30. Oktober 2008

Neue IWF-Fazilität: Liquidität für Musterknaben

Der IWF ist erfinderisch. Die neueste Innovation heißt „Short-term Liquidity Facility“ (SLF) und soll Schwellenländern kurzfristig, d.h. über drei Monate Kreditmittel in der fünffachen Höhe ihrer Quote zur Verfügung stellen. Der neue Kreditmechanismus zielt darauf ab, Länder vor den Ansteckungsgefahren der internationalen Finanzmärkte zu bewahren. Der Clou: Die Mittel werden ohne Konditionalität und ohne aufwendige Prüfung durch eine IWF-Mission vergeben.



Der „Genuss“ des neuen Programms setzt allerdings voraus, dass das betreffende Land über längere Zeit eine „solide“ Wirtschaftspolitik verfolgt hat und „on-track“ mit dem IWF ist. Genau das ist der Pferdefuß. Denn kein anderer als der Fonds selbst bestimmt, was eine „solide Wirtschaftspolitik“ ist. Die neue Fazilität läuft darauf hinaus, dass die Entwicklungsländer vom Fonds in zwei Gruppen aufgespalten werden, solche, die berechtigt sind, die neuen Mittel zu kommen, und solche, die es nicht sind.

Die SLF ist in vieler Hinsicht der „Contingency Credit Line“ (CCL) nachempfunden, die der IWF nach der Asienkrise aus der Taufe hob und die ebenfalls eine Art Vorabprüfung oder Vorabkonditionalität vorsah. Allerdings hat damals kein einziges Land die Mittel beantragt, weil das als rufschädigend auf den Kapitalmärkten angesehen wurde. Dieses Problem soll jetzt umgangen werden, indem Vertraulichkeit vereinbart wird. Dem widerspricht allerdings, das der Geschäftsführende Direktor des IWF, Dominique Strauss-Kahn, ein Land schon mal explizit und öffentlich vom Zugang zu der neuen Fazilität ausschloss: Argentinien. Man wird sich also darauf einstellen müssen, dass wir eine Art Zweiklassengesellschaft unter den IWF-Klienten bekommen werden: Länder, die die SLF nutzen können, und Länder, die auch weiterhin einschneidende Konditionen, z.B. Haushaltskürzungen wie jüngst Ungarn, erfüllen müssen, wenn sie einen Kredit vom IWF haben wollen.

Echo und Widerhall: Die Wirklichkeit der Hilfe und Aid Pledge-Aufruf der OECD

Der neue, der 16. Bericht zur Wirklichkeit der Entwicklungshilfe dokumentiert den Rückgang der öffentlichen Entwicklungshilfe der Industriestaaten von 104,4 Mrd. US-Dollar in 2006 (0,3% des Bruttonationaleinkommens/BNE) auf 103,7 Mrd. US-Dollar in 2007 (0,28% des BNE). Damit verletzt die Gebergemeinschaft ihre im Rahmen der EU und auf G8-Gipfeltreffen getroffenen Selbstverpflichtungen. Das Ziel, 0,7% des BNE für Entwicklungshilfe auszugeben, erfüllen nur Norwegen, Schweden, Luxemburg, Dänemark und die Niederlande. Deutschland liegt mit 0,37% nur im Mittelfeld auf Rang 12 von den 22 Geberstaaten. Zwar setzt sich der Aufwärtstrend für Entwicklungshilfe im Bundeshaushalt fort, damit erfüllt die Bundesregierung die Verpflichtungen aber nur zur Hälfte. Um ihre Zusagen vollständig einzuhalten, müsste das Entwicklungshilfebudget um 1,6 Mrd. € pro Jahr steigen.

Die Herausgeber des deutschen Berichts, die Welthungerhilfe und das Kinderhilfswerk terre des hommes, befürchten weitere negative Einschnitte für die Entwicklungsländer insbesondere im Gefolge der aktuellen Finanzmarktkrise. Sie verweisen auf die hohe Verwundbarkeit der Entwicklungsländer und die Notwendigkeit, auch für die Entwicklungshilfe schnell weiteres Geld zu mobilisieren. Eine zentrale Rolle für die Bekämpfung von Hunger und Armut spielen aber auch die öffentlichen Finanzen in den Entwicklungsländern selbst. Nach groben Schätzungen verlieren die Entwicklungsländer pro Jahr mindestens 500 Mrd. US-Dollar durch Unterschlagung und Steuerhinterziehung und damit das Fünffache der weltweiten Entwicklungshilfe. Nötig ist deshalb nach Ansicht der beiden Hilfsorganisationen ein zwischenstaatliches Gremium zur Überwachung der Kapitalströme sowie Unterstützung beim Aufbau eines Steuer- und Einnahmesystems in den Entwicklungsländern.

Der Bericht zur Wirklichkeit der Hilfe wurde einst als Schattenbericht zu den offiziellen Zahlen des Entwicklungshilfe-Ausschusses (DAC) der OECD konzipiert. Inzwischen unterscheiden sich die Ansätze aber kaum noch. Betrachtet man den zeitgleich erschienenen Aufruf der OECD an die Geberregierungen, im Angesicht der Finanzkrise ihre Entwicklungshilfe-Versprechen in einem „Aid Pledge“ zu bekräftigen, so fragt man sich, was der Widerhall von wem ist. Ohne sofortiges Handeln könne nicht verhindert werden, dass sich die Finanzkrise zu einer Krise der Entwicklungshilfe auswächst, schreiben OECD-Generalsekretär Angel Gurría und DAC-Vorsitzender Eckhard Deutscher in einem Brief an die Staats- und Regierungschefs der OECD. Sie warnen davor, die Fehler zu wiederholen, die in der Rezession Anfang der 1990er Jahre gemacht wurden, als die Weichen für einen lang anhaltenden Rückgang der öffentlichen Entwicklungshilfe gestellt wurden.

28. Oktober 2008

Er ist wieder da ...

26. Oktober 2008

IWF: Back in Business?

Mit diesem Wochenende kann der Geschäftsführende Direktor des IWF, Dominique Strauss-Kahn, zufrieden sein. Nicht nur dass ihn der fondsinterne Untersuchungsausschuss von der Anschuldigung freisprach, in der Affäre mit einer Mitarbeiterin seine berufliche Position missbraucht zuhaben. Auf dem ASEM-Treffen der europäischen und asiatischen Staatschefs in Peking erhielt der IWF auch die bislang stärkste Unterstützung, angesichts der aktuellen Finanzkrise eine größere Rolle zu spielen. Der IWF solle eine „kritische Rolle“ bei der Unterstützung von ernsthaft durch die Krise betroffenen Ländern spielen, wenn diese ihn darum bitten, heißt es in dem kurzen Statement zum Ende des Gipfels.


Tatsächlich ist der Fonds spätestens seit der kürzlichen Jahrestagung dabei, nach dem alten Motto zu verfahren: „Wir sind bereit!“ Und seit kurzem stehen die Länder wieder Schlange. Mit Island hat erstmals seit 1976 (als England den Fonds um Hilfe ersuchte) wieder ein Industrieland ein Stand-by-Abkommen mit dem IWF abgeschlossen. Weitere Kandidaten aus den „Emerging Economies“, die bereits abgeschlossen haben oder noch verhandeln, sind die Ukraine, Weißrussland, Ungarn, Pakistan und die Türkei. Darüber hinaus werden derzeit als besonders krisenanfällige Länder gehandelt: Südafrika, Argentinien, Rumänien, Bulgarien und die drei baltischen Länder Litauen, Estland und Letland (>>> Die Verwundbarkeit Osteuropas in der Finanzkrise).

Der Fonds also „back in business“? Mit Einschränkungen: Erstens gilt nach wie vor, dass viele Länder den Gang nach Washington scheuen wie der Teufel das Weihwasser. So haben die aktuellen Neukunden des IWF zunächst andere Hilfsquellen ausgelotet – von der Europäischen Zentralbank bis zu den Chinesen. Der Fonds hat also Konkurrenz bekommen. Und zweitens bauen gerade die Asienkrisen-Länder dieses Mal lieber selbst vor. So gaben die ASEAN-plus-3-Länder (ASEAN-Mitglieder plus China, Japan und Südkorea) kurz vor dem ASEM-Gipfel in Peking bekannt, die Chiang-Mai-Initiative in einen multilateralen Mechanismus – einen Beistandsfonds in Höhe von 80 Mrd. Dollar – ausbauen zu wollen.

Die freudige Bereitschaft des Fonds, den Opfern der Finanzmarktkrise beizuspringen, entspricht grundsätzlich seinem Mandat, die Zahlungsbilanzlücken der durch exogene Schocks in Not geratenen Mitgliedsländer zu überbrücken. Die entscheidende Frage ist allerdings, wie dies geschieht, auf antizyklische Weise oder in einer krisenverschärfenden Manier, wie vor zehn Jahren in Ostasien. Man wird also genau beobachten müssen, was an dem Versprechen einer gelockerten Konditionalität, mit der der IWF um neue Kunden wirbt, wirklich dran ist. Ob es sich um einen Neuanfang handelt oder um bloßes „Streamlining“, werden wir erst sehen, wenn die ersten neuen Kreditverträge im Wortlaut vorliegen – wahrscheinlich schon in der kommenden Woche.

24. Oktober 2008

Am Abgrund der Finanzkrise: Und plötzlich geht es doch!

Gastkommentar von Gerhard Schick

Es gibt kaum einen globalisierteren Markt als den für Finanzdienstleistungen. Das gilt erst recht für die Europäische Union. Dort ist er von einem nationalen Markt kaum mehr zu unterscheiden. Und dennoch meinte die Bundesregierung 15 Monate lang – von Juni 2007, als die ersten Hedgefonds wackelten, bis September 2008 –, dass erstens Deutschland kaum betroffen sein würde, weil es sich in erster Linie um ein US-amerikanisches Problem handele, und zweitens man im Fall des Falles mit nationalen Alleingängen diese Krise besser beantworten würde. Zwei eklatante und langfristig teure Fehleinschätzungen, die bisher in der Bewertung des Krisenmanagements der Bundesregierung eine zu geringe Rolle spielen. Nicht zuletzt deswegen fällt es ja viel zu gut aus.

Die Argumentation, die Krise sei ein US-Phänomen und deshalb auch von den USA zu schultern, scheint zunächst überzeugend, weil sie dem Impuls entspringt, dass deutsche SteuerzahlerInnen nicht für Fehler der US-Finanzaufsicht zahlen sollen. Das ist ja auch richtig. Allerdings hat sich mit der Pleite der US-Bank Lehman Brothers gezeigt, dass Fehlentscheidungen der US-Regierung europäische und eben auch deutsche Banken und Märkte massiv in Schwierigkeiten bringen können. Nicht zuletzt daran wird deutlich, dass eine bessere internationale Koordinierung der Krisenbewältigung eine Verschärfung der Krise vielleicht hätte vermeiden können. Genau das wurde im April 2008 vom Financial Stability Forum vorgeschlagen, von den Finanzministern aber abgelehnt. Eine gravierende Fehlentscheidung.

Auch auf europäischer Eben sperrte sich die Bundesregierung gegen einen gemeinsamen Ansatz. Meine Frage im Finanzausschuss, wie dann bei der Pleite einer größeren, grenzüberschreitend tätigen europäischen Bank reagiert würde, blieb von der Bundesregierung unbeantwortet. Kopf in den Sand als Krisenmanagement. Die Folge: Unilateral garantierte Irland seinen (!) Banken alle Einlagen. Das setzte mitten in einer dramatischen Phase der Krise die anderen Banken und Staaten unter Druck. Nicht zuletzt sind die Schwierigkeiten bei der irischen Hypo Real Estate-Tochter Depfa darauf zurückzuführen. Diese haben nicht nur eine extrem aufwändige und schwierige Rettungsaktion für die HRE erfordert. Auch die irische Bankengarantie selbst hat weitere Staaten zu überstürzten Garantieerklärungen gezwungen. Ohne Rücksprache mit den EU-Partnern garantierten auch Bundeskanzlerin Merkel und Finanzminister Steinbrück dann das Geld der Sparerinnen und Sparer. Dieses Versprechen zwang weitere EU-Staaten zu ähnlichen Garantien. Andernfalls hätten in Ländern ohne eine solche Absicherung die Menschen ihr Geld einfach über die Grenzen in Sicherheit gebracht. Der nationale Eigensinn der Kanzlerin und ihres Finanzministers hat also viel Schaden angerichtet.

Der Blick in den Abgrund der Finanzmärkte hat nun zu einem späten Umdenken geführt. Erst vor kurzem hat sich ein EU-Gipfel auf einen Rahmen einigen können, in dem die Mitgliedsländer ihre Finanzbranche unterstützen können. Das soeben verabschiedete Rettungspaket bewegt sich innerhalb dieses Rahmens. Endlich, möchte man sagen, kocht nicht mehr jeder sein eigenes Süppchen. Dass der Rettungsplan der Bundesregierung EU-weit abgesprochen ist, ist dann auch einer seiner besseren Aspekte. Internationale Finanzmarktgipfel werden vorbereitet. Globale Regelsetzung ist also vielleicht doch möglich. Zu hoffen ist, dass dieser Lerneffekt nicht zu schnell verpufft. Denn das, was jetzt ansteht, ist eine neue internationale Finanzmarktarchitektur, die die Fehler überwindet, die in die jetzige Krise geführt haben. Einer dieser Fehler ist der Verzicht auf klare, verbindliche internationale Regeln und Eingriffsmechanismen.

Dr. Gerhard Schick ist Mitglied des Deutschen Bundestags und gehört der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen an.

23. Oktober 2008

Weltfinanzgipfel im L20-Format

Bis zuletzt scheint George W. Bush das Heft in der Hand behalten zu wollen, falls davon angesichts multipler Globalkrisen und des Niedergangs des US-Empires überhaupt noch die Rede sein kann. Plötzlich werden Dinge realisiert, die noch vor einem halben Jahr für unmöglich galten. Während Sarkozy und die Europäer noch von G8+5 redeten, hat Bush kurzerhand die Staats- und Regierungschefs der G20 zum Weltfinanzgipfel nach Washington eingeladen. Zu der bislang auf Finanzminister-Ebene tagenden G20 gehören folgende Länder: Neben den G8-Ländern (USA, Großbritannien, Deutschland, Frankreich, Kanada, Italien, Japan, Russland, die EU-Kommission), die EU-Ratspräsidentschaft (falls nicht G8), Australien als Industrieländer sowie Argentinien, Brasilien, China, Indien, Indonesien, Südkorea, Mexiko, Saudi-Arabien, Südafrika und die Türkei. Zusammengenommen repräsentieren diese Länder zwei Drittel der Weltbevölkerung und rund 90% der globalen Wirtschaftsleistung. Teilnehmen an dem für den 15. November vorgesehenen Gipfel sollen auch die Chefs von IWF und Weltbank, des Financial Stability Forums sowie der UN-Generalsekretär.



Man mag die Auswahl des Tagungsorts kritisieren (die Europäer hatten New York, die Entwicklungsländer explizit das UN-Hauptquartier gewollt) oder auch das Ansinnen Bushs, möglichst viel vom Modell des „demokratischen Kapitalismus“ (Bush) retten zu wollen – hier gibt ein konservativer Präsident am Ende seiner Amtszeit den Startschuss zu Umsetzung jenes L20-Modells (L=Leaders), das auch an dieser Stelle immer wieder vorgeschlagen und gefordert worden war (>>> W&E 11/2004, >>> W&E-Hintergrund 2006, >>> W&E-Hintergrund Mai-Juni 2007). Das L20-Modell gilt teils als pragmatischer Einstieg in eine weitergehende Reform des Global-Governance-Systems, teils hatten es die eigenen Protagonisten schon wieder aufgegeben, weil sie die Realisierungschancen nur sehr niedrig einschätzten. Es wäre jedenfalls ein deutlicher Schritt auf dem Weg zu einer Ablösung der G8 als zentraler weltwirtschaftlicher Steuerungsinstanz, hin zu einer deutlich verbesserten weltwirtschaftlichen Repräsentation der Staaten jenseits von G8.

Man darf gespannt sein, wie die amtierende G20-Präsidentschaft Brasilien auf die Bush-Initiative reagieren wird. Das diesjährige G20-Finanzministertreffen findet schon am 8./9. November in Sao Paulo statt. Interessant ist auch, dass der auch im Entwurf für die Abschlusserklärung des Doha-Treffens über Entwicklungsfinanzierung geforderte Weltfinanzgipfel (>>> W&E 10/2008) jetzt bereits vor Doha stattfindet. Interessanter noch aber ist, dass der Gipfel in Washington nur der Auftakt einer ganzen Serie von Gipfeltreffen werden soll. Ziel des Gipfels, so heisst es in der entsprechenden Verlautbarung des Weißen Hauses, sei es “to strengthen the underpinnings of capitalism by discussing how they (the leaders) can enhance their commitment to open, competitive economies, as well as trade and investment liberalization”. Aber das ist nur der Auftakt im Ringen um die Agenda für den Bretton-Woods-II-Prozess, das spätestens jetzt begonnen hat.

22. Oktober 2008

Weltweite Massenproteste: Über 116 Millionen Menschen für MDGs

Mehr als 116 Millionen Menschen in über 110 Ländern und damit fast 2% der gesamten Weltbevölkerung stellten einen neuen Guinness Weltrekord auf: Gemeinsam standen sie letztes Wochenende für eine Welt ohne Armut auf. Sie forderten von den Regierenden die Umsetzung der UN-Millenniumsziele und wirksame Maßnahmen zur Armutsbekämpfung. Alleine in Deutschland beteiligten sich über 127.000 Menschen am Weltweiten Aktionstag „Stand Up“. Diese Zahlen gaben heute die Organisatoren der Aktion, die UN-Millenniumkampagne und der Global Call to Action against Poverty (in Deutschland: Deine Stimme gegen Armut), bekannt.

„Die Geschichte hat gezeigt, dass Massenproteste die Kraft haben, auch große Missstände zu beenden.“ erklärte Eveline Herfkens, Gründerin der UN-Millenniumkampagne. „Dieses Wochenende sind die Stimmen gegen Armut so laut geworden, dass die Regierenden darauf reagieren müssen“. Im Vergleich zum Vorjahr hätten sich die Teilnehmerzahlen annähernd verdreifacht, was den zunehmenden Rückhalt und den Unmut in der Bevölkerung verdeutliche. „Die Finanzkrise ist keine Entschuldigung, die Armutsbekämpfung auf der politischen Agenda nach unten zu schieben“, ergänzte Renée Ernst, Beauftragte der UN-Kampagne in Deutschland. „Im Gegenteil, gerade jetzt gilt es zu verhindern, dass die Ärmsten der Armen auch noch die Zeche für das Missmanagement der Banken zahlen müssen.“



Bundesweit beteiligten sich mehr als 127.000 Menschen an mehr als 175 Stand Ups. Darunter gab es Aktionen in Schulen, an Universitäten, Theatern, Sportvereinen und auf Marktplätzen. Zur Hauptveranstaltung in Berlin war auch Bundesentwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul erschienen. Sie rief dazu auf, den Politikern Rückenwind für Maßnahmen der Armutsbekämpfung zu geben und betonte, dass es in Anbetracht der für das Banken-Rettungspaket verabschiedeten Mittel auch möglich sein müsse, genügend Mittel zur Beendigung von Hunger und Armut aufzubringen. Weltweit nutzten NGOs und Aktivisten den Aktionstag, um ihren Forderungen an die eigene Regierung Gehör zu verschaffen. Die Teilnehmer verteilen sich wie folgt auf die unterschiedlichen Regionen:
• Afrika und Arabische Staaten: 42.344.021
• Asien: 73.151.847
• Europa: 951.788
• Lateinamerika: 211.250
• Nordamerika: 123.920
• Ozeanien: 210.803
• Gesamt: 116.993.629

Amerikanische Grabgesänge ...

... und europäische Rettungsversuche

Noch ein Bock im Garten – und draußen wartet der Gärtner

Das Verwunderliche an der Ernennung von Otmar Issing (s. Foto) zum Vorsitzenden der von der Bundesregierung geplanten Kommission zur Neuordnung der Finanzmärkte ist nicht, dass uns nach dem Rückzug von Hans Tietmeyer der vielleicht engste Geistesverwandte des ehemaligen Bundesbank-Präsidenten präsentiert wird. Das Verwunderliche ist, dass dies nunmehr ohne jeden Hauch von Kritik des sozialdemokratischen Koalitionspartners, ja offensichtlich mit dessen ausdrücklicher Zustimmung über die Bühne geht. Es war wohl doch nicht die inhaltliche Kritik am „System Tietmeyer“ (Pierre Bourdieu), die den Aufschrei der Sozialdemokraten auslöste, sondern lediglich die peinliche Tatsache, dass Tietmeyer inzwischen im Aufsichtsrat der Hypo Real Estate sitzt, die jüngst von der Bundesregierung gerettet werden musste, weil sie sich in der soeben geplatzten Finanzblase verzockt hatte.

Wie Tietmeyer ist Issing einer derjenigen Prediger und Ideologen der Finanzmarktderegulierung und des Diktats der Märkte, die uns die derzeitige Krise beschert haben. Nach acht Jahren im Vorstand der Deutschen Bundesbank (1990-1998) galt er danach (1998-2006) war Deutschlands führender Monetrarist danach (1998-2006) Chefvolkswirt im Vorstand der Europäischen Zentralbank, der mit Argusaugen über Zinssätze wachte und im Interesse der Geldvermögensbesitzer einseitig die Stabilitätskriterien im Auge hatte, um etwaige Inflationsgefahren im Keim zu ersticken. Dass Issing einer ähnlichen Kommission auf EU-Ebene angehört, wie die Bundesregierung seine Ernennung begründet hat, spricht nicht für die Personalie, sondern eher gegen sie. Schließlich täte es auch auf EU-Ebene gut, die neoliberalen Säulenheiligen vom Sockel zu stoßen, wenn es wirklich um eine Neue Internationale Finanzarchitektur geht und nicht bloß um kosmetische Operationen an der alten.

Dass es auch anders geht, haben soeben die Vereinten Nationen demonstriert. Der derzeitige Präsident der Generalversammlung, Miguel D’Escoto, hat für den 30. Oktober ein Panel zur Globalen Finanzkrise einberufen, aus dem kurz danach eine High-Level Task Force zur Überprüfung des globalen Finanzsystems hervorgehen soll. Der Vorsitzende dieser Task Force steht schon fest: Es ist der Columbia-Professor und Nobelpreisträger Joseph Stiglitz. In seinen zahlreichen Büchern, zuletzt in The Washington Consensus Reconsidered. Towards a New Global Governance (zusammen mit Narcis Serra) hat Stiglitz jede Menge Ideen zusammengetragen, wie ein wirklicher New Deal für die Weltwirtschaft aussehen könnte. Vielleicht zeigt die Ernennung von Stiglitz ja, dass der Wettlauf zu einem „Bretton Woods II“ längst noch nicht im Sinne derjenigen entschieden ist, die nach ein paar Gipfeltreffen schnell wieder zur Tagesordnung des „freien Marktwirtschaftskapitalismus“ (Bush Jr.) übergehen wollen.

16. Oktober 2008

Über Böcke als Gärtner

Die in die Hose gegangene Ernennung des ehemaligen Bundesbankpräsidenten und heutigen Aufsichtsrats der Hypo Real Estate, Hans Tietmeyer, zum Vorsitzenden einer Kommission für neue Finanzmarktregeln ist kein Ausrutscher. Sie ist Indiz dafür, wie wenig die derzeit handelnden Akteure in Berlin (und andernorts) von den Ursachen der aktuellen Finanzmarktkrise begriffen haben und wie phantasielos und interessengebunden sie an die notwendige „Neue Internationale Finanzarchitektur“ herangehen. Klar ist inzwischen immerhin, dass Rettungspakete, wie das gestern im Bundestag beratene Maßnahmepaket zur Stabilisierung des Finanzmarkts zwar aktuelle Zusammenbrüche verhindern können, jedoch nicht gleichbedeutend mit einer grundsätzlichen Stabilisierung und Neuregulierung der Finanzarchitektur sind. Doch der Irrtum liegt darin zu glauben, man könne letzteres den alten Predigern der Deregulierung – siehe Tietmeyer – anvertrauen. Weitere Beispiele:

Da fordert Bundespräsident Horst Köhler die Manager des Bankensektors auf, sich für ihre Gier zu entschuldigen. Dabei haben diese lediglich die politischen Rahmenbedingungen genutzt, an deren Herstellung Köhler selbst an führenden Stellen beteiligt war – als Sherpa der Regierung Kohl bei G7-Gipfeln, als Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes, als Direktor der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung und zuletzt als Geschäftsführender Direktor des IWF. Treffend merkte dazu Attac an, statt Ermahnungen anderer würde Köhler Selbstkritik gut zu Gesicht stehen.

Überhaupt der IWF! Köhlers Verdienst wird gelegentlich in dem unter seiner Leitung begonnenen Streamlining der IWF-Konditionalität gesehen. Aber Streamlining bedeutet eben keine inhaltliche Kehrtwende und schon gar nicht Abschaffung. Und wenn der neue IWF-Direktor Strauss-Kahn jetzt wieder Kredite auf der Basis dieser gestreamlinten Konditionalität anpreist, dann zeigt dies nur, wie sehr in dieser Institution trotz aller Reformrhetorik Business as usual herrscht. Es wäre deshalb angebracht, wenn die alten Prediger von Deregulierung, Liberalisierung und Privatisierung, zu denen im übrigen auch Weltbank-Präsident Robert Zoellick (hier mit seinem Mentor Bush) gehört, jetzt erst einmal ins zweite Glied treten würden, statt sich dreist an die Spitze eines „modernisierten Multilateralismus“ (Zoellick) oder eines Bretton Woods II zu stellen. Denn eine Neue Internationale Finanzarchitektur wird mit dem alten Personal kaum zu machen sein.

13. Oktober 2008

Nach der Panik: Eine weltwirtschaftliche Rolle für die UN?

Wenn sich die Panik an den Börsen und im Finanzsektor insgesamt gelegt haben wird (und so wie es derzeit aussieht, könnten die am Sonntag von den Staatschefs der Eurozone beschlossenen und heute umgesetzten Rettungspläne in dieser Richtung Wirkung entfalten), kommt die entscheidende Phase der aktuellen globalen Finanzkrise – die Phase, in der die Reregulierung der außer Kontrolle geratenen Märkte angegangen werden muss, wenn eine Wiederholung der Malaise in ein paar Jahren vermieden werden soll. Es wird dann um nicht weniger als ein „Neues Bretton Woods“, einen neuen institutionellen Ordnungsrahmen für die Weltwirtschaft, gehen müssen.


Die klügsten Kommentatoren in der etablierten Wirtschaftspublizistik sehen inzwischen sehr genau, wie sehr die globale Finanzkrise von heute eine Art Fernwirkung der rücksichtslosen Deregulierung der Finanzmärkte seit der Reagan- und Thatcher-Ära darstellt und dass die große Herausforderung darin besteht, „welchen Weg nach vorne unsere integrierte Weltwirtschaft danach nehmen wird“, so der Chefökonom der Financial Times, Martin Wolf. Ähnlich schrieben Colin Bradford und Johannes Linn von Brookings kürzlich, „die gegenwärtige Krise enthüllt, wie die Förderung eines unterregulierten Finanzsystems in Kombination mit einem schwachen makroökonomischen Management nach hinten losgeht“.

Nicht alle im internationalen System haben dem Deregulierungswahn gehuldigt oder sich erst in jüngster Zeit eines Besseren besonnen. In ihren Berichten, etwa den World Economic Situation and Prospects oder dem World Economic and Social Survey des UN Departments of Economic and Social Affairs, aber ganz besonders auch im jährlichen Trade and Development Report der UNCTAD, haben die Vereinten Nationen die ganzen 1990er Jahre hindurch ähnliche Analysen vertreten und vor den Folgen des überschießenden Marktfundamentalismus gewarnt. Meistens wurden diese Analysen von den herrschenden Zitierkartellen als Verstöße gegen die „konventionelle Weisheit“ abgetan. Nur wenige Publikationen, darunter nicht zuletzt der Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (siehe zuletzt: >>> W&E-Hintergrund Jan 2008 und W&E 09/2008, sowie >>> Ein New Deal gegen die globale Unsicherheit), haben die Fahne der Vereinten Nationen im Getümmel der weltwirtschaftlichen Debatte hochgehalten.

Jetzt verdienen diese Analysen und die darin enthaltenen Politikvorschläge nicht nur erneute Aufmerksamkeit. Viel wichtiger wäre es, die politische Führungsrolle der Vereinten Nationen bei der Gestaltung eines neuen Rahmenwerks wiederherzustellen – eines institutionellen Rahmens, der konsistent ist mit den Zielen von nachhaltiger Entwicklung und sozialer Gerechtigkeit. In diese Richtung gingen die Redebeiträge der Staats- und Regierungschefs zur Eröffnung der UN-Generalversammlung vor zwei Wochen. Von der Betrauung der Weltbank und des IWF mit einem „modernisierten Multilateralismus“ (Robert Zoellick) wollte da niemand etwas wissen. Und so könnte schon die UN-Konferenz zur Entwicklungsfinanzierung Ende November in Doha der Auftakt zu einer neuen Rolle der UNO auch in weltökonomischen Fragen werden, wenn – ja wenn – der politische Wille der Beteiligten es zulässt.

Nach dem Wochenende der Politiker: Die Reaktion der Märkte

12. Oktober 2008

Der G7-Aktionsplan zur Finanzkrise: Ein Preisrätsel

Die geschätzten Leserinnen und Leser dieses Blogs mögen sich ein wenig Zeit nehmen, um die folgende, entscheidende Passage aus dem Aktionsplan der G7, der vorgestern Abend am Rande der Jahrestagung von IWF und Weltbank vorgestellt und gestern auch vom Internationalen Währungs- und Finanzausschuss des IWF (IMFC) abgesegnet wurde, zu studieren:

„We agree to:
1. Take decisive action and use all available tools to support systemically important financial institutions and prevent their failure.
2. Take all necessary steps to unfreeze credit and money markets and ensure that banks and other financial institutions have broad access to liquidity and funding.
3. Ensure that our banks and other major financial intermediaries, as needed, can raise capital from public as well as private sources, in sufficient amounts to re-establish confidence and permit them to continue lending to households and businesses.
4. Ensure that our respective national deposit insurance and guarantee programs are robust and consistent so that our retail depositors will continue to have confidence in the safety of their deposits.
5. Take action, where appropriate, to restart the secondary markets for mortgages and other securitized assets. Accurate valuation and transparent disclosure of assets and consistent implementation of high quality accounting standards are necessary.”


Und jetzt mögen die geneigten LeserInnen bitte die folgenden Fragen beantworten: Wo sind die „Aktionen“? Wo sind die „entscheidenden Aktionen“? Wie lauten die „notwendigen Schritte“? – Für die eloquentesten Antworten auf diese Fragen gibt es ein Gratisabo des Informationsbriefs Weltwirtschaft & Entwicklung für ein Jahr.

10. Oktober 2008

IWF-Angebot an die Schwellenländer: Nein Danke!

Der Geschäftsführende Direktor des IWF, Dominique Strauss-Kahn, hat in seiner gestrigen Pressekonferenz (>>> Video) viel Richtiges gesagt. Dass die aktuelle Finanzkrise ein globales Phänomen ist, dass sie globales, gemeinsames und kooperatives Handeln erfordert, dass dieses Handeln schnell und entschlossen erfolgen muss, dass jetzt bereits damit begonnen werden muss, die erforderlichen Lehren aus der Krise zu ziehen, dass die herrschende globale Finanzarchitektur kläglich versagt hat und dass eine neue her muss usw. Strauss-Kahns Angebot an die Schwellenländer, im Falle wirtschaftlicher Schwierigkeiten schnell mit Notkrediten zu helfen, mutet freilich mehr als seltsam an.



200 Mrd. US-Dollar könne der Fonds sofort im Rahmen seines 1995 geschaffenen „Emerging Financing Mechanism“ an Krediten zur Verfügung stellen. Weitere Finanzressourcen könnte der IWF bei seinen Mitgliedsländern mobilisieren. Es sind dieselben Instrumente, mit denen der Fonds vor über zehn Jahren den Ländern der Asienkrise zur Seite sprang – doch die damit verbundene Schmach und Erniedrigung ist dort, in Thailand, Indonesien, Südkorea und den Philippinen noch lange nicht vergessen. Und Hausaufgaben dergestalt, dass den Nehmerländern inzwischen mehr Mitbestimmungsrechte eingeräumt werden und die mit den Krediten verbundenen Konditionen grundlegend verändert worden wären, hat der Fonds bis heute nicht gemacht.

Kein Wunder, dass sich die betroffenen Länder lieber auf sich selbst verlassen. So hat Südkorea dieser Tage vorgeschlagen, einen Asiatischen Währungsfonds (AWF) zu gründen, der den Mitgliedsländern im Notfall zu Hilfe eilt – ein Vorschlag, der in der Asienkrise keine Chance hatte, heute aber schon, da die Finanzsysteme der Industrieländer selbst im Strudeln sind. Mitglieder werden sollen Japan, China, Südkorea und die ASEAN-Länder. Die Ausstattung des AWF soll 80 Mrd. Dollar betragen und aus den Währungsreserven kommen, die die Mitgliedsländer nach der Asienkrise zum Schutz vor spekulativen Attacken akkumuliert haben. Schon bei der jetzt beginnenden Jahrestagung von IWF und Weltbank in Washington wollen die asiatischen Finanzminister über den südkoreanischen Vorschlag intensive Konsultationen führen. Und so konnte es gut sein, dass in Washington die wichtigeren Weichenstellungen außerhalb der offiziellen Gremien der IFIs erfolgen. Im Trend läge das.

9. Oktober 2008

7. Oktober 2008

Hilfloser, kastrierter Internationaler Währungsfonds

In dieser Woche beginnen sie wieder, die Jahrestreffen von IWF und Weltbank. Und insbesondere für den IWF wäre dies eine vortreffliche Gelegenheit, seine Unverzichtbarkeit in der aktuellen globalen Finanzkrise unter Beweis zu stellen. Doch diese Krise hat längst Dimensionen erreicht, die die ganze Hilflosigkeit des IWF bloßlegen. Der Fonds – zumal unter seinem neuen Direktor Dominique Strauss-Kahn – würde liebend gern eine größere Rolle im Krisenmanagement des globalen Finanzsystems spielen; allein es fehlen ihm die Mittel und die Kompetenzen. Dabei ist er noch nicht einmal selbst daran schuld. Es sind die Mitgliedsländer, und zwar vor allem die finanzstärksten, die ihn von Anfang an an die kurze Leine legten.

Bereits der Gründungsakt nach der Konferenz von Bretton Woods 1944 brachte einen kastrierten Fonds zur Welt, dessen finanzielle Interventionsmasse weit unter den Wünschen etwa eines John Maynard Keynes blieb. Als später mit den Sonderziehungsrechten (SZR) ein Kunstgeld nach Art des von Keynes geforderten Bancor geschaffen wurde, war auch dies nur ein verschwindender Bruchteil der weltweit pro Jahr geschaffenen volkswirtschaftlichen Werte. Die derzeitigen finanziellen Gesamtreserven nehmen sich mit rund 360 Mrd. US-Dollar gegenüber einem Rettungspaket von 700 Mrd. US-Dollar allein der USA geradezu bescheiden aus. Die Interventionsmacht des IWF reichte immer nur, um gegenüber den schwächeren Mitgliedsländern den Interessen der Industrieländer Nachdruck zu verleihen, wie zuletzt in der Asienkrise vor gut zehn Jahren. Heute ist auch dies vorbei. Und die derzeitige globale Krise hat bekanntlich ihr Zentrum im Herzen des globalen Kapitalismus, in den USA, Großbritannien und Kontinental-Westeuropa.

Diesen kapitalistischen Zentren würde eine globale Aufsichtsinstanz gut tun, die das durchsetzen könnte, was manche jetzt wieder die zivilisatorische Zügelung des Kapitalismus nennen. Doch genau hier hapert es. Wie das Agieren der wichtigsten Regierungen der OECD-Länder im Krisenmanagement zeigt, sind die wenigen Ansätze zum gemeinsamen Handeln dabei, dem Prinzip des nationalen Alleingangs – einer Art Wettlauf um die Rettung des jeweils nationalen Bankensystems – geopfert zu werden. Keine dieser Regierungen ist derzeit bereit, wirtschafts- und finanzpolitische Souveränität an eine supranationale Institution wie den IWF abzugeben. Selbst im Rahmen der EU wird zwar gemeinsam geredet, aber getrennt gehandelt. – Und doch hat Strauss-Kahn recht, wenn er sagt, eine globale Krise systemischen Charakters brauche globales Handeln im Rahmen globaler Institutionen. Aber um dies zu erreichen, bedarf es wohl zunächst noch schmerzlicherer Krisenerfahrungen und eines weiteren, eines neuen Bretton Woods, das endlich politische Schlussfolgerungen aus unserer modernen Welt global vernetzter Kapital-, Finanz- und Warenmärkte zieht.

3. Oktober 2008

Kein Bailout für die Armen

„Bailout people – not banks!“ heißt ein beliebter Slogan in den USA und anderswo. Während zur Rettung der angeschlagenen Banken vergleichsweise mühelos drei- bis vierstellige Milliardenbeiträge mobilisiert werden, kann von Rettungsplänen für die Armen allerdings keine Rede sein. Beim Notstandsgipfel der Vereinten Nationen zur Umsetzung der Millennium-Entwicklungsziele (MDGs) am 25. September in New York konnte UN-Generalsekretär Ban Ki-moon gerade mal 16 Mrd. US-Dollar an „neuen Zusagen“ für den Kampf gegen die weltweite Armut bekanntgeben. Darunter sind 1,6 Mrd. Dollar für die Förderung der Ernährungssicherheit, über 4,5 Mrd. für Bildung und Erziehung sowie 3 Mrd. zur Ausrottung der Malaria (wobei letztere zum überwiegenden Teil von privaten Gebern wie der Gates-Stiftung aufgebracht werden).


Diese Ankündigungen haben den Rockstar Bono in Verzücken versetzt (s. Video). Sie bleiben aber weit unter den 2005 auf dem G8-Gipfel in Gleneagles gemachten Versprechungen und erst recht unter dem, was internationale NGOs für notwendig erachten, um die MDGs zu erfüllen. So forderte Oxfam vor dem Notstandsgipfel 150 Mrd. US-Dollar an zusätzlicher Entwicklungshilfe pro Jahr. Und das ist nicht einmal das Doppelte dessen, was allein für die Rettung des Versicherungskonzerns AIG ausgegeben wurde (85 Mrd. Dollar). Bei alledem ist noch nicht einmal sicher, ob es sich bei den 16 Mrd. Dollar tatsächlich um neue Zusagen handelt oder lediglich um die Bekräftigung alter, aber bislang nicht eingelöster Versprechen. Aus einer am Rande des New Yorker Gipfels kursierenden Liste geht ebenfalls hervor, dass sich die „Zusagen“ auf ganz verschiedene Zeiträume beziehen, also teilweise über mehrere Jahre hinweg bereitgestellt werden sollen.

Kein Wunder, dass Ban Ki-moon bereits für 2010 den nächsten Review-Gipfel in Sachen MDGs angekündigt hat. Zunächst aber muss die für Ende November anstehende 2. UN-Konferenz zur Entwicklungsfinanzierung (FfD) in Doha/Katar besser vorbereitet werden. Wenn dabei mehr herauskommen soll als bei dem MDG-Gipfel in New York, sind erhebliche konzertierte Anstrengungen unerlässlich. Wie Jens Martens in seinem Leitartikel für W&E 10/2008 (s. Abb.) schreibt, wirkt bereits der derzeit vorliegende Entwurf für die Abschlusserklärung wie der „laue Kompromiss eines monatelangen Aushandlungsprozesses und nicht wie sein Ausgangspunkt“. Zum Doha-Vorbereitungsprozess und den zentralen Themen der Konferenz haben wir ein Doha-Paket (Motto: Kein Bailout für die Armen!) geschnürt – vielleicht ein kleiner Beitrag dazu, die Krise der MDGs doch noch zu überwunden.