20. Juni 2015

Endspiel um Griechenland oder Deal in letzter Minute? Stimmen der Vernunft


Je näher das Monatsende, zu dem das derzeitige Bail-out-Programm der EU, der EZB und des IWF für Griechenland ausläuft, kommt, desto unversöhnlicher scheinen die Positionen. Das oberste Ziel der Gläubiger scheint von Prinzipienreiterei geprägt: Die Renten müssen weiter gekürzt, die Arbeitsmärkte dereguliert und die Mehrwertsteuer, d.h. die Massensteuern, müssen weiter erhöht werden, obwohl jedermann und jedefrau weiß, dass dies die Depression im Land weiter verschärfen wird. Andere, etwa Robert H. Wade von der London School of Economics, vermuten sogar eine Strategie des getarnten Putsches seitens der Gläubiger, um sich der politisch missliebigen Regierung in Athen zu entledigen.

Dabei gibt es genug Stimmen der Vernunft, die zu einem Kompromiss in letzter Minute aufrufen. Dazu gehört sogar der griechische Finanzminister Yanis Varoufakis, der seine jüngste Rede in der Eurogruppe letzte Woche in seinem Blog öffentlich machte. Jeffrey Sachs von der Columbia-Universität erinnerte jetzt an die Warnungen von John Maynard Keynes in seiner Schrift The Economic Consequences of Peace vor einem unnachgiebigen Umgang mit Schuldnern. James K. Galbraith von der Universität Texas forderte den IWF zur Kehrtwende auf, deren erstes Element aus der Einsicht bestehen müsse, dass der Fonds Griechenland jahrelang die falsche Politik aufgezwungen habe. Und Joseph Stiglitz forderte erneut ein rechtliches Verfahren für die Umgang mit überschuldeten Staaten.

Auch der folgende „Aufruf für Griechenland und Europa“, den der von Jakob von Uexküll gegründete World Future Council in der letzten Woche lancierte, kombiniert die Forderung nach einer Beendigung der Austeritätspolitik und einem Schuldenschnitt für Griechenland. Hier ist sein Wortlaut:


Europa muss sich ändern, um Griechenland zu retten! 

„Wenn Europa zugelassen hat, dass diese Schulden der Privatwirtschaft zu Schulden des öffentlichen Sektors wurden - eine Vorgehensweise, die in den vergangenen fünfzig Jahren gängig geworden ist - , dann sollte Europa, und nicht Griechenland, die Konsequenzen tragen.“
Joseph E. Stiglitz, Griechenland – eine moralische Erzählung, 3.2.2015 

Die Eurostaaten haben die Entstehung der Krise gemeinsam verursacht und müssen sie daher auch gemeinsam lösen 

Die aktuelle Eurokrise hat zwei Grundursachen: Zuerst haben auch die Eurostaaten mit der Deregulierung ihrer Finanzmärkte den Banken erlaubt, ihre Bilanzen gefährlich aufzublasen. Die Rettung der Banken nach dem Platzen der Blase bedeutete, dass aus privaten öffentliche Schulden wurden und die Staatsschulden massiv anstiegen. Für einige ökonomisch schwächere Länder wurde es dadurch schwierig oder gänzlich unmöglich, sich am privaten Finanzmarkt zu refinanzieren.

Die zweite Ursache liegt in der Entstehungsgeschichte des Euros als politisches Projekt, das begonnen wurde, ohne mit der gleichen Krisenfestigkeit ausgestattet zu sein, wie es z. B. der Dollar mit der Fed als Zentralbank ist. Der Euro als Gemeinschaftswährung mit unterschiedlich starken Volkswirtschaften kann dauerhaft nur bestehen, wenn die politische und wirtschaftliche Union vertieft wird. Der Ausbruch der Eurokrise Ende 2009 wäre der Zeitpunkt gewesen, um diese Vertiefung umzusetzen und die Einigung Europa voran zu treiben. Stattdessen wird das Eurosystem nun als Instrument zur Durchsetzung einer europäischen Austeritätsgemeinschaft missbraucht. Die auf den freien Märkten unmöglich gewordene Refinanzierung der öffentlichen Schulden der schwächeren Staaten wurde von der Troika aus EU-Kommission, EZB und IWF übernommen und als Druckmittel zu Lohnkürzungen, Sozialabbau und Privatisierung genutzt.

Die von der Troika verordnete Sparpolitik hat die ökonomische Krise Griechenlands nicht behoben, sondern weiter verschärft und zu einem Rückgang der Wirtschaftsleistung um 25 Prozent geführt. Der Effekt, dass man mit Einsparmaßnahmen nicht aus der Krise kommt, weil die Einnahmen noch stärker zurückgehen, wird inzwischen auch von der Forschungsabteilung des IWF zugegeben. Dennoch hält auch der IWF als Mitglied der Troika an der Austeritätspolitik weiter fest. Diese Politik kann die Krise nicht lösen und muss beendet werden. 

Lösungen: 

Die Schuldenlast Griechenlands muss tragfähig gemacht werden, indem die Zins- und Tilgungslasten an das Wirtschaftswachstum gekoppelt werden. Damit würden auch die Gläubiger ein starkes Interesse an einer ökonomischen Genesung Griechenlands entwickeln.

Um die gesamte Höhe der Staatschulden zu senken, sollte auch Griechenland die Umsetzung des „Irischen Schuldenschnitts“ erlaubt werden. Der irischen Regierung wurde es im Februar 2013 von der EZB erlaubt einen Betrag von 30 Mrd. Euro Altschulden, die bei der Rettung ihrer Banken entstanden waren, faktisch zins- und tilgungsfrei bei der eigenen Zentralbank zu refinanzieren. Bezogen auf Griechenland - mit rund zweieinhalbmal so vielen Einwohnern wie Irland - wären dies 75 Mrd. Euro.

Eine andere Art, Schuldenquoten zu senken, ist es, aus ihnen herauszuwachsen. Dazu sollte die EU mit einem Investitionsplan für Griechenland und die anderen Krisenländer von einer wachstumsbehindernden Austeritätspolitik auf eine nachhaltige, expansive Wirtschaftspolitik umschwenken.

Ebenso ist es unerlässlich, dass die Refinanzierung der griechischen Banken durch die EZB wieder in vollem Umfang gewährleistet wird. Das griechische Bankensystem muss stabilisiert werden, damit es wieder in der Lage ist, die griechischen Unternehmer in ausreichendem Maße mit Krediten zu versorgen. Nur dann können die Investitionen finanziert werden, die Grundlage für mehr Exporte und eine Substitution von Importprodukten sein können.

Die grundlegenden europäischen Sozialstandards müssen wieder eingehalten werden. Die Anhebung niedriger Renten auf das Existenzminimum darf nicht von der Troika verboten werden. Die Gesundheitsversorgung muss wieder für alle Griechen gewährleistet werden. 

Notwendige Reformen: 

Der Ausgleich des Staatshaushalts sollte im Wesentlichen über die Erhöhung der Einnahmeseite, d.h. die steuerliche Heranziehung der griechischen Oberschicht und die Bekämpfung der Steuerhinterziehung erfolgen. Die Ausgabenseite des Haushaltes kann auch mit einer kritischen Überprüfung der großen Zahl von Rüstungsimporten reduziert werden.

Die Umsetzung dieser Reformen wurde von der griechischen Regierung bereits angekündigt. Aber die Umsetzung benötigt mehr Zeit als wenige Monate. Es wäre eine Missachtung des Wählerwillens, wenn diese Zeit von der EU und der Troika nicht eingeräumt wird.

Die Griechenland-Krise ist auch ein Symptom für die systematischen Unzulänglichkeiten innerhalb der Europäischen Union. Eine nachhaltige Krisenlösung wird ohne eine politische Vertiefung nicht möglich sein.Zur Aufrechterhaltung der demokratischen Funktionsweise ist es dabei unerlässlich, dass der Machtverlust, den dies für die nationalen Parlamente bedeutet, im selben Maße zu einem Machtgewinn des europäischen Parlaments führen muss.

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