20. Dezember 2015

Ungewisse Zukunft der Doha-Runde, Ende der Agrar-Exportsubventionen, Widerstand gegen neue Themen

Den USA, der EU und Japan ist es bei der 10. Ministerkonferenz der WTO nicht gelungen, die Doha-Runde abzubrechen und neue Themen auf die Agenda zu setzen. Trotz großen Drucks vor allem von Seiten der USA, der dazu führte, dass die Konferenz im bei der WTO üblichen Drama um 30 Stunden verlängert werden musste, beharrte die große  Mehrheit der Entwicklungsländer darauf, an den Zwischenergebnissen der Doha-Runde festzuhalten. Die Ministererklärung enthält keine Kompromissformulierung, sondern beschreibt beide Positionen. Ein Weg, um die Verhandlungen fortzusetzen, soll daher erst nach der Nairobi-Konferenz gefunden werden. Bevor neue Themen verhandelt werden, müssen alle Mitglieder der WTO zustimmen.


Damit haben die Entwicklungs- und Schwellenländer verhindert, dass sich ein Szenario wie bei der Doha-Ministerkonferenz vor 14 Jahren wiederholt, als Investitionen, Wettbewerbsrecht und öffentliche Beschaffung gegen ihren Willen ins Verhandlungsmandat aufgenommen wurden – um dann nach dem Scheitern der Cancún-Ministerkonferenz 2003 auf Druck der Entwicklungs- und Schwellenländer wieder aufgegeben zu werden. In Nairobi wurde nicht offen darüber debattiert, welche neuen Themen verhandelt werden sollen – aus der EU Delegation wurde aber bestätigt, dass zumindest Investitionen dazu zählen.

● Sofortiges Ende der Exportsubventionen (mit Ausnahmen): Ein aus entwicklungspolitischer Sicht erfreuliches Ergebnis ist, dass das sofortige Ende der direkten Exportsubventionen für landwirtschaftliche Güter beschlossen wurde. Diese werden zwar seit Beginn des Jahrtausends zwar kaum noch eingesetzt. Viele Industriestaaten, voran die EU, könnten sie aber jederzeit wieder einzuführen, wenn auch zu hohen politischen Kosten. Dass dies nun rechtlich unzulässig ist, ist daher ein Fortschritt. Die WTO wäre nicht die WTO, wenn es von dieser Regel nicht ein paar Ausnahmen gäbe. So dürfen Kanada, Norwegen und die Schweiz, die einzigen Länder die derzeit direkte Exportsubventionen für Milchprodukte und verarbeitete Lebensmittel zahlen, dies bis 2020 weiter tun. Die EU darf die Zuckermarktordnung, die indirekt Exportsubventionen beinhaltet, bis 2017 beibehalten – wenn sie ohnehin auslaufen wird. Zusätzlich hat sich die EU auch noch das Recht gesichert, bis 2020 den Export von knapp 100.000 Tonnen Schweinefleisch zu subventionieren. Dass sie von diesem Recht Gebrauch machen wird, ist angesichts der andauernden Preiskrise auf dem EU Schweinefleischmarkt zumindest nicht auszuschließen. In fünf Jahren werden Exportsubventionen allerdings endgültig der Geschichte angehören.

Für andere Instrumente, mit denen Exporte gefördert werden, gibt es dagegen kaum Einschränkungen. Vielmehr wird die gegenwärtige Praxis der USA bei staatlichen Exportkrediten und Nahrungsmittelhilfe als zulässig festgeschrieben, und für staatliche Handelsunternehmen gibt es nicht viel mehr als den Appell, nicht handelsverzerrend zu agieren.

● Unverbindliche Versprechen für die LDCs: Neben dem verbindlichen Ende der Exportsubventionen wurden eine Reihe von Maßnahmen beschlossen, mit denen die am wenigsten entwickelten Länder unterstützt werden sollen. Weder die besseren Ursprungsregeln noch der bessere Zugang zu den Dienstleistungsmärkten der Industriestaaten sind rechtlich verbindlich. Zu anderen entwicklungspolitisch wichtigen Themen  wie einem Schutzmechanismus gegen stark steigende Importe und mehr Rechte für Entwicklungsländer, öffentliche Lager für Nahrungsmittel betreiben, gab es in Nairobi keine Beschlüsse. Die internen Agrarsubventionen der Industriestaaten, die aktuell sehr viel größere Effekte auf die Weltmärkte haben als die wenigen verbleibenden Exportsubventionen, standen nicht einmal zur Diskussion.

● Zukunft der Doha-Runde offen: Wie es mit der Doha-Runde weitergehen wird, ist nach dieser Ministerkonferenz offener denn je. Dass die Entwicklungs- und Schwellenländern bald weitreichenden Verhandlungen zu neuen Themen zustimmen, ist genauso unwahrscheinlich wie dass die USA die bestehenden Entwürfe als Grundlage für weitere Verhandlungen akzeptieren. Der ursprünglich vorgesehene gemeinsame Abschluss aller Abkommen ist nach Bali und Nairobi ohnehin schon aufgeweicht. Denkbar ist, dass in Zukunft plurilaterale Abkommen wie das in Bali verkündete zum Freihandel mit Informationstechnologie, und das angeblich schon fast zu Ende verhandelte zu Umweltgütern eine stärkere Rolle spielen. Dabei einigen sich die wichtigsten Im- und Exporteure einer Produktgruppe oder eines Sektors auf die weitgehende Öffnung der Märkte. Während nur die Länder, die dem Abkommen beitreten, daran gebunden sind, kommen die Zollsenkungen, zu denen sie sich verpflichten allen WTO-Mitgliedern zu Gute. Die WTO könnte damit eine, wenn auch begrenzte Verhandlungsfunktion beibehalten. Angesichts insgesamt schon niedriger Zölle und sonstiger Handelsschranken, ist weitere Liberalisierung auch nur für wenige Probleme die angemessene Lösung.  Und ob die WTO jemals zu einem Forum werden kann, in dem die notwendige Re-Regulierung der Weltwirtschaft verhandelt werden kann, ist jedoch mehr als fraglich.

18. Dezember 2015

In Nairobi nur Minimalismus und Symbolismus

Von Tobias Reichert*) – Vor dem Hintergrund der ungelösten Frage nach der Zukunft der Doha-Runde insgesamt versuchen die WTO-Mitgliedsstaaten in Nairobi den Ansatz der letzten Konferenz in Bali zu wiederholen. Zu Einzelthemen der Doha-Agenda sollen separate Übereinkommen getroffen werden, die dann unabhängig vom Gesamtergebnis in Kraft treten können.


● Exportwettbewerb: Der wichtigste Themenbereich, zu dem eine Einigung möglich scheint, ist der Exportwettbewerb bei landwirtschaftlichen Gütern. Anders als noch in Bali ist die EU nun bereit, Exportsubventionen endgültig abzuschaffen, und hat sogar den seit gestern in Nairobi zirkulierenden Textentwurf maßgeblich mit vorbereitet. Das fällt ihr leicht, da die EU schon seit einigen Jahren keine Exportsubventionen mehr gewährt. Vor 30 Jahren wäre dieser Beschluss ein entwicklungspolitischer Meilenstein gewesen, nun verhindert er nur noch den Rückfall in alte Fehler.

Wird der Text verabschiedet, müssen alle Industriestaaten direkte Exportsubventionen bis 2020 abschaffen, Entwicklungsländer (die sie ohnehin nicht nutzen) bis 2023. Eine spezielle Ausnahme für Entwicklungsländer, die es ihnen erlaubt, die inländischen Transportkosten von Exportgütern zu subventionieren, soll sogar noch bis 2028 gelten. Die entwicklungspolitische Sinnhaftigkeit dieser Regel ist durchaus fragwürdig, eine Verkürzung der Frist wäre gegen den Widerstand großer Entwicklungsländer aber kaum durchzusetzen.

Noch hartleibiger zeigen sich die USA bei den Instrumenten zur Exportförderung, die sie einsetzen: staatlich gestützte Exportkredite und Nahrungsmittelhilfe. Um eine indirekte Subventionierung durch künstlich verbilligte Kredite zu verhindern, waren im letzten Vertragsentwurf aus den Doha-Verhandlungen strikte Kriterien für die Exportkreditprogramme definiert worden. So müssten diese sich selbst finanzieren, also Verluste innerhalb von vier Jahren durch eigene Einnahmen statt staatliche Zuschüsse ausgleichen. Zudem hätten Kredite nur für eine Laufzeit von 6 Monaten vergeben werden dürfen. Die USA hatten klargemacht, dass sie dem auf keinen Fall zustimmen würden. Der Vertragsentwurf sieht nun vor, dass Exportkredite bis zu 18 Monate laufen dürfen und sich nur "langfristig" selbst finanzieren müssen. Dass dies exakt den Bedingungen des aktuellen Exportkreditprogramms der USA entspricht, ist kein Zufall.

Auch bei der Nahrungsmittelhilfe bewegen sich die USA nicht: Sie bestehen darauf, diese auch weiterhin vor allem in Form von Naturalien statt Geld zu gewähren. Zudem sollen die als Hilfe gewährten Nahrungsmittel weiter in den Empfängerländern verkauft werden dürfen. Um dabei oft auftretende negative Effekte auf lokale Bauern und regionale Märkte zu vermeiden, sieht der Verhandlungstext vor, dass vorab eine Folgenabschätzung für die lokalen Märkte vorgenommen werden muss. Zudem sollen die Regierungen der Empfängerländer eine Art Vetorecht erhalten.  Ob die USA dem zustimmen werden, ist ungewiss.

Das mögliche Abkommen würde also im Kern nur die derzeitige Praxis der Industriestaaten festschreiben. Gleichwohl wäre das nicht sinnlos, da die EU nach bisherigem Stand das Recht hat, Exportsubventionen in Höhe von 6 Mrd. € zu zahlen und für Exportkredite und Nahrungsmittelhilfe praktisch gar keine Regeln bestehen.

● Baumwolle: Seit 2005 versprechen die WTO-Mitglieder den baumwollexportierenden Entwicklungsländern immer wieder, nicht nur Exportsubventionen, sondern auch handelsverzerrende interne Subventionen für Baumwolle ganz oder weitgehend abzuschaffen. Damit soll die unfaire Konkurrenz auf dem Weltmarkt verringert werden. Obwohl die Beschlüsse vorsehen, dies besonders eilig, vordringlich und unverzüglich zu tun, haben vor allem die USA als wichtiger Baumwollexporteur ihre Politik kaum verändert. Auch in Nairobi wird es keine greifbaren Fortschritte geben – mögliche Ausnahme sind die Exportsubventionen, die Industrieländer laut Entwurf sofort und Entwicklungsländer 2017 einstellen müssen. Da derzeit de-facto keine Exportsubventionen gezahlt werden, ist auch dieser Beschluss vor allem symbolisch.

● LDCs: Auch die Entscheidungen, die speziell den am wenigsten entwickelten Ländern (LDCs) zu Gute kommen sollen, sind letztlich unverbindlich. Ein neues Papier, mit dem die Ursprungsregeln vereinfacht werden sollen, mit denen die importierenden Industriestaaten die Voraussetzung dafür definieren, dass Güter aus LDCs besseren Marktzugang bekommen, wirkt stellenweise wie Realsatire.
So sollen Länder, die die Wertschöpfung zum Kriterium machen, den Wert importierter Vorprodukte als Grundlage nehmen. Dies klingt verbindlich, wird aber durch den nächsten Satz ausgehebelt, dass Länder, die das jetzt anders machen, das auch in Zukunft tun können. Länder, die verlangen, dass ein Produkt so weiterverarbeitet wird, dass es in eine andere Zollkategorie fällt, sollen dazu keine zusätzlichen Beschränkungen und Ausnahmen einführen – außer wenn sie dies für notwendig erachten... In den übrigen Artikeln des Entwurfs wimmelt es von Begriffen wie "sollte", "in Betracht ziehen" und ähnlichem.

● Fischereisubventionen: Zu Beginn der Ministerkonferenz haben die AKP-Staaten und Peru gefordert, verbindliche Grenzen für Fischereisubventionen festzulegen. Ein Beschluss dazu ist unwahrscheinlich – ein Auftrag, bis zur nächsten Ministerkonferenz ein Abkommen zu verhandeln dagegen eher.

● Spezieller Schutzmechanismus für Kleinbauern: Die Forderung Indiens und 47 weiterer Entwicklungsländer mit überwiegend kleinbäuerlicher Landwirtschaft (G33), einen speziellen Schutzmechanismus gegen plötzliche Importanstiege einzuführen, ist in Nairobi kaum durchsetzbar. Zwar unterstützen wichtige Agrarexporteure wie Brasilien diese Position – allerdings im Kontext einer umfassenden Zollsenkung für Agrargüter. Da diese in Nairobi nicht zur Diskussion steht, hat die G33 nicht genügend Verbündete für ihre Forderung.

Das Ende der Exportsubventionen zeichnet sich damit als einziges konkretes Ergebnis der Nairobi Konferenz ab. Aus entwicklungspolitischer Sicht ist dies keine schlechte Entwicklung. Ob die Industriestaaten im Gegenzug die Öffnung der Verhandlungen für die neu-alten Themen Investitionen oder öffentliche Beschaffung durchsetzen können bleibt abzuwarten.

15. Dezember 2015

10. WTO-Ministerkonferenz in Nairobi: Totengeleut zum Auftakt

Von Tobias Reichert*) - 14 Jahre nach ihrem Beginn und zahlreichen Rückschlägen steht die als Doha-Entwicklungsagenda bezeichnete Verhandlungsrunde vor dem Aus. Die von Beginn an von Krisen, Zusammenbrüchen und Stillstand geprägten Verhandlungen sollen nach dem Willen der US-Regierung und mit Unterstützung von EU und Japan weitgehend ergebnislos abgebrochen werden. Nachdem die USA dies seit einigen Monaten hinter verschlossenen Türen in Genf fordern, hat der Handelsbeauftragte Froman gestern in einem Meinungsbeitrag für die Financial Times nachgelegt: In Nairobi, wo das 10. WTO-Ministerial heute begonnen hat, müsse ein neuer Ansatz für das multilaterale Handelssystem gefunden werden, da die Doha-Runde offensichtlich nicht zu Ergebnissen führe. Stattdessen schlägt er plurilaterale Verhandlungen zu „neuen Themen“ in der WTO oder ganz außerhalb nach dem Muster der pazifischen und atlantischen Handelsabkommen TTIP und TPPA vor. Dagegen fordert die übergroße Mehrheit der Entwicklungsländer, von Brasilien und Indien über die afrikanische Gruppe bis hin zu Venezuela, die Verhandlungen fortzusetzen und auf den bislang erzielten Zwischenergebnissen aufzubauen.


Diese Konstellation stellt die Verhältnisse von zu Beginn der Verhandlungen 2001 auf den Kopf. Damals musste die Mehrheit der Entwicklungsländer mit Appellen an die internationale Solidarität nach den Anschlägen vom 11. September, politischem Druck und einer Präambel die verspricht, die Interessen der Entwicklungsländer ins Zentrum der Verhandlungen zu stellen, dazu gebracht werden, einer neuen umfassenden Liberalisierungsrunde zuzustimmen. Auch von zivilgesellschaftlicher Seite wurde  heftig kritisiert, dass das Mandat der Doha Runde zwar viel von Entwicklung spricht, in der Substanz aber vor allem auf Marktöffnung und Deregulierung abzielt. Entwicklungspoltisch wichtige Fragen, wie verbesserte Möglichkeiten für Entwicklungsländer ihre kleinbäuerliche Landwirtschaft fördern und schützen zu können und industriepolitische Instrumente flexibler einsetzen zu können, dagegen gar nicht oder nur am Rande auftauchen.

Im Verlauf der Verhandlungen gelang es den in verschiedenen Koalitionen koordinierten Entwicklungsländern, die neuen Themen Investitionen, Wettbewerbsrecht und öffentliche Beschaffung aus Mandat herauszunehmen. Zudem konnten sie die Verhandlungen so beeinflussen, dass Entwürfe für ein mögliches Abkommen ihre Interessen, im Rahmen eines allgemein freihändlerischen Mandats, relativ weitgehend widerspiegeln. So würden Industriestaaten verpflichtet, ihre Exportsubventionen für landwirtschaftliche Güter vollständig abzuschaffen und als handelsverzerrend definierte interne Agrarsubventionen weitgehend zu reduzieren. Gleichzeitig könnten Entwicklungsländer zumindest einige für Ernährungssicherheit und ländliche Entwicklung wichtige Güter von der Liberalisierung auszunehmen und einen neuen Schutzmechanismus gegen Preisschwankungen in Anspruch nehmen. Zumindest kleine und verletzliche Entwicklungsländer würden auch weitgehend von Zollsenkungen für Agrar- und Industriegüter ausgenommen, die am wenigsten entwickelten Länder (LDC) ganz.

Zivilgesellschaftliche Gruppen aus Süd und Nord halten diese Zwischenergebnisse aus entwicklungspolitischer und menschenrechtlicher Sicht zwar nach wie vor für unzureichend. Den Industriestaaten, allen voran den USA gehen sie dagegen zu weit. Vor allem an den USA scheiterte daher der letzte ernsthafte Einigungsversuch 2008. Spätestens zu diesem Zeitpunkt, war die Mehrheit der Entwicklungs- und Schwellenländer mit dem Stand der Verhandlungen zufriedener als die USA.

Nach der WTO-Konferenz von Bali 2013, die die jahrelang eingefrorenen Verhandlungen wiederbelebt hatte, zeigt sich, dass die Situation im Kern unverändert ist. Während die Entwicklungsländer auf Grundlage des 2008 erzielten Stands weiter verhandeln wollen, lehnen die USA dies ab und forderten die Verhandlungen auf einer neuen Grundlage fortzuführen. Nachdem sie sich damit nicht durchsetzen konnten, forderten sie zunächst hinter verschlossenen Türen, die Verhandlungen ganz zu beenden. Dass dies in Nairobi formal beschlossen wird, ist trotz Unterstützung durch EU und Japan unwahrscheinlich. Wie allerdings die Verhandlungen glaubhaft fortgesetzt werden können, wenn die weltgrößte Volkswirtschaft offen dagegen ist, ist völlig unklar.

Die Debatte um die Zukunft der Doha-Runde überlagert ansonsten mögliche positive Teilergebnisse in Nairobi, vor allem das Ende der staatlichen Förderung von Agrarexporten durch Subventionen oder staatliche Kreditprogramme. Die EU schlägt dies nun nach langem Widerstand selbst vor, trifft aber auf den Widerstand der USA, die ihre Exportkredite nicht einschränken wollen. – Die Tatsache, dass die Doha-Runde, bei der die Anliegen der Entwicklungsländer im Zentrum stehen sollten, nun - offiziell oder de facto - daran scheitern wird, dass diese sich zumindest teilweise durchsetzen konnten, ist ein besonders unerfreuliches Kapitel der internationalen Handelsdiplomatie.

*) Tobias Reichert blogt für W&E aus Nairobi. Er ist Teamleiter für Welthandel und Ernährungsfragen bei Germanwatch.

Nach dem Klimagipfel: Hypotheken bleiben

Für viele hat der Pariser Klimagipfel, die 21. Vertragsstaatenkonferenz (COP21) unter der UN-Klimarahmenkonvention (UNFCCC), mehr gebracht, als sie erwartet hatten, wenngleich vieles halbherzig und ungenügend bleibt. Vor allem das Ziel, die Erderwärmung in den nächsten Jahrzehnten unter 2 Grad zu halten und womöglich das 1,5-Grad-Ziel doch noch zu erreichen, hat es auch vielen Klimawissenschaftlern und NGOs angetan; schließlich haben sie dies jahrelang gefordert. Paris gilt als Wendepunkt hin zu einer Dekarbonisierung der Weltwirtschaft. Dass sich die Staaten in Paris verbindlich zu gar nichts verpflichtet haben und die Mittel zur Umsetzung des Vertragswerks alles andere als klar sind, wird zwar zur Kenntnis genommen, doch mit einem „Jetzt kommt es halt auf uns selbst an“ mehr oder weniger akzeptiert.


Natürlich muss die EU jetzt ihre zu wenig ambitionierten Reduktionsziele für 2020/2030 nachbessern, die Bundesregierung endlich den Kohleausstieg angehen. Doch die Lücke zwischen dem 2/1,5-Grad-Ziel und den vor und in Paris eingegangenen „Selbstverpflichtungen“ der Staaten ist so riesig und gigantisch, dass das schon revolutionäre Siebenmeilenschritte sein müssten und nicht kleine Nachkorrekturen. Während in Paris vollmundig das Ziel von unter 2 Grad verkündet wurde, laufen die Selbstverpflichtungen nach Schätzungen der Vereinten Nationen auf eine Erwärmung um 2,7 bis 3 Grad hinaus! Und wie die Dekarbonisierung bewerkstelligt werden soll, steht auch nicht fest. Einen Wall gegen die Zuflucht zur Atomkraft oder fragwürdige Technologien und Irrwege wie Geoengeneering, Fracking (CSS) oder Offsetting hat Paris jedenfalls nicht errichtet. Ob der Weg zur Nachhaltigkeit über Investitionen in erneuerbare, dezentrale und armutsorientierte Energien laufen wird, ist keineswegs ausgemacht.

Nicht nur wie der künftige Weg aussehen wird, ist unklar, auch ob er überhaupt gegangen wird, kann bezweifelt werden. Fossile Brennstoffe müssten jedenfalls deutlich teurer werden als die Erneuerbaren. Das Gegenteil ist aber der Fall. Der Ölpreis steuert inzwischen auf ein Niveau zu, wie es zum letzten Mal vor der ersten Ölkrise 1973/74 üblich war. Ja, es gibt sie, die Schicht von Unternehmern, die auf ökologisches Umsteuern der Wirtschaft setzen. Doch es gibt auch die andere Seite: Die Delegierten hatten Paris noch nicht verlassen, da traten reihenweise Vorstandschefs der Öl- und Kohleindustrie an die Öffentlichkeit und erklärten, Paris ändere an ihrem Geschäftsmodell gar nichts. Beispielsweise sieht der Chef der World Coal Association Benjamin Sporton keinen Anlass zu massiven Veränderungen für die Branche. Die Ölindustrie, sagte ein anderer CEO der Financial Times, habe andere Sorgen als Paris. Was dort passiere, sei doch ein sehr langsamer Prozess. Es wäre zu schön, wenn die Herren nicht Recht behielten.

9. Dezember 2015

Toxische Ungleichheit

Gastblog von Joseph E. Stiglitz zum Nobelpreis für Angus Deaton

In dieser Woche wird Angus Deaton „für seine Analyse des Konsums, der Armut und des Gemeinwohls“ den Nobelpreis für Ökonomie erhalten. Und zwar verdientermaßen. Tatsächlich hat Deaton kurz nach Ankündigung der Preisvergabe im Oktober gemeinsam mit Ann Case in den Proceedings of the National Academy of Sciences eine alarmierende Arbeit veröffentlicht – Forschungsergebnisse, die mindestens so beachtenswert sind wie die Preisverleihung selbst.

Nach Analyse enormer Mengen an Kranken- und Sterbedaten von Amerikanern wiesen Case und Deaton einen Rückgang der Lebenserwartung und der Gesundheit weißer Amerikaner mittleren Alters nach, insbesondere solcher, die nur einen Highschool-Abschluss oder weniger vorweisen können. Zu den Ursachen zählen Selbstmorde, Drogenkonsum und Alkoholismus.

Amerika ist stolz darauf, eines der wohlhabendsten Länder der Welt zu sein, und kann damit prahlen, dass in jedem Jahr seiner jüngeren Vergangenheit bis auf eines (2009) das BIP pro Kopf gestiegen ist. Und ein Zeichen von Wohlstand sollen eigentlich ein guter Gesundheitszustand und ein langes Leben sein. Doch während die USA mehr Geld pro Kopf für die medizinische Versorgung ausgeben als nahezu jedes andere Land auf der Welt (und einen größeren Anteil vom BIP), sind sie bei der Lebenserwartung alles andere als Weltspitze. Frankreich etwa gibt weniger als 12% seines BIP für die medizinische Versorgung aus, verglichen mit 17% in den USA. Trotzdem haben Amerikaner eine Lebenserwartung, die drei volle Jahre unter der der Franzosen liegt...

... der Rest des Kommentars findet sich >>> hier.

6. Dezember 2015

Philanthropie: Schaulaufen der Multimillionäre und Grosskonzerne

Die jüngste Ankündigung des Facebook-Gründers Mark Zuckerberg, 99% seines Vermögens in eine gemeinnützige Stiftung einzubringen, und auch das Schaulaufen deutscher Superreicher und Großkonzerne gestern Abend bei „Ein Herz für Kinder“ im ZDF werfen ein bezeichnendes Licht auf den weltweiten Philanthropie-Boom. Da passt es gut, dass die entwicklungspolitische Rolle philanthropischer Stiftungen jetzt von einer Studie, die Brot für die Welt, das Global Policy Forum und Misereor veröffentlicht haben, kritisch unter die Lupe genommen wird (>>> Philantropic Power and Development: Who shapes the agenda?).


Multimilliardäre und ihre Stiftungen, allen voran die Bill & Melinda Gates-Stiftung, spielen eine wachsende Rolle bei der Finanzierung von Entwicklungsprogrammen. Sie haben aber auch massiven Einfluss auf die Formulierung entwicklungspolitischer Strategien und ihre Umsetzung auf nationaler Ebene. Jens Martens, Geschäftsführer des Global Policy Forums und Ko-Autor der Studie, zufolge ist „der Boom privater Stiftungen (…) die Folge einer Steuerpolitik, die Reiche begünstigt und die Anhäufung privaten Vermögens von Multimilliardären wie Mark Zuckerberg ermöglicht. Die Kehrseite der Medaille ist eine wachsende Kluft zwischen Arm und Reich und zunehmende sozio-ökonomische Ungleichheiten. Statt aber Milliardäre allein dafür zu verurteilen, dass sie einen Teil ihres Vermögens philanthropischen Zwecken stiften, müssen vielmehr jene Politiker kritisiert werden, die die Anhäufung von Privatvermögen erst ermöglicht und damit massive Einbußen öffentlicher Einnahmen in Kauf genommen haben – und weiterhin nehmen.“

Philanthropische Stiftungen beeinflussen in besonderem Maße den Diskurs, die Forschung und die Politik im Bereich landwirtschaftlicher Entwicklung und globaler Ernährungssicherheit, was die Studie schwerpunktmäßig untersucht. „Vor allem die Rockefeller- und die Gates-Stiftung“, so Bernd Bornhorst, Leiter der Abteilung Politik und Globale Zukunftsfragen bei Misereor, „sehen Hunger und Unterernährung in Entwicklungsländern in erster Linie durch einen Mangel an Technologie, Wissen und Marktzugang verursacht. Sie betrachten technologische Innovationen, dabei explizit auch die Gentechnik, sowie eine enge Zusammenarbeit mit Lebensmittel- und Agrarkonzernen als Lösung zur Überwindung des weltweiten Hungers. Dabei ignorieren sie aber die Rechte der einheimischen Kleinbäuerinnen und Kleinbauern und tasten die strukturellen Ursachen von Hunger und Mangelernährung kaum an.“

Angesichts der Erfahrungen in den Bereichen Gesundheit und Landwirtschaft plädiert die Studie für eine gründliche Prüfung der Risiken und Nebenwirkungen der Aktivitäten philanthropischer Stiftungen. Sie ruft Regierungen und zivilgesellschaftliche Organisationen aus aktuellem Anlass dazu auf, den Einfluss großer philanthropischer Stiftungen kritischer zu beobachten und den möglichen Risiken und Nebenwirkungen mehr Beachtung zu schenken. Dies gilt insbesondere für den Einfluss mancher Stiftungen und der von ihnen propagierten Wirtschaftslogik auf den politischen Diskurs, die Fragmentierung von Global Governance und die Schwächung der Vereinten Nationen, die Abhängigkeit der Finanzierung öffentlicher Programme vom guten Willen von Milliardären wie Bill Gates oder Mark Zuckerberg, sowie den Mangel an Mechanismen für Monitoring- und Rechenschaftspflicht.