15. Juni 2013

Kakophonie: Fragile Staaten als G8-Fokus?



Immer wenn ein G8-Gipfel naht, werden so allerlei Wunschzettel hereingereicht, an denen sich die sieben wichtigsten Industrieländer und Russland abarbeiten sollen. So fordert in diesem Jahr die Kinderhilfsorganisation World Vision, die G8 solle ihren Fokus auf die Stabilisierung fragiler Staaten im Süden verschieben, etwa durch die massive Ausweitung ihrer Ernährungsprogramme. Sie verweist dabei auf die recht banale Erkenntnis, dass bewaffnete Konflikte Fortschritte in der Ernährungssituation wieder zunichte machen können. Doch der Umgang mit diesen Staaten ist im Rahmen der Außenpolitik und Entwicklungszusammenarbeit höchst umstritten, wie eine gemeinsame öffentliche Expertenanhörung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und des Unterausschusses Zivile Krisenprävention und vernetzte Sicherheit letzte Woche im Bundestag deutlich machte.

Bereits die Frage, was einen fragilen Staat ausmache, sei ungeklärt, sagte Tobias Debiel von der Universität Duisburg-Essen. Je nach Sichtweise würden 20 bis 50 Staaten als fragil gelten – und aus wissenschaftlicher Sicht würde es fast ebenso viele Definitionen zu fragiler Staatlichkeit geben. Festzustellen sei, dass es fast immer ein Zusammenhang zu Gewaltkonflikten und zu Unterernährung gebe und zudem eine Korrelation zum Abschneiden beim Human Development Index. Als Parameter zur Beurteilung von Fragilität nannte Debiel die Frage der Autorität von Staatlichkeit, also etwa der Durchsetzbarkeit eines staatlichen Gewaltmonopols, Umfang und Qualität staatlicher Dienstleistungen sowie die Legitimation der Führung. Als gemeinsame Schnittmenge verschiedener Modelle zur fragilen Staatlichkeit nannte der Sachverständige die Indikatoren Gewalt, Flucht, soziale Zerrüttung und die Aufsplitterung der Machteliten. Debiel lenkte zudem das Augenmerk auf ein westlich geprägtes Verständnis von Staatlichkeit, das sich vor allem auf „formelle Strukturen“ fokussiere, informelle Strukturen - wie Clans und Stämme - jedoch häufig unberücksichtigt lasse. Im Zusammenhang mit der Forderung nach „Good Governance“ drohten etliche fragile Staaten zu „vergessenen Staaten“ zu werden. Debiel sprach in diesem Zusammenhang von einer „erheblichen Volatilität der Entwicklungsmittel“ für solche Staaten – räumte aber ein, dass die Zusammenarbeit hier vor einem Dilemma stehe: Fehlende staatliche Strukturen oder Parallelstrukturen bedeuteten immer auch die Gefahr einer Veruntreuung der Gelder.

Auch Gabi Hesselbein von der London School of Economics konstatierte in einer schriftlichen Stellungnahme „massiv widersprüchliche Zahlen und Einschätzungen über Fragilität“. Als Merkmale fragiler Staaten nannte sie unter anderem die Aufweichung und Aushöhlung des staatlichen Gewaltmonopols, den Verlust des Monopols über die Steuererhebung und „eine Koexistenz von rivalisierenden Autoritäten und Institutionen“. Hesselbein sprach sich auch dafür aus, mit Machteliten zusammenzuarbeiten, sofern sie willens und in der Lage seien, die drängenden Probleme in ihrem Land anpacken zu wollen, auch wenn „Handlungsweisen und Entscheidungen dieser Akteure“ weit entfernt von dem seien, „was unter guter Regierungsführung, Transparenz und Demokratie erwartet wird“. Zur Überwindung von Fragilität sei zudem eine gezielte Agrar- und Industriepolitik zur Hebung von Steuereinahmen und Wohlfahrt notwendig. Wichtig sei zudem, dass in Übergangsphasen Entwicklungsorganisationen keine Parallelstrukturen zu staatlichen Stellen - etwa im Gesundheitswesen - aufbauen, sondern „unbedingt mit den staatlichen Strukturen“ zusammenarbeiten.

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