29. November 2006

China-Bashing: Konzerne und Arbeitnehmerrechte in China

"China-Bashing" - das Draufschlagen auf China - gehört derzeit in den USA zu den beliebtesten politischen Methoden, um von der eignen Unfähigkeit abzulenken. Dabei macht es kaum einen Unterschied, welchem politischen Lager die Protagonisten angehören oder ob sie im staatlichen oder privaten Sektor zu Hause sind. Was das wachsende Handelsbilanz der USA betrifft, so wird beim China-Bashing gerne übersehen, daß ein erheblicher Prozentsatz der von dort importierten Produkte aus Niederlassungen oder Vertragsfirmen von US-Konzernen stammt.


Um so pikanter ist es, wenn - wie jetzt bekannt wurde - Konzerne wie Wal-Mart, Google, UPS, Microsoft, Nike, AT&T und Intel über die Amerikanische Handelskammer in Schanghai und den US-China Business Council gegen eine neue Arbeitsgesetzgebung Sturm laufen, die die chinesische Regierung bis Mai 2007 auf den Weg bringen will. Die neuen Arbeitsgesetze werten die Arbeitsnehmerrechte deutlich auf (z.B. in Bezug auf Arbeitsbedingungen, Kündigungsschutz und betriebliche Präsenz von Gewerkschaften), wenngleich sie noch nicht als optimal bewertet werden können. In schriftlichen Stellungnahmen haben die beiden US-Industriellenverbände (und in abgeschwächter Form auch die EU-Handelskammer in China) ihre Besorgnis darüber zum Ausdruck gebracht, das geplante neue Arbeitsrecht könne zur Wiederbelebung gewisser sozialistischer Gepflogenheiten führen und sei zu stark an Regelungen in europäischen Ländern wie Frankreich und Deutschland orientiert. Eine Studie von "Global Labour Strategies" (>>> Behing the Great Wall of China) analysiert die fragwürdigen Lobbypraktiken der US-Konzerne in aller Ausführlichkeit und kommt zu dem Schluß, diese Bestrebungen seien darauf gerichtet, den Status quo der chinesischen Arbeitsverhältnisse aufrecht zu erhalten: billige Löhne, extreme Armut, Verweigerung grundlegender Rechte und Mindeststandards am Arbeitsplatz, fehlender Gesundheitsschutz und präkere Vertragsverhältnisse - also alles Faktoren, die gerne als "unfairer Konkurrenzvorteil" beim China-Bashing ins Feld geführt werden.

Globalisation Product (RED)


Venezuela 3.12.2006: Hugo Chavez

Ein Gespenst geht um in Lateinamerika, genannt "Populismus". Hugo Chavez in Venezuela ist der vielleicht umstrittenste "Populist". An diesem Wochenende stellt er sich zur Wiederwahl. Daß er gewählt wird, ist fast sicher. Der Grund? Er hat sein Wahlversprechen gehalten, den Ölreichtum der Nation mit den Armen zu teilen, die jetzt kostenlose Gesundheitsversorgung, subventionierte Nahrungsmittel und deutlich verbesserten Zugang zu Bildungschancen bekommen. Nachdem Chavez 2002 einen von den USA unterstützten Putsch und 2004 ein Abwahlreferendum überlebte, hat sich die politische Lage im Land stabilisiert und die Wirtschaft floriert - mit 28% Wachstum in den letzten zwei Jahren. Der kommende Sonntag könnte somit erneut den Beweis dafür liefern, wie gut dieser "Populismus" funktioniert.

Letzte Meldungen: >>> Reuters; >>> Venezuela "red, really, red" after vote

25. November 2006

Merkel und Münte: Soziale Globalisierung?

Wenig Aufschluß über die Frage, wie die Bundesregierung sich die "soziale Ausgestaltung der Globalisierung" vorstellt, die sie sich für die G8-Präsidentschaft im nächsten Jahr auf die Fahnen geschrieben hat, brachte die Internationale Konferenz, die das Bundesministerium für Arbeit und Soziales in der letzten Woche unter dem Slogan "Towards Fair Globalisation" veranstaltet hat. Immerhin griff Berlin mit dieser Losung den Titel des jetzt schon über zwei Jahre alten Berichts der von der ILO eingesetzten Weltkommission für die soziale Dimension der Globalisierung auf. Der Bericht brachte eine Fülle konkreter Anregungen für demokratische und soziale Global-Governance-Reformen (>>> W&E 03-04/2004), die bis heute auf ihre Umsetzung warten.


Gemessen an diesen Vorgaben blieben die Reden von Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem gastgebenden Minister Müntefering allersdings stark hinter den Erwartungen zurück, die an eine "fair gestaltete Globalisierung" zu knüpfen wären. Zwar schwant den beiden führenden Politikern der Großen Koalition, daß der Glaubwürdigkeitsverlust der Politik noch zunehmen wird, wenn sie die sozialen und ökologischen Konsequenzen der Globalisierung nicht in der Griff bekommt. Den einzigen konkreten Anhaltspunkt, wie die Globalisierung sozialer zu gestalten sei, gaben jedoch die Hinweise auf die von der ILO erarbeiteten Mindeststandards. Hier wurde die Kanzlerin sogar recht deutlich:
"Die Welthandelsorganisation ist eine sehr mächtige Organisation. Deshalb finde ich, daß man gerade hier über ökologische und soziale Dinge sprechen muß. Die Welthandelsorganisation kennt als eine der wenigen multilateralen Organisationen richtige Sanktionsmechanismen, so daß die Einhaltung der Standards auch hinterher eingeklagt werden kann."
Sollte dies mehr als der Glanzpunkt einer Sonntagsrede gewesen sein, so müßten wir von der Bundesregierung schon bald neue Initiativen für eine Wiederbelebung der Sozialklausel-Debatte in der WTO erwarten können. Darauf deutet allerdings nichts hin. In der Handelspolitik setzt Berlin in neomerkantistischer Manier wie eh und je auf Exportüberschüsse und die dafür notwendige Öffnung der Märkte anderer. Daß dies in Zukunft anders werden könnte, war auch auf der Berliner Konferenz nicht zu erkennen.
Zur Vorbereitung der G8-Präsidentschaft s. auch >>> G8-Paket.

23. November 2006

Globale Reformen: Die nächsten Schritte

Nach der Internationalen Konferenz zur Reform der globalen Institutionen in Genf zeichnen sich in mindestens dreifacher Hinsicht Ansatzpunkte ab, um konkrete Reformen im Sinne einer demokratischeren Global Governance durchzusetzen. Den ersten Ansatzpunkt bietet die im Bericht des Kohärenzpanels vorgeschlagene Aufwertung des UN-Umweltprogramms (UNEP) und die generelle Stärkung der globalen Umweltarchitektur (>>> W&E-Hintergrund Nov 2007). Der zweite Ansatzpunkt liegt in einer neuen Weltkonferenz für Entwicklungsfinanzierung, die nach dem derzeitigen Diskussionsstand in der UN-Generalversammlung im zweiten Halbjahr 2008 in Doha/Quatar stattfinden soll und deren Vorbereitungsprozeß im ersten Halbjahr 2007 beginnen wird. Die Konferenz soll im wesentlichen der Umsetzung des sog. Monterrey-Konsenses von 2002 dienen. Da dieser auch "systemische Fragen" einschließt, eignet sich der Prozeß gut, um den Druck für grundlegende Reformen im internationalen Finanzsystem zu erhöhen. Drittens schließlich wurde in Genf deutlich, wie wichtig es ist, den Einstieg in ein System der internationalen Besteuerung, wie er mit der Flugticket-Abgabe von einigen Ländern begonnen wurde, voranzutreiben. Von zentraler Bedeutung, so wurde hervorgehoben, ist es hier, eine "Koalition von willigen Ländern" zu formieren, die mit der Einführung von Devisentransaktionssteuern beginnt. Die Bedeutung einer solchen strategischen Führungsgruppe könne kaum überschätzt werden.


Im Abschlußplenum wurde darauf hingewiesen, daß es für die zivilgesellschaftliche Mobilisierung wichtig sei, auf drei Ebenen gleichzeitig zu arbeiten: an der Schadensbegrenzung "innerhalb des Systems", an der Reform des Systems und an der Überwindung des Systems im Sinne eines paradigmatischen Wandels. Bis zum magischen Jahr 2015, in dem die Millenniumsziele erreicht sein sollen, so prophezeite Yash Tandon vom South Centre, werde es erforderlich sein, die Schwerpunkte der Arbeit schrittweise von der ersten auf die dritte Ebene zu verlagern (>>> Reform or Transformation?).

20. November 2006

Chancen für eine globale Reformbewegung?

Bestehen zur Zeit Chancen für eine globale Reformbewegung oder fahren die Regierungen fort mit Liberalisierung und Deregulierung im Sinne des neoliberalen Mainstreams? Um diese Frage kreiste die Diskussion am ersten Tag der internationale Konferenz für eine Reform der globalen Institutionen, die von UBUNTU und ITUC in Genf ausgerichtet wird (>>> Konferenz: Reform der globalen Institutionen). Viele Redner, so Martin Khor vom Third World Network, Detlef Kotte von der UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD) und Alexandre L. G. Parola von der Vertretung Brasiliens in Genf, wiesen auf neue Elemente in der internationalen politischen Szenerie hin. Der politische Spielraum zahlreicher Länder gegenüber dem IWF sei durch die vorzeitige Rückzahlung ihrer Schulden gewachsen. Aus dem UN-System heraus würden langsam wieder Alternativen zur überkommenen Strukturanpassungspolitik formuliert, und auch in der WTO gehe es derzeit um die Frage: Rückfall ins Business as usual oder Vorwärts zu einem besseren Multilateralismus.


Geteilt waren die Positionen allerdings in Bezug auf die Aussetzung der Doha-Verhandlungen. Während Parola darauf hinwies, daß ein Scheitern der Runde nicht positiv sei, weil dies den Status quo zementiere, sieht Khor für den Süden immer noch überwiegend negative Elemente in der gegenwärtigen Verhandlungsdisposition. Kotte verwies darauf, daß die Entwicklungsländer auch in anderen Bereichen, etwa im IWF, nicht auf Reformen warten, sondern themenorientierte Koalitionen für konkrete Reformen bilden sollten.

Auffallend viele RednerInnen, so Renata Bloem von der Konferenz der NGOs mit Konsultativstatus bei der UNO (CONGO), Anna Biondi vom neu gegründeten gewerkschaftlichen Dachverband ITUC und auch die finnische Entwicklungsministerin Marjetta Rasi plädierten für eine Stärkung des UN-Wirtschafts- und Sozialrats (ECOSOC) – nicht ohne den Hinweis zu provozieren, derartige Bemühungen gebe es jetzt schon seit Jahrzehnten, ohne daß sie zu irgend etwas geführt hätten. Martin Khor plädierte – bei insgesamt großen Bedenken gegen die Vorschläge des Kohärenz-Panels von Kofi Annan – immerhin dafür, den Vorschlag zur Schaffung einer L27-Gruppe innerhalb des ECOSOC als Alternative zur G8 (>>> W&E-Hintergrund Nov 2006) sorgfältig zu prüfen.

18. November 2006

G20 vis-à-vis G8: Alternative oder Ergänzung?

Die Beratungen der G20 (Finanzminister) an diesem Wochenende in Melbourne (siehe Photo) werfen erneut die Frage auf, welches Potential die Gruppe in die Gestaltung der Global Governance künftig einbringen wird. Während sie die einen für eine pragmatische Alternative zum exklusiven Klub der G8 halten (siehe W&E-Hintergrund Jul-Aug 2006), verweisen andere darauf, daß sich die inhaltliche Agenda der beiden Gruppen kaum unterscheidet. Immerhin steht im Arbeitsprogramm der australischen Gastgeber für die G20-Präsidentschaft in diesem Jahr die weitere Reform des IWF ganz oben auf der Tagesordnung, und auch das Thema "Effektivität der Entwicklungshilfe" soll auf dem diesjährigen Treffen zur Sprache kommen.


Dem australischen Zweig der "Make Poverty History"-Kampagne ist dies freilich nicht genug. Sie will, daß die G20 eine stärkere Rolle beim Monitoring der Umsetzung der Versprechen der Industrieländer in Fragen der Millenniumsziele spielt. Auf einem alternativen Forum am Donnerstag, einem Großkonzenzert am Freitag, bei dem erneut der Rockstar Bono eine führende Rolle spielte und auf einer Demonstration am Samstag wurden die Forderungen an die G20 - von der Steigerung der Entwicklungshilfe über Schuldenstreichung bis zu einer gerechteren Welthandelspolitik - deutlich gemacht.

Um bloßen Zoff ging es allerdings einer kleinen Gruppe von etwa 100 Leuten, die am Samstag aus dem friedlichen Demonstrationszug von 3000 TeilnehmerInnen ausscherten und versuchten, die Absperrungen zum offiziellen Konferenzzentrum zu überwinden. Die Handgreiflichkeiten mit der Polizei (siehe Photo) verschafften dem Ereignis "weit hinten" in Australien dann auch hierzulande doch noch ein bißchen Medienresonanz - verquaste Logik der heutigen Medienwelt.

Hinweis: Die Ergebnisse des G20-Treffens finden sich ab dem 19.11.2006 auf der G20-Website.

17. November 2006

Konferenz: Reform der globalen Institutionen

Am 20./21. November tagt in Genf im Gebäude der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) eine Internationale Konferenz für die Reform der internationalen Institutionen. Träger sind der neu gegründete Internationale Gewerkschaftsbund (ITUC) und das Weltforum der Zivilgesellschaftlichen Netzwerke (UBUNTU). Der Ansatz der Tagung sieht Dialoge zwischen verschiedenen Governance-Ebenen und zivilgesellschaftlichen Akteuren vor ("multi-actor dialogues"). Entsprechend sind Regierungen (z.B. Mexiko, Spanien, Südafrika, Finland, Frankreich usw.) ebenso vertreten wie NGO-Netzwerke und internationale Organisationen.


Die Konferenz soll der Auftakt für die zweite Phase der bis 2009 angelegten Weltkampagne für eine tiefgreifende Reform der Internationalen Institutionen werden. Im Mittelpunkt steht die Frage, wie eine internationale soziale und politische Bewegung geschaffen werden kann, die in der Lage ist, einen Reformprozeß im Sinne der Herstellung wirklicher demokratischer Global Governance zu initiieren. Zur Diskussion steht u.a. die Identifikation von Kernelementen einer internationalen Reformagenda und die Schaffung eines "Weltkomitees für die Reform des Systems der Internationalen Institutionen", das die notwendigen weiteren Schritte identifizieren soll. W&E wird an der Konferenz teilnehmen und berichten.

16. November 2006

Frankreich will Sonderzölle gegen Klimasünder

Nach der Einführung der Flugticket-Abgabe zugunsten der Entwicklungshilfe spielt Frankreich ein weiteres Mal die Vorreiterrolle bei der Einführung neuartiger Finanzierungsinstrumente. Wie Premierminister Dominique de Villepin (s. Photo) Anfang der Woche bekanntgab, will Paris im Rahmen der EU Importabgaben für Produkte aus Ländern einführen, die sich zusätzlichen Anstrengungen auf dem Gebiet des Klimaschutzes verweigern. Dazu könnten die großen Schwellenländer des Südens, wie China und Indien, vor allem aber die USA gehören. Bis Anfang 2007 will die französische Regierung ihre Vorschläge an die EU-Mitgliedsländer konkretisieren.

Die Idee stammt von Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz. In seinem neuen Buch Die Chancen der Globalisierungschreibt der US-Amerikaner Stiglitz:

"... es wird vermutlich auch nichts anderes übrig bleiben, als den USA gegenüber strengere Saiten aufzuziehen. Schon aus Gründen der Fairness in den internationalen Handelsbeziehungen ist es nicht hinnehmbar, daß ein Land die Emission klimaschädlicher Gase durch seine Firmen auch noch subventioniert... Einem Land die Vorteile der Globalisierung durch Handelssanktionen vorzuenthalten, kann ein wirksames Instrument sein, um jenen Verantwortungsbewußsein beizubringen, die die globale Umwelt zerstören."

Der Vorschlag hat bereits die Skeptiker in der EU-Kommission auf den Plan gerufen. Sie wiesen auf die notwendige Einstimmigkeit bei Steuerbeschlüssen in der EU hin, die bereits die EU-weite Einführung der Flugticket-Abgabe verhindert hat. In der Tat zeigt auch die Auseindersetzung um die Tobin-Steuer, daß es für die Durchsetzung solcher Regulierungsformen nicht ausreichend ist, wenn sie rational begründet werden und sich auf die Autorität von Nobelpreisträgern berufen können.

15. November 2006

UN-Reform: Mehr Schwung als erwartet

Der Weltgipfel des letzten Jahres hat mehr Schwung in die internationalen politischen Prozesse gebracht, als viele erwartet hatten. Dies betrifft nicht so sehr die Umsetzung der dort bekräftigten Millennium-Entwicklungsziele (MDGs), wo es nach wie vor große Defizite zu verzeichnen gibt und die großen Industrieländer die auf dem G8-Gipfel in Gleneagles gegebenen Versprechen noch einlösen müssen. Erstaunlich ist vielmehr die Dynamik, die in den Prozeß der Reform der Organisation der Vereinten Nationen selbst gekommen ist. Oft gescholten und vor allem von den USA am liebsten umgangen, waren selten so viele wie heute der Meinung, daß die UN ein unverzichtbarer Rahmen für die Ausgestaltung von Global Governance und Krisenbewältigung sind. Die UN-Reform ein Jahr nach dem Weltgipfel ist das Thema einer neuen W&E-Hintergrund-Ausgabe (s. Abbildung). Ian Williams bilanziert darin die UN-Reformprojekte kurz vor dem Ende der Amtszeit von Generalsekretär Kofi Annan. Thomas Fues hat den soeben erschienenen Bericht des Hochrangigen Panels für systemweite Kohärenz gelesen, der eine Effektivierung im UN-Entwicklungsbereich anstrebt, und kommt zu einem gemischten Urteil. Jens Martens schließlich fragt, ob es neue Chancen für einen Durchbruch in den jahrelangen Bestrebungen zur Reform des UN-Wirtschafts- und Sozialrats (ECOSOC) gibt.

Die Hintergrund-Ausgabe ist auch Bestandteil unseres neuen G8-Pakets "Auf dem Weg nach Heiligendamm", das jetzt fortlaufend aktualisiert und an Gewicht zunehmen wird.

10. November 2006

Grandiose Fehlleistung: Die deutsche G8-Agenda für Heiligendamm 2007

Während viele NGOs die Mitte Oktober in Berlin vorgestellte Agenda der Bundesregierung für den G8-Gipfel in Heiligendamm (Juni 2007) begrüßten, weil Afrika nun doch nicht ganz hinten runter fällt, geht der Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung in seiner November-Ausgabe (s. Abbildung) mit Berlin hart ins Gericht. Über die Ungleichgewichte der Weltwirtschaft wolle die Bundesregierung nur einen Dialog führen und die Rolle des eigenen Landes als Exportweltmeister am liebsten überhaupt nicht thematisieren. Das strukturelle Überschußproblem der Weltwirtschaft sei seit Jahrzehnten nicht in Ostasien, sondern in Europa zu finden. Die Afrika-Agenda habe Berlin für Heiligendamm so gewendet, daß nur noch die afrikanischen Länder zur Ordnung gerufen würden: Sie sollten gefälligst bessere Bedingungen für private Investitionen schaffen. Und von einer Reform der Gipfelarchitektur selbst wolle die Regierung Merkel überhaupt nichts wissen, dies unter dem Vorwand die "Wertegemeinschaft" der G8 müsse erhalten werten.

Als Quintessenz einer ausführlichen Detailkritik der G8-Agenda formuliert der von Rainer Falk verfaßte Leitartikel:

"Signalisieren die Schwerpunkte der deutschen G8-Präsidentschaft also Verantwortung, Verläßlichkeit und Nachhaltigkeit, wie die Bundesregierung uns glauben machen will? Die Antwort ist einfach und ernüchternd. Beim Kampf gegen die Ungleichgewichte der Weltwirtschaft drückt sich Berlin um die eigene Verantwortung schlicht herum. Gegenüber den Erwartungen des Südens an die Industrieländer glänzt der Exportweltmeister nicht gerade durch Verläßlichkeit. Und nachhaltig ist an der deutschen G8-Agenda allenfalls das Festhalten an der Tradition eines exklusiven Klubs, der sich in der Realität aber längst überlebt hat."

Und: Um den Weg nach Heiligendamm inhaltlich besser zu unterfüttern, hat W&E - gleichsam als Marschgepäck - ein G8-Paket zusammengestellt. Neben der Hintergrundserie "Baustellen der Globalisierung" enthält es weitere Ausgaben mit Artikeln zu G8-Themen.

7. November 2006

Steuerpolitik: Let's race to the bottom

Als "U-turn" bewertet Daniel Altman in seinem Blog Managing Globalization auf der Website der International Herald Tribune die jüngsten Vereinbarungen der Großen Koalition in Deutschland zur Senkung der Unternehmenssteuern von 39 auf 29%. Bislang habe Deutschland gemeinsam mit Frankreich versucht, die Steuersätze für Unternehmen in der EU zu harmonisieren. Angesichts niedrigerer Sätze in etlichen Nachbarländern, vor allem in Osteuropa, warnten die beiden Länder vor einem "race to the bottom" (Wettlauf zum Abgrund).

Doch statt diesen Wettlauf zu stoppen, mache Deutschland jetzt mit und heize ihn kräftig an. Für SPD-Finanzminister Peer Steinbrück (Photo) und Roland Koch (CDU) ist dies sinnvoll, da die deutsche Wirtschaft so wieder "wettbewerbsfähig" werde und Arbeitsplätze entstünden. Während Altman die Argumentation der beiden offensichtlich teilt ("Die Besteuerung von Unternehmensgewinnen ist eines der lausigsten Instrumente der Erzielung von Staatseinnahmen."), kam von Attac heftiger Widerspruch. Es sei pure Ideologie zu meinen, durch weltweiten Wettbewerb alle Probleme optimal regeln zu können.

In der Tat: Solange die Politiker dieses Dogma wie eine Monstranz vor sich hertragen, können wir wirksame internationale Vereinbarungen zur Begrenzung des Steuerwettbewerbs in den Wind schreiben.

3. November 2006

Gewerkschaften und Global Governance

Starke Worte fand der Generaldirektor der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), Juan Somavia (s. Photo), auf dem Gründungskongreß des Internationalen Gewerkschaftsbundes (ITUC) in Wien. Somavia sprach zum Auftakt der Diskussion am zweiten Tag des Kongresses über "Kohäsion oder Chaos - Die globalen Institutionen". Die gegenwärtige Form der Globalisierung sei nicht unvermeidlich. Sie sei von Menschen gemacht und könne daher auch verändert werden. "Die Politik der Finanzmärkte, des Handels und der Arbeitsmärkte kann verändert werden, wenn wir feststellen, daß sie nicht optimal funktionieren." Somavia fügte hinzu:

"Bis heute wird uns gesagt, liberalisiert Eure Märkte und privatisiert den Staat, und Ihr werdet wirtschaftliches Wachstum haben und neue Arbeitsplätze bekommen. Doch wir sehen jeden Tag, daß das nicht funktioniert. Mit gutem Grund können wir fragen: Wann haben wir je über den Washington Consensus abgestimmt? Wann wurde diese Agenda (der Deregulierung, Privatisierung und Flexibilisierung; d.Red.) demokratisch angenommen. Wann wurde sie beschlossen? Offensichtlich war dies niemals der Fall."
Weniger gut kam die Botschaft des Generaldirektors der WTO, Pascal Lamy, an. Lamy sagte, im Prinzip schaffe Handel Arbeitsplätze. In welchem Umfang, sei jedoch abhängig von der Politik, die von den Ländern, insbesondere auf dem Gebiet der Bildung, gemacht werde. Lamy kündigte eine demnächst erscheinende Studie von WTO und ILO zur Auswirkung des Handels auf die Beschäftigung an.

1. November 2006

Globalisierung und Gewerkschaften

Mit der Globalisierung müsse der Internationalismus ins Zentrum der gewerkschaftlichen Organisationsarbeit und Verhandlungsstrategie gerückt werden, schrieben Guy Ryder und Willy Thys in einem Beitrag für die Financial Times, den W&E in deutscher Übersetzung dokumentiert hat. Bis gestern waren die beiden jeweils Generalsekretär des Internationalen Bundes Freier Gewerkschaften (IBFG) bzw. des Weltverbandes der Arbeitnehmer (WCL). Heute wird aus den beiden Dachverbänden ein einziger Internationaler Gewerkschaftsbund (ITUC). Dem neuen Dachverband gehören acht weitere nationale Gewerkschaftsverbände an. Insgesamt beansprucht er, 166 Millionen ArbeitnehmerInnen in 309 Mitgliedsorganisationen aus 156 Ländern zu repräsentieren.

Die Gewerkschaften sind zum Internationalismus gezwungen, wollen sie ein zentraler politischer und wirtschaftlicher Akteur in einem internationalen Umfeld bleiben, das mehr Verlierer als Gewinner produziert. Die Ungleichheit der ökonomischen Globalisierung hat gravierende Auswirkungen auf Arbeiter und Angestellte. Off-shoring, Mißachtung von Gewerkschaftsrechten und wachsende Armut sind nur einige Stichworte. Wie der alte IBFG- und wahrscheinlich auch der neue Generalsekretär des ITUC, Guy Ryder, erklärte,

"wird die Schaffung des ITUC die Kapazitäten der Gewerkschaftsbewegung auf nationaler und internationaler Ebene stärken. Gestärkt werden wir größeren Einfluß auf Unternehmen, Regierungen und internationale Finanz- und Handelsinstitutionen ausüben können."
Keine Überraschung ist es, daß der Generaldirektor der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), Juan Somavia, heute eine Grußadresse an die Gründungsdelegierten richtet. Schon ungewöhnlicher ist es, daß sich der Generaldirektor der Welthandelsorganisation (WTO), Pascal Lamy, morgen über Satellit per Video-Link an den Gründungskongreß wendet. Bis heute waren die Gewerkschaften wenig erfolgreich in ihrem Bemühen, die WTO für die weltweite Durchsetzung von Sozialstandards zu gewinnen, vor allem der sog. Kernarbeitsnormen. Aber das kann sich ja ändern. Es muß sich sogar, wenn die WTO langfristig wieder mehr internationale Akzeptanz bekommen soll. Und als führender französischer Sozialist müßte Lamy eigentlich stark daran interessiert sein, soziale Korrektive in die Globalisierung einzubauen.

Website des ITUC mit Berichten, Dokumenten, Videos und anderen Infos vom Gründungskongreß: >>> www.ituc-csi.org