20. Dezember 2010

Sao-Paulo-Runde überholt Doha-Runde

Während die Doha-Runde innerhalb der Welthandelsorganisation (WTO) nach wie vor vor sich hindümpelt, hat die vor sechs Jahren auf der XI. UN-Konferenz für Handel und Entwicklung in Sao Paulo angestoßene Verhandlungsrunde der Entwicklungsländer im Rahmen des Globalen Systems der Handelspräferenzen (GSTP) jetzt einen Durchbruch erzielt. Die Vertreter der GSTP-Parteien – ausschließlich Entwicklungsländer – kamen im brasilianischen Foz do Iguaçu überein, die gegenseitigen Zolltarife bei mehr als 70 Exportprodukten und 20% zu reduzieren.

Derzeit gehören dem GSTP 43 Vertragsparteien an, von denen 22 an der sechsjährigen Sao-Paulo-Runde teilnahmen. Zwar unterzeichneten das Sao-Paulo-Protokoll zunächst nur acht Länder, darunter die Mercosur-Gruppe in Südamerika. Doch da mit weiteren Unterzeichnern gerechnet wird, dürfte das Abkommen dem Süd-Süd-Handel einen weiteren Schub geben. Schon heute ist dieser Handelsaustausch innerhalb des Südens eine der größten Wachstumsquellen sowohl für die Entwicklungsländer als auch für den Welthandel insgesamt.

Das GSTP wurde 1989 ins Leben gerufen und bietet einen Rahmen für präferentielle Konzessionen im Handel zwischen Entwicklungsländern. UNCTAD unterstützt diesen Prozess im Rahmen eines technischen Kooperationsabkommens und berät die Länder bei den Verhandlungen. Mit den Ergebnissen der Sao-Paulo-Runde wird die Anzahl der erfassten Zolllinien auf 47.000 erhöht. Der Durchbruch letzte Woche in Foz do Iguaçu ist besonders signifikant, weil es den Industrieländern und dem WTO-Sekretariat bis heute nicht gelingt, die festgefahrene Doha-Entwicklungsrunde wieder in Gang zu bringen. Das Signal des GSTP ist eindeutig: Jede weitere Konzessionsverweigerung des Nordens in Handelsfragen dürfte weitere Fortschritte im Bereich der Süd-Süd-Integration zur Folge haben.

15. Dezember 2010

Finanztransaktionssteuer im AWZ: Letzte Gefechte


Wenig Neues an Argumenten haben die Gegner einer Finanztransaktionssteuer (FTT) zur Finanzierung des weltweiten Kampfes gegen Armut, Klimawandel und die Weltwirtschaftskrise in ihrem Köcher. Das zeigte sich in einer öffentlichen Anhörung des Bundestagsausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (AWZ) zur künftigen Finanzierung der Entwicklungszusammenarbeit heute Morgen in Berlin. Dabei warben Jörg Alt von der Kampagne „Steuer gegen Armut“ und Peter Wahl von Weltwirtschaft, Ökologie & Entwicklung (WEED) für dieses innovative Instrument zur Besteuerung der internationalen Finanzmärkte. Es ist aus ihrer Sicht in der Lage, große Summen an Steuereinnahmen zu generieren und die Finanzmarktstabilität zu erhöhen. Die Zahl der Unterstützer für die Finanztransaktionssteuer sei infolge der weltweiten Finanzkrise gewachsen, betonte Peter Wahl in seiner Stellungnahme. Es sei Zeit, diese Dynamik zu nutzen und eine „Koalition der Willigen“ zu schmieden. Die Politik solle sich jetzt darauf konzentrieren, die FTT in der Eurozone einzuführen. Die Bundesregierung solle dabei zusammen mit Frankreich eine führende Rolle übernehmen.

Unterstützung erhielten Alt und Wahl von den Abgeordneten Thilo Hoppe (Bündnis 90/Die Grünen), Sascha Raabe (SPD) und Axel Troost (Die Linke), deren Fraktionen die Einführung der Finanztransaktionssteuer schon länger fordern. Johannes Selle (CDU) äußerte ebenfalls „Sympathie“ für die Steuer, wies aber auch darauf hin, dass es widersprüchliche Aussagen über deren Wirksamkeit gebe. Auch müssten Fragen der Machbarkeit geklärt werden, etwa wie man die Bürokratie gering halten und Transparenz gewährleisten könne. Strikt gegen die Finanztransaktionssteuer wandte sich erwartungsgemäß Peter Nunnenkamp vom Kieler Institut für Weltwirtsschaft. Die beiden Ziele – Mittelaufbringung und Verhaltenslenkung – ließen sich „kaum in Einklang bringen“, wie die Erfahrung mit der Tabaksteuer gezeigt habe. In dem Maße, in dem das Lenkungsziel ernst genommen werde, entfielen die Steuereinnahmen und umgekehrt, sagte Nunnenkamp, der sich anstelle der Erhebung von Spezialsteuern für die Erhöhung bestehender Steuern aussprach.

Dem widersprach Sascha Raabe: Er könne es sich nicht vorstellen, dass an den internationalen Märkten plötzlich weniger gehandelt werde, nur weil es die Steuer gebe. Der Linken-Abgeordnete Troost machte klar, es sei aus seiner Sicht ein „sehr vernünftiges Ergebnis“, wenn mit einem Steuersatz von 0,05% ein zusätzlicher fiskalischer Ertrag von 27 Mrd. € aufgebracht und zudem hochspekulative Finanzgeschäfte zurückgedrängt werden könnten. – Der Vergleich mit der Tabaksteuer klingt schon ein wenig wie das letzte argumentativen Gefecht der FTT-Gegner, haben sich doch die meisten technischen Einwände gegen die Steuer inzwischen erledigt, wie in der WEED-Stellungnahme nochmals gezeigt wird. Und dass die Umsätze der Tabakindustrie in Deutschland in den letzten Jahren zurückgegangen sind, liegt ja auch nicht an ständig steigenden Tabaksteuern, sondern an den weitgehenden Rauchverboten im öffentlichen Raum. Aber Verbote besonders gefährlicher Spekulationsinstrumente können ja auch im Falle FTT die Regulierungswirkung ergänzen und verstärken. So herum wird schon eher ein Schuh daraus.

13. Dezember 2010

An meine Freunde in und aus den PIGS-Ländern

Liebe Freundinnen und Freunde,

bitte lest dieses wunderbare dreiteilige Essay des spanischen Diplomaten Luis Francisco Martínes Montes: Wie er eines Morgens als eines der PIGS auf einem Bauernhof aufwacht und beginnt, über all die unfairen Reden nachzudenken, die in bestimmten Ländern, darunter mein eigenes, über die wirtschaftlichen Entwicklungen in Portugal, Irland/Italien, Griechenland und Spanien gehalten werden. Diese wirklich zeitige Intervention in einer Zeit zunehmender Spannungen in Europa ist beißender Humor und harte Munition gegen die neue Überheblichkeit derjenigen, die angeblich so gut mit Geld umgehen können.

Doch lässt der Beitrag offen, wer am Ende die wirklichen PIGS sein werden:
“With regard to their own futures, it could well happen that, at the end of the current crisis, PIGS will look at APEs (“Anglo-protestant economies”) and APEs will look at PIGS — and no one will be able to distinguish who is who.”

Die Geschichte findet sich >>> hier, >>> hier und >>> hier.

Beste Wünsche und herzliche Grüße
Rainer

12. Dezember 2010

Berlin-Paris: FTT als Entwicklungssteuer?


Laut Spiegel-Online wäre Finanzminister Schäuble bereit, die Einnahmen au seiner Finanztransaktionssteuer für die Erhöhung der Entwicklungshilfe zu nutzen. Wenn sich dies bestätigen sollte, wäre dies eine politische Kehrtwende Berlins, denn bislang ist für jene 2 Mrd. €, die im Entwurf des Bundeshaushalts für 2012 als Einkommen aus der Finanztransaktionssteuer eingestellt sind, kein besonderer Verwendungszweck vorgesehen. Nach dem Spiegel-Online-Artikel schließt sich Schäuble damit der französischen Position an.

Schäubles Einlassung erfolgte im Kontext einer Diskussion über eine engere Zusammenarbeit zwischen dem deutschen und dem französischen Finanzministerium. Unter dem Eindruck der Eurokrise soll Schäuble sogar eine Fusionierung der beiden Ministerien favorisieren. Als erster Schritt dahin ist jetzt die gemeinsame Vorbereitung der Ecofin-Treffen und der Sitzungen der Eurogruppe durch französische und deutsche Beamte geplant.

Vor dem deutsch-französischen Arbeitstreffen in Freiburg hatten letzte Woche französische und deutsche NGOs in einem Brief an Sarkozy und Merkel die Einrichtung einer gemeinsamen Arbeitsgruppe vorgeschlagen, um eine Strategie für die Umsetzung der Finanztransaktionssteuer in Europa zu entwickeln. – Parallel dazu hat die die Klimakonferenz in Cancún auf die Errichtung eines Klimaschutzfonds geeinigt, aus dem beträchtliche Investitionen gegen den Klimawandel in Entwicklungsländern finanziert werden sollen – „alles in allem ein interessantes Zusammentreffen von Entwicklungen“, meinte Peter Wahl von WEED in einer sonntäglichen Depesche. „Es gibt viel Schwung in dem Prozess, den die Zivilgesellschaft nutzen sollte.“

Anfang dieser Woche trifft überdies eine Delegation des Internationalen Gewerkschaftsbundes (ITUC) mit Sarkozy zusammen, um Einfluss auf die G20-Agenda im nächsten Jahr unter französischer Präsidentschaft zu nehmen. Den internationalen Gewerkschaften geht es um Arbeitsplätze, Finanzmarktreformen, die Armutsbekämpfung und den Klimawandel. Doch „eine Finanztransaktionssteuer zur Reduzierung der Spekulation und zur Generierung von Einnahmen für Beschäftigungswachstum, Klimapolitik und Zurückdrängung der Armut spielt in unseren Vorschlägen eine zentrale Rolle“, erklärte ITUC-Generalsekretärin Shara Burrow vor dem Treffen.

9. Dezember 2010

Deutsche Solidaritätsverweigerung

Vor gut zwei Jahren retteten die Regierungen mit großem Aufwand an Steuergeldern die Finanzmärkte. Doch heute – gut zwei Jahre später – sind dieselben Märkte bereits wieder dabei, die Regierungen einzuschüchtern, zumindest einige in Europa. Ein paar Ratingagenturen stufen nach Belieben die Bonität bestimmter Länder immer weiter herab und verteuern so die Finanzierung von deren Schulden – Schulden, die zu einem erheblichen Teil wie in Irland erst durch die Rettung der privaten Banken entstanden waren. Die europäische Schuldenkrise ist weitgehend das Wettkonzert von privaten Spekulanten auf den Bankrott von Staaten, allen voran der sog. PIIGS: Portugal, Irland, Italien, Griechenland und Spanien, wie die Wackelkandidaten an den Finanzmärkten zynisch genannt werden.

Dabei könnte der ganze Spuk mit einem Schlag beendet werden, würden sich die Europäer dazu durchringen, den Vorschlag des Luxemburgischen Premierministers Jean-Claude Juncker und des italienischen Finanzministers Giulio Tremonti zur Ausgabe gemeinsamer Euroanleihen umzusetzen. Für den Financial-Times-Kolumnisten Wolfgang Münchau ist dies „die erste konstruktive Idee seit dem Ausbruch der Finanzkrise der Eurozone vor einem Jahr“. Der Vorschlag selbst ist zwar älter und wurde von links bereits als Instrument gegen die Griechenlandkrise ins Gespräch gebracht. Dass er jetzt erneut auf die Tagesordnung kommt, zeigt, dass er von einer potentiell sehr breiten europaweiten Allianz getragen werden könnte.

Der Vorschlag setzt an der Logik der europäischen Schuldenkrise an, die im Kern eine politische ist. Seine Umsetzung würde nicht nur demonstrieren, dass die Mitglieder der Eurozone entschlossen sind, die „Unumkehrbarkeit des Euro“ (Juncker/Tremonti) zu sichern. Er wäre auch ein glaubwürdiger weiterer Integrationsschritt, hin zum Aufbau eines Mechanismus der politischen Koordination, des solidarischen Ausgleichs und zu ersten Ansätzen einer europäischen Haushaltsunion. Die deutsche Weigerung, auf ihn einzugehen, ist deshalb wie die deutsche Verzögerungstaktik bei der Griechenlandhilfe keineswegs nur ideologischen Glaubenssätzen geschuldet.

Es geht gar nicht mehr um die ideologischen Schlachten von gestern, denn der Neoliberalismus ist längst an der Realität der Finanzkrisen zerschellt. Es ist schlicht deutsche Solidaritätsverweigerung, was Berlin da praktiziert. Und die Frage ist schlicht und einfach, wie lange sich die europäischen „Partner“ das noch gefallen lassen. Die vornehme Zurückhaltung, mit der Juncker die deutsche Abwehrhaltung als „ein bisschen simpel“ und „uneuropäisch“ kritisiert hat, könnte sich deshalb schnell als bloßer Vorgeschmack auf kommende europäische Gewitter erweisen.

3. Dezember 2010

Ein anderer Blick auf den Seoul Consensus

Der G-20-Gipfel von Seoul war bezeichnend für das wachsende politische Gewicht der Schwellenländer. Nicht nur der Austragungsort des Gipfels lag in einem Schwellenland, diese dominierten die Veranstaltung auch in vielfältiger Weise. In zwei entscheidenden Bereichen – Makroökonomie und globale Entwicklung – setzten die Schwellenländer ihren Standpunkt durch. Überdies wurde auf dem Gipfel ein ausgezeichneter Vorschlag präsentiert, die beiden Agenden – Makroökonomie und Entwicklung – miteinander zu verbinden, schreibt Jeffrey D. Sachs, der UN-Beauftragte für die Millenniumsziele, in einem Kommentar.

Und weiter:

Die neue G-20-Entwicklungsagenda bietet eine ausgezeichnete Möglichkeit, Bedenken hinsichtlich globaler Ungleichgewichte mit der Notwendigkeit einer beschleunigten Entwicklung in den ärmeren Ländern zu verknüpfen. Die USA drängen China, Deutschland, Japan und andere Länder, ihren Konsum zu steigern, um die Nachfrage zu erhöhen. Aber es gibt eine bessere Möglichkeit, die hohe Sparquote zu nutzen. Anstatt die Haushalte zu höherem Konsum zu drängen, sollten die G-20 ihre Anstrengungen erhöhen, um diese Ersparnisse in die ärmsten Länder zu leiten, damit dort dringend notwendige Investitionen in die Infrastruktur getätigt werden können.

Indiens Premierminister Manmohan Singh fand dafür eine perfekte Formulierung. Er merkte an, dass Subsahara-Afrika heute in der Lage ist, mehr Kapitalzuflüsse zum Bau von Infrastruktur aufzunehmen. Er empfahl, die Überschüsse der G-20 in diese und andere arme Länder zu leiten, um derartige Investitionen zu finanzieren. „Mit anderen Worten“, so Singh, „wir müssen Ungleichgewichte der einen Art nutzen, um Ungleichgewichte der anderen Art zu beseitigen“.

Durch die Kanalisierung der Ersparnisse Chinas, Deutschlands, Japans und anderer Überschuss-Länder in Infrastruktur-Investitionen in armen Ländern, würden die Ökonomien dieser Welt wahrhaft harmonisch funktionieren. Der G-20-Gipfel in Seoul könnte diesen bedeutenden Prozess in Gang gebracht haben.

Den vollständigen Kommentar lesen Sie >>> hier.