18. April 2011

G20-Dauerthema globale Ungleichgewichte

In der heutigen Kolumne des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik hat Ulrich Volz noch einmal knapp zusammengefasst, wie sich der Sachstand der Verhandlungen um die Reduzierung der globalen Ungleichgewichte nach dem Finanzministertreffen der G20 am Rande der Frühjahrstagung von IWF und Weltbank darstellt. Auszüge:

Auch auf ihrem jüngsten Treffen letzten Freitag in Washington beschäftigten sich die G20-Finanzminister und Notenbankgouverneure mit dem Problem der globalen Ungleichgewichte. Noch kurz zuvor, in dem am letzten Montag veröffentlichten World Economic Outlook, konstatierte der Internationale Währungsfonds (IWF), dass die globalen Ungleichgewichte kaum abgenommen haben. So haben sich z. B. die Leistungsbilanzüberschüsse bzw. -defizite Chinas und der USA seit dem G20-Gipfel in Pittsburgh im September 2009 nur geringfügig verringert. In Pittsburgh hatten die G20 einen Mutual Assessment Process (MAP) ins Leben gerufen. Im Rahmen dessen soll der IWF untersuchen, inwiefern die verschiedenen nationalen und regionalen Wirtschaftspolitiken kohärent sind und mit dem gemeinschaftlichen Ziel der G20, einer nachhaltig wachsenden Weltwirtschaft, übereinstimmen.

Bisher kamen die Verhandlungen zum MAP nur schleppend voran. Ein erster Fortschritt wurde beim Treffen der G20-Finanzminister und -Notenbankgouverneure im Februar 2011 in Paris gemacht, als ein Katalog von Indikatoren vereinbart wurde, der helfen soll volkswirtschaftliche Ungleichgewichte zu identifizieren und anzugehen. Unter den Indikatoren finden sich neben öffentlicher und privater Verschuldung, der Fiskalposition und der Sparquote auch die Handelsbilanz unter Berücksichtigung der Wechselkurs-, Fiskal- und Geldpolitik wieder.

Am Freitag einigten sich die G20-Finanzminister und -Notenbankgouverneure nun auf ein Verfahren, auf dessen Basis die makroökonomischen Entwicklungen und Politiken einzelner G20-Länder untersucht werden sollen. Hierbei soll der IWF die verschiedenen Indikatoren wie Haushalts-, Schuldenlage und Außenhandelsposition nach „indikativen Richtwerten“ beurteilen. Die Indikatoren sollen nach verschiedenen Methoden bewertet werden, die sowohl die historische Entwicklung der Indikatoren, den Entwicklungsstand des Landes als auch die Vergleichswerte der anderen G20-Länder berücksichtigen. Länderspezifische Faktoren, wie z. B. die demografische Entwicklung des Landes oder die Rolle als Ölexporteur, sollen ebenfalls berücksichtigt werden. Zwar werden die Richtwerte explizit nicht als Zielgrößen bezeichnet, aber so sollen bei Ländern mit größeren Abweichungen in einem zweiten Schritt die Ursachen der Ungleichgewichte in einer „unabhängigen Analyse des IWF“ gründlich untersucht werden. Dabei sollen, so wurde im G20-Kommuniqué von Freitag vereinbart, auch die Geld- und Währungspolitik zur Sprache kommen, dem Politikfeld in dem die größten Differenzen innerhalb der G20 bestehen.

Der IWF wird zunächst die Ungleichgewichte von sieben G20-Mitgliedern – China, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Indien, Japan und den USA – untersuchen. Die G20-Finanzminister und -Notenbankgouverneure werden die Ergebnisse der Untersuchungen voraussichtlich auf der Jahrestagung von IWF und Weltbank im September 2011 diskutieren, bevor sie in den Gipfel der Staats- und Regierungschefs in Cannes am 3. und 4. November 2011 einfließen werden. Auch wenn die aus diesem Prozess resultierenden Handlungsempfehlungen des IWF nicht verbindlich sind und es den jeweiligen Ländern frei steht diese zu akzeptieren oder auch nicht, können die Ergebnisse der IWF-Untersuchungen dazu beitragen, die Diskussion um globale Ungleichgewichte zu depolitisieren und durch eine sachliche Diskussion zumindest eine graduelle Annäherung der unterschiedlichen Positionen der G20-Länder zu ermöglichen.

Es wäre illusorisch zu erwarten, dass der G20-Prozess zu drastischen Änderungen der nationalen Wirtschaftspolitiken führt. Länder werden ihre Politiken nur ändern, wenn sie darin eigene Vorteile sehen. China hat z. B. auch bei diesem Gipfel eindeutig klargestellt, dass es seine Wechselkurspolitik nicht auf Druck der G20 ändern wird. Eine Neuauflage des New Yorker Plaza-Abkommens von 1985, bei dem die damaligen G5 (Frankreich, Großbritannien, Japan, die USA und die Bundesrepublik Deutschland) eine Aufwertung des japanischen Yen und der Deutschen Mark gegenüber dem Dollar beschlossen, wird es nicht geben.


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Thema von UNCTAD XIII: Entwicklungsorientierte Globalisierung

“Development-centred globalization: Towards inclusive and sustainable growth and development” – “Entwicklungsorientierte Globalisierung: Für inklusives und nachhaltiges Wachstum und Entwicklung” wird das Thema der nächsten Vollversammlung der UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD) lauten, die vom 21.-26. April 2012 in Doha/Katar stattfinden wird. Dies hat der Trade & Development Board (TDB) – das höchste Gremium der Organisation zwischen den Vollversammlungen – auf seiner letzten Sitzung beschlossen.

Nach Auffassung von UNCTAD unterstreicht die jüngste Wirtschafts- und Finanzkrise und die anhaltende Gefahr einer neuen globalen Rezession die Notwendigkeit eines Paradigmenwechsels in der Wirtschafts- und Entwicklungspolitik. Die wirtschaftliche Global Governance müsse so umgestaltet werden, dass sie eine „entwicklungsgeleitete Globalisierung“ unterstützt und nicht behindert, sagte ein UNCTAD-Sprecher in Genf.

Der TDB wählte auch vier Unterthemen aus, die auf UNCTAD XIII zur Sprache kommen sollen:
* Stärkung eines förderlichen wirtschaftlichen Umfeldes auf allen Ebenen in Unterstützung inklusiver und nachhaltiger Entwicklung;
* Stärkung aller Formen von Kooperation und Partnerschaft für Handel und Entwicklung, einschließlich der Nord-Süd-, der Süd-Süd- und der Dreieckskooperation;
* Bearbeitung anhaltender und neuer Entwicklungsherausforderungen, die sich auf Handel und Entwicklung und die damit verbundenen Bereiche Finanzen, Technologie, Investitionen und nachhaltige Entwicklung auswirken;
* Förderung von Investitionen, Handel, Unternehmertum und verwandter Entwicklungspolitiken, um nachhaltiges wirtschaftliches Wachstum für nachhaltige und inklusive Entwicklung zu fördern.

Die alle vier Jahre stattfindenden UNCTAD-Konferenzen dienen nicht nur als Forum zur Diskussion wichtiger Trends in der Weltwirtschaft und deren Auswirkungen auf Entwicklungsländer, sondern auch als Beschlussgremium für das Arbeitsprogramm der jeweils nächsten vier Jahre. Mit der Wahl des Themas beweist die Organisation, die gelegentlich auch als „OECD des Südens“ bezeichnet wird, einen langen Atem bei dem Versuch, dem Prozess der Globalisierung eine andere Richtung zu geben.

17. April 2011

Frühjahrstagung in Washington: Kleiner Clash im IWF

Der brasilianische Finanzminister, Guido Mantega, der im letzten Jahr als erster offen von „Währungskriegen“ sprach, machte auf der Frühjahrstagung von IWF und Weltbank erneut von sich reden. Im Steuerungsausschuss des Fonds, dem Internationalen Währungs- und Finanzausschuss (IMFC), stellte er klar, dass Brasilien (wie viele andere Entwicklungsländer auch) zwar den Kurswechsel des IWF, wonach Kapitalverkehrskontrollen ein legitimes Instrument der Wirtschaftspolitik sind, begrüße, dass er aber „jegliche Leitlinien, Rahmenwerke oder ‚Verhaltenskodices‘“ zurückweise, die die betroffenen Länder in ihrem politischen Spielraum einschränken könnten.

In seiner Rede beklagte Mantega, dass die diesbezüglichen Versuche des IWF zu wenig die Push-Faktoren und die Politik der wichtigsten Industrieländer berücksichtigen würden, die die exzessiven Kapitalzuflüsse der letzten Zeit in die Schwellenländer ausgelöst hätten. Kapitalverkehrskontrollen und andere Regulierungsversuche seien „Maßnahmen der Selbstverteidigung“ und als solche absolut legitim. „Ironischerweise“, so Mantega, „sind einige Länder, die verantwortlich sind für die tiefste Krise seit der Großen Depression und die erstmal ihre eigenen Probleme lösen müssen, begierig darauf aus, dem Rest der Welt Verhaltenskodices vorzuschreiben.“

Mit dem Rückenwind des jüngsten BRICS-Gipfels wies der brasilianische Finanzminister darauf hin, dass die Liberalisierung des Kapitalverkehrs keineswegs zu den ursprünglichen Zielen des IWF gehöre und Artikel VI der IWF-Satzung sogar besage, dass „Mitglieder solche Kontrollen ausüben können, wenn sie notwendig zur Regulierung internationaler Kapitalbewegungen sind“. Desweiteren beklagte Mantega, der in außergewöhnlicher Offenheit zu den IMFC-Mitgliedern sprach, den langsamen und unzureichenden Fortschritt der Governance-Reformen im IWF und lies es sich nicht nehmen, das Versagen des Fonds vor den jüngsten Finanzkrise zu zitieren, die das eigene Unabhängige Evaluierungsbüro dem IWF jüngst attestiert hatte. – Aus dem offiziellen Kommuniqué des IMFC (>>> Dokumente von der IWF/Weltbank-Frühjahrstagung) ist diese Kritik allerdings wie immer nur mit Mühe herauszulesen oder zu erahnen, wenn es heißt: „Die jüngste Arbeit des IWF zum Management von Kapitalzuflüssen ist ein Schritt, der zu einem umfassenden und ausgewogenen Ansatz für das Management von Kapitalflüssen, der auf die Erfahrungen der Länder zurückgreift, führen sollte.“

Pressekonferenz zum Abschluss des Internationalen Währungs- und Finanzausschusses (IMFC)

15. April 2011

Schuldenkrise erreicht den Norden

Anlässlich der heute beginnenden Frühjahrstagung von IWF und Weltbank habe ich dem Neuen Deutschland mal wieder ein Interview gegeben. Hier ist der Text:

Frage: Zum ersten Mal seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges liegt laut dem Internationalen Währungsfonds (IWF) das Durchschnittsniveau der Staatsverschuldung der Industriestaaten bei über 100 Prozent. Droht eine Schuldenkrise der Ersten Welt?

Falk: Ja. Gewissermaßen ist die Schuldenkrise aus dem Süden in den Norden zurückgekehrt. Viele Länder Europas haben nach der letzten Finanzkrise mit einem Schuldenberg vorgefunden. Der aus Zins- und Tilgungszahlungen bestehende Schuldendienst wird durch die von den Rating-Agenturen herabgestufte Kreditwürdigkeit zusätzlich in die Höhe getrieben. Auch Industrieländer stehen inzwischen vor der Frage, ob es nicht besser wäre, einen Schuldenschnitt zu machen, sprich Gläubiger zum teilweisen Forderungsverzicht zu zwingen, um einen wirtschaftlichen Neuanfang zu ermöglichen. Das betrifft keineswegs nur die ärmeren Länder Südeuropas, die sogenannten PIGS (Portugal, Italien, Griechenland, Spanien) wie man diskriminierend sagt, sondern auch die USA, die in Sachen Verschuldung nicht besser dastehen als Portugal, wie der IWF kürzlich zu Recht kritisiert hat.

Frage: In Bezug auf die globale Konjunktur ist der IWF trotz dieser Schuldenproblematik und trotz steigenden Ölpreises optimistisch und sieht die Krise überwunden. Ist dieser Optimismus berechtigt?

Falk: Ja und nein. Die Situation ist paradox. Auf der einen Seite sind die Wachstumsraten wieder auf dem Vorkrisenniveau angelangt: rund vier Prozent globales Wachstum, bei den Schwellenländern im Schnitt das Doppelte, bei den Industrieländern die Hälfte. Selbst Afrika ist wieder auf dem Vorkrisenniveau beim Wachstumstempo angelangt. Andererseits steigt die Unwägbarkeit der Entwicklung. Im neuen World Economic Outlook des IWF, in dem die Wirtschaftsausichten prognostiziert werden, wird ausgeführt, dass zusätzliche Risikofaktoren entstanden sind: stark schwankende Rohstoffpreise, unberechenbare Finanzströme, die Auf und Ab erzeugen. Phasen, in denen schnell Kapital in ein Land strömt und sich dann schnell wieder zurückzieht und damit Schuldenkrisen auslöst. Die passable Entwicklung der Weltkonjunktur trifft somit auf neue Risikofaktoren.

Frage: Was wird gegen die Handelsungleichgewichte getan, die seit vielen Jahren angeprangert werden? China und Deutschland mit ihren exorbitanten Überschüssen, die USA mit ihrem gewaltigen Defizit. Ist Besserung in Sicht?

Falk: Nicht wirklich. Bisher ist noch nicht einmal definiert, wann ein Ungleichgewicht zum Problem erklärt wird. Und ob die G20-Finanzminister, die sich ab Freitag in Washington treffen, auf diesem schwierigen Weg der Definition eines Problems, was seit Jahren offenkundig ist, weiterkommen, steht in den Sternen.

Frage: Ende 2008 wurde nach dem Beginn der Finanzkrise die Zielsetzung formuliert: Kein Markt, kein Produkt und kein Akteur solle künftig ohne Aufsicht agieren können. Was ist daraus geworden?

Falk: Das erweist sich immer mehr als Schall und Rauch. Die Staaten sind darum bemüht, möglichst schnell zur Tagesordnung überzugehen. Das Schattenbankensystem ist nach wie vor völlig unreguliert. Es gibt einige Maßnahmen, beispielsweise erweiterte Rückstellungsvorschriften für private Banken, aber es gibt keine umfassende Regulierung der Finanzmärkte. Es grenzt an Ironie, wenn der IWF als Hüter der Liberalität in Person seines Direktors Dominique Strauss-Kahn inzwischen zu den wenigen gehört, der die Forderung aufstellt, auch die Schattenfinanzmärkte einem Regulationsrahmen zu unterwerfen und davor warnt, dass wir sonst bald eine erneute Finanzkrise zu vergegenwärtigen haben. Die Gefahr ist durchaus real, auch wenn sich nicht voraussagen lässt, wann und wo es losgeht.

8. April 2011

Entwicklungshilfe: Trostlose Story

Durchweg enttäuscht hat die entwicklungspolitische NGO-Community auf die in dieser Woche von der OECD veröffentlichten neuen Entwicklungshilfe-Zahlen reagiert. Danach ist die öffentliche Entwicklungshilfe (ODA) der Mitgliedsländer des OECD-Entwicklungshilfeausschusses DAC 2010 zwar leicht um 6,5% auf 128,7 Mrd. Dollar gestiegen. Gemessen am Bruttonationaleinkommen (BNE) der Industrieländer liegt sie jedoch immer noch bei mickrigen 0,32%. Damit haben sie ihre Zusagen auf dem G8-Gipfel im schottischen Gleneagles von 2005 um rund 18 Mrd. Dollar verfehlt, stellte Oxfam-Sprecher Tobias Hauschild fest.


In einer Analyse der neuen ODA-Zahlen kommt Bodo Ellmers vom Europäischen Netzwerk Schulden und Entwicklung (EURODAD) fest, das mit diesen Zahlen praktisch alle Entwicklungshilfe-Ziele, von denen viele im Jahr 2010 fällig geworden wären, verfehlt wurden:
* 2010 jährte sich das ODA-Ziel der UNO von 0,7% zum 40. Mal. Doch die reichen Länder zahlten nicht einmal die Hälfte davon.
* Die Europäische Union wollte 2010 laut ihrem Stufenplan von 2005 auf 0,56% des BNE kommen. Faktisch haben alle EU-Mitgliedsländer zusammen jedoch lediglich 0,43% erreicht.
* Besonders traurig fällt die Nicht-Einhaltung der Versprechen für Afrika aus: Afrika, das zusätzlich 25 Mrd. Dollar pro Jahr bekommen sollte (gegenüber dem Stand von 2005), hat 2010 nur 11 Mrd. bekommen.

Natürlich gab es auch diesmal wieder einige „Helden“ unter den Geberländern: Norwegen, Luxemburg, Schweden, Dänemark und die Niederlande haben die 0,7- und teilweise sogar die 1,0%-Marke zum wiederholten Male überschritten. Das blamiert die „Schurken“ umso mehr. In der EU gehört dazu auch Deutschland, das mit 0,38% hinter Italien, Griechenland, Portugal und Österreich gerade mal den fünftletzten Platz erreichte. Als geradezu „schändlich“ empfindet Germanwatch-Sprecher Ludger Reuke die deutsche ODA-Quote: „Das geht eindeutig auf Dirk Niebels Kappe. So kann er das von ihm so genannte ‚sportliche Ziel‘ nicht erreichen – er reißt eine Hürde nach der anderen.“

Wie stark hängt die trostlose ODA-Entwicklung mit den Konsequenzen der großen Finanzkrise zusammen? Eine eindeutige Antwort ist darauf nicht möglich. Selbst Staaten mit großen Zahlungsproblemen haben unterschiedliche Ergebnisse erzielt: Während Griechenland und Portugal auf 0,17 bzw. 0,29% kamen, erreichte Irland immerhin 0,53%. Und auch Belgien (0,64%), Großbritannien (0,56%) und Finnland (0,55%) haben ihre Quoten erheblich gesteigert und damit – anders als Deutschland – deutlich gemacht, dass sie das 0,7%-Ziel bis 2015 erreichen werden. Als reine Zahlenkorrelation mag es einen zyklischen ODA-Trend geben, der nach Krise und Rezession zeitversetzt nach unten zeigt. Einen starken entwicklungspolitischen Willen vorausgesetzt, ist dies jedoch kein Zwangsgesetz.

6. April 2011

Wir sind Helden: 23:55 - Alles auf Anfang (Attac Edition)

Globales Währungssystem in der Debatte

Eine Einigung über eine grundlegende Reform des internationalen Währungssystems ist zwar noch in weiter Ferne. Doch dank der französischen G20-Präsidentschaft hat wenigstens die Diskussion darüber begonnen. Dabei zeigt sich, dass sich vor allem die US-Regierung mit Händen und Füßen gegen alles wehrt, was die Leit- und Reservewährungsfunktion des US-Dollars in Frage stellen könnte. Auf einem hochrangigen Seminar der G20 in der letzten Woche in Nanjing/China, auf dem über das Thema diskutiert wurde, legte US-Finanzminister Timothy Geithner die Latte für eine Aufwertung der IWF-Sonderziehungsrechte und eine Einbeziehung des Renminbi in diesen internationalen Währungskorb so hoch, dass das Interesse der Chinesen an derlei Projekten sichtlich abgekühlt ist, obwohl sie eigentlich die Auslöser der Debatte sind. Geithner sagte, nur solche Währungen sollten in den SZR-Korb einbezogen werden, die einem flexiblen Wechselkurs unterliegen, unabhängige Zentralbanken haben und den freien Fluss von Kapital gestatten – alles Punkte, die die chinesische Währung außen vor halten.

Im Vorfeld des G20-Seminars hatte eine Gruppe von internationalen Wissenschaftlern um Joseph Stiglitz, die sog. Gruppe von Peking, einen „moderaten Vorschlag“ zur Aufwertung der SZR ins Gespräch gebracht, um die Notwendigkeit der Selbstversicherung durch hohe Währungsreserven gegen externe Schocks zu reduzieren, die rezessiven Grundtendenzen in der Weltwirtschaft zu verringern und den IWF unabhängiger von seinen finanzstarken Mitgliedsländern zu machen (>>> Statement der Gruppe von Peking). Doch wie sich zeigt, lassen die USA an ihrem Veto im IWF nicht rütteln. In Nanjing beklagte Geithner die Asymmetrie zwischen frei floatenden Währungen und den „gemanagten Wechselkursregimen und sehr weitgehenden Kapitalverkehrskontrollen“ „einiger Schwellenländer“ – eine deutliche Breitseite gegen China.

In dem letzten Punkt – Kapitalverkehrskontrollen – ist die Diskussion im IWF inzwischen deutlich weiter (was vielleicht als Indiz dafür gewertet werden kann, dass die Unbeweglichkeit der USA in dieser Frage einmal lästig werden könnte). Gerade eben hat das Exekutivdirektorium des Fonds erstmals einen Entwurf für Leitlinien zur Kontrolle spekulativer Kapitalflüsse beschlossen – ein Instrument, das er einst strikt ablehnte (>>> IMF Develops Framework to Manage Capital Inflows). Und der Geschäftsführende Direktor des Fonds, Dominique Strauss-Kahn, spricht jetzt davon, dass der Washington Consensus „eindeutig hinter uns“ liege (>>> Rede in Washington). Allerdings hat Robert Johnston von der Statistik-Behörde der UNO sicher recht, wenn er sagt: „Die Sonderziehungsrechte mögen die ‚beste Alternative‘ zum Dollar sein (wie es im Statement der Gruppe von Peking heißt), doch wir dürften uns noch wundern, wie viele Krisen es noch braucht, bis die USA bereit sind, ihnen eine Chance zu geben.“

Experten warnen vor Anstieg des Welthungers

Wie die Welternährung in den nächsten Jahrzehnten sichergestellt werden kann und welche Ursachen die Unternährung in Entwicklungsländern hat, war Anfang dieser Woche Thema einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Die Experten waren sich einig, dass ihre Zahl der Hungernden noch steigen wird, sollte nicht bald geeignete Maßnahmen ergriffen werden. Ein rasanter Anstieg der Bevölkerung finde hauptsächlich in den Regionen der Welt statt, die besonders von den Auswirkungen des Klimawandels betroffen seien, erläuterte Alexander Müller von der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO). Auch komme in diesen Regionen der erschwerte Zugang zu Trinkwasser hinzu. ”Wasserknappheit ist das große Problem der Zukunft“, sagte er.

Dass Hunger ursächlich eine von Armut sei, betonte Marita Wiggerthale von Oxfam Deutschland. Wolle man den Hunger bekämpfen, müsse man die finanzielle Not lindern. Schulungsprojekte für Kleinbauern sind dabei ihrer Ansicht nach das beste Mittel. Auch müssten die Industriestaaten das ”land grabbing“ reglementieren, da es den Einheimischen oft den Zugang zu Ressourcen erschwere und die Not dadurch verstärke. ”Hunger ist ein Armutsproblem“, betonte Wiggerthale. Paul Armbruster vom Deutschen Genossenschafts- und Raiffeisenverband erklärte, dass es in den von Hunger betroffenen Staaten oft keine Landwirtschaftspolitik gebe und die Kleinbauern nicht über das notwendige Know-how verfügten, die von ihnen bewirtschafteten Flächen ertragreich zu nutzen. Auch das Stadt-Land-Gefälle mache ihm Sorgen, da die Kleinbauern nicht in die Wertschöpfung eingebunden würden.

Der Schlüssel zur Problemlösung liege in einer Einkommenssteigerung der Kleinbauern und Landarbeiter, stellte Michael Brüntrup vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik fest. Er setzt auf die Öffnung der Märkte um Ertragsschwankungen in unterschiedlichen Regionen abzufangen. Bärbel Dieckmann, Präsidentin der Welthungerhilfe, nimmt die Regierungen der betroffenen Länder in die Pflicht. Die Kleinbauern sollten motiviert werden, auf dem Land zu bleiben und nicht in die Städte zu gehen. Deshalb müsse die Produktivität der Bauern gesteigert werden, die meist nicht mehr als zwei Hektar mit rückständiger Technik bewirtschafteten. Sie lobte die parlamentarische Initiative, die sich für das Erreichen des 0,7%-Ziels einsetzt und betonte: ”Das ist nicht nur im Interesse der Entwicklungsländer.“

Für eine ökologische Entwicklung der Landwirtschaft in Entwicklungsländern plädierte Ulrich Hoffmann von der Konferenz für Handel und Entwicklung der Vereinten Nationen (UNCTAD). Die Landwirtschaft sei der größte Emittent von Treibhausgasen, größer noch als die verarbeitende Industrie. Hoffmann unterstrich auch die Bedeutung der Spekulation für die krisenhafte Instabilität der Nahrungsmittelpreise: Die Nahrungsmittelspekulation sei zu einem gravierenden Massenphänomen geworden, das im Wesentlichen seine Ursachen in der fehlenden Reform der internationalen Finanzmärkte hat „Es wird in diesem Zusammenhang von der Finanzialisierung der Rohstoffmärkte gesprochen. Spekulative Transaktionen an Warenterminbörsen, die über viele Jahre nur etwa ein Drittel der Umsätze ausmachten, haben in den vergangenen Jahren ein Ausmaß von 70-90% erreicht.“

>>> Die Antworten auf die Fragen des Ausschusses lassen sich vollständig >>> hier nachlesen.