19. November 2015

Von Antalya nach Hangzhou: Welche Zukunft hat die G20?

Es ist nichts Neues, dass die Themen eines Wirtschaftsgipfels durch aktuelle politische Krisen überdeckt werden. Doch noch nie haben politische Erschütterungen die offizielle Agenda so stark in den Hintergrund gedrängt, wie die brutalen Terroranschläge von Paris auf dem G20-Gipfel Anfang dieser Woche. Man mag argumentieren, angesichts der schnöden Wachstumsagenda der türkischen G20-Präsidentschaft sei dies halb so schlimm. Und unter dem Druck der Pariser Ereignisse sei wenigstens der seit der australischen Präsidentschaft im letzten Jahr klaffende Spalt innerhalb der G20 wieder etwas geschlossen worden. Doch dies bliebe unbefriedigend angesichts der Bedeutung eines Gremiums, das sich selbst zum Hauptforum der internationalen wirtschaftlichen Zusammenarbeit ernannt hat.


Der Gipfel von Antalya stand schon angesichts des kurz zuvor vor dem Hintergrund einer martialischen Drohkulisse errungenen Wahlsiegs der Gastgeber unter einem schlechten Stern. Das Thema „Kampf gegen den Terrorismus“ war zwar – sinnigerweise zusammen mit der Flüchtlingskrise – für das zweite Arbeitsessen der Gipfelteilnehmer eingeplant. Doch die wirtschafts- und finanzpolitische Agenda der G20 war schon seit geraumer Zeit zerfleddert, wie auch das in Antalya verabschiedete „Leader’s Communiqué“ mit seinen dutzenden von Annextexten wieder deutlich machte. In der Substanz gelang es gerade einmal, den von der OECD erarbeiteten Aktionsplan gegen Gewinnverlagerung und Steuervermeidung (BEPS) zu verabschieden – ein Dokument mit einigen Fortschritten, aber vielen weißen Flecken (>>> Bauchlandung statt Systemwechsel). Zur tatkräftigen Bearbeitung der heraufziehenden neuen Schuldenkrise der Schwellenländer reichte die Kraft zu nicht mehr (geschweige denn zu Anstößen in der Klimapolitik, die ohnehin nie zu Kerngeschäft der G20 gehörte).

Dabei ist die private Verschuldung in den Schwellenländern inzwischen höher als in den Industrieländern vor Ausbruch der Finanzkrise. Sieben Billionen Dollar sollen seit Beginn der lockeren Geldpolitik in den USA auf der Suche nach lukrativen Anlagefeldern in die Schwellenländer geflossen sein. Und die „Hebelung“ dieser Summen hat zu Schuldenbergen geführt, deren wirkliche Höhe kaum noch zu messen ist. Da aus privaten Schulden sehr schnell öffentliche Schulden werden können, wenn die Krise eklatiert, wäre die Suche nach adäquaten Regeln für staatliche Insolvenzfälle eine erstrangige Aufgabe für die G20. Doch Fehlanzeige. Ein Lichtblick ergab sich dagegen außerhalb der G20-Strukturen durch das grüne Licht für die Aufnahme des Renminbi in den Währungskorb der Sonderziehungsrechte (SZR) durch den IWF. Dies und der Übergang der G20-Präsidentschaft an China am kommenden 1. Dezember dürften dazu beitragen, die Volksrepublik stärker in die Strukturen der ökonomischen Global Governance einzubeziehen.

Auf genau dieser Linie liegt auch das Programm, das Chinas Staatschef Xi Jinping in Antalya andeutete. Der nächste G20-Gipfel wird am 4./5. September 2016 in Hangzhou in der ostchinesischen Provinz Zheijang stattfinden. Sein Thema „Building an innovative, invigorated, interconnected and inclusive world economy“ (etwa: Aufbau einer innovativen, starken, miteinander verbundenen und inklusiven Weltwirtschaft). Das klingt anders als das blasse „Together for inclusive and robust growth“ der türkischen Präsidentschaft mit dem unglaubwürdigen Zusatz „With the power of women“. Tatsächlich sagte Xi in Antalya, man wolle sich auf neue, innovative Wachstumsmuster, die Verbesserung der finanziellen und wirtschaftlichen Governance, die Förderung von Handel und Investitionen sowie einer inklusiven Entwicklung konzentrieren.

„Wir müssen die Vertretung und die Stimme der Schwellen- und Entwicklungsländer (in der Global Governance) ebenso stärken wie die Fähigkeit der Weltwirtschaft, Risiken zu widerstehen“, so Xi wörtlich, nicht ohne offene Kritik an der Blockade der Reform von IWF und Weltbank durch die USA hinzuzufügen. – Unter einer solchen Agenda, sofern sie konsequent durchbuchstabiert und durchgehalten wird, könnte die G20 sehr wohl zu ihren Kernaufgaben zurückfinden. Hoffen wir also, dass die Zukunft der G20 noch vor uns liegt.

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