19. Dezember 2009

Copenhagen Accord oder Kopenhagener Bankrott?

Der Klimagipfel in Kopenhagen ist gescheitert. Das von den 30 sog. führenden Staaten ausgehandelte Dokument, das den Durchbruch markieren sollte, dokumentiert in Wirklichkeit den Bankrott der internationalen Klimapolitik. Nach Expertenberechnungen begrenzt es die Erderwärmung nicht auf 2°, sondern führt - zusammen mit den bislang gemachten mageren Zusagen - zu einer Erderwärmung von 3,5°.

Der karge Wortlaut des "Copenhagen Accord" findet sich >>> hier.

Eine Übersicht über die Reaktion der NGOs findet sich >>> hier.

Für die Heinrich-Böll-Stiftung erklärte Barbara Unmüßig zum Ausgang der Konferenz in Kopenhagen:

Die 130 Regierungschefs haben eine historische Chance vertan, den Durchbruch für einen radikalen Klimaschutz einzuleiten. Die gemachten Versprechungen sind bei den Reduktionspflichten viel zu gering und voller Schlupflöcher, die Finanztransfers unbefriedigend. Die politische Erklärung reicht nicht aus, um dem klimafreundlichen Umbau von Wirtschaften und Gesellschaften in Nord und Süd den nötigen Schub zu versetzen. Insofern ist die Klimakonferenz in Kopenhagen gescheitert. Es ist nachvollziehbar, dass zahlreiche Entwicklungsländer, die am stärksten unter den Folgen des Klimawandels leiden, nicht bereit sind, ein mangelhaftes Ergebnis und damit eine Greenwash-Show zu akzeptieren.

Auf allen Ebenen fehlt es an Führungsstärke, das gilt auch für die Europäische Union. Die EU trägt eine Mitverantwortung für das Scheitern von Kopenhagen. Sie hat es nicht vermocht, mit geeinter Stimme und als Vorreiterin die Verhandlungen zu führen und das Reduktionsziel von minus 30 Prozent bis zum Jahr 2020 ohne Bedingungen anzubieten. Das Scheitern der Konferenz ist für die vom Klimawandel schon heute betroffenen Menschen ein Desaster. Einen weiteren Zeitaufschub können wir uns nicht leisten.

17. Dezember 2009

Einrichtung eines Patentpools bei UNITAID

UNITAID, der bei der Weltgesundheitsorganisation angesiedelte Fonds zur Finanzierung von Anti-AIDS-Medikamenten (>>> www.unitaid.eu), hat in dieser Woche der Einrichtung eines Patentpools zugestimmt. Ein Patentpool bedeutet, dass mehrere Patente von verschiedenen PatentinhaberInnen (Firmen, Universitäten, staatlichen Institutionen) zusammengelegt werden. So können Dritte nach der Zahlung einer Lizenzgebühr diese Patente nutzen. Die Vorteile eines Patentpools sind also ein besserer Zugriff auf geistige Eigentumsrechte, weniger Risiken und Kosten für die beteiligten Firmen sowie ein besserer und bezahlbarerer Zugang zu lebensrettenden Medikamenten.

Ziel ist, zum Wohl der Allgemeinheit, einen freiwilligen Patentpool für HIV/Aids-Medikamente einzurichten. Wenn dies funktioniert, wäre das „ein sehr positives Signal für alle PatientInnen, die auf teure, lebenswichtige Aids-Medikamente angewiesen sind“, sagt Gisela Schneider vom Aktionsbündnis gegen Aids.

Bis der Patentpool Mitte nächsten Jahres in Kraft treten kann, müssen allerdings einige Stolpersteine aus dem Weg geräumt werden. Da die Teilnahme für PateninhaberInnen freiwillig ist, sind nun die Pharmafirmen am Zug. Wenn sie ihre Patente nicht in den Pool geben, wird es keinen wirklichen Fortschritt für Menschen mit HIV/Aids geben. In den nun anstehenden Verhandlungen der Pharmaindustrie mit UNITAID, gibt es noch entscheidende Fragen zu klären: Wie hoch dürfen die Lizenzgebühren höchstens sein? Welche Regionen sind es, in die die neuen Präparate dann vermarktet werden können? Gerade auch die vielen armen Menschen in Ländern mit mittlerem Einkommen dürfen von diesem Fortschritt nicht ausgeschlossen sein.

Da habe UNITAID noch einige Hausaufgaben zu machen, meint Christiane Fischer von der Buko-Pharmakampagne. „Wichtig ist für uns, dass auch nach Einführung des Patentpools die Länder ihre rechtlichen Möglichkeiten nutzen, um den Zugang zu Medikamenten zu verbessern. Hierzu gehören sowohl Zwangslizenzen als auch ein patientenfreundliches Patentrecht. Der Patentpool soll kein Ersatz für diese wichtigen Instrumente sein.“

Weitere Info >>> www.aids-kampagne.de

16. Dezember 2009

Ban Ki-moon fällt dem Süden in den Rücken

Bislang wusste man, wem Ban Ki-moon sein Amt als UN-Generalsekretär zu verdanken hat – der alten abgewählten Bush-Administration. Doch bislang dachten viele auch: Der mag von Finanzen nichts verstehen und hat deshalb bislang noch jede Initiative aus den Vereinten Nationen zur globalen Finanz- und Wirtschaftskrise boykottiert. (Z.B. als Nicolas Sarkozy ihn – noch vor der Einberufung des ersten G20-Gipfels – anfragte, ob nicht die UN eine Führungsrolle im Kampf gegen die Finanzkrise übernehmen wollten, bot Ban Ki-moon lediglich die Räume am East River als Tagungsstätte an.) Doch immerhin schien der Generalsekretär in Fragen der globalen Klimapolitik etwas ambitionierter.

Doch jetzt hat Ban Ki-moon in Kopenhagen die Entwicklungsländer offen brüskiert. Während alle Welt inzwischen anerkennt, dass ein „Deal“ nur zustande kommen kann, wenn die Industrieländer zu radikalen Reduktionsverpflichtungen und zu ernsthaften Finanzierungszusagen an den Süden bereit sind, gab Ban Ki-moon gestern gegenüber der Financial Times zu verstehen, dass er sich ein Konferenzergebnis auch ohne langfristige Zahlungsverpflichtungen des Nordens vorstellen könne. Der Süden solle mit den bislang in Aussicht gestellten 10 Mrd. Dollar für das „Schnellstart-Programm“ der nächsten drei Jahre zufrieden sein und unmittelbar nach Kopenhagen mit den Verhandlungen über längerfristige Finanzverpflichtungen beginnen. (Der Einbeziehung in ein Reduktionsregime sollen die Entwicklungsländer freilich schon mal zustimmen!)

Wenn man weiß, dass die Gruppe der 77 fordert, die klimapolitischen Nord-Süd-Finanztransfers in den nächsten Jahren auf 250 Mrd. Dollar pro Jahr (=0,5% des BIPs der Industrieländer) anwachsen zu lassen, ist das ein offener Affront. Die Kopenhagen-Konferenz kann daran durchaus scheitern. Und wenn nicht? Und wenn sich die Entwicklungsländer über den Tisch ziehen lassen und „der größte Greenwash aller Zeiten“ (Germanwatch) herauskommt? Auch daran trüge dann der UN-Generalsekretär eine gehörige Portion Mitverantwortung! Nicht umsonst wies das Konferenzbarometer der FT heute Morgen wieder nach unten.


15. Dezember 2009

Kopenhagen: Lesestoff für die zweite Woche

Die finanzielle Seite des Klimaschutzes umfasst nicht nur die Kosten für Reduzierung und Anpassung an den Klimawandel, die innerhalb der Länder und als Nord-Süd-Transfers aufgebracht werden müssen. In einem Policy Brief weist das Sekretariat der UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD) darauf hin, dass der ausschließliche Blick auf die Kostenseite im Kontext des Kampfes gegen den Klimawandel irreführend ist, da damit die ökonomischen Chancen des Klimaschutzes übersehen werden. „Ist der zur Reduktion des Klimawandels notwendige Prozess des Strukturwandels erst einmal in Gang gekommen, werden sich enorme neue Marktchancen eröffnen“, argumentiert UNCTAD.

Dass Kopenhagen einen neuen, von Milliarden von Dollars gespeisten Wachstumsschub in der Weltwirtschaft auslösen könnte, ist auch der Tenor eines Special Reports, den die Financial Times gestern zum Thema „Green New Deal“ herausbrachte (wer dieses Stichwort inzwischen nicht alles im Munde führt!).

Ein gutes Update, das den Fortgang der Verhandlungen in Kopenhagen unter handels- und wirtschaftspolitischen Aspekten betrachtet, gibt das Genfer International Centre for Trade and Sustainable Development (ICTSD) heraus. Lesenswert sind auch wieder die Briefing Papers des Third World Network. Insbesondere im Briefing Paper 2 wird der Blick darauf gelenkt, dass die anvisierten CO2-Märkte darauf hinauslaufen, den Wall Street-Spekulanten ein neues Betätigungsfeld für ihre „innovativen Produkte“ (Derivate etc.) zu schaffen. Einer, der es wissen muss, ist George Soros. Dessen SZR-Vorschlag zur Finanzierung der Kosten des Klimaschutzes hat jetzt W&E dokumentiert (>>> Die Finanzierung des Kampfes gegen den Klimawandel).

12. Dezember 2009

Naomi Klein on the climate power game (Video)


More at The Real News

Wie kann der Grüne Fonds gefüllt werden?

Noch einmal: Glasperlen verteilten die Kolonisatoren bei ihrer Ankunft an die Einheimischen, um diese ihnen gegenüber gnädig zu stimmen. Im übertragenen Sinne handelt es sich auch bei den bisherigen finanziellen Ankündigungen der Industriestaaten in den Kopenhagen-Verhandlungen um Glasperlen. Jedenfalls sind sie völlig inadäquat, um die ökologische Schuld des Nordens gegenüber dem Süden zu begleichen. Nehmen wir die Ankündigung auf dem EU-Gipfel, die Union wolle in den nächsten drei Jahren 2,4 Mrd. € jährlich für den Klimaschutz im Norden bereitstellen. Das sind 7,2 Mrd. € für die Zeit von 2010-2012 – gerade mal ein Drittel dessen, was die Entwicklungsländer für ein „Schnellstart-Programm“ für notwendig halten, aus dem in der Zeit bis zum Inkrafttreten des nächsten Klimavertrages Schutz- und Anpassungsmaßnahmen im Süden finanziert werden sollen.

Auf der anderen Seite hat die EU auf ihrer gestrigen Ratstagung deutlich gemacht, dass sie eine Finanztransaktionssteuer für ein potentiell sinnvolles Finanzierungsinstrument hält und der IWF die Voraussetzungen für ihre Einführung untersuchen soll (>>> Conclusions, Punkt 16). In einer separaten Erklärung meinten die neuen Männerfreunde Gordon Brown und Nicolas Sarkozy, die Einkünfte aus einer solchen Steuer sollten dem Kampf gegen den Klimawandel, vor allem in den armen Ländern, zugute kommen. Damit kämen wir der Sache schon näher: 20-30 Mrd. Dollar pro Jahr würde eine solche Steuer erbringen, wenn man den Minisatz von 0,005%, den der französische Außenminister Kouchner vorgeschlagen hat, zugrunde legt (bei einem täglichen Umsatz auf den weltweiten Finanzmärkten von 3.200 Mrd. Dollar 2007).

Selbst dies wäre nicht genug. Denn wie NGOs wie Oxfam berechnet haben, müsste die Anfangsfinanzierung für den Süden schnell auf bis zu 200 Mrd. Dollar pro Jahr gesteigert werden (die Weltbank geht von 100 Mrd. aus). Wer den Grünen Fonds bei der UN-Klimarahmenkonvention, für den der formelle Rahmen jetzt feststeht, also wirklich füllen will, wird sich mehr einfallen lassen müssen. Es ist ein positiver Effekt der Klimaverhandlungen, dass viele gute Vorschläge, die bislang am Widerstand der Finanzindustrie und der ihr verbundenen Politiker gescheitert sind, jetzt wieder auf den Tisch kommen:

* Die Übertragung der neuen Sonderziehungsrechte vom Norden auf den Süden, wie Soros vorgeschlagen hat, könnte einmal bis zu 150 Mrd. Dollar für den Grünen Fonds bringen.
* Ein Finanztransaktionssteuer von nur 0,05% (also etwas höher als bei Kouchner) brächte schon 200-300 Mrd. Dollar pro Jahr.
* Und die Trockenlegung der Steueroasen könnte den Entwicklungsländern – grob gerechnet – 160 Mrd. Dollar mehr an Steuereinnahmen pro Jahr bringen.

Angesichts dieser Dimensionen verblassen die bisherigen „Angebote“ der Industrieländer in Kopenhagen wahrlich als kleinkarierte Glasperlenspiele.

10. Dezember 2009

Klimafinanzierung jenseits von Glasperlenspielen

Was immer für ein Abschlussdokument am Ende des Kopenhagener Klimagipfels stehen wird, die Idee einer Finanztransaktionssteuer sollte darin auf alle Fälle enthalten sein. In dieser Richtung übt derzeit Frankreich Druck auf die Unterhändler in Kopenhagen aus. Einen entsprechenden Vorschlag unterbreitete der französische Außenminister Kouchner vor kurzem dem UN-Generalsekretär Ban Ki-moon in New York. Die Franzosen wollen zwar bescheiden mit einem Steuersatz von nur 0,005% beginnen. Aber auch ein so niedriger Satz auf alle Geschäfte mit Finanztiteln weltweit brächte Milliarden von Dollars, die zur Unterstützung der armen Länder im Klimaschutz und für Entwicklungszwecke generell eingesetzt werden könnten.

Auf gerade mal 10 Mrd. Dollar in den nächsten drei Jahren belaufen sich die bisherigen vagen Zusagen der Industrieländer in Kopenhagen. Wie ein Paukenschlag kam da heute erneut der Großfinanzier George Soros mit seinem Vorschlag, die jüngst neu ausgegebenen Sonderziehungsrechte des IWF von den Industrie- an die Entwicklungsländer zu transferieren. Bis zu 150 Mrd. Dollar könnten auf diese Weise für Klimaschutzmaßnahmen im Süden zur Verfügung gestellt werden. Die in diesem Falle dann bei IWF fälligen Zinszahlungen könnten, so Soros, mühelos aus dem IWF-Gold finanziert werden, um die Länder nicht weiter in die Verschuldung zu treiben. Das sei die Art von innovativem Denken, das die Welt heute brauche, erklärten umgehend Sprecher von entwicklungspolitischen Nichtregierungsorganisationen.

Dass sich heute auch Frankreich den britischen Plänen anschloss, Bonuszahlungen für Bankmanager mit einer einmaligen Steuer von 50% zu belegen, zeigt, dass sich in puncto Finanzierung von Allgemeinaufgaben (hier der finanziellen Bewältigung der Finanzkrise) vielleicht wirklich etwas bewegt. Der Charme solcher Vorschläge liegt sicherlich darin, dass sie keine neuen Löcher in die Staatshaushalte reißen, sondern wirklich einmal „fresh money“ mobilisieren. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel will da nicht abseits stehen. „Wir haben uns zu einer Transaktionssteuer auf den Finanzmärkten bekannt“, wird sie heute zitiert. Ich denke, das wäre die nachhaltigere Lösung für die Probleme.“ Aber auch die Einmalsteuer auf Managerboni sei eine „charming idea“, die „vielleicht einen Lerneffekt auslösen wird“. Weiter so!

PS: Auf alle Fälle auch lesenswert ist der Kommentar, den Gordon Blair und Nicolas Sarkozy gestern im Wall Street Journal hatten (>>> hier). Er begründet die neuen Finanzierungsformen als Beitrag des Finanzsektors zu einem neuen Pakt mit der Gesellschaft, der er zu dienen hat.

Hinweis: George Soros auf W&E: Das Potential der Sonderziehungsrechte

8. Dezember 2009

Finanztransaktionssteuer statt Aidwash

„Aidwash“ lautet die neueste Wortschöpfung auf der Klimakonferenz in Kopenhagen. Sie stammt vom Leiter der Verhandlungen, Yvo de Boer, und meint das Bemühen vieler nördlicher Regierungen – die schwarz-gelbe Koalition mal wieder vornean –, etwaige Zusagen zur Finanzierung der Anpassung an den Klimawandel im Süden einfach auf bereits gegebene Entwicklungshilfe-Zusagen anzurechnen bzw. aus den Entwicklungshilfe-Etats zu nehmen. Gerade mal mickrige zehn Milliarden Dollar hat man bislang für die Jahre 2010-2012 zugesagt. Zwar gestehen viele Regierungen ein, dass diese Summe bis 2020 auf jährlich 100 Milliarden gesteigert werden könnte. Doch verbindliche Zusagen werden nicht gegeben. Und selbst wenn, ist da das traurige Schicksal der sog. Gleneagles-Verpflichtungen, zu deren Umsetzung es auch keine Fahrpläne gibt.

Dies alles müsste nicht so sein, wenn sich die Regierung endlich zur konsequenten Nutzung innovativer Finanzierungsinstrumente durchringen würden. Eines dieser Instrumente ist die Finanztransaktionssteuer, für die die Petitionskampagne des Bündnisses "Steuer gegen Armut" gerade das erforderliche Quorum für eine öffentliche Anhörung im Petitionsausschuss des Bundestages erreicht hat. Dass in nur drei Wochen über 50.000 Unterschriften zusammenkamen zeigt nach Ansicht der Initiators Jörg Alt, „welch breite Unterstützung eine Besteuerung spekulativer Finanzmarktgeschäfte in der Gesellschaft findet". "Eine Finanztransaktionssteuer wird die Profitabilität kurzfristiger Spekulation mindern und so die Instabilität von Wechselkursen, Rohstoffpreisen und Aktienkursen dämpfen. Gleichzeitig wird eine solche Steuer erhebliche Erträge bringen, die unter anderem für die Umsetzung der Millennium-Entwicklungsziele der Vereinten Nationen dringend benötigt werden", erklärte der renommierte Wirtschaftsforscher Stephan Schulmeister vom österreichischen Wirtschaftsforschungsinstitut (WIFO).

Von Stephan Schulmeister ist soeben als W&E-Hintergrund (s. Abb.) ein Grundsatztext erschienen, der erklärt, wie die Finanztransaktionssteuer funktioniert und welche Auswirkungen sie hätte (>>> Tobin or not Tobin? Die Finanztransaktionssteuer. Konzept, Begründung, Effekte). Den potentiellen finanziellen Ertrag einer solchen Steuer auf sämtliche Geschäfte mit Finanztiteln in Nordamerika und Europa beziffert der Wirtschaftsforscher darin (bei einem Steuersatz von 0,1%) auf 2,3 bzw. 2,5% des jeweiligen Bruttoinlandsproduktes (BIP) bzw. (bei einem Steuersatz von 0,01%) auf 0,72 oder 0,78% des BIP. Die jahrzehntelange Diskussion um die Realisierung des 0,7%-Ziels könnte also mit einem Schlag beendet werden.

Auch ein anderes Beispiel, das der US-Ökonom Jeffrey Sachs heute in einem Leserbrief an die Financial Times nennt, zeigt, wie sehr die ganze Debatte um Geld in Wirklichkeit auch in Kopenhagen eine Frage der politischen Prioritätensetzung ist. Berichten zufolge will die US-Regierung im nächsten Haushalt 1,4 Mrd. Dollar für den Klimaschutz in armen Ländern bereitstellen. Das ist etwa genauso viel, wie sie alle zweieinhalb Tage im Irak und in Afghanistan ausgibt, oder etwa ein Viertel der Bonuszahlungen, die in diesem Jahr an der Wall Street ausgeschüttet werden.

7. Dezember 2009

Das Beste zu Kopenhagen

Es ist schier unmöglich, einen genauen Überblick über die Schwemme von Informationen zu bekommen, die anlässlich der heute eröffneten Klimakonferenz in Kopenhagen erschienen ist und fast stündlich auf den Rechner kommt. Doch wer sich über den aktuellen Stand der Klimapolitik vor Kopenhagen kundig machen will, sollte zu den folgenden beiden ausgezeichneten Papieren greifen:

>>> BUND/Oxfam Deutschland: Die UN-Klimaverhandlungen in Kopenhagen (Hintergrundpapier)
>>> Christoph Bals: Substanz oder Greenwash-Show? Die Zeit für Halbwahrheiten ist vorbei (Germanwatch/Heinrich-Böll-Stiftung)


Wer es gerne grundsätzlicher, noch hintergründiger und vor allem polit-ökonomischer hätte, sei auf das folgende Buch unseres Autors Achim Brunnengräber und das Paper von Ulrich Brand verwiesen:

>>> Achim Brunnengräber: Die politische Ökonomie des Klimawandels (Ökom)
>>> Ulrich Brand: Die Multiple Krise. Dynamik und Zusammenhang der Krisendimensionen, Anforderungen an politische Institutionen und Chancen progressiver Politik (Heinrich-Böll-Stiftung)


Und dann gibt es noch einen sehr empfehlenswerten politischen Leitfaden des NGO-Liaison-Komitees der UNO:

>>> UN-NGLS: Climate Justice for a Changing Planete. A Primer for Policy Makers and NGOs

Ach so, das hätte ich fast vergessen, das Kopenhagen-Dossier von W&E für alle, die den Klimakonflikt vor allem durch die Nord-Süd-Brille sehen, und den Böll-Blog, der täglich aus Kopenhagen berichtet:

>>> W&E-Kopenhagen-Dossier: Klimawandel als Nord-Süd-Konflikt
>>> Blog Klima der Gerechtigkeit


4. Dezember 2009

Petition Finanztransaktionssteuer: Heute letzter Tag!

Die Petitionskampagne zur Transaktionssteuer ist auf der Zielgeraden angelangt und steht kurz vor dem Erfolg. Heute ist der letzte Tag für die Mitzeichnung der Bundestagspetition zur Einführung einer Finanztransaktionssteuer (>>> Starke Dynamik). Um 24.00 Uhr läuft die Dreiwochenfrist für die nötigen 50.000 Unterschriften aus, um eine Anhörung im Bundestag zu diesem Thema zu erreichen. Zusammen mit den schriftlich eingereichten Unterschriften gab es heute Morgen rund 45.000 Zeichnungen. Es fehlten also noch ca. 5.000 Unterschriften.

Die Initiatoren der Kampagne trommeln deshalb heute nochmals nach Kräften zum Endspurt, um die letzten Unterschriften zusammen zu bekommen. Wer mitmachen will, kann das bis Mitternacht noch über folgende Links tun:

>>> https://epetitionen.bundestag.de/index.php?action=petition;sa=details;petition=8236

>>> www.steuer-gegen-armut.org

Es braucht nicht viel Zeit – fünf Minuten sollten ausreichen. Wer Hilfe braucht, findet >>> hier eine Schritt-für Schritt Anleitung für das Verfahren der Mitzeichnung.

2. Dezember 2009

Kapitalverkehrskontrollen: Wachsende Aufgeschlossenheit

Parallel zum steigenden Interesse an der Tobin-Steuer bzw. einer generellen Finanztransaktionssteuer, die auf den Handel mit allen Finanztiteln erhoben wird, hat sich eine Diskussionslinie zu einem weiteren Instrument der Finanzmarktregulierung ausgebildet, zu Kapitalverkehrskontrollen (KVKs). KVKs wären vor über zehn Jahren, kurz vor der Asienkrise durch den Liberalisierungswahn des IWF fast auf den Index gekommen und – obwohl in den IWF Articles of Agreement als Möglichkeit verankert – verboten worden. Doch jetzt scheint sich ein nüchtern-pragmatisches Verhältnis zu ihrem Einsatz mehr und mehr durchzusetzen. Hintergrund ist die erneute Kapitalflut in die Emerging Markets, die gespeist wird durch den sog. Dollar-Carry Trade, bei dem Spekulanten billige Dollars aufnehmen, um sie in Ländern und Finanzprodukten mit höherer Rendite gewinnbringend anzulegen.

Es begann Ende Oktober mit der Einführung einer Steuer auf hereinströmende Portfolioinvestitionen, um den Aufwertungsdruck auf den Real abzubremsen. Taiwan und China verfügten ähnliche Kontrollen. Und auch in Indien, Thailand, Indonesien und Südkorea gab es eine lebhafte Debatte über KVKs. Teils erfolgten die Maßnahmen halbherzig und scheibchenweise (Brasilien), teils wurde schließlich doch nichts unternommen, weil KVKs immer noch ein Stigma auf den Kapitalmärkten anhaftet und Kapitalflucht befürchtet wird. Protagonisten von KVKs wie Dani Rodrik oder Arvind Subramanian haben den IWF deshalb wegen zögerlicher Zurückhaltung kritisiert (>>> Renaissance von Kapitalverkehrskontrollen: Warum ist der IWF so stur) oder ihn aber aufgefordert, den Schwellenländern bei der Einführung von KVKs Expertise zur Verfügung zu stellen. Arvind Subramanian vom Peterson Institute in Washington hat die Schwellenländer darüber hinaus aufgefordert, die G20 als Koordinationsforum bei der Einführung von KVKs zu nutzen (>>> Time for coordinated capital account controls?).

Während noch unklar ist, ob die G20 ein geeignetes Gremium in dieser Frage sein könnte, nimmt der IWF inzwischen eine pragmatischere Rolle ein als zu Beginn, als sein Geschäftsführender Direktor Strauss-Kahn offen sagte, er halte KVKs für kein effektives Instrument. In einer Rede in London sagte Strauss-Kahn in der letzten Woche, KVKs könnten Teil eines politischen Instrumentenkastens sein, den Länder gegenüber externen Kapitalflüssen zum Einsatz bringen. Er betrachte das als pragmatische Frage und der Fonds sei hier „völlig offen“. Er ist langsam, aber es gibt ihn also, den Lernprozess beim IWF.