29. Oktober 2017

Umstrittener UN-Vertrag zu Multinationalen Konzernen

Auf einer UN-Konferenz in der vergangenen Woche in Genf haben die Vertreter der Wirtschaft Fortschritte zu einem UN-Vertrag blockiert, der die internationalen Operationen Multinationaler Konzerne (MNK) verbindlichen Rechtsgrundsätzen unterwerden könnte. Das Treffen war vom UN-Büro für Menschenrechte organisiert worden, um die Details des vorgeschlagenen „internationalen Instruments zur Regulierung der Aktivitäten Transnationaler Konzerne und anderer Wirtschaftsunternehmen nach dem internationalen Menschenrechtsbestimmungen“ weiter auszuarbeiten.

Die Vertreter der Internationalen Handelskammer und der Internationalen Organisation der Arbeitnehmer lehnen letztlich sogar die bloße Idee eines rechtlich bindenden Instruments ab. Für den Internationalen Gewerkschaftsbund (IGB) hingegen wäre ein UN-Vertrag mit internationaler Durchsetzungskraft „ein großer Schritt vorwärts in dem Bemühen der Regierungen, die MNK rechtlicher Verantwortlung zu unterstellen“, so IGB-Generalsekretärin Sharan Burrow. Sie verwies darauf, dass ein solcher Vertrag auf nationalen Beispielen wie dem Compact der Niederlande und dem Vigilance Law Frankreichs aufbauen und einen Beitrag zur Beseitigung des Missbrauchs und der Ausbeutung von Arbeitern leisten könnte.

Die Multimilliarden schwere Industrie mit ihrer freiwilligen „sozialen Unternehmensverantwortung“ ('corporate social responsibility') habe bislang für die Millionen und Abermillionen ArbeiterInnen in den globalen Lieferketten nichts gebracht. „Das globale Lieferkettenmodell ist durch ungesunde und unsichere Arbeit gekennzeichnet, und während die Multinationalen Konzerne von allen möglichen Formen des rechtlichen Schutzes profitieren, lehnen es zu viele von ihnen ab, sich selbst der rechtlichen Verantwortung zu unterstellen, vor allem für diejenigen, deren Arbeit die Profite schafft, die sie machen“, so Burrow.

Die Konferenzserie unter dem UN-Menschenrechtsorgan ist ein Versuch, die jahrzehntelange Debatte um die Kontrolle von MNK neu zu beleben, nachdem ähnliche Versuche wie ein UN-Verhaltenskodex seit Anfang der 1990er Jahre unter die Räder der neoliberalen Offensive geraten waren. Eine ausführliche Stellungnahme des IGB und des Internationalen Transportarbeiterbundes zu dem neuen Vertragsentwurf findet sich >>> hier.

19. Oktober 2017

Geistiges Eigentum contra oder pro Entwicklung?

Gastblog von Joseph E. Stiglitz, Dean Baker und Arjun Jayadev


Es gab während der vergangenen zwei Jahrzehnte erheblichen Widerstand aus den Entwicklungsländern gegen das derzeitige Regelwerk zum geistigen Eigentum. Dies ist primär auf Versuche der reichen Länder zurückzuführen, der Welt ein Einheitsmodell aufzuzwingen, indem sie den Rechtssetzungsprozess der Welthandelsorganisation (WTO) beeinflussten und anderen über Handelsabkommen ihren Willen aufzwangen.

Die von den hochentwickelten Ländern bevorzugten Normen in Bezug auf geistiges Eigentum sind in der Regel nicht darauf ausgelegt, Innovation und wissenschaftlichen Fortschritt im größtmöglichen Maße zu fördern, sondern sollen die Gewinne der großen Pharmakonzerne und anderer, die imstande sind, die Handelsverhandlungen zu beeinflussen, maximieren. Es überrascht daher nicht, dass große Entwicklungsländer mit starker industrieller Basis – wie Südafrika, Indien und Brasilien – den Gegenangriff anführen.

Diese Länder nehmen dabei vor allem die offensichtlichste Manifestierung der Ungerechtigkeit des aktuellen Systems ins Visier: die Zugriffsmöglichkeit auf lebenswichtige Medikamente. In Indien schuf 2005 eine Gesetzesnovelle einen einzigartigen Mechanismus, um das Gleichgewicht wiederherzustellen, wieder für Fairness bei den Patentierungsrichtlinien zu sorgen und so den Zugriff auf Medikamente zu gewährleisten. Das Gesetz wurde in mehreren nationalen und internationalen Gerichtsverfahren als WTO-konform eingestuft. In Brasilien führten frühzeitige Maßnahmen der Regierung zur Behandlung von Menschen mit HIV/AIDS mehrfach zu erfolgreichen Verhandlungen, durch die die Preise beträchtlich gesenkt wurden.

Diese Länder haben jedes Recht, Widerstand gegen ein System zu leisten, das weder gerecht noch effizient ist. Wir haben in einem neuen Paper (s. Hinweis) die Argumente zur Rolle des geistigen Eigentums im Prozess der Entwicklung überprüft. Wir haben gezeigt, dass die theoretischen und empirischen Belege überwiegend darauf hindeuten, dass die wirtschaftlichen Institutionen und Gesetze zum Schutze von Wissen in den hochentwickelten Ländern zunehmend unzureichend sind, um die globale Wirtschaftsaktivität zu regeln, und dass sie schlecht geeignet sind, um die Bedürfnisse der Entwicklungsländer und Schwellenmärkte zu erfüllen. Tatsächlich sind sie der Erfüllung grundlegender menschlicher Bedürfnisse wie einer angemessenen Gesundheitsversorgung abträglich.

Das zentrale Problem ist, dass Wissen ein (globales) öffentliches Gut ist, und zwar sowohl in dem technischen Sinne, dass die Grenzkosten für jemanden, der es verwendet, null sind, und in dem allgemeineren Sinne, dass eine Ausweitung des Wissens das Wohl der Menschen weltweit steigert. Angesichts dieser Tatsache besteht die Befürchtung, dass der Markt nicht genug Wissen zur Verfügung stellt und dass keine ausreichenden Anreize zur Forschung gesetzt werden…

… der vollständige Kommentar findet sich >>> hier. Das zitierte Paper („Innovation, Intellectual Property, and Development. A Better Set of Approaches for the 21st Century”) steht >>> hier zum Download bereit.

16. Oktober 2017

Jubel und Angst: Gemischte Stimmung beim IWF in Washington DC

Ein konjunktureller Optimismus, über den sich Schleier der Unsicherheit und Furcht legen – so etwa könnte man das Stimmungsgemisch auf der offiziellen Jahrestagung der Bretton-Woods-Zwillinge beschreiben, die am Wochenende zu Ende ging. Der neue World Economic Outlook (WEO) mit seinem Titel „Seeking Sustainable Growth: Short-Term Recovery, Long-Term Challenges” bildet die Stimmung recht gut ab. Auf der einen Seite kommt schon fast Jubel auf angesichts der angehobenen Prognosen für die Weltwirtschaft, die für 2017 und 2018 ein globales Wachstum von 3,6% bzw. 3,7% voraussagen – deutlich mehr als die enttäuschenden 3,2% in 2016 – der niedrigsten Rate seit der großen Finanzkrise von 2008. Auf der anderen Seite mahnt der Berichts des Fonds die weitere Verbesserung der Finanzregulierung (ungeachtet von Gerüchten, dass er der von Trump geplanten Deregulierungsorgie nichts entgegensetzen wird) und des finanziellen Sicherheitsnetzes an, fordert die Bekämpfung der internationalen Steuervermeidung, des Hungers, der Infektionskrankheiten und des Klimawandels. Alles dies weist auf die anhaltenden mittel- und langfristigen Risiken hin, ganz zu schweigen von dem langen politischen Schatten, der sich mit Trump, dem Brexit und dem allenthalben anschwellenden Rechtspopulismus über die Weltwirtschaft gelegt hat. Dies ist wahrlich eine Zeit höchster Unsicherheit.


So bemerkenswert für den IWF-Chefökonomen und Lead-Autoren des WEO Maurice Obstfeld die Beschleunigung der Weltkonjunktur ist, so bemerkenswert ist, dass er die Erholung für unvollständig hält, auch innerhalb der Industrieländer. So kritisiert der Fonds, dass das nominale und reale Lohnwachstum niedrig bleibt. „Diese Lohnschwäche“, so Obstfeld, „folgt auf viele Jahre, während der die mittleren Realeinkommen viel langsamer als die Spitzeneinkommen gewachsen sind oder sogar stagniert haben… Die resultierende hohe Einkommens- und Vermögensungleichheit trug dazu bei, die politische Unzufriedenheit zu befeuern und die Skepsis über die Gewinne aus der Globalisierung zu schüren und setzt damit auch die Erholung aufs Spiel.“

Doch was tut der IWF in der Praxis? Am schwächsten ist er immer noch in der Fiskalpolitik. Hier finden sich nur zweideutige Formulierungen, dass einerseits die „Konsolidierung“ der Haushalte fortgesetzt werden soll, „wo möglich“ aber auch fiskalischer Spielraum für Investitionen genutzt werden sollte. Die Fiskalpolitik sollte zudem mit den berühmten „Strukturreformen“ verknüpft werden – im Klartext: Die meisten Regierungen sollten Ausgaben kürzen und das Budget drücken, um die Verschuldung zu reduzieren. Und die „Strukturreformen“ des IWF unterstützen in der Praxis zumeist auch die „Reform“ der Arbeitsgesetze im Sinne des Abbaus gewerkschaftlicher Verhandlungsmacht, Kürzungen im Gesundheitswesen und im Rentensystem sowie die Reduzierung öffentlicher Beschäftigung.

Alles dies klingt nicht gerade nach „nachhaltigem Wachstum“, wie seit einiger Zeit die beschönigende Sprachregelung bei IWF/Weltbank lautet, die auch den WEO-Titel schmückt. Dabei müsste zunächst einmal geklärt werden, ob das Mantra Wachstum so ohne weiteres nachhaltig gemacht werden kann, ohne die Systemgrundlagen anzugreifen. (Dazu findet sich ein bemerkenswerter Aufsatz von Jason Hickel in der letzten Ausgabe der Internet-Zeitschrift IPG der Friedrich-Ebert-Stiftung.) Aber davon liest man natürlich nichts in einem World Economic Outlook. Und dies ist auch nicht das, was das in Washington zweimal pro Jahr versammelte Finanzestablishment umtreibt. Immerhin gibt es einige, denen die Risiken am Horizont nicht verborgen bleiben (>>> W&E 08-09/2017).

13. Oktober 2017

PPP-Richtlinien der Weltbank vor der Revision

Noch vor dem offiziellen Beginn der Jahrestagung verzeichnete die Zivilgesellschaft einen bemerkenswerten Erfolg. Bei einem Treffen mit CSOs kündigten Weltbank-Mitarbeiter einen Prozess an, in dem die Richtlinien der Weltbank für Public-Private-Partnerships (PPPs) noch einmal revidiert werden sollen. Damit öffnet die Bank endlich die Tür für dringend notwendige Korrekturen. Bei einem Treffen vor zwei Wochen hatte sie noch jegliche Änderungen strikt ausgeschlossen.


Die Weltbank hat umfangreiche Richtlinienfür PPPs entwickelt, die weltweit zur Anwendung kommen sollten. Ihre Bedeutung ist kaum zu überschätzen: Gemäß dem von den G20 vereinbarten "Kaskadenmodell" sollen PPPs dabei stets vorrangig zum Einsatz kommen, bevor öffentliche Entwicklungsgelder fließen. Beim "Compact with Africa" der G20 wird die Anzahl der PPPs und die Verwendung dieser Weltbank-Richtlinien für PPPs sogar zum Kriterium erhoben, ob die Partnerländer die Anforderungen des Compact erfüllen. Die Bundesregierung treibt den Compact weiterhin im G20-Rahmen entschlossen voran.

Diese PPP-Richtlinien wurden von der auf Investitionsschutz spezialisierten Rechtsanwaltskanzlei Foley Hoag LLP im Auftrag des Washingtoner Büros der Heinrich-Böll-Stiftung analysiert. Dabei fanden die Anwälte heraus, dass die Richtlinien sehr unausgewogen zugunsten der Investoren die staatlichen Regulierungsrechte beschränken und dabei die in der Schiedsgerichts-Rechtsprechung entwickelte internationale Rechtspraxis ignorieren. Risiken werden so dem Staat aufgebürdet, während Gewinne privatisiert werden. Zukünftige Gesetzgebung zugunsten des Gemeinwohls - etwa im Klimaschutz - kann so Schadensersatzforderungen nach sich ziehen. Damit entstehen nicht zuletzt auch fiskalische Risiken für die betroffenen Länder - erinnert sei an die Debatte um die Autobahn-PPPs in Deutschland (die zentralen Ergebnisse der Foley-Hoag-Analyse finden sich >>> hier und in einer kommentierten Version  >>> hier).

Durch eine breite Koalition von Think Tanks und zivilgesellschaftlichen Organisationen ist es nun gelungen, so viel Druck zu entwickeln, dass die Weltbank nun einen Revisionsprozess angekündigt hat. Den weltweiten "Rollout"der Richtlinien will die Bank zwar nicht anhalten - er soll am 2.-3. November mit einem Roundtable in Kapstadt beginnen. Weitere sind nächstes Jahr geplant - doch kann nun stets darauf verwiesen werden, dass diese Richtlinien nicht einsatzreif sind.

10. Oktober 2017

Vor der Jahrestagung von IWF und Weltbank: Gespaltene Erwartungen

Wie in jedem Jahr um diese Zeit wirft die Jahrestagung von IWF und Weltbank, die vom 13.-15. Oktober in Washington tagt, ihre Schatten voraus. Während sich der offizielle Diskurs wie üblich um die aktuellen Konjunkturzahlen und längerfristige weltwirtschaftliche Risiken bewegt („Short-Term Recovery, Long-Term Challenges“ lautet der Untertitel des neuen World Economic Outlook, der heute veröffentlicht wird), bewegen die NGOs ganz andere Sorgen. Auf dem traditionellen Civil Society Policy Forum im Vorfeld und parallel zu den offiziellen Meetings geht es vor allem um die Schwächung fundamentaler Schutzstandards, klimaschädliche Kredite sowie problematische Partnerschaften mit der Privatwirtschaft.

Nach über vier Jahren hat die Weltbank im August 2016 ihre sog. “Safeguard Review” beendet. Das Ergebnis ist ein völlig neues Regelwerk zum Umgang mit Umwelt- und Sozialrisiken in Weltbank-Projekten. Die neuen Standards sollen frühestens Anfang 2018 zur Anwendung kommen. Noch immer fehlen entscheidende Details dazu, wie genau sie umgesetzt werden. Die neuen Standards verabschieden sich weitgehend von Verbindlichkeit und lassen den Nehmerländern der Weltbank großen Freiraum, was die Einhaltung von Schutzstandards für die Umwelt und betroffene Menschen angeht. Dies halten NGOs für hochriskant, insbesondere wegen der wachsenden Bedrohung zivilgesellschaftlicher Organisationen in vielen Staaten, die wichtige Kunden der Weltbank sind.

Weltbank-Präsident Jim Yong Kim, auf den die NGOs wegen dessen Vergangenheit als Arzt vor Ort einige Hoffnungen gesetzt hatten, hat in der Vergangenheit immer wieder den Klimaschutzauftrag seiner Bank betont, unter anderem beim Start des Climate Action Plan im April 2016. Gleichzeitig investiert die Weltbank jedoch große Teile ihres Kapitals in Programme, die nicht konsequenten Umweltstandards folgen und das Klima durch Kraftwerke und Entwaldung schädigen. Dies geschieht unter dem Titel „Development Policy Finance“ (DPF). Darüber hat die Bank allein im Zeitraum 2012 bis 2015 zwischen 30 und 50% ihres Kreditvolumens vergeben. Bei DPF geht es etwa um Projekte in den Bereichen Wald-Management, Energie und Bergbau. Laut Untersuchungen des bankinternen Prüfmechanismus IEG kann die Weltbank die Überwachung der Projektfolgen dabei nicht sicherstellen. Dies schwächt neben dem Climate Action Plan auch den Forest Action Plan der Weltbank.

Mehrere NGOs haben Anfang des Jahres DPF-Projekte in Ägypten, Indonesien, Mosambik und Peru untersucht. Demnach wurden mithilfe der Weltbank-Gelder neue Subventionen für fossile Energieträger wie Kohle ermöglicht, wobei Anreize für erneuerbare Energien fehlten. In einer aktuellen Kampagne wollen die Organisationen Climate Action Network (CAN) und Christian Aid zusammen mit urgewald und vielen weiteren Partnern globale Entwicklungsbanken zu einem Finanzierungsstopp für fossile Energieträger drängen.

Die Weltbank-Tochter für Projekte mit Partnern in der Privatwirtschaft, International Finance Corporation (IFC) vergibt einen Großteil ihrer Gelder über sog. Finanzintermediäre wie Banken oder Fonds. Hier fehlt es an Transparenz und Kontrolle. Immer wieder werden Projekte finanziert, die zu mehr Leid und Not führen, statt Entwicklung zu ermöglichen. Wie gravierend das Problem ist, belegen mehrere Studien der urgewald-Partnerorganisation Inclusive Development International (IDI) aus den vergangenen Monaten. In einer im April dieses Jahres veröffentlichten Studie zeigte IDI auf, wie die IFC von Land Grabbing in Ländern Afrikas profitiert, darunter in Äthiopien, Gabun und Guinea. In einer früheren Studie zeigte sich auch, dass die Weltbank entgegen ihrem im Jahr 2013 beschlossenen weitgehenden Kohle-Ausstieg über ihre Tochter IFC die massive Kohle-Expansion in Asien mitfinanziert. In ihrer monatelangen Untersuchung entdeckte IDI insgesamt 91 schädliche Projekte, die die IFC über Finanzintermediäre mitfinanziert hat. Es geht um 40 Mrd. US-Dollar, die im Zeitraum 2011 bis 2015 von der IFC an externe Finanzpartner geflossen sind. Diese investierten das Geld im Anschluss so wie sie es für angebracht hielten, mit kaum erkennbarer Aufsicht durch die IFC.