G20-Gipfel: Konflikte statt konzertierter Aktionen
Gestern hat mich Martin Ling
von der Tageszeitung Neues Deutschland (ND) angesichts des heute in Buenos
Aires beginnenden Gipfels zu den Perspektiven der G20 interviewt. Hier ist das
Interview:
ND: Mit dem
Austragungsort Buenos Aires findet 2018 zum ersten Mal ein G20-Gipfel auf dem
südamerikanischen Subkontinent statt – zehn Jahre nach dem Beginn der
Finanzkrise und zehn Jahre nach Gründung der G20 auf Gipfelebene. 2008 hieß es,
ohne die Schwellenländer – allen voran China – sei keine Neuordnung der Finanz-
und Weltwirtschaft mehr möglich. Der Londoner G20-Gipfel im April 2009 war der
erste Ausdruck davon. Wie wichtig sind die G20-Gipfel inzwischen?
RF: Im Vergleich zu den G7 bringen die G20-Staaten
selbstverständlich mehr wirtschaftliches Gewicht auf die Waagschale. Die Frage
der demokratischen Legitimation stellt sich bei den G20 freilich ebenso,
angesichts der Tatsache, dass die Mehrheit der Staaten dieser Welt bei G20
ausgeschlossen bleiben. Und hinzu kommt die Frage: was liefern die G20
überhaupt noch? Sie haben sich ja selbst definiert als erstes Forum der
globalen wirtschaftspolitischen Koordinierung, aber wenn man sich einzelne
Punkte anguckt, dann finden Koordinierung und Zusammenarbeit kaum noch
statt.
Können Sie Beispiele nennen?
Gerne. Da wären die Finanzmarktreformen, da wurde zwar
einiges gemacht im Bereich der Reregulierung, beispielsweise bei den
Vorschriften zur Pufferbildung und Rücklagenbildung der Banken. Aber viele
Probleme sind noch ungelöst, beispielsweise das »Too Big to Fail«-Problem, mit
dem Banken von bestimmter Größe für systemrelevant erklärt wurden, was die G20
vorgaben, ändern zu wollen. Heute haben die Banken mehr wirtschaftliche und
politische Macht als vor der Finanzkrise. Hinzu kommt der sogenannte
Schattenbanksektor. Schattenbanken tätigen ähnliche Finanzgeschäfte wie Banken,
aber unberührt von jeglicher staatlicher Kontrolle.
Der damalige
Finanzminister Peer Steinbrück gab vor dem Londoner G20-Gipfel 2009 die Devise
aus, dass künftig »kein Markt, kein Produkt, kein Akteur« mehr ohne Aufsicht
sein dürfte. Hat nicht ganz geklappt, oder?
Überhaupt nicht! Das Beispiel der nicht regulierten
Schattenbanken zeigt ja, dass es bislang keine umfassende Regulierung in diesem
Steinbrückschen Sinne gegeben hat.
Die G20-Staaten
wollten auch den Welthandel regulieren...
In der Tat gaben die G20 nach der Finanzkrise ein großes
Versprechen ab, nämlich den Protektionismus zu bekämpfen. Inzwischen zeichnet
sich für Buenos Aires aber ab, dass das Abschlusskommuniqué das Wort
Protektionismus, geschweige denn den Kampf dagegen, überhaupt nicht mehr
enthalten wird.
Der G20-Gipfel wird
durch die tiefe Krise des Gastgeberlandes Argentinien überschattet. Die Währung
Peso ist im Sturzflug, die Zentralbank hat die Leitzinsen auf 60 Prozent
erhöht, in der Hoffnung, so der hohen Inflation von rund 40 Prozent und vor
allem der Kapitalflucht in den Dollar Herr zu werden. Aber auch die Türkei, Brasilien
und andere Schwellenländer kämpfen mit ähnlichen Problemen. Steht nach der in
den USA eingeleiteten Zinswende eine neue Krise der Schwellenländer bevor?
Ja. Was wir am Beispiel der Türkei oder Argentiniens sehen,
ist nur die Spitze. Wenn die Zinssteigerungen in den USA weitergehen, dann wird
das Kapital weiter aus den Schwellenländern fliehen und in dem »sicheren Hafen«
namens USA Zuflucht suchen. Dazu kommt, dass sich mit diesen Zinssteigerungen
der Schuldendienst dieser Länder erhöht, und da die Schulden der meisten
Schwellenländer in Dollar denominiert sind, kann die Situation in naher Zukunft
schnell zum offenen Ausbruch von Schuldenkrisen in einer ganzen Reihe von
Ländern führen.
Neben der
argentinischen Krise überschattet der Handelskonflikt USA/China den Gipfel.
China präsentiert sich als Verteidiger des regelbasierten Welthandelssystems
und der Globalisierung, die USA setzen auf Neuverhandlungen wie beim
nordamerikanischen Handelsabkommen (NAFTA) und Protektionismus via Zollschutz gegen
China, aber auch die Europäische Union. Ist beim G20-Gipfel eine Annäherung zu
erwarten oder eine Verschärfung der Konfrontation?
Im Moment sieht es danach aus, dass sich die Konfrontation
verschärfen wird. Die USA haben ja bereits eine neue Runde von Strafzöllen
angekündigt gegen China. Wobei ein wichtiger Punkt darin besteht, dass es nicht
nur um das Handelsbilanzdefizit der USA an sich geht. Denn daran gemessen haben
die USA den Handelskrieg mit China bereits verloren. Das US-Handelsbilanzdefizit
ist seit der Verhängung von Strafzöllen durch Trump noch größer geworden. Das
hat einen simplen Grund: Solange die US-Konjunktur brummt wie im Moment, wird
die Nachfrage nach Importen weiter steigen und diese Importe haben sich durch
die US-Zölle verteuert. Letztlich zahlen die Konsumenten den Preis dafür.
Hinzu kommt, dass die USA die Handelspolitik
instrumentalisieren, um China um seine wirtschaftlichen Entwicklungserfolge zu
bringen und den Konkurrenten auf frühere Stufen der Entwicklung zurückzudrängen.
Deswegen immer neue Forderungen der USA im Bereich der Patentrechte, der
Direktinvestitionen oder der Eigentumsrechte für Ausländer in China. Doch die
Chinesen lassen sich das nicht gefallen.
Die USA argumentieren
mit der »Gefährdung der nationalen Sicherheit«, wenn sie Zölle erheben. Das ist
laut den Statuten der Welthandelsordnung (WTO) erlaubt. Ist dagegen ein Kraut
gewachsen oder droht der globale Handelskrieg?
Ich fürchte, dass so lange Trump an der Macht ist und seine
Agenda ziemlich unbehelligt umsetzt, wird dagegen kein Kraut wachsen oder
gezüchtet werden können. Man sollte zudem nicht übersehen, dass Trump nicht völlig
allein steht: Die USA sind nicht das einzige Land innerhalb der G20, das eine
»My Country first«-Politik betreibt, sprich die Interessen des eigenen Landes
einseitig durchzudrücken versucht. Trump hat wichtige Bündnispartner innerhalb
der G20 in letzter Zeit bekommen – siehe die neue italienische Rechtsregierung
oder siehe den unerhörten Wahlsieg des rechtsradikalen Jair Bolsonaro in
Brasilien, die regelrechte Trump-Fans sind. Wenn immer mehr Länder dazu
übergehen, eine »My Country first«-Politik zu verfolgen, dann wird der Anspruch
der G20, wirtschaftspolitische Koordinierung und Zusammenarbeit zu betreiben
und zu fördern, letztlich ad absurdum geführt. Deswegen hat jüngst auch eine
Gruppe von Wissenschaftlern aus den Think20 gefordert, dass man aufhören solle,
von der G20 als erstes wirtschaftspolitisches Koordinierungsforum zu sprechen,
wenn sie so wenig liefert.
Die offiziellen
Themen auf der Agenda sind die Zukunft der Arbeit, Infrastruktur für
Entwicklung und die Auflegung eines Fonds für Ernährungssicherung, zudem wollen
einige Staaten dringlich über die Regulierung von Kryptowährungen beraten. Nach
konzertiertem Angehen globaler Probleme klingt das nicht, oder?
Nein. Es ist inzwischen leider Usus geworden, dass jedes
Gastgeberland der an sich schon verlängerten Agenda der G20 weitere Themen
hinzufügt, die in seinem eigenen Interesse liegen. Bei Argentinien ist es die
Agrarfrage, die selbstverständlich mit dem starken Gewicht der Agroindustrie in
der argentinischen Ökonomie zusammenhängt. Was die Infrastrukturmaßnahmen
betrifft, so ist es besonders fatal, dass Argentinien vorgeschlagen hat,
Infrastrukturinvestitionen zu einer sogenannten Anlageklasse zu machen. Das
bedeutet sozusagen, Infrastrukturinvestitionen für privates Kapital profitabel
zu machen. Wie weit das gelingt, das muss man abwarten. Bisher sind die
diesbezüglichen Anstrengungen jedenfalls nicht sehr erfolgreich. Aber fest steht,
wogegen es ganz bestimmt gerichtet ist: Das sind die Interessen der allgemeinen
Daseinsvorsorge und die Sorge für die Global Commons, also die Globalen
öffentlichen Güter, wie saubere und intakte Umwelt, aber auch stabile
Finanzmärkte.
Fazit:
Problemlösungen sind beim G20-Gipfel eher nicht zu erwarten, stattdessen muss
man mit verschärften Konflikten im kommenden Jahr rechnen, also keine
Eindämmung von Handelskonflikten und Schwellenländerkrise?