28. März 2017

Europas Banken: Exzessive Profite in Steueroasen

Europäische Banken stehen im Verdacht, massiv Gewinne in Steueroasen zu verschieben und sich so vor ihrem fairen Steuerbeitrag zum Gemeinwohl zu drücken. Das geht aus dem Bericht „Opening the vaults: the use of tax havens by Europe's biggest banks“ (etwa: Öffnung der Tresore: Die Nutzung von Steueroasen durch Europas größte Banken) hervor, den die Nothilfe- und Entwicklungsorganisation Oxfam gemeinsam mit Fair Finance Guide International veröffentlicht hat. Für den Bericht wurden die Finanzflüsse der 20 größten Banken der EU (s. Liste) ausgewertet. Das wurde möglich, nachdem die EU im Jahr 2013 infolge der Finanzkrise Banken zu öffentlicher länderbezogener Berichterstattung über Gewinne und Steuerzahlungen verpflichtet hatte.


Die 20 größten europäischen Banken

  • Deutschland: Deutsche Bank, Commerzbank AG, IPEX
  • Frankreich: BNP Paribas, Crédit Agricole, Société Générale, BPCE, Crédit Mutuel-CIC
  • Großbritannien: HSBC, Barclays, RBS, Lloyds, Standard Charter
  • Italien: UniCredit, Intesa Sanpaolo
  • Niederlande: ING Group, Rabobank
  • Spanien: Santander, BBVA
  • Schweden: Nordea

Wesentliche Ergebnisse der Untersuchung sind:

Mit etwa 25 Mrd. Euro fallen 26% des Gewinns der untersuchten Banken in Steueroasen an, obwohl sie dort nur 12% ihres Umsatzes erwirtschaften und nur 7% ihres Personals beschäftigen. 
Gewinne in Steueroasen werden nicht oder kaum versteuert. Auf Gewinne in Höhe von 383 Mio. Euro haben die untersuchten Banken nicht einen einzigen Cent Steuern gezahlt.
Niederlassungen in Steueroasen sind für Banken durchschnittlich doppelt so lukrativ wie andernorts: Pro 100 Euro Umsatz weisen sie in Steueroasen 42 Euro Gewinn aus. Der globale Durchschnitt indessen liegt bei 19 Euro pro 100 Euro Umsatz.

Die untersuchten Banken haben mindestens 628 Mio. Euro Gewinn in Steueroasen gemeldet, in denen sie überhaupt keine Beschäftigten haben. So will die französische Bank BNP Paribas völlig ohne Personal vor Ort auf den Kaimaninseln 134 Mio. steuerfreien Gewinn erwirtschaftet haben.

Einige Banken arbeiten vermeintlich vor allem in Steueroasen lukrativ. So wies beispielsweise die Deutsche Bank für 2015 weltweit Verluste von 6,1 Mrd. Euro aus, will aber ausgerechnet in Luxemburg über eine Milliarden Euro (1.167 Mio.) verdient haben.

Ein weiteres Indiz für Gewinnverschiebungen ist der gemeldete Gewinn pro Angestelltem: Die Angaben der untersuchten Banken suggerieren, ihre Angestellten in Steueroasen arbeiteten um ein vielfaches profitabler: Der Gewinn pro Angestelltem und Jahr ist in Steueroasen viermal so groß wie anderswo, rund 171.000 Euro, während der globale Durchschnitt bei 45.000 Euro liegt. Bei der italienischen Bank Sanpaolo beträgt der Gewinn pro Angestelltem in Steueroasen mehr als das Zwanzigfache des Gewinns pro Durchschnittsangestelltem, das luxemburgische Team der britischen Barclays Bank soll pro Kopf und Jahr gar den 348-fachen Gewinn des durchschnittlichen Barclays-Angestellten erwirtschaften.


Luxemburg auf Spitzenplatz
Dem Bericht zufolge sind Luxemburg und Irland für die europäischen Banken die beliebtesten Steueroasen: 29% der in Steueroasen gemeldeten Gewinne sollen hier angefallen sein. Allein in Luxemburg wollen die untersuchten Banken 4,9 Mrd. Euro verdient haben – mehr als in Deutschland, Schweden und Großbritannien zusammen. Barclays hat auf seine in Luxemburg gemeldeten Gewinne von 557 Mio. Euro gerade einmal eine Million Euro Steuern gezahlt – das entspricht einem Steuersatz von 0,2%. In Irland fiel für die untersuchten Banken im Durchschnitt ein effektiver Steuersatz von etwa 6% an, Barclays, die Royal Bank of Scotland und die französische Crédit Agricole konnten ihn allerdings bis auf zwei Prozent drücken.

Der Banken-Bericht zeigt, dass öffentliche länderbezogene Berichterstattung über Gewinne und darauf gezahlte Steuern ein wirksames Instrument ist, um dem Verdacht auf Steuervermeidung nachzugehen und Unternehmen gesellschaftlich in die Pflicht zu nehmen. Oxfam fordert, diese Transparenzverpflichtung auf alle Branchen auszuweiten. Allerdings reicht eine solche Berichtspflicht nicht aus, um gegen das Geschäftsmodell der Steueroasen vorzugehen. Zusätzlich fordert Oxfam deshalb weltweite Mindeststeuersätze für Konzerne, schwarze Listen von Steueroasen anhand harter Kriterien und spürbare Sanktionen. Die Bundesregierung soll sich im Rahmen ihrer G20-Präsidentschaft für ein internationales Abkommen gegen Steuerdumping einsetzen.

24. März 2017

Aus dem Leben der G20-Engagement Groups

Einer der problematischeren Aspekte des G20-Prozesses sind die sog. Engagement Groups (Beteiligungsgruppen), also die diversen Civil 20 (C20), Buisiness 20 (B20), Think 20 (T20), Youth 20 (Y20) usw.. Wie die G20 selbst sind sie typische Top-Down-Produkte. Welche Bedeutung ihnen zukommt, hängt ganz von der jeweiligen G20-Präsidentschaft ab. Einen verbrieften Partizipationsanspruch gibt es bei der G20 nicht. Dass soll nicht heißen, dass diese Engagement Groups nur Stromlinienförmiges produzieren.


Ein positives Beispiel ist die Gemeinsame Erklärung von B20, C20 und T20 zur Tagung der G20 Workings Group zu Energie und Klimanachhaltigkeit, die gestern und vorgestern in Berlin stattfand. Die Erklärung fordert von der G20 drei Dinge. Erstens soll sie die Führung bei der Umsetzung des Pariser Klimaabkommens übernehmen. Zweitens soll sie einen Preismechanismus für Kohlendioxyd entwickeln und einen Zeitplan zur Abschaffung der Subventionierung fossiler Brennstoffe aufstellen. Und drittens soll sie die Finanzmärkte instand setzen, nachhaltige Entwicklung zu fördern.

Dass die Wirtschaft bzw. die B20 bislang den meisten (und meistens negativen) Einfluss auf die G20 ausübte, zeigt ein Arbeitspapier von Jens Martens, das das Global Policy Forum und die Heinrich-Böll-Stiftung zum G20-Sherpa-Treffen am 23./24. März in Frankfurt/Main herausbrachten. Zu diesem Zweck haben Wirtschaftsakteure ein breites Netzwerk von Allianzen und Forum um die G20 geschaffen, von denen B20 nur das sichtbarste Symbol der Konzernlobby ist. Die Wirtschaftsgruppen predigen als Panacea und Grundbedingung für Prosperität konstant wirtschaftliches Wachstum und ignorieren dabei meist entwickeltere Nachhaltigkeitskonzepte. Die Business-Aktivisten drängen die G20 regelmäßig zur „Optimierung“ und „Überarbeitung“ von Regulierungen, die eigentlich zur Vermeidung neuer Finanzkrisen erarbeitet worden waren. Sie rufen zur Stärkung von Investorenrechten auf, die oft de facto über die Menschenrechte gestellt werden. Schließlich drängen sie auf die bevorzugte Behandlung der Wirtschaftslobby in Global Governance-Strukturen.

Eine Art Gegenentwurf zu dieser Konzernagenda präsentierten die C20 gemeinsam mit dem Forum Umwelt & Entwicklung und dem Dachverband VENRO zu dem Frankfurter Sherpa-Treffen. „Die Globalisierung wird schlecht gestaltet, ihre Rahmenbedingungen stimmen nicht. Sie befindet sich längst im Krisenmodus. Die Welt hat noch nie so massive Ungleichheit gesehen: Acht superreiche Männer besitzen heute so viel wie die Hälfte der Menschheit. Die Kluft zwischen reich und arm wird in den meisten Ländern immer breiter“, heißt es in der Erklärung des Civil20-Steuerungskreises, in dem sich Nichtregierungsorganisationen aus aller Welt koordinieren. Die Civil20 fordern, dass die Agenda 2030 zentraler Handlungsrahmen für alle Aktivitäten der G20 wird. Zudem müsse das Bekenntnis zu den Zielen des Pariser Klimaabkommens Grundvoraussetzung für die weiteren Verhandlungen werden. Die globale Finanzstruktur dürfe nicht weiterhin Ungleichheitsstrukturen und Armut verschärfen.

19. März 2017

Antiglobalisierungs-Stimmung im Spa-Paradies

Glücklicher könnte er nicht sein
Wenn es noch eines weiteren Belegs bedurft hätte, das Treffen der G20-Finanzminister und Notenbankgouverneure hat ihn erbracht: Der Backlash gegen die Globalisierung erfolgt nicht durch ein paar linke Demonstranten außerhalb des Kurhauses, sondern von rechts, gleichsam aus dem ‚Herzen der Bestie‘ (Che Guevara). Das offizielle Kommuniqué reflektiert als erstes unter den G20-Dokumenten, dass die neue Antiglobalisierungsstimmung aus Washington jetzt auch in der Gruppe der 20 wichtigsten Ökonomien angekommen ist. Das übliche G20-Versprechen, „allen Formen des Protektionismus zu widerstehen“, hat der neue US-Finanzminister Steven Mnuchin verhindert, ebenso wie jede substantielle Erklärung zu Umweltpolitik und Klimaschutz. Stattdessen heißt es jetzt: „Wir arbeiten an der Stärkung des Beitrags des Handels zu unseren Ökonomien. Wir werden nach der Reduzierung exzessiver globaler Ungleichgewichte streben, mehr Inklusivität und Fairness fördern und Ungleichheit bei unserer Verfolgung von wirtschaftlichem Wachstum reduzieren.“

Das ist nicht nur eine Verwässerung der bislang üblichen Freihandelsrhetorik, die sehr wohl die Zuflucht zu protektionistischen Maßnahmen gestattete, wenn es die Interessenlage erforderte. Während der zweite Satz seit längerem zum G20-Sprech gehört (Kritik der globalen Ungleichgewichte, ohne die größten Sünder namentlich zu nennen), ist der erste Satz schon ein deutliches Zugeständnis an die US-Regierung. Wenn der Handel nur noch nach seinem Beitrag zur eigenen Ökonomie gemessen wird, dann passt das sehr gut zur America-First-Politik Donald Trumps. Kein Wunder, dass Mnuchin nach dem Treffen jubilierte: „Wir könnten nicht glücklicher sein mit dem Ergebnis – wir hatten Konsens in der Gruppe.“

Wenn dieses Finanzministertreffen die Weichen für den G20-Gipfel im Juli gestellt haben sollte, dann verheißt dies nichts Gutes für die deutsche G20-Präsidentschaft. Viele beklagen jetzt, die G20 hätten die jeweiligen Lieblingsthemen ignoriert – seien es die drohenden Schuldenkrisen im Süden oder die Schärfung der Finanzmarktreformen zur Stärkung des Gemeinwohls. Andere fordern vom Rest der G20 und nicht zuletzt von der deutschen G20-Präsidentschaft, schleunigst eine Strategie zu entwickeln, um die bisherigen Errungenschaften der G20 angesichts der Wirklichkeitsverweigerung in Washington nicht vollends zur Makulatur werden zu lassen. Die Frage ist nur, wie eine solche Strategie aussehen kann. In immer weiteren Konzessionen und Appeasement gegenüber den neuen Washingtoner Machthabern kann sie sicher nicht liegen. Auf eine Kehrtwende und friedvolle Überzeugungsarbeit gegenüber Washington zu setzen, wäre ebenso illusionär. Wie wäre es daher mit einer „G20-minus-1-Strategie“, die die US-Unilateralisten im Regen stehen lässt, während die große Karawane weiterzieht? Ein wenig Hirnschmalz auf diese Frage zu verwenden, wäre vielleicht keine vergebliche Anstrengung.

17. März 2017

Die G20-Finanzminister im Kasino: Scherbenhaufen in Baden-Baden

Die Finanzminister und Zentralbankchefs sind der eigentliche Kern der G20. Sie trafen sich schon, bevor die G20 angesichts der globalen Finanzkrise 2008 auf Gipfelebene gehoben wurden. Seither sind ihre Zusammenkünfte immer so etwas wie weichenstellend für die G20-Gipfel. Über Jahre hinweg gab es wichtige Beschlüsse, um Währungskriege zu verhindern, Finanzmärkte zu regulieren und Steuerschlupflöcher zu schließen. In diesem Jahr ist nichts dergleichen zu erwarten. Eher stehen die Finanzminister in Baden-Baden vor der Aufgabe, den Scherbenhaufen zusammenzukehren oder wenigstens dafür zu sorgen, dass er nicht noch größer wird.


Dabei geht es nicht nur um die Regulierung des Finanzsystems – die traditionelle Kernaufgabe der G20. Da kann Finanzminister Schäuble im Vorfeld des Treffens noch so energisch erklären: „Für uns steht daher eine konsequente und lückenlose Regulierung der Finanzmärkte weiter ganz oben auf der Agenda.“ Wirklich? Tatsächlich dürfte Baden-Baden dafür in Erinnerung bleiben, wie die Reformagenda für eine Neue Internationale Finanzarchitektur definitiv ausgebremst wurde. Doch geht es nicht nur darum, dass die neue US-Administration unter Donald Trump ein Rollback der eigenen Reformen (Stichwort: Dodd-Frank) in die Wege geleitet hat. Seit 2009, so bemerkt Barbara Unmüßig, die Ko-Vorsitzende der Heinrich-Böll-Stiftung, zutreffend, „hat die G20 eine nachhaltige Stabilisierung des globalen Finanzsystems fahrlässig verschleppt: Die Stabilität der Banken wurde nur durch massive Subventionen mit hunderten Milliarden an Steuergeldern erreicht. Die Ursachen der tiefgreifenden strukturellen Risiken des weltweiten Finanzsektors haben die G20 nicht wirklich angetastet.“

Vor einem Scherbenhaufen steht die G20 in Baden-Baden auch mit ihrem Bemühen, die Mitgliedsländer vor der Zuflucht in einen neuen Handelskrieg abzuhalten. Dem Vernehmen nach sollen die bislang üblichen Formelkompromisse gegen Protektionismus und kompetitive Währungsabwertungen inzwischen aus dem Kommuniqué gestrichen worden sein, weil die amerikanische Delegation ein Bekenntnis zum Freihandel nicht mag. Dabei wurde gerade das neue Handelserleichterungsabkommen der WTO in Kraft gesetzt – das umfangreichste Liberalisierungswerk in der Welthandelsorganisation seit ihrer Gründung. Doch inzwischen spielen die Trump-Leute die Möglichkeiten durch, wie sie möglichst effektiv einen Bogen um die multilaterale Handelsordnung machen könnten.

Statt Kampf gegen den Protektionismus heißt es heute „Stärkung der Widerstandsfähigkeit der Weltwirtschaft gegen plötzliche Krisen“. Dazu sollen in Baden-Baden „Prinzipien“ verabschiedet werden. Dies könnte ein Ansatzpunkt sein, der wieder wachsenden Gefahr von Schuldenkrisen im Süden wirkungsvoll zu begegnen, die der neue Schuldenreport von Erlassjahr.de und Misereor so eindringlich beschwört. Doch soll damit lediglich den G20-Mitgliedern „eine Orientierung für die nationalen Maßnahmen (geboten werden), die sie in ihre jährlich vorzulegenden Wachstumsstrategien aufnehmen“ (Schäuble).

Der Rest der Baden-Baden-Agenda ist schmückendes Beiwerk, so steht zu befürchten: etwa die „Compacts with Africa“, mit denen Schäuble die Bedingungen für private Investitionen in Afrika verbessern will. Oder auch der Bericht der „Task Force Climate Policy and Finance“, die die deutsche G20-Präsidentschaft dabei berät, wie die globalen Finanzflüsse künftig klimafreundlich gestaltet werden können.

15. März 2017

Schaeubles Bande: Die G20 in der internationalen Steuerpolitik

Gastblog von Sven Giegold*)

Über viele Jahrzehnte schien es, als sei gegen internationale Finanzkriminalität und Steuerdumping kein Kraut gewachsen. In den letzten Jahren ist endlich Bewegung in den Kampf gegen Steuerflucht und Steuerdumping gekommen. Daran hat die G20 einen großen Anteil.


Trotz aller Konferenzen und Skandale wurden die globalen Steuersümpfe seit den 1980er Jahren immer tiefer. Erst mit der Finanzkrise ab 2007/2008 änderte sich die Lage. Auf globaler Ebene entstand mit der G20 ein neues Forum der internationalen Zusammenarbeit in der Wirtschafts- und Finanzpolitik. Um das globale Finanzsystem zu stabilisieren, mussten die Steuerzahler dieser Staaten gigantische Summen mobilisieren. Schon in den ersten Erklärungen der G20 zur Finanzkrise fand sich das Thema „Steueroasen“ prominent. Denn die G20 hatte im Vergleich zur EU und auch den Vereinten Nationen einen entscheidenden Vorteil: Klassische Steueroasen spielten hier keine Rolle, denn sie sind zu klein, um in die G20 aufgenommen zu werden. Großbritannien und die USA unterhalten und fördern zwar in vielfacher Weise internationale Steuersümpfe. Aber die Akzeptanz des faktischen steuerlichen Sonderrechts für internationale Großunternehmen und Vermögende war durch die Finanzkrise in der eigenen Bevölkerung erschüttert. So wurde die G20 zum entscheidenden Ort des internationalen Kampfes gegen Steuerflucht, Steueroasen und Steuerdumping von Großunternehmen.

Die Agenda der entscheidenden G20-Gipfel der Staatschefs und Finanzminister wurde dabei durch immer neue Skandale stark beeinflusst: Offshore Leaks, LuxLeaks, Panama Leaks. All diese von international vernetzten Journalisten mit Hilfe von Whistleblowern aufgedeckten Steuerskandale sorgten für Rückenwind. Konkret gelangen dabei zwei zentrale Fortschritte, die noch vor wenigen Jahren als komplett utopisch gegolten hätten:
● Grenzüberschreitende Kapitaleinkommen von Privatpersonen werden automatisch den Steuerbehörden der Wohnsitzländer gemeldet. Länder, die sich dabei nicht beteiligen, werden perspektivisch als unkooperative Steueroasen sanktioniert.
● Staaten müssen sich bei ihren steuerlichen Regelungen für Unternehmen am BEPS-Plan („Base erosion and profit shifting“) ausrichten. Dieser Plan verbietet die aggressivsten Steuerdumping-Angebote der Staaten und macht sie für die Steuerbehörden transparenter.

Die G20 bedient sich für die Aushandlung der Details regelmäßig der Ressourcen der OECD, die faktisch Arbeitsaufträge der G20 erhält, auch wenn die Mitgliedschaft in beiden Institutionen nicht identisch ist. Die EU hat die global ausgehandelten Maßnahmen inzwischen in europäisches Recht übersetzt, das nun nach und nach in Kraft tritt. Dabei hat die EU im Wesentlichen nur nachvollzogen, was global schon durchgesetzt war. Die G20 war in Sachen Steuerpolitik ein Spiel über Bande. Gerade Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble nutzte den Kreis der G20 mit mehreren Verbündeten als Bande, um durchzusetzen, was in Europa alleine nie gelungen wäre. Eine wirkliche Konsequenz aus der eigenständigen steuerpolitischen Handlungsunfähigkeit Europas steht dagegen bis heute aus. An der Einstimmigkeit in Steuerfragen im Rat der Mitgliedsländer wird ebenso wenig gerüttelt, wie an der Intransparenz der Entscheidungsfindung.

Die in der G20 beschlossenen Maßnahmen reichen jedoch nicht aus, um die Steuersümpfe tatsächlich trocken zu legen. Mehrere Großbaustellen verbleiben sowohl international als auch in Europa:

1. Gemeinsame Bemessungsgrundlage und Gesamtkonzernsteuer statt komplexer Sonderregeln
Der BEPS-Plan ist nur ein erster Schritt auf einem langen Weg gegen globales Steuerdumping von Konzernen. Das ohnehin schon komplexe internationale Steuersystem wird durch die zahlreichen neuen BEPS-Regeln noch komplizierter. Die Wurzel des Steuerdumpingübels wird nicht gezogen: Weiterhin werden Großkonzerne steuerlich nicht als Einheit behandelt, sondern als bestünden sie aus Hunderten von unabhängigen Firmen. Zu einer gleichmäßigen und bürokratiearmen Besteuerung kommen wir letztlich nur über eine Gesamtkonzernbesteuerung, die den Gewinn eines Unternehmens den Staaten nach einer Formel über gemeinsame Regeln zur Besteuerung zuweist.

2. Mindeststeuersätze
Je mehr Möglichkeiten des Steuerdumpings über die Bemessungsgrundlage eingeschränkt werden, desto härter wird der Wettbewerb um die Steuersätze. Schon heute sehen wir die Tendenz, mobiles Kapital gar nicht mehr zu besteuern. In den Sonderwirtschaftszonen und Steueroasen der Welt geht der Trend eindeutig in Richtung Nullbesteuerung von Gewinnen und Kapitaleinkommen. Dabei wird die Nullbesteuerung Inländern und Ausländern gleichermaßen eröffnet, um die internationalen Regeln gegen unfairen Steuerwettbewerb zu umgehen. Dem muss mit Mindeststeuersätzen begegnet werden, die in reichen Ländern höher und in ärmeren Ländern niedriger sein können. Hier ist bisher nichts geschehen.

3. Finanzkriminalität und Geldwäsche
Während es beim Kampf gegen Steuerdumping und Steuerflucht Fortschritte gab, offenbarten die Panama Papers der Weltöffentlichkeit eine Parallelwelt kriminellen Geldes. Das Schwarzgeld aus Korruption, Waffenhandel, Drogen, Menschenhandel usw. wird auf 5% der globalen Wirtschaftsleistung geschätzt. Gegen die Strukturen der Finanzkriminalität aus Briefkastenfirmen und Verschleierung der Besitzverhältnisse wurde bisher wenig unternommen. Die globalen Institutionen gegen Geldwäsche wie die FATF sind bisher wenig wirksame zahnlose Tiger. Auf der Agenda der G20 spielte das Thema nur eine untergeordnete Rolle. Genauso wurde zur Bekämpfung der Finanzkriminalität in der Finanzbranche im Rahmen der G20 und des Financial Stability Boards vergleichsweise wenig unternommen. Die Bekämpfung von Wirtschafts- und Finanzkriminalität und der Geldwäsche ist daher eine wichtige Zukunftsaufgabe internationaler Zusammenarbeit.

Die G20 hat in den letzten Jahren bewiesen, welches Potential in der internationalen Zusammenarbeit steckt. Ob die Fortschritte sich so fortsetzen lassen, steht in den Sternen. Denn in den Vereinigten Staaten scheint die neue Trump-Administration von globalen Regeln weniger zu halten. Gleichzeitig kann kein Staat der globalisierten Finanzkriminalität Einhalt gebieten. Das können die Länder nur gemeinsam, wenn die Welt offenbleiben soll. Daher ist umso wichtiger, dass Europa selbst voran geht. Große Fortschritte in der Steuerpolitik in der EU wird es dabei nur geben, wenn die geschädigten Staaten mehr Konfliktbereitschaft zeigen. Wo es nicht anders geht, kann auch eine kleinere Gruppe von Staaten im Rahmen der verstärkten Zusammenarbeit die Steuerkooperation vorantreiben.

Gleichzeitig sind große Fortschritte gegen Finanzkriminalität in Europa möglich, wenn sie über ein anderes Bandenspiel erfolgen: Europäische Gesetze gegen Geldwäsche und für Unternehmenstransparenz werden im Mehrheitsverfahren entschieden. Es wäre ein Leichtes, alle Großunternehmen zu verpflichten, jährlich zu veröffentlichen, in welchem Land sie wie viel an Gewinnen erwirtschaften und wie viel an Steuern bezahlen. Steuertransparenz hilft Investoren und der Öffentlichkeit. Bisher ist solche länderbezogene Steuerberichterstattung in der G20 und in Europa nur zwischen Steuerbehörden vereinbart. Die kritische Öffentlichkeit bleibt außen vor. Fatalerweise ist die deutsche Bundesregierung mit Finanzminister Schäuble an der Spitze der entscheidende Gegner von Steuertransparenz. Die gleiche Blockade betreibt Schäuble bei Unternehmensregistern, die die wirtschaftlich Berechtigten von Briefkastenfirmen zur Bekämpfung der Geldwäsche transparent machen. Das ist fatal, denn nur was in Europa auf den Weg gebracht wird, kann man glaubhaft von anderen Staaten verlangen. Auf der Basis eigener Handlungsfähigkeit zur demokratischen Kontrolle der sich globalisierenden Wirtschaft muss Europa sich international Partner suchen.

Natürlich sind die Legitimationsprobleme eines „Clubs der 20“ nicht gelöst. Letztlich wäre natürlich besser, dass die entschlossenen Staaten noch weitergehen und über eine internationale Konvention im Rahmen der UN eine globale Steuerbehörde auf den Weg bringen. Sie sollte Industrie-, Schwellen- und Entwicklungsländern gleichermaßen offenstehen. Doch um weitere Fortschritte zu erreichen, hat sich die G20 in Sachen Steuerkooperation und Regulierung der Finanzmärkte in letzten Jahren als Teil der Lösung erwiesen. Ungelöst ist bisher die ungenügende parlamentarische und öffentliche Kontrolle der G20. Damit die G20 nicht zu einem von demokratischer Rechenschaftspflicht beruhigten Raum wird, müssen die Verhandlungsprozesse in der G20 transparenter werden. Die Verhandler/innen aus Regierungen und EU müssen mit Mandaten aus den Parlamenten ausgestattet werden. Denn nur eine globale Zusammenarbeit, die letztlich auch demokratisch ist, wird auf Dauer effizient und legitim sein. Die Weiterentwicklung der G20 ist daher nur ein Schritt auf dem langen Weg zu einer globalen Demokratie.

*) Sven Giegold, MdEP, ist Sprecher der Abgeordneten von Bündnis 90/Die Grünen im Europaparlament und wirtschafts- und finanzpolitischer Sprecher seiner Fraktion. Er war Mitbegründer von Attac Deutschland und des internationalen Tax Justice Network. Sein Text wurde hier leicht gekürzt. In voller Länder erscheint er auf www.boell.de.

8. März 2017

Anhaltendes Gerechtigkeitsgap zwischen den Geschlechtern

Frauen tragen weltweit massiv zum Wohlstand bei, ohne selbst in angemessenem Umfang davon zu profitieren. Das zeigt der Bericht „An economy that works for women“, den die internationale Nothilfe- und Entwicklungsorganisation Oxfam im zum heutigen Internationalen Frauentagherausgebracht hat. Der Bericht (>>> An Economy That Works For Women) belegt eine skandalöse Gerechtigkeitslücke zwischen den Geschlechtern. In drei Bereichen halten die AutorInnen die Notwendigkeit für Veränderungen für besonders groß:

● Der Bericht hebt erstens hervor, dass überwiegend Frauen in unterbezahlten und prekären Arbeitsverhältnissen tätig sind: In der Textilindustrie in Myanmar und Vietnam etwa arbeiten Frauen bis zu 18 Stunden täglich, ohne sich und ihre Familien davon ernähren zu können. Der Profit ihrer Arbeit geht an Milliardäre wie Zara-Besitzer Amancio Ortega oder H&M-Besitzer Stefan Persson, die zu den reichsten Männern der Welt gehören.

Zweitens leisten Frauen den Großteil unbezahlter Pflegearbeit: Den volkswirtschaftlichen Wert unbezahlter Pflegearbeit beziffert die OECD auf 10 Billionen US-Dollar pro Jahr. Das entspricht etwa den Bruttonationaleinkommen Deutschlands, Großbritanniens, Frankreichs und Kanadas zusammen. Länderabhängig erbringen Frauen davon zwei- bis zehnmal mehr als Männer.

Drittens werden Frauen in Gesellschaft und Arbeitsleben in Bezug auf Organisation und Mitbestimmung systematisch benachteiligt: Scheinbar geschlechtsneutrale wirtschaftliche Entscheidungen gehen de facto oft zu Lasten von Frauen. Zugleich ist es für Frauen durch die Doppelbelastung von Hausarbeit und oftmals prekären, informellen Arbeitsverhältnissen schwerer, schlagkräftige Interessenvertretungen zu gründen.

Charlotte Becker, Expertin für Gleichstellungspolitik bei Oxfam Deutschland, erklärt: „In den vergangenen Jahren wurde viel darüber geredet, was Frauen für die Wirtschaft tun können – aber kaum, was die Wirtschaft für Frauen tun kann. Fakt ist: Nach wie vor haben Frauen weltweit ein höheres Armutsrisiko als Männer. Im Durchschnitt sind Berufsfelder, in denen vorrangig Frauen arbeiten, schlechter abgesichert und schlechter bezahlt. Auch in Deutschland klafft eine riesige Gerechtigkeitslücke: Fast nirgends sonst in der EU verdienen Frauen im Verhältnis zu Männern im Durchschnitt so wenig. Häufig bleibt die Arbeit von Frauen ganz unbezahlt, wie das Beispiel der familiären Pflege- und Sorgearbeit zeigt. Das verlangt nach einer wirtschaftspolitischen Kehrtwende.“

Anlässlich des Weltfrauentages fordert Oxfam:
* menschenwürdige Arbeit für alle, einschließlich angemessener Löhne sowie sicherer Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen;
* Investitionen in Gesundheits- und Betreuungssysteme, die die Notwendigkeit unbezahlter Pflegearbeit reduzieren, und zugleich zur Anerkennung und Neuverteilung dieser gesamtgesellschaftlichen Aufgabe beitragen;
* die Unterstützung von Fraueninitiativen in allen Bereichen von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft weltweit, denn sie sind es, die letztlich viele Errungenschaften für mehr Geschlechtergerechtigkeit erkämpft haben.