30. Oktober 2013

EU-Kanada: Testlauf fuer das TTIP

Duch den aktuellen Abhörskandel um die Bundeskanzlerin ist das Freihandelsabkommen zwischen den USA und Europa (TTIP), über das derzeit verhandelt wird, jetzt schon zu einer Prominenz gelangt, die derartige Vorgänge gewöhnlich nicht erheischen können. Das globalisierungskritische Netzwerk Attac verlangt die Aussetzung der Verhandlungen allerdings nicht so sehr wegen des Abhörskandals, sondern vor allem wegen der neoliberalen Ausrichtung des geplanten Abkommens. Als Testlauf sieht Attac die derzeit laufenden Geheimverhandlungen über ein ähnliches Abkommen mit Kanada. Das Netzwerk hat die EU-Kommission deshalb aufgefordert, den Vertragsentwurf des zwischen Kanada und der Europäischen Union verhandelten Freihandelsabkommens CETA endlich offenzulegen.

Der Grund für die Geheimverhandlungen sei offensichtlich, sagt Attac. Das Abkommen mit Kanada diene als Blaupause für TTIP. Wäre der Inhalt von CETA bekannt, würde TTIP in der Öffentlichkeit auf deutlich mehr Widerstand stoßen, vermuten die Aktivisten. In der Tat geht aus einem Memorandum der EU-Kommission zu CETA vom 18. Oktober hervor, dass das Abkommen Investoren und Konzernen ein besonderes Klagerecht gegen Staaten einräumen soll. Damit öffne der Vertrag mit Kanada Attac zufolge auch für US-amerikanische Unternehmen wie etwa den Saatgutkonzern Monsanto die Hintertür nach Europa, da diese – so noch nicht geschehen – ohne großen Aufwand Niederlassungen in Kanada eröffnen können. Dieses Konzernklagerecht ist auch für TTIP vorgesehen.

Generell stehe zudem zu befürchten, dass CETA bereits die Einfuhr von gentechnisch verändertem Saatgut in die EU erleichtern wird. Denn nicht nur die USA, auch Kanada zählt beim Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen zu den Top-10 weltweit. Kommt CETA, bestehe die Gefahr, dass sich Monsanto und Co. in den europäischen Markt einklagen können, warnen Attac und Umweltverbände. Mit TTIP würden dann endgültig alle Dämme gegen Genfood, Hormonfleisch und Chlorhühnchen in Europa brechen. Zudem ist absehbar, dass die USA und die EU das Abkommen nutzen werden, um auch demokratische Rechte, soziale Standards, Klimaschutz und Finanzmarktkontrolle auf dem jeweils niedrigsten Level zu 'harmonisieren'. – Es gibt also bedeutend mehr Gründe, die TTIP-Verhandlungen kritisch zu verfolgen, als das Handy der Kanzlerin (>>> TTIP: Die neue Freihandelsoffensive).

26. Oktober 2013

Global Governance reloaded?

Pascal Lamy (s. Foto) ist ein findiger Mann.Nach seinem Abtritt als Generaldirektor der Welthandelsorganisation (WTO) tauchte er schnell wieder auf – als Vorsitzender der „Oxford Martin Commission for Future Generations“. Diese hat in diesen Tagen ihren Report „Now for the Long Term“ veröffentlicht. Der Bericht beklagt die Kurzfristigkeit („Short-termism“) bei internationalen Entscheidungen und will den Stillstand der Debatte um die Reform der Global Governance beenden. Zu ihren Mitgliedern gehören diverse Eminent Persons, von der ehemaligen chilenischen Präsidentin Michelle Bachelet bis zum afrikanischen Vorzeigeunternehmer Mo Ibrahim, von der Chefredakteurin des Hufftington Post bis zum Nobelpreisträger Amartya Sen oder vom deutschen Unternehmensberater Roland Berger bis zu Nicholas Stern, der die Öffentlichkeit immer wieder zum Thema Klimawandel wachrüttelt.

Ob es allerdings gelingt, die Global-Governance-Debatte vom Fleck zu bringen, darf bezweifelt werden. Dies nicht so sehr, weil es den Kommissionsmitgliedern an richtigen Einsichten mangelt. So beklagt Pascal Lamy, den das Thema schon in seiner Zeit bei der WTO umtrieb, völlig zu Recht: „Die Strukturen und Institutionen des 20. Jahrhunderts sind schlecht gerüstet für die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. Viele sind entlang überholter geopolitischer Linien organisiert, wo diejenigen mit abnehmendem Gewicht unverhältnismäßig viel Macht haben. Viele stark aufstrebende Mächte sind von Schlüsselentscheidungen ausgeschlossen. Dies muss sich ändern, damit die Bedürfnisse der Gegenwart und der Zukunft besser reflektiert werden.“


Was dann allerdings an konkreten Vorschlägen präsentiert wird, ist so wenig originell und aufregend, dass es ganz bestimmt nicht geeignet sein wird, versteinerte Verhältnisse zum Tanzen zu bringen. So soll die internationale Klimapolitik von C20/C30/C40-Koalitionen aus der Sackgasse geholt werden. Warum aber Gruppierungen von 20 Ländern, 30 internationalen Unternehmen und 40 Städte mehr zu Abbremsung des Klimawandels als bestehende Konstellationen tun sollen, wird nicht ersichtig. Anderes Beispiel: Warum Steuermissbrauch und –vermeidung durch freiwillige Regelungen effektiver sein sollen, wo doch der Trend jetzt endlich mal in Richtung auf verbindliche Abmachungen geht, bleibt ebenfalls schleierhaft. Und die Beseitigung perverser Subventionen des CO2-Ausstoßes und der Landwirtschaft wird ebenfalls schon so lange gefordert, wie man zurückdenken kann.

Eine Idee würde vielleicht weiterhelfen: Wenn man internationale Institutionen durch „sunset clauses“ dazu drängen würde, sich selbst zu reformieren. Wenn sie dies nicht bis zu einem bestimmten Termin tun, würde man sie schlicht dicht machen. Doch wie die Versuche im IWF, nach der Finanzkrise ein zeitgemäßeres Entscheidungssystem durchzusetzen, zeigen, werden alle Deadlines bis heute konsequent ignoriert, weil diejenigen, die die Macht haben, sich nun einmal nicht selbst abschaffen werden.

15. Oktober 2013

Wirtschaftsnobelpreis: Unsinniger Einheitsbrei

Gastblog von Rudolf Hickel*)

In der Rechtfertigung des Komitees zur Vergabe des Ökonomie-Nobelpreises werden die drei Nobelpreisträger in diesem Jahr kurzerhand als eine gemeinsame Gruppe zur Erforschung der Bildung von Vermögenspreisen auf den Finanzmärkten zusammengefasst. Robert J. Shiller, Eugene Fama und Lars Peter Hansen ginge es unter anderem um die Antwort auf die Frage „Wa­rum Aktienpreise steigen und fallen?“ Das Stockholmer Komitee erweckt auch noch den Eindruck, sie gehörten alle zur Bewegung der „behavorial finance“, die versucht, mit verhaltensökonomischen Ansätzen Irrationalitäten auf den Finanzmärkten zu erklären.

Die Deutsche Presseagentur hat in ihrer weit verbreiteten Berichterstattung diesen unsinnigen „Einheitsbrei“ übernommen. Nur wenige Tageszeitungen haben es gewagt, die massiven Unterschiede zwischen Fama und Shiller zu benennen. Zu dieser Politik der Desorientierung durch die Entscheider aus Stockholm gehört auch der Hinweis, die drei Ausgezeichneten hätten mit ihren Theorien für die „Praxis wichtige Erkenntnisse“ geliefert. Dabei handelt es sich vor al­lem bei Fama und Hansen um hoch komplexe mathematische und ökonometrische Modelle mit wenig praktisch-in­strumenteller Relevanz.


Der Verzicht auf eine differenzierte Darlegung der konträren Theoretiker bei der Aufklärung über die Ursachen der Finanzkrise ist ärgerlich. Die Wahrheit ist: Erstmals sind bei der Preisverleihung zwei extreme Kontrahenten über die Theorie zur Funk­tionsfähigkeit bzw. Nichtfunktionsfähigkeit von Finanzmärkten geehrt worden. Das Handelsblatt spricht zu Recht vom „Preis der Gegensätze“.

Eugene Fama hat die „Effizienzmarkthypothese“ entwickelt. Letztlich geht er davon aus, dass die rational handelnden Akteure immer Markteffizienz und damit Gleichgewichtspreise auf den Vermögensmärkten produzieren würden. Verhalten und Verhältnisse führten am Ende zur effizienten Bildung von Aktienkursen. Herdenverhalten, irrationales Handeln, auch durch Spekulanten erzeugt, sowie die Wirkung der „animal spirits“ werden nicht erkannt. Solche als Anomalien beschriebenen Phänomene würden in den Marktprozess eingepreist. Es gilt: „Der Markt kann langfristig nicht geschlagen werden“ – selbst nicht mit In­sidergeschäften. Wenn alle Informationen bekannt sind und sich Nachfrager und Anbieter wie auf dem Kartoffelmarkt rational verhalten, dann gibt es auch keine Krisenanfälligkeit der Finanzmärkte. Logisch konsequent hat daher Fama die Verhaltensökonomik, mit der Anomalien des Marktes erklärt werden, scharf zurückgewiesen. Diese spätestens mit der Dotcom- und der jüngsten Finanzmarktkrise gescheiterten Theorie von der stabilen Markteffizienz wird mitten in der Verhinderung künftiger Abstürze mit negativen Wirkungen auf die Realwirtschaft mit dem Nobelpreis 2013 geehrt.

Robert J. Shiller dagegen hat diese These von sich selbst stabilisierenden Finanzmärkten explizit scharf attackiert und seine erklärungsrelevante Gegentheorie entwickelt. Für ihn stehen  irrati­onales Verhalten und damit irrationale Erwartungen  (Buchtitel „Irrational Exumberance“ – „Irrationaler Überschwang“) vor allem durch den Herdentrieb und auch Spekulanten im Mittelpunkt. Zusammen mit George Ackerlof hat er die von John Maynards Keynes erstmals betonte Sicht der „animal spirits“ weiterentwickelt. Danach lassen sich – im fundamentalen Unterschied zu Fama – nicht einmal mehr mathematische Wahrscheinlich­keiten zur Funktionsweise von Finanzmärkten abbilden.

Während Robert J. Shiller die Krise der „New Economy“ von 2000 sowie die Immobilienkrise (CDO-Krise) von 2007/08 prognostizieren konnte, hätte es diese beiden Krisen nach Fama nicht geben dürfen. Shiller zu Fama im O-Ton  1981 : „Für den zwanglosen und ehrlichen Beobachter sollte aufgrund der Volatilitätsargumente wie den hier dargestellten klar sein, dass die Effizienzmarkthypothese falsch sein muss ... Das Scheitern des Modells der Effi­zienzmarkthypothese ist so dramatisch, dass es unmöglich erscheint, das Scheitern solcher Din­ge wie Datenfehlern, Problemen des Preisindex oder Änderungen im Steuerrecht zuzuschreiben“ (Robert J. Shiller 1981). Dass das Modell von Fama gescheitert ist, beweisen die Dotcom- und Fi­nanzmarktkrise.

Diese Preisverleihung ist eine Provokation. Sie zielt eher auf wissenschaftlichen Stillstand. Anstatt die Weiterentwicklung der relevanten Theorie von Shiller zur Finanzmarktkrise zu stärken, wird auch der Verfechter der gescheiterten These von sich optimal stabilisierenden Finanzmärkten geehrt. Das stärkt die Kräfte, die eine Regulierung der Finanzmärkte ablehnen. Die Nobelpreis-Verleiher haben  mit diesem ärgerlichen Wissenschaftspluralis­mus der Weiterentwicklung der Theorien zur Vermeidung ökonomischer Krisen einen Bärendienst erwiesen.

*) Prof. Rudolf Hickel ist Forschungsleiter am Institut für Arbeit und Wirtschaft der Universität Bremen und Mitglied der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik (Memorandumsgruppe).

14. Oktober 2013

Im Blickpunkt bei IWF und Weltbank: Gefahrenherd USA



Seit sich die G20 auf ihrem Gipfel in Seoul 2010 auf eine Quotenreform geeinigt haben, die den Schwellenländern etwas mehr Stimmrechte und zwei zusätzliche Sitze im Exekutivdirektorium des IWF geben soll, liegt das Projekt nun auf Eis. Auf der am Wochenende zu Ende gegangenen Jahrestagung der Bretton-Woods-Institutionen in Washington haben die Entwicklungsländer erneut „zutiefst bedauert“, dass die Oktober-2012-Deadline für die Reform verstrichen ist und dass auch die nächste Runde der Quotenüberprüfung (die 15.) nicht wie vorgesehen bis Januar 2013 abgeschlossen wurde. Die „sehr frustrierten“ G20 beschlossen in Washington jetzt, den Januar 2014 als neuen Zielpunkt für die 15. Quotenüberprüfung anzustreben. 

Ein entscheidender Grund für die Verschleppung der mit so großem Tam-Tam angekündigten Stärkung der Schwellenländer im IWF ist die Verweigerung der Republikaner im US-Repräsentantenhaus, weil sie fürchten, dem Fonds könnten zusätzliche US-Finanzmittel zufließen. Diese Blockade ist zweifellos ein Ärgernis, weil ohne diese Reform an die Wiederherstellung der Glaubwürdigkeit des IWF nicht zu denken ist. Mehr als ein Ärgernis ist freilich die Unfähigkeit der US-Abgeordneten, sich auf die Anhebung der Schuldengrenzen zu einigen. Diese Blockade der Republikaner birgt die derzeit wohl größte Gefahr für die Weltwirtschaft, denn sie könnte schon in dieser Woche zum Default, d.h. zum Bankrott der USA führen.

Bei den Spitzen von IWF und Weltbank ist die Botschaft angekommen. Christine Lagarde vom IWF beschwor auf der abschließenden Pressekonferenz am Samstag die Gefahr eines Rückfalls der Weltwirtschaft in die Rezession. Weltbank-Präsident Jim Yong Kim sagte, man sei nur Tage entfernt von einem „sehr gefährlichen Moment“. Das könnte auch für die Entwicklungsländer zu einem „desaströsen Ereignis“ werden. Wenn die Chefs der Bretton-Woods-Zwillinge die USA kritisieren, sollte dies aufhorchen lassen. Denn bislang wurden IWF und Weltbank oft zu Recht als Machtinstrumente ihres größten Anteilseigners USA gegeißelt. Wendet sich jetzt das Blatt und der Strippenzieher mit Sperrminorität gerät selbst in den Fokus der Kritik seiner beiden Zöglinge? Das wäre nur angemessen angesichts der Größe des Gefahrenherds, der da für die Weltwirtschaft entstanden ist.

9. Oktober 2013

Herbstprognosen: Zwischen Zweckoptimismus, Konfusion und Niedergeschlagenheit

Jeden Herbst, wenn IWF und Weltbank zu ihrer Jahrestagung zusammenkommen, ist auch die Zeit der weltwirtschaftlichen Prognosen. In diesem Jahr ist das Bild nicht gerade klarer als in den letzten. Während der Tiger-Index der Washingtoner Brookings Institutions und der Financial Times die Weltwirtschaft „zurück auf dem richtigen Weg“ sieht und eine „stetige Erholung“ prognostiziert, verbreitet der neue World Economic Outlook des IWF eher eine pessimistische Stimmung: Die Weltwirtschaft stehe vor einer längeren Phase niedrigen Wachstums mit zahlreichen Abwärtsrisiken.


In der Tat hat der IWF jetzt zum wiederholten Mal seine weltwirtschaftlichen Vorhersagen nach unten korrigiert: Für das laufende Jahr erwartet er für die Entwicklungsländer jetzt noch ein Wachstum von 4,5%. Das ist 0,5% weniger als noch im Juli vorhergesagt. Im April 2012 hatten die IWF-Ökonomen dem Süden der Weltwirtschaft für 2013 noch ein Wachstum von 6% prophezeit. Unter die Räder kam in diesem Sommer auch das bislang bemühte Bild von der globalen Konjunktur der drei Geschwindigkeiten mit den Schwellenländern als Lokomotive, den USA im Mittelfeld und der Eurozone in der Rezession. Mit der wirtschaftlichen Verlangsamung in der Schwellenländern, dem gemäßigten Anziehen der Konjunktur in den USA und den ersten Zeichen für eine Erholung in Europa lässt sich jetzt positiv von einem allmählichen „Rebalancing“ sprechen oder nebulös, wie von IWF-Chefin Lagarde kurz vor der Jahrestagung, von „multiplen Übergängen“ in der Weltwirtschaft.




Jedenfalls zeigt sich, wie schwer sich die etablierten Institutionen der ökonomischen Governance damit tun, die gegenwärtige Etappe der Weltkonjunktur zu analysieren. Während die Back-on-Track-These des Tiger-Index ziemlich abwegig ist, sind die Warnungen vor erneuten Rückschlagen jedoch recht konkret: An erster Stelle steht die Furcht vor einer neuen Panik „der Märkte“, wenn es nicht gelingt, die Verschuldungsgrenze für die US-Regierung anzuheben und die immer noch stärkste Wirtschaftsnation der Welt den „Default“ anmelden muss. Dann kommen die kaum absehbaren weltweiten Spillover-Effekte einer restriktiveren Geldpolitik der FED. Und schließlich sind da die keineswegs gebannten Risiken des erneuten Rückfalls Europas und der USA in die Rezession. Wenn sich die Downside-Risiken verstärken, heißt es im IWF-Outlook, könnten weltweit 20 Millionen weitere Jobs verloren gehen, in vielen Ländern die Verschuldung untragbar werden und neue soziale Unruhen ausbrechen. Wahrlich genug Gründe zur Niedergeschlagenheit.

Entwicklungshilfe: Raus aus der Nische

Die Hilfswerke terre des hommes und Welthungerhilfe fordern in ihrem neuen Schattenbericht „Die Wirklichkeit der Entwicklungspolitik“ für die neue Legislaturperiode ein Ministerium für internationale Zusammenarbeit und globale Nachhaltigkeit. Damit die Entwicklungspolitik auf die globalen Herausforderungen unserer Zeit angemessen reagieren kann, sei eine Aufwertung des derzeitigen Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) unabdingbar.

Das künftige Ministerium solle eine kabinettsübergreifende Koordinierungsfunktion für die Bereiche globaler Politik erhalten, die Fragen der nachhaltigen Entwicklung und der Menschenrechte berühren. Auch der sog. Menschenrechts-TÜV des BMZ dürfe vor diesem Hintergrund nicht auf die Entwicklungspolitik beschränkt bleiben. Alle Ministerien, insbesondere Wirtschafts-, Landwirtschafts-, Außen-, Umwelt- und Entwicklungsministerium müssten an einem Strang ziehen.


terre des hommes und Welthungerhilfe unterstützen darüber hinaus die Idee, zu Beginn der neuen Legislaturperiode eine Enquete-Kommission zum Thema „Kohärenz in einer Welt im Wandel“ einzurichten, in der auch zivilgesellschaftliche Organisationen mitarbeiten. Sie soll Vorschläge für Strukturreformen in Bundesregierung und Bundestag ausarbeiten, damit die deutsche Politik den sozialen, ökologischen und ökonomischen Herausforderungen gerecht werden kann.

Die neue Bundesregierung wird zudem aufgefordert, sich auf internationaler Ebene für ein neues System der Entwicklungsfinanzierung einzusetzen. Dies erfordere glaubwürdige Signale, wie die erforderliche stufenweise Anhebung der Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit um 1,5 Mrd. € und für die internationale Klimafinanzierung um 1 Mrd. € pro Jahr. Dazu könnten auch die Einnahmen aus der künftigen Finanztransaktionssteuer genutzt werden. 

* Der 21. Bericht „Die Wirklichkeit der Entwicklungspolitik“ findet sich im Wortlaut >>> hier. Auch das Deutschen Institut für Entwicklungspolitik fordert ein Ministerium für globale Entwicklung. Barbara Unmüßig und Michael Kellner haben vor einiger Zeit einen Beitrag verfasst, in dem sie forderten, die Silomentalität der Ministerien aufzubrechen und die Ministerien zur Einigung zu bewegen >>> hier.

8. Oktober 2013

Jahrestagung von IWF und Weltbank: Nach 25 und nach 5 Jahren



Jedes Jahr, wenn der Internationale Währungsfonds und die Weltbank ihre Jahrestagung abhalten, so in dieser Woche in Washington, erinnere ich mich lebhaft an das Treffen der Bretton-Woods-Zwillinge vor 25 Jahren in Berlin. Es war Anlass für die bis dahin wohl massivsten Proteste – u.a. mit einem Internationalen Gegenkongress und einer Großdemonstration von 80.000 TeilnehmerInnen. Der Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung, der sich in der Tradition dieser Alternativveranstaltungen sieht, hat dieser Tage die West-Berliner Erklärung des Gegenkongresses ins Netz gestellt, die bislang nur in Papierform verfügbar war. Diese West-Berliner Erklärung fasste 1988 u.a. die Kritik der Solidaritätsbewegung und der NGOs an den neoliberalen Strukturanpassungsauflagen des IWF an den Schuldnerländern des Südens zusammen.

Es sollte Jahre bzw. Jahrzehnte dauern, bis der Druck so stark geworden war, das IWF und Weltbank von den Dogmen der Strukturanpassungspolitik abrücken mussten, zunächst zwar nur verbal und nicht in der Praxis vor Ort, aber immerhin – jetzt haben Regierungen und Bewegungen eine veränderte Rhetorik, auf die sie sich berufen können, wenn ihnen die abwegige Polit-Konditionalität der Washingtoner Finanzinstitutionen aufgeherrscht werden soll. In vielerlei Hinsicht blieben die Forderungen der IWF/Weltbank-Kampagne von 1988 bis heute unerfüllt. So ruft die Erlassjahr- bzw. Jubilee-Bewegung dieser Tage zu einer globalen Aktionswoche für die Streichung illegitimer und untragbarer Schulden auf.

Vor 5 Jahren war die schon in Berlin 1988 prognostizierte globale Krise in Form einer weltweiten Finanzkrise definitiv in den Industrieländern angekommen. In einem Beitrag für die Financial Times berichtet der Pimco-Manager Mohamed El-Erian jetzt, wie die damalige Jahrestagung 2008, kurz nach der Lehman-Pleite, zu einem „kollektiven Erwachen“ geriet, das dann auf dem G20-Gipfel in London in einen Aktionsplan mündete, der die Welt vor einem Absturz in eine neue Große Depression bewahrte.

Doch fünf Jahre später scheinen zwar die schlimmsten Gefahren eines vom Finanzsektor ausgehenden Systemzusammenbruchs gebannt (wenngleich die unerledigten Reformen Legion sind), doch die Weltkonjunktur läuft nach wie vor unter ihren Möglichkeiten, die Schwellenländer sind neuen Destabilisierungsgefahren ausgesetzt, die Spillover-Effekte der US-amerikanischen Geldpolitik auf die Weltwirtschaft sind gar nicht abzuschätzen, und die Massenarbeitslosigkeit ist in vielen Industrieländern, vor allem unter Jugendlichen, ein grassierendes Problem. Also wäre auch jetzt eine koordinierte Antwort der Hauptakteure der Weltwirtschaft dringend geboten.

Doch sollten wir von der Jahrestagung, die offiziell am Donnerstag beginnt, „weder ein kollektives Erwachen noch einen global koordinierten Politikansatz erwarten“, schreibt El-Erian. Und: „Es ist tragische Realität…, dass eine verlängerte Malaise der Main Street noch nicht die gleiche politische Dringlichkeit auslöst wie eine gescheiterte Wall Street.“ Recht hat er.

4. Oktober 2013