässigen.

Jürgen Kaiser ist Koordinator der Kampagne erlassjahr.de.

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