1. März 2010

Spekulation: Die Herde ist los

Jetzt läuft sie wieder, die Herde der Spekulanten. Fragt sich nur, in welche Richtung? Mindestens drei Tendenzen lassen sich derzeit ausmachen. In der letzten Woche gab es die ersten Berichte, dass die Carry-Trade-Spekulanten mit der Auflösung ihrer Positionen begonnen haben. Beim Carry Trade leihen sich die „Anleger“ in großem Stil Geld in einer zinsgünstigen Währung, in den letzten Monaten im wesentlichen US-Dollars, die sie dann umtauschen und in Ländern mit günstigeren Renditen, z.B. Schwellenländern, anlegen. Die Zins- bzw. Renditedifferenzen kassieren sie – ein totsicheres Geschäft, allerdings nur so lange, wie sich an den Währungsdifferenzen wenig ändert. Steigt, wie seit Anfang des Jahres, der Dollar-Kurs, verteuern sich diese Geschäfte; die Herde beeilt sich, in den sicheren Hafen des Dollars zurückzukommen, was seinerseits den Druck auf den Dollar nach oben verstärkt.

Das Volumen dieser Geschäfte soll sich zwischen 500 und 1500 Mrd. US-Dollar bewegen, weshalb der stellvertretende Gouverneur der chinesischen Zentralbank, Zhu Min, den Carry Trade kürzlich auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos als die größte Gefahr für die Weltwirtschaft in diesem Jahr bezeichnete. Inzwischen wurden Umschichtungen aus Carry-Trade-Positionen in den Euro gemeldet, womit wir bei der zweiten aktuellen Spekulationswelle wären. Diese besteht aus Leerverkäufen, mit denen auf einen fallenden Euro-Kurs spekuliert wird. Hinzu kommt (drittens) die Spekulation mit den sog. Kreditausfallswaps („Credit Default Swaps“ – CDS). Das sind eigentlich Versicherungskontrakte für den Fall, dass ein Staat (aktuell möglicherweise Griechenland) seine Schulden nicht mehr bedienen kann. Nur: Inzwischen werden diese CDSs auch wild von denen gehandelt, die gar keine Staatspapiere halten. Das ist dann so, als würde ich eine Feuerversicherungspolice für das Haus meines Nachbarn kaufen; entsprechend wächst mein Interesse, dass dessen Haus in Flammen aufgeht. Genauso wächst auch das Interesse der CDS-Spekulanten (übrigens oft dieselben Banken, die den Staaten das Geld geliehen haben), die Situation in den südeuropäischen Ländern weiter schlecht zu reden.

Inzwischen ist deutlich zu spüren, wie das Unbehagen angesichts der Spekulationswellen wächst. Dagegen gibt es probate politische Mittel: Leerverkäufe kann man verbieten, was in Deutschland in den letzten eineinhalb Jahren der Fall war. Auch CDSs, insbesondere wenn sie nur zu Spekulationszwecken gehandelt werden, lassen sich verbieten, was dieser Tage die französischen Finanzministerin Christine Lagarde ins Gespräch gebracht hat. Etwas schwieriger wäre eine Beruhigung der Währungsschwankungen, weil dies ein deutlich höheres Maß an internationaler Kooperation erforderte. Bis dahin aber gibt es das Instrument der Kapitalverkehrskontrollen, das Brasilien im letzten Herbst angesichts des Ansturms ausländischer Carry Trades beherzt zum Einsatz brachte.

Die spekulativen Angriffe auf den Euro sind mittlerweile so stark, dass selbst der Luxemburger Ministerpräsident und Eurogruppenchef Jean-Claude Juncker wie ein Attac-Aktivist redet. In einem Interview mit dem Handelsblatt erklärte er heute: „Wir müssen das Primat der Politik wieder stärken. Sie muss die Finanzmärkte stoppen können.“ Und: „Wir haben die Folterwerkzeuge im Keller, und wir zeigen sie, wenn es nötig ist.“ Besser wäre es freilich, die Werkzeuge nicht nur zu zeigen, sondern auch zum Einsatz zu bringen. Sonst könnte es sein, dass aus der Herde von Spekulanten eine Horde wird, die sich von niemandem mehr einfangen lässt.

Keine Kommentare: