16. Oktober 2017

Jubel und Angst: Gemischte Stimmung beim IWF in Washington DC

Ein konjunktureller Optimismus, über den sich Schleier der Unsicherheit und Furcht legen – so etwa könnte man das Stimmungsgemisch auf der offiziellen Jahrestagung der Bretton-Woods-Zwillinge beschreiben, die am Wochenende zu Ende ging. Der neue World Economic Outlook (WEO) mit seinem Titel „Seeking Sustainable Growth: Short-Term Recovery, Long-Term Challenges” bildet die Stimmung recht gut ab. Auf der einen Seite kommt schon fast Jubel auf angesichts der angehobenen Prognosen für die Weltwirtschaft, die für 2017 und 2018 ein globales Wachstum von 3,6% bzw. 3,7% voraussagen – deutlich mehr als die enttäuschenden 3,2% in 2016 – der niedrigsten Rate seit der großen Finanzkrise von 2008. Auf der anderen Seite mahnt der Berichts des Fonds die weitere Verbesserung der Finanzregulierung (ungeachtet von Gerüchten, dass er der von Trump geplanten Deregulierungsorgie nichts entgegensetzen wird) und des finanziellen Sicherheitsnetzes an, fordert die Bekämpfung der internationalen Steuervermeidung, des Hungers, der Infektionskrankheiten und des Klimawandels. Alles dies weist auf die anhaltenden mittel- und langfristigen Risiken hin, ganz zu schweigen von dem langen politischen Schatten, der sich mit Trump, dem Brexit und dem allenthalben anschwellenden Rechtspopulismus über die Weltwirtschaft gelegt hat. Dies ist wahrlich eine Zeit höchster Unsicherheit.


So bemerkenswert für den IWF-Chefökonomen und Lead-Autoren des WEO Maurice Obstfeld die Beschleunigung der Weltkonjunktur ist, so bemerkenswert ist, dass er die Erholung für unvollständig hält, auch innerhalb der Industrieländer. So kritisiert der Fonds, dass das nominale und reale Lohnwachstum niedrig bleibt. „Diese Lohnschwäche“, so Obstfeld, „folgt auf viele Jahre, während der die mittleren Realeinkommen viel langsamer als die Spitzeneinkommen gewachsen sind oder sogar stagniert haben… Die resultierende hohe Einkommens- und Vermögensungleichheit trug dazu bei, die politische Unzufriedenheit zu befeuern und die Skepsis über die Gewinne aus der Globalisierung zu schüren und setzt damit auch die Erholung aufs Spiel.“

Doch was tut der IWF in der Praxis? Am schwächsten ist er immer noch in der Fiskalpolitik. Hier finden sich nur zweideutige Formulierungen, dass einerseits die „Konsolidierung“ der Haushalte fortgesetzt werden soll, „wo möglich“ aber auch fiskalischer Spielraum für Investitionen genutzt werden sollte. Die Fiskalpolitik sollte zudem mit den berühmten „Strukturreformen“ verknüpft werden – im Klartext: Die meisten Regierungen sollten Ausgaben kürzen und das Budget drücken, um die Verschuldung zu reduzieren. Und die „Strukturreformen“ des IWF unterstützen in der Praxis zumeist auch die „Reform“ der Arbeitsgesetze im Sinne des Abbaus gewerkschaftlicher Verhandlungsmacht, Kürzungen im Gesundheitswesen und im Rentensystem sowie die Reduzierung öffentlicher Beschäftigung.

Alles dies klingt nicht gerade nach „nachhaltigem Wachstum“, wie seit einiger Zeit die beschönigende Sprachregelung bei IWF/Weltbank lautet, die auch den WEO-Titel schmückt. Dabei müsste zunächst einmal geklärt werden, ob das Mantra Wachstum so ohne weiteres nachhaltig gemacht werden kann, ohne die Systemgrundlagen anzugreifen. (Dazu findet sich ein bemerkenswerter Aufsatz von Jason Hickel in der letzten Ausgabe der Internet-Zeitschrift IPG der Friedrich-Ebert-Stiftung.) Aber davon liest man natürlich nichts in einem World Economic Outlook. Und dies ist auch nicht das, was das in Washington zweimal pro Jahr versammelte Finanzestablishment umtreibt. Immerhin gibt es einige, denen die Risiken am Horizont nicht verborgen bleiben (>>> W&E 08-09/2017).

Keine Kommentare: