6. Oktober 2015

Weltbank: Aufstockung des Kapitals und Absenkung der Standards?

Der Nachhaltigkeitsgipfel der Vereinten Nationen hat uns mit einem ehrgeizigen Set an 17 Entwicklungszielen und der Agenda 2030 zurückgelassen, doch mit einer gähnenden Leere, was neue Finanzmittel betrifft, die zu ihrer Umsetzung notwendig wären. Aber schneller als erwartet versucht nun eine alte Bekannte, die Weltbank, aus dieser Situation Kapital zu schlagen. Die neuen globalen Ziele im Verein mit der jüngsten Konjunkturverlangsamung in den Schwellenländern, so argumentiert Weltbank-Präsident Jim Kim auf der Jahrestagung der Bretton-Woods-Zwillinge in Lima/Peru diese Woche, führten zu einer stark steigenden Nachfrage nach Weltbank-Krediten. Diese könnte nur befriedigt werden, wenn die Kapitalbasis der Bank (genauer gesagt: ihres zentralen Arms, der International Bank for Reconstruction and Development), die sich derzeit bei 253 Mrd. Dollar beläuft, kräftig erhöht wird.

Jim Kim hält den Zeitpunkt für eine weitere Kapitalerhöhung der Bank für günstig, zumal sich mit der BRICS-Bank und der Asiatischen Infrastruktur-Investitionsbank (AIIB) derzeit zwei ernst zu nehmende Konkurrenten der Weltbank etablieren. Doch sind da nicht nur die rechten Republikaner im US-Kongress, die normalerweise gegen alle Finanzmittel Sturm laufen, deren Zweck international riecht. Die Weltbank durchläuft derzeit auch selbst einen Überprüfungsprozess ihrer Sozial- und Umweltstandards (sog. safeguards), an dessen Ende sie ohne ihr Hauptargument dastehen könnte, das die hauptsächlich westlichen Anteilseigner gegen die neue Konkurrenz aus dem Süden ins Feld führen. Umwelt- und Entwicklungsorganisationen warnen derzeit nämlich davor, dass der laufenden Prüfungsprozess zu einer Absenkung der Standards führen und die Bank auf diese Weise ihr angebliches Spitzenniveau in der Welt einbüßen könnte.

Derzeit wird der zweite Entwurf für die Überarbeitung der safeguards diskutiert, der Anfang August veröffentlicht wurde. Den ersten Entwurf gab die Weltbank im Juli 2014 heraus. Nach bisherigen Plänen sollen die neuen Standards bis zum Jahresende verabschiedet werden, wobei eine Verzögerung bis ins nächste Jahr hinein wahrscheinlich ist. Die Schutzstandards gelten für alle Förderprojekte der Weltbank, die über Regierungen finanziert werden. Schon der erste Reform-Entwurf enthielt eine massive Verwässerung von Schutzstandards. Auch der neue Vorschlag für das sog. Environmental & Social Safeguards Framework würde die Vorgaben empfindlich schwächen. Danach sollen die Standards in Zukunft weitgehend in das Ermessen der Nehmerländer fallen, statt wie bisher verbindlich zu sein. Bei so fundamentalen Bedingungen wie der Wahrung der Rechte indigener Gemeinden oder der Erhaltung empfindlicher Ökosysteme will die Bank die Überwachung also abgeben.

Auch bei den einzelnen Standards zeigt der Text gravierende Schwächen. Beispiel Menschenrechte: Weiterhin weigert sich die Weltbank, bei Großstaudämmen und anderen hochriskanten Projekten zu prüfen, ob diese zu Menschenrechtsverletzungen beitragen oder sie verschärfen. Beispiel Sicherheitskräfte: Die Bank schlägt vor, die Anwendung von „präventiver“ Gewalt durch staatliche oder private Sicherheitskräfte in Nehmerländern zu erlauben. Beispiel Konsultationen: Die bisherige Praxis, betroffene Gemeinden bei riskanten Projekten vorab über mögliche Auswirkungen zu informieren und zu konsultieren, soll wegfallen.

Wie wichtig verbindliche Standards und ihre kontinuierliche Überprüfung durch die Bank sind, zeigt sich zum Beispiel bei Zwangsumsiedlungen. Im März dieses Jahres musste Kim zugeben, dass Schutzmaßnahmen für Menschen, die durch Weltbank-Projekte von Zwangsumsiedlungen betroffen waren, schlecht umgesetzt wurden. Die Bank hatte fatalerweise nicht verfolgt, was mit den Menschen geschah. Ob es da ein kluger Schachzug ist, die Forderung nach einer Kapitalerhöhung zu einem Zeitpunkt zu erheben, zu dem die Bank dabei ist, ihre eigenen Sozial- und Umweltstandards weiter abzusenken? Mit den soeben beschlossenen nachhaltigen Entwicklungszielen hätte dies jedenfalls nichts zu tun.

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