12. Oktober 2015

TTIP-Proteste: Barrieren gegen neue Hyperglobalisierung

So mancher rieb sich am Wochenende verwundert die Augen, als die Zahlen von der Stopp-TTIP-Demonstration in Berlin bekannt wurden. Die hastig mittels Großanzeigen des Bundeswirtschaftsministers gestartete Gegenpropaganda hatte nicht verfangen. Zwischen 150.000 und 250.000 Menschen gingen zu einem lauten Nein gegen die geplante Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft zwischen den USA und der EU auf die Straße. Eine besonders eigenartige Erklärung hielt da heute Morgen der Kommentator der FAZ bereit: „Die besseren Argumente gibt es für TTIP, auf der Straße aber ist das Nein leichter zu vermitteln.“ (Carsten Knop) Soll wohl heißen: Die auf der Straße sind taub für Argumente oder haben gar keine. Nichts freilich könnte mehr danebenliegen. Eines der Argumente gegen TTIP hatte Herbert Prantl noch am Freitag in der Süddeutschen formuliert: „Angesichts der Flüchtlingskrise ist es auch notwendig, den Freihandel nicht länger so zu betreiben, dass er die Wirtschaft der Entwicklungsländer zerstört und die Menschen in die Migration treibt.“

Das Thema Handel bzw. Welthandel bewegt die Menschen derzeit so stark wie noch nie – nicht nur wegen der vielfältigen Auswirkungen, die von Megaprojekten wie TTIP (oder auch vom pazifischen Pendant TPPA) befürchtet werden. Es herrscht der Eindruck, dass über den Umweg des Handels so ziemlich alle Errungenschaften, von sozialen und ökologischen Standards, von einer gesunden Ernährungsweise über den Schutz der Kultur, von den Regulierungskapazitäten der Staaten bis zu Grundlagen der Demokratie, ausgehebelt werden sollen. Dabei entwickelt sich der Welthandel derzeit real in recht unspektakulären Bahnen. Nach der letzten Prognose der Welthandelsorganisation (WTO) wird der globale Güterhandel im laufenden Jahr nur um 2,8% wachsen, während der IWF ein Output-Wachstum der Weltwirtschaft von 3,1% erwartet. Dies ist jetzt bereits das vierte Jahr, in dem der Welthandel nur genauso stark oder sogar weniger stark wächst als die Weltwirtschaft insgesamt. Welch ein Unterschied zu dem Wachstumsmuster vor der globalen Finanzkrise von 2008, als der Handel weltweit regelmäßig doppelt so stark oder stärker anstieg als die reale Produktion!

Nicht wenige interpretieren das neue Muster so, dass die Globalisierung ihren Zenit überschritten hat bzw. die Ära der „Hyperglobalisierung“ beendet ist. Auch die Stockungen in den  WTO-Verhandlungen und jetzt die wachenden Proteste gegen TTIP können so interpretiert werden. Ein Hauptziel von TTIP und seiner Schwester der Transpazifischen Partnerschaft (TPPA) wäre es dann, die gegen eine neue Hyperglobalisierung gewachsenen Barrieren wieder einzureißen. Dass auf diesem Weg die Wiederbelebung des Handels gelingt, darf bezweifelt werden, schon deshalb, weil die Expansion des Handels gewöhnlich der Steigerung des Outputs folgt, und nicht umgekehrt. 

Dass sich eine wachsende internationale Öffentlichkeit gegen eine neue Ära der Hyperglobalisierung stemmt, verbessert die Chancen dafür, zunächst einmal über die Gestaltung des Handels zu reden, bevor ihm freier Lauf gelassen wird. Diese Regeln sollten freilich von allen in einem multilateralen Prozess ausgehandelt werden, nicht von exklusiven und exkludierenden Verhandlungsklubs. Die Verhandlungen über TPPA sind zwar inzwischen abgeschlossen. Doch dies ist nicht das Ende der Geschichte, selbst wenn seine Befürworter diesen Abschluss wie einen Triumpf gegenüber den Ausgeschlossenen gefeiert haben: „Wir können nicht Länder wie China die Regeln der globalen Ökonomie schreiben lassen. Wir sollten diese Regeln selbst schreiben“, begründet US-Präsident Obama das TPPA-Projekt. Auch die TTIP-Kritiker sollte dies aufhorchen lassen.

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