Am Abgrund der Finanzkrise: Und plötzlich geht es doch!
Gastkommentar von Gerhard Schick
Es gibt kaum einen globalisierteren Markt als den für Finanzdienstleistungen. Das gilt erst recht für die Europäische Union. Dort ist er von einem nationalen Markt kaum mehr zu unterscheiden. Und dennoch meinte die Bundesregierung 15 Monate lang – von Juni 2007, als die ersten Hedgefonds wackelten, bis September 2008 –, dass erstens Deutschland kaum betroffen sein würde, weil es sich in erster Linie um ein US-amerikanisches Problem handele, und zweitens man im Fall des Falles mit nationalen Alleingängen diese Krise besser beantworten würde. Zwei eklatante und langfristig teure Fehleinschätzungen, die bisher in der Bewertung des Krisenmanagements der Bundesregierung eine zu geringe Rolle spielen. Nicht zuletzt deswegen fällt es ja viel zu gut aus.
Die Argumentation, die Krise sei ein US-Phänomen und deshalb auch von den USA zu schultern, scheint zunächst überzeugend, weil sie dem Impuls entspringt, dass deutsche SteuerzahlerInnen nicht für Fehler der US-Finanzaufsicht zahlen sollen. Das ist ja auch richtig. Allerdings hat sich mit der Pleite der US-Bank Lehman Brothers gezeigt, dass Fehlentscheidungen der US-Regierung europäische und eben auch deutsche Banken und Märkte massiv in Schwierigkeiten bringen können. Nicht zuletzt daran wird deutlich, dass eine bessere internationale Koordinierung der Krisenbewältigung eine Verschärfung der Krise vielleicht hätte vermeiden können. Genau das wurde im April 2008 vom Financial Stability Forum vorgeschlagen, von den Finanzministern aber abgelehnt. Eine gravierende Fehlentscheidung.
Auch auf europäischer Eben sperrte sich die Bundesregierung gegen einen gemeinsamen Ansatz. Meine Frage im Finanzausschuss, wie dann bei der Pleite einer größeren, grenzüberschreitend tätigen europäischen Bank reagiert würde, blieb von der Bundesregierung unbeantwortet. Kopf in den Sand als Krisenmanagement. Die Folge: Unilateral garantierte Irland seinen (!) Banken alle Einlagen. Das setzte mitten in einer dramatischen Phase der Krise die anderen Banken und Staaten unter Druck. Nicht zuletzt sind die Schwierigkeiten bei der irischen Hypo Real Estate-Tochter Depfa darauf zurückzuführen. Diese haben nicht nur eine extrem aufwändige und schwierige Rettungsaktion für die HRE erfordert. Auch die irische Bankengarantie selbst hat weitere Staaten zu überstürzten Garantieerklärungen gezwungen. Ohne Rücksprache mit den EU-Partnern garantierten auch Bundeskanzlerin Merkel und Finanzminister Steinbrück dann das Geld der Sparerinnen und Sparer. Dieses Versprechen zwang weitere EU-Staaten zu ähnlichen Garantien. Andernfalls hätten in Ländern ohne eine solche Absicherung die Menschen ihr Geld einfach über die Grenzen in Sicherheit gebracht. Der nationale Eigensinn der Kanzlerin und ihres Finanzministers hat also viel Schaden angerichtet.
Der Blick in den Abgrund der Finanzmärkte hat nun zu einem späten Umdenken geführt. Erst vor kurzem hat sich ein EU-Gipfel auf einen Rahmen einigen können, in dem die Mitgliedsländer ihre Finanzbranche unterstützen können. Das soeben verabschiedete Rettungspaket bewegt sich innerhalb dieses Rahmens. Endlich, möchte man sagen, kocht nicht mehr jeder sein eigenes Süppchen. Dass der Rettungsplan der Bundesregierung EU-weit abgesprochen ist, ist dann auch einer seiner besseren Aspekte. Internationale Finanzmarktgipfel werden vorbereitet. Globale Regelsetzung ist also vielleicht doch möglich. Zu hoffen ist, dass dieser Lerneffekt nicht zu schnell verpufft. Denn das, was jetzt ansteht, ist eine neue internationale Finanzmarktarchitektur, die die Fehler überwindet, die in die jetzige Krise geführt haben. Einer dieser Fehler ist der Verzicht auf klare, verbindliche internationale Regeln und Eingriffsmechanismen.
Dr. Gerhard Schick ist Mitglied des Deutschen Bundestags und gehört der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen an.
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