Die Sonderziehungsrechte als Allzweckwaffe?
Spätestens seit dem Londoner G20-Gipfel im letzten Jahr sind die Sonderziehungsrechte (SZR), jene Kunstwährung des IWF, die aus einem Korb von derzeit vier Währungen (Dollar, Yen, Euro und Pfund) gebildet wird, in (fast) aller Munde. Unmittelbar nach dem Gipfel schlug George Soros, seit langem schon Anhänger einer SZR-Aufwertung, vor, das die Industrieländer die ihnen in London zusätzlich zugeteilten SZR an die Entwicklungsländer transferieren sollten, um diesen eine ausreichende Kreditversorgung und eine antizyklische Konjunkturpolitik zu ermöglichen (>>> Das Potential der Sonderziehungsrechte). Auf dem Klimagipfel in Kopenhagen brachte Soros dann die SZR als Finanzierungsinstrument für die Klimapolitik ins Gespräch (>>> Die Finanzierung des Kampfes gegen den Klimawandel). Kurze Zeit später folgte der inzwischen vom IWF-Vorstand wieder verworfene Vorschlag, einen aus SZR gespeisten Klimafonds gleich beim IWF anzusiedeln (kritisch dazu >>> Liane Schalatek in W&E 03-04/2010).
Wesentlich weitreichender als diese entwicklungspolitischen oder klimapolitischen Nutzungsvorschläge ist jedoch die Idee, erheblich aufgestockte Sonderziehungsrechte zum Kern eines neuen Multiwährungsstandards bzw. eines neuen Währungsreservesystem zu machen. Ideen dieser Art wurden sowohl von der IWF-Spitze selbst, als auch von Schwellenländern wie China, Brasilien und Russland geäußert. In diese Richtung gingen auch schon die Empfehlungen der Stiglitz-Kommission. Jetzt greift eine neue Studie zweier britischer Think Tanks die Idee auf (>>> Beyond the Dollar: Rethinking the International Monetary System). Danach soll ein Multiwährungssystem allmählich an die Stelle des jetzigen, ausschließlich am Dollar orientierten Leitwährungssystems treten. Die Einführung eines solchen Systems mit SZR in seinem Zentrum solle nicht mit einem „big bang“, sondern graduell geschehen, wobei die jetzt begonnene Dekade als eine des Übergangs angesehen wird.
Die Zusammensetzung des Währungskorbs, der den SZR zugrunde liegt, wird alle fünf Jahre überprüft. Die nächste Überprüfung ist bereits Ende 2010 fällig. Dabei könnte etwa der chinesische Yuan einbezogen werden. Weitere Empfehlungen der Studie sind: regelmäßige und vorhersagbare Aufstockung der SZR – mindestens so schnell wie das globale Bruttoinlandsprodukt wächst; Schaffung eines politisch unabhängigen Ausschusses für internationale Währungspolitik, der Vorgaben für den IWF formuliert; Errichtung eines Substitutionskontos beim IWF, in dem die Mitgliedsländer im Austausch gegen SZR Dollars, Euros etc. deponieren können; Erweiterung des Gebrauchs von SZR auf den privaten Sektor; und schließlich eine wesentlich schnellere Anpassung der Stimmrechte im IWF an realwirtschaftliche Veränderungen. Ein Vorschlag dürfte in der Tat so lange nicht realistisch sein, wie den schwächeren Mitgliedsländern im Fonds nicht wesentlich stärkere Mitspracherechte zugebilligt werden: die Idee, den IWF – ähnlich wie die WTO in Handelsstreitfragen – zur Schiedsstelle bei Währungsstreitigkeiten aufzuwerten. Und eine weitere Grundphilosophie des Fonds müsste sich ändern: das Prinzip, dass immer nur einseitig gegen Defizitländer vorgegangen wird, die Überschussländer aber nicht belangt werden (>>> Wege aus den globalen Ungleichgewichten: Ein Plädoyer des South Centre).
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