31. Oktober 2011

NGOs beim G20-Gipfel in Cannes: Scheideweg?

Die meisten NGOs, sofern sie sich überhaupt mit dem G20-Gipfel in Cannes beschäftigen, erwarten Durchbrüche in zwei Bereichen: Sie wollen eine Entscheidung über die Einführung der Finanztransaktionssteuer (FTT) und ein klares Votum, dass deren Erträge für die Armutsbekämpfung und den Klimaschutz verwendet werden. Und sie wollen, dass in Cannes konkrete Beschlüsse zur Eindämmung der ausufernden Spekulation mit Nahrungsmitteln gefasst werden. Oxfam fügt noch hinzu, dass der Gipfel auch die festgefahrenen Klimaverhandlungen wieder in Gang bringen müsse.

Insgesamt sieht Oxfam die G20 an einem Scheideweg: Die G20 könnte einen „Richtungswechsel zu weltweiter Stabilität und sozial und ökologisch nachhaltigem Wohlstand“ auf den Weg bringen, „wenn die G20 über den Schatten ihrer kurzfristigen Eigeninteressen springen“. „Die G20 müssen nun in Cannes unter Beweis stellen, wie ernst es ihnen damit ist, das maßlose Zocken der Spekulanten einzudämmen.“ Wirklich?

Allmählich stellt sich die Frage, ob die Artikulation solcher Erwartungen dem Wunschdenken der NGOs entspringt oder ob die Latte im Vorhinein so hoch gelegt wird, dass hernach umso stärker auf die enttäuschenden Beschlüssen draufgehauen werden kann. Eine Einführung der FTT durch die G20 wird es jedenfalls nicht geben. Dies lässt sich mühelos im Umkehrschluss aus dem heutigen Interview mit Finanzminister Wolfgang Schäuble herauslesen, der schon mal vorsorglich deren Einführung in der Eurozone angekündigt hat. Das wäre schon mal ein großer Erfolg der NGOs, der weitere nach sich ziehen könnte.

Was das Vorgehen gegen die Nahrungsmittelspekulation betrifft, sieht es ähnlich aus. Bei einer Veranstaltung in der letzten Woche war aus deutschen Sherpa-Kreisen zu vernehmen, dass sich die Bundesregierung im Vorfeld des G20-Gipfels weder auf Positionslimits noch auf ein Handelsverbot für bestimmte Investorengruppen festlegen wollte (>>> G20-Gipfel in Cannes: Der Lack ist ab). Aber das Thema bleibt dennoch auf der Agenda – auch nach Cannes.

Schließlich: Die G20 als Wiederbelebungsinstrument der Klimaverhandlungen? Auf der Agenda steht ein Abgabesystem für den internationalen Schiffsverkehr. Dadurch würden klimaschädliche Treibhausgase reduziert, und die erzielten Einnahmen könnten arme Länder bei der Anpassung an die Folgen des Klimawandels unterstützen. „Über eine Abgabe auf Schiffsdiesel-Treibstoffe lassen sich pro Jahr 10-15 Mrd. US-Dollar für den Green Climate Fund erwirtschaften“, erklärt Oxfam. Nur: Die Verhandlungen über den Grünen Klimafonds haben soeben einen herben Rückschlag erlitten. Und die G20 sind nicht gerade das ideale Instrument, sie wieder in Gang zu bringen.

30. Oktober 2011

Auch Gruene nehmen Grossbanken ins Visier

Manchmal klappt es ja zwischen drinnen und draußen. Während in der letzten Woche Attac-Aktivisten vor dem Bundestag ein 15 Meter langes Transparent mit der Aufschrift „Banken in die Schranken“ entrollten, forderten drinnen Bündnis 90/Die Grünen die Einsetzung einer Kommission zur Regulierung der Großbanken. Diese soll für Deutschland Vorschläge entwickeln, die geeignet sind, das Gefährdungspotential, das mit systemrelevanten Banken verbunden ist, die damit einhergehende implizite Staatsgarantie sowie die daraus folgenden Refinanzierungsvorteile vollständig abzubauen (Antrag 17/7359). Themenfelder der Kommission, die ihre Arbeit bis zum 30. September 2012 abschließen soll, sollen ein Trennsystem für Banken, Kapital- und Liquiditätszuschläge für systemrelevante Banken sowie das Wettbewerbsrecht sein. Nach den Vorstellungen der Fraktion sollen dem Gremium neun Mitglieder des Deutschen Bundestages und neun Sachverständige angehören.

Zur Begründung schreibt die Fraktion, international tätige Großbanken seien aufgrund ihrer Größe, Struktur und Vernetzung ein Risiko. „Sie sind aufgrund des enormen Schadens, den eine Pleite auslösen würde, zu groß und zu vernetzt zum Scheitern (too big to fail, too interconnected to fail) und können deshalb im Falle einer Schieflage mit einer staatlichen Rettung rechnen“, argumentiert die Fraktion und stellt fest: „De facto besteht für sie damit eine implizite und kostenlose Staatsgarantie, die Vorteile bei der Refinanzierung gegenüber kleineren Instituten bietet und das Eingehen größerer Risiken erlaubt.“

In Deutschland sei die Großbanken-Thematik bisher weitgehend verdrängt worden, obwohl sie auch für Deutschland unbestreitbar besteht“. So hat die Deutsche Bank mit einer Bilanzsumme von 1,9 Billionen € eine gefährliche Größe erreicht. Das Restrukturierungsgesetz sei auf Großbanken wie die Deutsche Bank nicht anwendbar, schreibt die Fraktion unter Berufung auf die Ergebnisse einer Anhörung im Bundestag.

21. Oktober 2011

Kleine Lichtblicke in der Finanzmarktreform

Gelegentlich gibt es auch auf dem dunklen Terrain der Finanzmarktreform mit seinen Schattenbanken und „Dark Pools“ (intransparenten Handelsplätzen) gewisse Lichtblicke. In der vergangenen Woche war dies gleich dreimal der Fall: Erst einigten sich das Europäische Parlament und der Rat darauf, künftig europaweit ungedeckte Leerverkäufe von Kreditausfallversicherungen (CDS) auf Staatsanleihen zu verbieten. Eine Spekulation auf Staatsbankrotte wird damit künftig zumindest stark eingeschränkt. Dann gab der Binnenmarktkommissar der EU, Barnier, seine Absicht bekannt, den Ratingagenturen künftig die Herabstufung bzw. überhaupt die öffentliche Bewertung der Bonität von Ländern zu verbieten, wenn sich diese in einem Bail-out-Verfahren befinden. Der dritte Lichtblick kommt aus den USA, wo die Commodity Futures Trading Commission (CFTC), die zuständige Behörde für die Regulierung der Rohstoffmärkte, feste Positionslimits für den Handel mit 29 Rohstoffen, darunter Nahrungsmittel, beschloss. Dies kann zu einer Einschränkung der Spekulation auf steigende Lebensmittelpreise und insgesamt zu einer Beruhigung der volatilen Märkte führen.

Sicher – die Positionslimits in den USA wurden mit einer knappen Mehrheit von 3:2 beschlossen, im Vorfeld mehrfach durch die Einflussnahme der Finanzlobby verwässert und bieten Schlupflöcher im Prozess der Umsetzung. Auch ist noch nicht ausgemacht, ob der Beschluss durch juristische Tricks und Spitzfindigkeiten wieder gekippt werden kann. Immerhin jedoch sind die im Gefolge der Dodd-Frank-Reformgesetze beschlossenen Spekulationsgrenzen exakt definiert: So soll bei den meisten Rohstoffen die Obergrenze, bis zu der spekuliert werden kann, bei 25% der handelbaren Ware liegen, beim Handel in längeren Fristen soll die reine Spekulation auf 10% bei den ersten 25.000 Kontrakten, darüber hinaus auf nur 2,5% beschränkt werden. Zum Vergleich: Die in dieser Woche veröffentlichte Foodwatch-Studie zur Lebensmittelproduktion fordert Positionslimits von 30% aller gehandelten Futures (>>> Deutsche Bank & Co. verschärfen Welthunger).

Im Gegensatz dazu geht der in dieser Woche ebenfalls vorgelegte Entwurf der EU-Kommission für eine Neufassung der Finanzmarktrichtlinie zwar auch auf das Problem der Spekulation mit Rohstoffderivaten ein, spricht aber nur nebulös von einer Berichtspflicht in Bezug auf die Positionen der Händler – eine Abschwächung, die deutlich die Einwände der Brüsseler Finanzlobby gegen konsequentere Regelungen widerspiegelt. Zusammen mit anderen Schwächen der Richtlinie – so soll der außerbörsliche OTC-Handel über neue Handelsplattformen, genannt OTF („organised trading facility“), eingeschränkt werden – ist damit kaum davon auszugehen, dass die neue Richtlinie geeignet ist, den Rückstand der EU gegenüber den Dodd-Frank-Reformen in den USA aufzuholen. Insgesamt gilt wohl die Kritik des Rats für Finanzstabilität (FSB), der Mitte Oktober in einem Bericht an die G20-Finanzminister festgestellt hat, dass bislang nur wenige Länder bei der Umsetzung der von den G20 beschlossenen Reformen der OTC-Derivate-Märkte im Plan liegen und viele die Deadline Ende 2012 wohl kaum erreichen werden.

18. Oktober 2011

Global Governance und Ernaehrungssicherheit

Anlässlich des Treffens des UN-Komitees für Ernährungssicherheit (CFS) vom 17.-22. Oktober in Rom fordert eine aktuelle Studie der Heinrich-Böll-Stiftung die Umsetzung eines effizienten, durchsetzungsfähigen und internationalen Steuerungsregimes der Welternährung. Die Studie mit dem Titel „A better global governance system for food security: essential characteristics and architecture” formuliert konkrete Schritte, wie das UN-Komitee zu einem politisch relevanten, internationalen Steuerungsgremium ausgebaut werden könnte. Bislang seien die Aufgaben zur Sicherung der Welternährung auf verschiedene internationale Institutionen verteilt, so die Studie, was zu unkoordinierten und zum Teil sogar widersprüchlichen Politiken führe.

Entscheidend sei deshalb, dass ein zukünftiges Gremium die politische Durchsetzungsfähigkeit habe, die verschiedenen Dimensionen der Welternährungssicherung wie Gesundheit, Umwelt, Handel und Wirtschaft klar aufeinander abzustimmen. Das Gremium müsse strategische Richtlinien und politische Orientierung zu den zentralen Fragen der Ernährungssicherung vorgeben, die Umsetzung dieser Richtlinien überwachen und die politische Macht haben, sie gegebenenfalls durch Sanktionen gegenüber allen Akteuren durchzusetzen.

Tatsächlich wurde das UN-Komitee für Ernährungssicherheit erst 2009/2010 reformiert. Diese Reformen seien erste sehr wichtige Schritte gewesen, sagt die Autorin der Studie, Nora McKeon, eine ehemalige Mitarbeiterin der Welternährungsorganisation (FAO): „Besonders durch die aktive Beteiligung der Zivilgesellschaft hat sich die Legitimation des CFS verbessert.“ Nun komme es darauf an, die Durchsetzungsfähigkeit des CFS gegenüber allen Akteuren zu stärken, die das Menschenrecht auf Nahrung beeinflussen - Regierungen, internationale Organisationen und multinationale Unternehmen.

Ebenfalls zum Auftakt der diesjährigen Vollversammlung des UN-Komitees hat das katholische Entwicklungshilfswerk Misereor strenge und international verbindliche Regeln gegen Landraub eingefordert. Das Grundrecht auf Nahrung muss nach Auffassung von Misereor Vorrang haben vor den Gewinninteressen von Investoren. Es sei sehr zu bedauern, dass die geplante Verabschiedung der UN-Leitlinien zum Zugang zu Land verschoben wurde. Die Leitlinien sollen sicherzustellen, dass Ländereien nicht ohne Zustimmung der lokalen Bevölkerung an Investoren vergeben werden. Nach dem offiziellen Zeitplan hätten die UN-Leitlinien in dieser Woche verabschiedet werden sollen.

17. Oktober 2011

Wie die G8-Aristokratie der G20 im Weg steht

Als die Gruppe der 20 im Jahre 2008 auf Spitzenebene ins Leben gerufen wurde, pries alle Welt den Umstand, dass damit endlich die Schwellenländer ihrem wirtschaftlichen Gewicht entsprechend an globalen Entscheidungen beteiligt würden. Das Finanzministertreffen der G20 am vergangenen Wochenende in Paris zeigte freilich, dass die „Emerging Economies“ nach wie vor am Katzentisch sitzen. Neue Ideen sind auch mit erklecklichen Finanzmitteln nicht einfach durchzusetzen, wenn die G8-Aristokratie sich querstellt.

Im Vorfeld des Treffens hatten die Schwellenländer, vor allem China und Brasilien, die Idee lanciert und die Bereitschaft deutlich gemacht, den krisengeschüttelten Euroländern mit ihren immensen Überschüssen bei Bedarf unter die Arme zu greifen. Und dass dieser Bedarfsfall rasch eintreten könnte, ist ziemlich unumstritten: Es müsste nur ein größeres Euroland, etwa Italien oder Spanien, in die Bredouille kommen, und der europäische Rettungsschirm auch in seiner erweiterten Form wäre erschöpft. Nur wollten die Schwellenländer das Geld nicht direkt zur Verfügung stellen (etwa durch den Kauf von Bonds der betroffenen Länder), sondern indirekt über den IWF.

Unter den ventilierten Ideen fanden sich auch zwei konkrete Umsetzungsvorschläge, wie das Geld nach Europa hätte kanalisiert werden können, zwei Vorschläge übrigens, deren Praktikabilität außer Frage steht und die auch in der Vergangenheit schon angewendet wurden: Entweder könnte der IWF Anleihen ausgeben, die dann zumindest teilweise von Überschussländern aus dem Süden gekauft werden könnten. Oder man würde ein „special purpose vehicle“ (SPV) beim IWF schaffen, in das die Schwellenländer einzahlen könnten. Dies würde die Industrieländer zu nichts verpflichten, könnte jedoch die „Feuerkraft“ des IWF, die derzeit bei knapp 400 Mrd. Dollar liegt und für die Stützung weiterer Euroländer kaum ausreichen dürfte, beträchtlich erhöhen.

Dessen ungeachtet zeigten sich die größten Anteilseigner des IWF, allen voran die USA, Deutschland und Großbritannien, in Paris nicht einmal bereit, die Vorschläge ernsthaft zu diskutieren. Die finanzielle Ausstattung des IWF sei derzeit ausreichend, hieß es knapp. Nur Frankreich und natürlich die IWF-Chefin Christine Lagarde unterstützten die Schwellenländer-Initiative. Nun kann man geteilter Meinung darüber sein, ob die Finanzressourcen des IWF weiter erhöht werden sollen, wenn dieser nicht die erforderlichen Reformschritte geht. Hier zeigt sich jedoch etwas anderes: Die alten Industrieländer haben immer noch nicht aufgegeben, ihre Vormachtrolle bei der Formulierung internationaler Wirtschaftspolitik zu verteidigen. Und sie fahren fort, ihre einmal gegebenen Zusagen nicht einzuhalten: Laut Lagarde hinken die IWF-Mitgliedsländer immer noch erheblich hinter der Einlösung ihrer im letzten Jahr gegebenen Finanzzusagen hinterher. Nur 20 IWF-Mitglieder, die zusammen auf 19% der Stimmrechte kommen, haben ihre diesbezüglichen Verpflichtungen bereits erfüllt. Die USA sind nicht darunter.

13. Oktober 2011

G20-Finanzminister: Entgleiste Agenda

Wenn die Finanzminister und Zentralbank-Chefs der Gruppe der 20 am 14./15. Oktober zu ihrem letzten Treffen vor dem G20-Gipfel zusammen kommen, sind spektakuläre Durchbrüche weitgehend ausgeschlossen. Zu gravierend sind die Differenzen in Europa, insbesondere zwischen Deutschland und Frankreich, über den weiteren Umgang mit der Eurokrise und zu dramatisch der an Schärfe gewinnende Streit zwischen den USA und China über Wechselkurse und globale Ungleichgewichte. Dass in den USA jetzt ein Gesetz auf dem Weg ist, das handelspolitische Strafmaßnahmen gegen Länder mit „zu niedrigen Wechselkursen“ ermöglicht, beschwört nach chinesischer Sicht einen neuen Handelskrieg im Stil der 1930er Jahre herauf.

Weitgehend entgleist ist angesichts solch scharfer Widersprüche auch die ehrgeizige französische G20-Agenda, nach der die G20-Präsidentschaft für eine grundlegende Reform des Weltfinanzsystems und eine Neuordnung der Leitwährungen genutzt werden sollte. Ein neuer Multiwährungsstandard, der neben dem Dollar auch den Euro und den Yuan einbezieht, scheint kaum zwei Wochen vor dem G20-Gipfel so entfernt zu sein wie selten zuvor. So bleiben für das zweitägige Treffen der Finanzminister in Paris allenfalls kleine, inkrementelle Fortschritte denkbar.

In diesen Bereich fällt ausgerechnet eine nochmalige Aufstockung der Finanzressourcen des IWF – nur zwei Jahre nach der Verdreifachung seiner Kreditmittel und der Aufstockung der Sonderziehungsrechte um 250 Mrd. Dollar durch den Londoner G20-Gipfel. Dafür ließen sich sowohl die Industrieländer als auch Schwellenländer wie Brasilien gewinnen, die eine weitere Verschärfung der globalen Krise fürchten. Weitgehend unklar ist am Vorabend des Treffens, wie weitreichend die Beschlüsse zur Eindämmung der Spekulation mit Nahrungsmitteln ausfallen werden, wenn es hier nicht gar zu einer vollständigen Blockade kommt. Desweiteren dürften die Finanzminister neue Regeln für die "Too-big-to-fail"-Problematik absegnen, die das Financial Stability Board erarbeitet hat. Doch das letzte Wort bleibt in allen diesen Fragen den Regierungschefs am 3./4. November in Cannes vorbehalten.

>>> In fortlaufender Aktualisierung wird W&E das Treffen dokumentieren: Finanzministertreffen vor dem G20-Gipfel.

9. Oktober 2011

Athen, Madrid, New York, Frankfurt?

Occupy Everything from socially_awkwrd on Vimeo.


Erst plante Attac als wesentlichen deutschen Beitrag zu dem internationalen Aktionstag für echte Demokratie und gegen die Macht der Finanzwirtschaft am 15. Oktober lediglich ein Hearing. Inzwischen entwickelt sich eine offene Diskussion darüber, ob „Occupy Wall Street“ nicht auch in Deutschland Schule machen könnte. Zunächst wollte der CDU-Altpolitiker Heiner Geißler nicht ausschließen, dass es auch in Deutschland zu vergleichbaren Protesten kommen könnte. Dann rief Oskar Lafontaine von der Linkspartei in einem Gastbeitrag für das Handelsblatt die Deutschen zum Widerstand gegen die Sparpolitik in Europa auf: „Die US-amerikanische Bewegung ‚Occupy Wall Street‘ kann als Vorbild dienen“, so Lafontaine.

Bei so viel prominenter Militanz will das Attac-Netzwerk nicht nachstehen. „Es ist an der Zeit, nach dem Vorbild der Spanier, Griechen und New Yorker auch bei uns auf die Straßen zu gehen und Flagge für echte Demokratie zu zeigen“, sagte Mike Nagler vom bundesweiten Attac-Koordinierungskreis. „Wir verstehen uns als Teil dieser internationalen Demokratiebewegung.“ Attac erklärte sich solidarisch mit den Protestierenden an der Wall Street und verurteilte die unangemessenen Einsätze der Polizei.

Die Globalisierungskritiker betonten, die Zivilgesellschaften könnten sich unkontrollierte Banken, die mit eigentlich öffentlichem Geld ausufernd auf den Finanz- und Rohstoffmärkten spekulieren, nicht mehr leisten. Deshalb müsse das Primat der Politik über die Finanzwirtschaft hergestellt werden. Dies könne aber nur gelingen, wenn auch die Politik wieder unter demokratische Kontrolle gebracht werde. Die verbindenden Forderungen der internationalen Proteste seien eine echte demokratische Kontrolle der Banken- und Finanzwirtschaft, ein Stopp der Sozialkürzungen und Privatisierungen sowie der Ruf nach einer partizipativen Demokratie. Mike Nagler: "Demokratie aber lebt von Beteiligung, deswegen rufen wir die Bürgerinnen und Bürger auf, mit uns gemeinsam am 15. Oktober auf die Straßen und Plätze unserer Städte zu gehen."

Zu dem internationalen Aktionstag am 15. Oktober rufen die spanische Bewegung "Democracia Real Ya!", das europäische Attac-Netzwerk und andere Gruppen auf. Attac-Gruppen haben Proteste in zahlreichen deutschen Städten angekündigt – darunter auch vor der Europäischen Zentralbank in Frankfurt am Main. Bei einer ganztägigen Anhörung zur Krise in Berlin will Attac den Ursachen der Krise auf den Grund gehen und Alternativen zu Sparzwang und sozialem Kahlschlag erörtern. Weltweit sind Proteste in über 300 Städten in mehr als 40 Ländern geplant.

5. Oktober 2011

Bankenkrise in Europa: Jetzt also doch!

Jetzt also doch! Noch Ende August, als die IWF-Chefin Christine Lagarde eine zügige und gegebenenfalls obligatorische Refinanzierung der europäischen Banken forderte, wiesen die europäischen Finanzbürokraten dergleichen als völlig überflüssig und überzogen zurück. Inzwischen betreiben Europas Finanzminister genau das. Nur ist noch nicht sicher, ob es gelingt, in der gebotenen Eile die institutionellen Voraussetzungen auf europäischer Ebene zu schaffen. Deshalb bereiten die Regierungen auch wieder nationale Rettungspakete für die Bankenrettung vor. Frankreich und Belgien stehen mit Garantien für die Dexia-Bank bereit. In Deutschland kündigte Finanzminister Schäuble an, notfalls das Bankenrettungsgesetz von 2008 wieder zu aktivieren. Der finanzpolitische Sprecher der Grünen im Bundestag, Gerhard Schick, ist dafür, warnt jedoch vor einer Wiederholung alter Fehler. Im Wortlaut:

„Wieder Durcheinander in der Koalition: Gestern lehnen der Haushaltssprecher der Union, Barthle, und der finanzpolitische Sprecher der FDP, Wissing, unsere Forderung nach einer Neuauflage des Bankenrettungsgesetzes als Panikmache aus der Opposition ab. Heute bringt der Bundesfinanzminister genau das ins Gespräch. Wir meinen: Für den Fall, dass eine europäische Lösung zur Bankenrettung nicht rechtzeitig gelingt, sollte Deutschland vorbereitet sein. Wir fordern daher, dass das Finanzmarktgesetz von 2008, das Ende 2010 auslief, in verbesserter Form wieder in Kraft gesetzt wird. Insbesondere ist die parlamentarische Kontrolle zu verbessern, auch müssen die Vorgaben für Gehälter, Bonuszahlungen und Pensionsansprüche in den geretteten Banken verschärft werden. Hier gilt es, die Fehler von 2008 zu vermeiden.

Die belgisch-französische Bank Dexia läutet die zweite Runde der Bankenrettung in Europa ein. Damit wird deutlich, dass diese Krise nicht nur mit Staatsschulden, sondern auch mit wackeligen Banken zu tun hat. Nötig ist jetzt, die Kapitalbasis der Institute zu stärken. Da darf man nicht kuscheln, da braucht es klare Vorgaben aus der Politik. Schlimm genug, dass Bundesregierung und Finanzaufsicht in den vergangenen Jahren den Banken Bonus-Zahlungen an Manager und Ausschüttungen an Aktionäre erlaubt haben, statt vor allem das Eigenkapital zu stärken. Das rächt sich jetzt. Die Stärkung der Kapitalausstattung der Institute muss mit verbindlichen Vorgaben zur Eigenkapitalausstattung erzwungen werden, zur Not braucht es eine Teil-Verstaatlichung der Banken zu Lasten der bisherigen Aktionäre.

Für die zweite Runde der Bankenrettung fehlen die Instrumente. Noch ist nicht einmal die indirekte Kapitalisierung von Banken durch den EFSF in trockenen Tüchern, weil nach der Bundestags-Entscheidung vergangene Woche noch Entscheidungen in anderen Parlamenten ausstehen. Doch nötig wäre eine direkte Kapitalisierung durch eine europäische Institution. Denn bei Dexia zeigt sich genau, was geschieht, wenn die einzelnen Staaten der Eurozone selbst für die Bankenrettung verantwortlich sind: Die Risikomaße für Belgien steigen durch die Probleme bei Dexia, weil jeder weiß, dass das Institut dem schon hoch verschuldeten Staat weitere Lasten aufbürden wird Bankenkrise und Staatsschuldenkrise verschärfen sich so gegenseitig. Dringend nötig ist es, den Fehler des damaligen Bundesfinanzministers Steinbrück zu korrigieren, der 2008 auf eine nationale Bankenrettung setzte und damit Europa in die jetzige schwierige Lage gebracht hat. Nötig ist jetzt eine europäische Bankenrettung.“