Die Schwächen der Agenda von Pittsburgh
Heute morgen hat ZEIT ONLINE einen Kommentar von mir und Barbara Unmüßig zur Agenda von Pittsburgh veröffentlicht. Hier ist der Text:
Die Pläne der G 20 greifen zu kurz. Um neue Exzesse zu verhindern, müssen die Staaten die schädlichen Spekulationen an den Finanzmärkten stoppen. Ein Gastkommentar von Rainer Falk und Barbara Unmüßig.
Die globale Wirtschafts- und Finanzkrise ist alles andere als überwunden. Vielmehr erleben wir gerade ihre vierte Welle. Nach dem Ausbruch der Finanzkrise in den USA und Europa griff sie zunächst auf die Realwirtschaft über. Dann kam die Ansteckung der südlichen Staaten des Globus. Jetzt wird die Ausbreitung der Massenarbeitslosigkeit in den Industrieländern erwartet. Viel zu kurz greift da die Mikroregulierung, um die in Pittsburgh gerungen wird.
Die Europäer wollen vor allem die Deckelung der Boni an Manager verhandeln; die US-Amerikaner plädieren dafür, die Schuldenhebel zu begrenzen, mit denen die Banken operieren. Hinzu kommt der Plan, die Eigenkapitalhinterlegung der Banken aufzustocken. In allen drei Fällen lautet die Argumentation: Eine Hauptursache der Finanzmarktkrise war die übermäßige Risikobereitschaft, geboren aus Gier und Übermut der Finanzmarktakteure. Um eine Wiederholung der Krise zu verhindern, müssten diese Verhaltensweisen gezähmt werden.
Ganz falsch ist die Argumentation nicht. Doch Gier und Risikobereitschaft sind das eine – das regulatorische Umfeld, in dem sich diese entwickeln können (oder nicht), ist das andere. Solange also der Mangel an Disziplinierungsmechanismen auf den Finanzmärkten fortbesteht, wird auch die Lust zum Risiko nicht abebben. Um die Tendenz zur übermäßigen Verschuldung und das prozyklische Herdenverhalten der Finanzmarktakteure – die Hauptursachen der systemischem Instabilität auf den Finanzmärkten – in den Griff zu bekommen, bräuchte es zusätzlich und ergänzend makroökonomische Regulierungen. Gerade solche Schritte sind im G-20-Kreis bislang kaum angedacht worden.
Alle Welt beklagte zwar, dass den Banken aus dem Too big to fail ein gewaltiges Erpressungspotenzial gegenüber den Staaten erwächst. Aber inzwischen sind die Banken noch größer geworden und die Schuldenhebel sind durchweg gewachsen. Die Krise hat einen Konzentrations- und Zentralisationsprozess in der Finanzbranche ausgelöst, in dem viele insolvente Konkurrenten geschluckt wurden. Doch nur ganz wenige – wie der Chef der britischen Finanzaufsicht, Lord Turner – geben zu, dass der Finanzsektor zu groß geworden ist und viele seiner Aktivitäten nur von minimalem oder gar keinem gesellschaftlichen Nutzen sind.
Nehmen wir ein anderes Problemfeld, die grassierende Spekulation mit Währungen und Rohstoffen. Von einem entschlossenen Vorgehen gegen diese destabilisierenden Faktoren kann bislang keine Rede sein. Das Thema ist nach wie vor nicht einmal auf der Agenda der G 20.
Dabei gibt es durchaus diskutable Vorschläge: So ließe sich der US-Dollar als bislang einzige globale Reservewährung durch einen Währungskorb unter Einschluss einer aufgewerteten Rolle der Sonderziehungsrechte beim IWF, wie von der Stiglitz-Kommission und China ins Gespräch gebracht, ersetzen. Oder es könnte ein neues Wechselkursregime ausgehandelt werden, wie es gerade wieder die UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD) vorgeschlagen hat.
Das Thema Reservewährungen und Wechselkurse ist nicht zuletzt deshalb ein großes Tabu, weil der herrschende Status quo dafür sorgt, dass im Falle von Krisen sämtliche Anpassungslasten nur den Defizitländern aufgebürdet werden, die USA als Defizitland, das die globale Reservewährung selbst druckt, selbstredend ausgenommen. Die herrschende Governance-Struktur im IWF mit ihrem One-Dollar-One-Vote-Prinzip garantiert eine ungleiche Machtverteilung, unter der den Schuldnerländern nach wie vor prozyklische Sparmaßnahmen aufgezwungen werden können, während sich die Industrieländer und einige Schwellenländer großzügige Konjunkturpakete genehmigen.
Man kann das Bail-out der Banken und die Konjunkturprogramme in vielerlei Hinsicht kritisieren. So ist es verheerend, dass die Banken nicht an den Kosten ihrer Rettung beteiligt wurden – ein Versäumnis, das einige jetzt mit der neu ins Gespräch gebrachten Kapitaltransaktionssteuer wettmachen wollen. Unerträglich ist auch, wie wenig die Konjunkturprogramme mit den Erfordernissen eines klima- und ökologiepolitischen Umbaus (Stichwort Green New Deal) abgestimmt wurden. Dennoch wäre es ein großer Fehler, in der gegenwärtigen Situation, in der spärliche Erholungstendenzen – wenn überhaupt – fast ausschließlich durch staatliche Programme getragen werden, bereits wieder zur Rücknahme aktiver Konjunkturpolitik zu blasen.
Aber auch im Süden brauchen wir mehr und nicht weniger Liquidität: zum Ausgleich der aktuellen Krisenfolgen; um bei den unerledigten Ausgaben im Bereich der Armutsbekämpfung weiterzukommen; mit eingerechnet werden müssen drittens die klimapolitischen Kosten von Minderungs- und Anpassungsmaßnahmen im Süden, die im Rahmen eines ökologischen Lastenausgleichs vornehmlich vom Norden übernommen werden müssen.
Deshalb muss der G-20-Gipfel auch ein Zeichen für mehr finanzielle Großzügigkeit gegenüber denen setzen, die in Pittsburgh nicht mit am Verhandlungstisch sitzen.
Hinweis: Eine ausführliche Version dieses Beitrags finden Sie >>> hier.
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