26. August 2019

G7 in Biarritz: Faust in der Tasche und Herz in der Hose

Statt dem Rabauken Donald Trump in Biarritz Widerstand entgegenzusetzen, wie es unser Gastkommentator Jeffrey Sachs (s. vorigen Eintrag) gefordert hatte, blieben auf dem offiziellen G7-Gipfel die Fäuste in der Tasche und das Herz in der Hose. Trump wandelte die Aufforderung Chinas, an den Verhandlungstisch zurückzukehren in seinen eigenen Erfolg um, den französischen Präsidenten Macron ließ er mit dem Versuch einer neuen Iran-Initiative geschickt auflaufen (niemand kann sagen, was aus den Ankündigungen wird) und auch die von Frankreich geplante neue Digitalsteuer für Internetkonzerne nahm Trump nicht wirklich aus der Schusslinie. Die restlichen G7-Führer reagierten wie gewohnt erleichtert nach dem Motto: Es hätte alles noch viel schlimmer kommen können. Es geht also weiter wie gehabt.


Wie gehabt schmächtig sind auch die Initiativen, die die G7 überhaupt noch zustande bringen. Beispiel 1: Die neue Partnerschaft der G7 mit den Amazonas-Ländern vor dem Hintergrund der größten Waldbrände in der Region seit Menschengedenken. 20 Mio. Dollar wollen die G7 dafür jetzt bereitstellen. Das ist im wahrsten Sinne des Wortes ein Tropfen auf den heißen Stein. Die Riesenbrände sind das Resultat der Politik des neuen Präsidenten Bolsonaro, der unter dem Vorwand das Feuer zu löschen das Militär nun auch gegen indigene Völker in bislang sakrosankten Zonen vorgehen lässt. Doch auch die G7 ist historisch verantwortlich für die Klimakrise, und auch in Biarritz taten sie wieder einmal nichts, um den Kampf gegen steigende Emissionen zu verstärken.

Beispiel 2: Die neue Partnerschaft der G7 mit dem Sahel südlich der Sahara. Bislang erhält der Sahel gerade mal 1% der gesamten Entwicklungshilfe der G7-Länder. Die neue „Partnerschaft“ ist daher nur neu in Worten, kritisierte Oxfam. Die Region ist eine der ärmsten Regionen der Welt, in der die reichsten 10% doppelt so viel Reichtum angehäuft haben wie die 40% Ärmsten. Und sie ist die am meisten von der Klimakrise betroffene Weltregion. Für das Gastgeberland Frankreich ist dies nicht die erste Zusage ohne Konsequenzen. Im Vergleich zu seinen bereits gegebenen Zusagen bei der Entwicklungshilfe ist Paris mit 5 Milliarden Euro im Rückstand!

Die Forderungen nach der Auflösung der G7 – auch in diesem Blog – sind Legion. Auch nach Biarritz behält diese Forderung Plausibilität. Denn auch dort zeigte sich: Die G7 ist das Forum für die Diskussion großer Fragen. Doch Taten folgen nicht.

24. August 2019

Widerstand gegen Trump ist angesagt auf dem G7-Gipfel

Trumps Böswilligkeit ist grenzenlos. In Biarritz sollte Europa mit Appeasement, Schmeichelei und feigen Konzessionen gegenüber Trump aufhören und zum Widerstand übergehen. Wie dies aussehen könnte, zeigt der folgende

Gastblog von Jeffrey D. Sachs


Donald Trump wird Europa anlässlich des G7-Gipfels in diesem Monat einen neuerlichen Besuch abstatten, und den europäischen Regierungen gehen, was den Umgang mit diesem US-Präsidenten angeht, die Optionen aus. Sie haben versucht, ihn zu bezirzen, zu überreden, zu ignorieren oder anzuerkennen, dass man anderer Meinung ist. Doch Trumps Böswilligkeit ist grenzenlos. Die einzige Alternative ist daher, ihm Widerstand zu leisten.

Das unmittelbarste Problem ist der europäische Handel mit dem Iran. Dies ist keine Kleinigkeit; es ist ein Kampf, den zu verlieren sich Europa nicht leisten kann.Trump ist in der Lage, anderen ohne Hemmungen großen Schaden zuzufügen, und er tut dies nun mit wirtschaftlichen Mitteln und mit der Androhung militärischer Maßnahmen. Er beruft sich auf wirtschaftliche und finanzielle Notstandsbefugnisse, die darauf zielen, den Iran und Venezuela in den wirtschaftlichen Zusammenbruch zu treiben. Er versucht, das Wirtschaftswachstum Chinas zu verlangsamen oder zu stoppen, indem er die US-Märkte für chinesische Exporte schließt, den Verkauf von US-Technologie an chinesische Unternehmen beschränkt und China zum Währungsmanipulator erklärt.

Es ist wichtig, diese Handlungen als das zu benennen, was sie sind: die persönlichen Entscheidungen eines unmäßigen Individuums und nicht das Ergebnis gesetzgeberischen Handelns oder auch nur des Anscheins öffentlicher Debatten. Bemerkenswerterweise leiden die USA 230 Jahre nach Verabschiedung ihrer Verfassung nun unter einem Alleinherrscher. Trump hat seine Regierungen von allen gesäubert, die wie beispielsweise Ex-Verteidigungsminister und General a. D. James Mattis selbst Statur besaßen, und nur wenige Republikaner im Kongress äußern auch nur gemurmelten Widerspruch.

Trump wird fälschlich weithin als zynischer Politiker beschrieben, dem es um persönliche Macht und finanzielle Vorteile geht. Doch die Situation ist viel gefährlicher. Trump ist psychisch gestört; er ist ein größenwahnsinniger, paranoider Psychopath. Und das ist nicht als Beschimpfung gedacht. Trumps geistiger Zustand macht es ihm unmöglich, Wort zu halten, seine Feindseligkeit unter Kontrolle zu halten und Zurückhaltung zu üben. Die Antwort hierauf muss Widerstand und darf nicht Appeasement heißen.

Selbst wenn Trump nachgibt, brodelt sein Hass. Bei einem Treffen mit dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping auf dem G20-Gipfel im Juni erklärte Trump einen Waffenstillstand in seinem „Handelskrieg“ mit China. Doch ein paar Wochen später kündigte er neue Zölle an. Trump war unfähig, seine eigenen Worte umzusetzen, und das trotz der Einwände seiner eigenen Berater. Zuletzt hat ihn ein Absturz auf den Weltmärkten zum vorübergehenden Rückzug gezwungen. Doch seine Aggression gegenüber China wird sich fortsetzen, und sein zügelloses Vorgehen gegenüber dem Land wird Europas Wirtschaft und Sicherheit zunehmend bedrohen.

Trump versucht aktiv, jedes Land zu brechen, das sich seinen Forderungen widersetzt. Das amerikanische Volk ist nicht so arrogant und unmäßig, aber einige von Trumps Beratern sind es mit Sicherheit. Der Nationale Sicherheitsberater John Bolton und Außenminister Mike Pompeo etwa verkörpern beide einen einzigartig arroganten Ansatz gegenüber der Welt, der im Falle Pompeos noch durch religiösen Fundamentalismus verschärft wird…



der vollständige Kommentar findet sich >>> hier.

23. August 2019

Gipfel in Biarritz: Die Krisen und die G7

Im Vorfeld des G7-Gipfels, der am Wochenende in Biarritz zusammenkommt, philosophierte der Gastgeber, der französische Präsident Emmanuel Macron, über die Krisen dieser Welt. Wir durchlebten derzeit eine „tiefe Krise der Demokratrie“, sagte er und fügte hinzu, es gebe auch eine „Krise des Kapitalismus“ und eine „Krise der Ungleichheit“. Eine „Krise der G7“ erwähnte er nicht. Da trifft es sich gut, dass Oxfam pünktlich zum Gipfel eine Studie herausgebracht hat – eine Handreichung gleichsam, die unter dem Titel The G7‘s Deadly Sins („Die sieben Totsünden der G7“) die Versäumnisse der G7 auf sieben wichtigen Politikfeldern benennt und aufzeigt, was die G7 tun müssen, um soziale Ungleichheit zu verhindern.


Die Ankündigung Macrons, den Kampf gegen soziale Ungleichheit zur Priorität auf dem kommenden G7-Gipfel zu machen, wird in der Tat ein Lippenbekenntnis bleiben, wenn die G7 ihre aktuelle Politik fortsetzen: Ungerechte Steuersysteme und schädliche Steuerpraktiken verhelfen Unternehmen und reichen Einzelpersonen zu drastischen Gewinnen, enthalten Entwicklungsländern aber wichtige Steuereinnahmen vor. Die Einnahmen fehlen den Entwicklungsländern, um sie in öffentliche Bildungs- und Gesundheitssysteme sowie soziale Sicherung zu investieren. Dies wäre aber dringend nötig, um Armut und Ungleichheit zu verringern und Geschlechtergerechtigkeit zu stärken, da Frauen und Mädchen derzeit den Löwenanteil an unbezahlter Pflege- und Sorgearbeit leisten.

Ein wichtiges Instrument gegen schädliche Steuerpraktiken ist Transparenz. Doch beispielsweise Deutschland treibt hier seit Jahren ein doppeltes Spiel: „Die Bundesregierung spricht sich für Steuertransparenz aus, blockiert aber in Europa nach Kräften eine Regelung, die Konzerne verpflichten würde, öffentlich zu berichten, in welchen Ländern sie wie viel verdienen und welche Steuern sie darauf zahlen“, kritisiert Oxfam. Zwar setzt sich Deutschland gemeinsam mit Frankreich international für Mindeststeuersätze ein, tut aber wenig dafür, dass deutsche Unternehmen in Entwicklungsländern tatsächlich höhere Steuern zahlen.

Auch beim Klimaschutz werden die G7-Länder (und keineswegs nur die USA) ihrer Verantwortung nicht gerecht. Keines der G7-Länder auch nur annähernd genug, um den Klimawandel zu begrenzen und arme Länder darin zu unterstützen, sich an die Folgen der Erderwärmung anzupassen. Dürren, Stürme und Überschwemmungen rauben bereits heute Millionen Menschen im Globalen Süden ihre Existenzgrundlagen und verschärfen dort Armut und Hunger. Die Verantwortung hierfür liegt klar bei den G7-Ländern, auf die ein Großteil der weltweiten CO2-Emissionen entfällt.
Auch Deutschland kommt seiner Verantwortung nicht ausreichend nach: „Statt das Pariser Abkommen in Deutschland umzusetzen, bremst die Bundesregierung den Ausbau der erneuerbaren Energien, bekämpft in Brüssel wirksame Effizienzstandards für Autos und möchte, dass noch bis 2038 Kohlekraftwerke Treibhausgase in die Luft pumpen. Es sind vor allem die Ressorts Wirtschaft, Verkehr und Landwirtschaft, die damit die Überhitzung der Atmosphäre weiter anfeuern“, kritisiert Oxfam.

Oxfam fordert von den G7-Staaten unter anderem, ein gerechtes Steuersystem zu schaffen, durch das Unternehmen und reiche Einzelpersonen ihren fairen Beitrag zum Gemeinwesen leisten. Die zusätzlichen Steuereinnahmen müssen in den Ausbau öffentlicher Systeme für Bildung, Gesundheit und soziale Sicherung fließen sowie in höhere Entwicklungszusammenarbeit. Darüber hinaus müssen die G7-Länder ihre CO2-Emissionen drastisch verringern, mit dem Ziel, diese deutlich vor 2050 auf null zu bringen. Zudem müssen sie bis 2020 die versprochenen Klimahilfen für arme Länder in Höhe von 100 Milliarden US-Dollar pro Jahr bereitstellen.

5. August 2019

Geschachere um IWF-Spitze: Unredliches Europa

Die europäischen Finanzminister haben am späten Freitagabend letzter Woche in einem langen und komplizierten Abstimmverfahren die jetzige Vizepräsidentin der Weltbank, die Bulgarin Kristalina Georgieva, zur Kandidatin für die Position der Geschäftsführenden Direktorin des IWF nominiert. Damit ist der ehemalige niederländische Finanzminister und Sprecher der Euro-Gruppe Jeroen Dijsselbloem, den neben den Niederlanden die Deutschen und die Finnen wollten, aus dem Rennen. Das ist die gute Nachricht. Denn Dijsselbloem wäre mit Sicherheit die schlechteste Variante gewesen. „Als Präsident der Euro-Gruppe von 2013 bis 2018“, so schrieb der Columbia-Professor Adam Tooze letzte Woche, „verkörperte er eine Mischung aus populistischer nordischer Missgunst und finanzpolitischer Engstirnigkeit, die die Politik der Eurozone gegenüber Zypern und Griechenland bestimmte.“ Leicht vorzustellen, wie er den IWF mit fortgesetzten Oktrois gegenüber den Gläubigern weiter in Verruf gebracht hätte.


Die schlechte Nachricht gibt es dennoch. Sie liegt in der Chuzpe, mit der die Europäer – allen Änderungen der Kräfteverhältnisse in der Weltwirtschaft zum Trotz – an dem archaischen „Recht“ festhalten, die Spitzenposition im IWF zu besetzen. Da ist es ein schwacher Trost, wenn die Financial Times heute darüber spekuliert, dass Georgieva wahrscheinlich den Kurs ihrer Vorgängerin Lagarde fortsetzen dürften, den Blick des Fonds „stärker auf die Bedeutung von Ungleichheit, Gender und Klimawandel zu legen“. Denn abgesehen davon, dass letzteres eher rhetorische denn reale Änderungen (z.B. an der berüchtigten Konditionalität der IWF-Kredite) waren (>>> Der Washington Consensus lebt), müsste Georgieva hier erst einmal liefern.

Der eigentliche Skandal ist, dass die Europäer noch im 75. Jahr nach der Gründung von IWF und Weltbank in Bretton Woods an einem „Gentlemen Agreement“ festhalten, das eigentlich gar keines ist, sondern ein überkommener Machtanspruch. Warum sollten die USA auf Ewigkeit das „Recht“ genießen, den Präsidenten der Weltbank zu bestimmen, und die Europäer das „Recht“, die IWF-Spitze zu besetzen? In den letzten Jahren hat es bescheidene Versuche in beiden Bretton-Woods-Institutionen gegeben, bei der künftigen Auswahl des Spitzenpersonals auch Kriterien wie Qualifikation („merit-based“) und Offenheit zum Zuge kommen zu lassen. Das hätte auch Kandidaten aus Schwellenländern eine Chance eröffnet. Mit der Wahl von David Malpass zum Weltbankchef vor einigen Wochen (übrigens ein Weltbank-Gegner und populistischer Kritiker) und der Nominierung von Kristalina Georgieva zur IWF-Chefin sind diese Ansätze wieder einmal zunichte gemacht worden. Multilaterale Redlichkeit, die manche Europäer so gerne für sich beanspruchen, sieht anders aus.