IWF und Weltbank, die Krisen und das Steuerungsdefizit der Weltwirtschaft
Zum Auftakt der Jahrestagung von IWF und Weltbank in
Lima/Peru habe ich Martin Ling ein Interview gegeben, das heute in der Tageszeitung Neues Deutschland erschienen ist. Es hat folgenden Wortlaut:
Der Internationale Währungsfonds sieht
für 2015 eine leichte Erholung bei den entwickelten Volkswirtschaften im
Vergleich zum Vorjahr und eine Verlangsamung bei den Schwellenländern. Für
beide Ländergruppen sieht der IWF eine wirtschaftliche Erholung im Jahr 2016.
Das hört sich unspektakulär an. Befindet sich der globale Kapitalismus derzeit
in vergleichsweise ruhigen Gewässern?
Das wäre eine ziemlich beruhigende Diagnose für ein
kapitalismuskritisches Blatt. Ironischerweise sind aber die offiziellen
Warnungen, die jetzt vor und auf der Jahrestagung von IWF und Weltbank geäußert
werden, wesentlich dramatischer. Der IWF spricht in seinem aktuellen World
Economic Outlook beispielsweise davon, dass das globale Wachstum das niedrigste
ist, das wir in den vergangenen Jahren seit Beginn der globalen Finanzkrise
2008 erlebt haben. Die Schwellenländer befinden sich jetzt im fünften Jahr in
Folge in einer Situation rückläufiger wirtschaftlicher Dynamik. Andere gehen
sogar noch weiter, wie der ehemalige Finanzminister der USA, Larry Summers. Er
hält die Gefahrenmomente über der Weltwirtschaft für so ernst wie noch nie seit
der Lehman-Pleite 2008.
Was sind denn die zentralen Ursachen
für die Wachstumsschwäche bei den Schwellenländern?
Es gibt vielfältige Faktoren, die für die Schwierigkeiten der
Schwellenländer derzeitig verantwortlich sind. Man kann sie keineswegs alle
über einen Leisten schlagen. Aber ein wichtiges Element ist zweifellos der
Einbruch bei den Rohstoffpreisen, der in eine längere Phase niedrigerer Preise
münden könnte. Das trifft die rohstoffabhängigen Länder naturgemäß schwer,
andere aber, wie Indien beispielsweise, profitieren von dieser Situation, weil
sie rohstoffimportabhängig sind. Hinzu kommen die Unsicherheiten, die allein
durch die Ankündigung einer Wende in der US-Zinspolitik geschaffen wurden.
Allein die Aussicht auf steigende Zinsen ließ Kapital abfließen und dämpfte das
wirtschaftliche Wachstum bei den Schwellenländern. Das war sozusagen der Auftakt
zu einer Umkehr der Kapitalströme. Die Schwellenländer werden jetzt in diesem
Jahr wahrscheinlich das erste Mal seit 30 Jahren einen Nettokapitalabfluss
erleben. Der Wind hat sich gedreht: Lange waren die Schwellenländer Ziel für
ausländisches Kapital, nun werden sie zu Ausgangspunkten neuer Krisen und zu
Ländern, aus denen das ausländische Kapital flieht und wieder abfließt.
Wie steht es um interne Faktoren, die
zur Schwäche der Schwellenländer beitragen?
Die gibt es selbstverständlich auch, Korruptionsskandale zum Beispiel.
Bei einigen Ländern wie Brasilien und Russland gibt es politische Versäumnisse.
Wobei ich als wichtigstes Versäumnis ansehen würde, dass sie die Zeit der hohen
Exporteinnahmen aus Rohstoffverkäufen ungenutzt verstreichen ließen, statt die
einheimische Wirtschaft zu diversifizieren und damit unabhängiger gegenüber
externen Schocks zu machen.
Der neue Chefökonom des IWF, Maurice
Obstfeld, sieht das größte Destabilisierungspotenzial für die Weltwirtschaft
neben der erwähnten Normalisierung in der US-Geldpolitik mit höheren Zinsen im
Umbau der chinesischen Volkswirtschaft weg vom Export, hin zu einer stärkeren
Binnenorientierung und Dienstleistungswirtschaft. Teilen Sie diese
Einschätzung?
In Bezug auf China keinesfalls. Chinas Kurs, sich stärker sich an
Binnenfaktoren zu orientieren, ist wirtschaftspolitisch auf alle Fälle
sinnvoll. Und es ist auch klar, dass die Zinspolitik nicht auf diesem extrem
niedrigen Niveau bleiben kann, wie in den vergangenen Jahren. Dass von diesen
gesunden Entwicklungen Destabilisierungspotenzial ausgeht, liegt daran, dass es
kein System der Global Governance gibt, keine kooperative, multilaterale
Gestaltung der Globalisierung. Damit könnten die Effekte, die daraus für andere
Länder resultieren, gesteuert und minimiert werden.
Nicht die chinesische Wirtschaftspolitik oder das abnehmende Wachstum in
China ist eine Hauptgefahrenquelle für die Weltwirtschaft, sondern dass wir
viele rohstoffabhängige Ökonomien haben mit hohen Auslandsschulden, die in
Dollar denominiert sind. Jeder Zinsanstieg in den USA wird die Schuldenlast
erhöhen. In Kombination mit niedrigeren Exporteinnahmen aufgrund des
Rohstoffpreisverfalls kann das zu fatalen Folgen führen und eine neue Welle von
Schuldenkrisen in Entwicklungs- und Schwellenländern auslösen. Der aktuelle
Global Financial Stability-Report des IWF simuliert eine solche Situation und
kommt zu dem Ergebnis, dass mehrere parallele Schuldenkrisen im Süden sehr wohl
zu einer neuen globalen Finanzkrise mit einer anschließenden neuen globalen
Rezession eskalieren könnten.
Es ist inzwischen beinahe fünf Jahre
her, dass der IWF-Exekutivrat eine weitreichende Reform seiner Quoten- und
Leitungsstruktur beschlossen hat. Unter anderem sollte dadurch den
Gewichtsverschiebungen in der Weltwirtschaft Rechnung getragen und den
Schwellen- und Entwicklungsländern mehr Mitsprache eingeräumt werden. Bis jetzt
ist das durch die Sperrminorität der USA verhindert worden. Gibt es großen
Unmut darüber oder gar Sprengstoff für die jetzige Tagung?
Es gibt diesen Unmut. Zur Sprengung der Tagung dürfte er indes nicht
reichen. Zudem war es eigentlich auch keine weitreichende, sondern eine bescheidene
Reform, die da realisiert werden sollte. Aber da das alles stagniert, greifen
die Schwellenländer zu alternativen Instrumenten. In diesen Kontext fällt die
Gründung der Entwicklungsbank der BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien,
China, Südafrika) oder die von China initiierte Asiatische
Infrastruktur-Investitionsbank (AIIB) im vergangenen Jahr. Das erhöht
selbstverständlich weiter den Druck auf den IWF und auf die Weltbank, bei der
im Übrigen ein ähnlicher Reformprozess angestoßen werden soll. Auch dort ist
eine weitere Aufstockung der Mitspracherechte für die Schwellenländer im
Gespräch. Es ist jedoch eher nicht damit zu rechnen, dass das den konservativen
US-Kongress beeindruckt. Noch steht das US-Veto.
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