G20-Vorsitz: Argentiniens schlechter Start
Das hat es noch nie gegeben, noch nicht einmal 2001 in Katar: Argentinien als Gastgeber der WTO-Ministerkonferenz verweigerte die Akkreditierung und Einreise von 65 Vertreter/innen von etwa 20 Nichtregierungsorganisationen, Think Tanks und Gewerkschaften, darunter langjährige Beobachter der WTO-Verhandlungen. Betroffen waren auch deutsche Organisationen, darunter Ernst-Christoph Stolper, stellvertretender Vorsitzender des BUND und von 2011 bis 2012 grüner Staatssekretär in Rheinland-Pfalz. Die meisten betroffenen Organisationen sind im weltweiten Netzwerk “Our World ist not for Sale” organisiert, das schon seit vielen Jahren die globalen Handelsverhandlungen kritisch begleitet.
Das beispiellose Vorgehen wuchs sich zum PR-Desaster für die argentinische Regierung aus: Sowohl die Financial Times wie auch die New York Times kritisierten das Vorgehen der argentinischen Regierung. Die argentinischen Nichtregierungsorganisationen, darunter die von der Regierung selbst als C-20 Vorsitzende eingesetzte Organisation Poder Ciudadano, äußerten ihre Kritik in einem Offenen Brief an die Regierung. Die WTO-kritischen Nichtregierungsorganisationen erhielten plötzlich eine ungeahnte Aufmerksamkeit der internationalen Presse für ihre Stellungnahmen.
Zum PR-Desaster gesellte sich ein diplomatisches Debakel: Die EU-Handelskommissarin Malmström schrieb einen Brief an den argentinischen Außenminister, in dem sie die Rücknahme der Entscheidung forderte. Berichten zufolge protestierten die Botschaften Deutschlands, Frankreichs, Kanadas, Brasiliens und die EU-Delegation bei der argentinischen Regierung aufgrund der Zurücknahme der Akkreditierung ihrer Staatsbürger.
Erwähnenswert, wenn auch eher symbolisch bedeutsam, ist in diesem Kontext, dass den Nichtregierungsorganisationen die Teilnahme an der offiziellen Eröffnung der Ministerkonferenz im Kongresszentrum von Buenos Aires verwehrt wurde. Deborah James, Koordinatorin des Netzwerks “Our world is not for sale” berichtet, dass üblicherweise in der Vergangenheit 50 Plätze in der Eröffnungssitzung für NGOs reserviert waren. Nun also Ausschluss - und die NGOs im mehrere Kilometer entfernten Konferenzgebäude “Centro Cultural Kirchner” wurden per Eil-Mail um 14:15 Uhr zum Verlassen des Gebäudes aufgefordert, um ab 15 Uhr die Vorbereitungen für einen hochrangigen Empfang in den Abendstunden zu ermöglichen.
In Buenos Aires wird gerätselt, was das ausgesprochen plumpe Vorgehen der argentinischen Regierung motiviert, welches so offensichtlich das von Präsident Macri gepflegte Selbstbild eines weltoffenen Argentiniens demontiert. Ist es einfach nur Unfähigkeit der Sicherheitsorgane, die angesichts einer im Vorfeld geschürten Angst vor gewalttätigen Protesten blindlings jedwede Organisation unter Generalverdacht stellten, die sich schon einmal durch WTO-Kritik hervorgetan hat?
Das Geschehen rund um die WTO-Konferenz fügt
sich jedenfalls ein in eine Serie von beunruhigenden Ereignissen der letzten
Tage. Die Spielräume für die argentinische Zivilgesellschaft verschlechtern
sich im zweiten Jahr von Macris Präsidentschaft spürbar. Während staatliche
Institutionen im Jahr 2016 soziale Konflikte eher auf dem Verhandlungsweg zu
lösen versuchten, verschärfte sich in diesem Jahr die Polizeigewalt, rechtlich
abgefedert durch neue Sicherheitsprotokolle und Gesetzesentwürfe. Eine jüngere Studie des renommierten Instituts CELS spricht von
besorgniserregenden Einschränkungen des Demonstrationsrechts.
Auch wenn nun letztlich
ein Großteil der Zivilgesellschaft an den Aktivitäten im Rahmen der
WTO-Konferenz teilnehmen kann, bleibt ein schlechter Nachgeschmack angesichts
des willkürlichen Ausschlusses von mehr als 40 Vertreter/innen. Argentinien hat
sich mit diesem Vorfall kräftig blamiert. Damit setzt das Land keine guten
Vorzeichen für seine G20-Präsidentschaft, die es am 1. Dezember 2017 von
Deutschland übernommen hat. Dass die als C-20 organisierte Zivilgesellschaft
auch keinen Cent an Unterstützung erhalten soll, ist ein weiterer Pinselstrich
im Bild einer Regierung, die mit zivilgesellschaftlicher Kritik auf Kriegsfuß
steht und in zunehmendem Maße auf repressive Maßnahmen zurückgreift, um
kritische Stimmen einzudämmen.