Kakophonie: Fragile Staaten als G8-Fokus?
Immer
wenn ein G8-Gipfel naht, werden so allerlei Wunschzettel hereingereicht, an
denen sich die sieben wichtigsten Industrieländer und Russland abarbeiten
sollen. So fordert in diesem Jahr die Kinderhilfsorganisation World Vision, die
G8 solle ihren Fokus auf die Stabilisierung fragiler Staaten im Süden
verschieben, etwa durch die massive Ausweitung ihrer Ernährungsprogramme. Sie
verweist dabei auf die recht banale Erkenntnis, dass bewaffnete Konflikte Fortschritte
in der Ernährungssituation wieder zunichte machen können. Doch der Umgang mit
diesen Staaten ist im Rahmen der Außenpolitik und Entwicklungszusammenarbeit höchst
umstritten, wie eine gemeinsame öffentliche
Expertenanhörung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung und des Unterausschusses Zivile Krisenprävention und vernetzte
Sicherheit letzte Woche im Bundestag deutlich machte.
Bereits die Frage, was einen fragilen Staat
ausmache, sei ungeklärt, sagte Tobias Debiel von der Universität Duisburg-Essen.
Je nach Sichtweise würden 20 bis 50 Staaten als fragil gelten – und aus
wissenschaftlicher Sicht würde es fast ebenso viele Definitionen zu fragiler
Staatlichkeit geben. Festzustellen sei, dass es fast immer ein Zusammenhang zu
Gewaltkonflikten und zu Unterernährung gebe und zudem eine Korrelation zum
Abschneiden beim Human Development Index. Als Parameter zur Beurteilung von
Fragilität nannte Debiel die Frage der Autorität von Staatlichkeit, also etwa
der Durchsetzbarkeit eines staatlichen Gewaltmonopols, Umfang und Qualität
staatlicher Dienstleistungen sowie die Legitimation der Führung. Als gemeinsame
Schnittmenge verschiedener Modelle zur fragilen Staatlichkeit nannte der
Sachverständige die Indikatoren Gewalt, Flucht, soziale Zerrüttung und die
Aufsplitterung der Machteliten. Debiel lenkte zudem das Augenmerk auf ein
westlich geprägtes Verständnis von Staatlichkeit, das sich vor allem auf
„formelle Strukturen“ fokussiere, informelle Strukturen - wie Clans und Stämme
- jedoch häufig unberücksichtigt lasse. Im Zusammenhang mit der Forderung nach
„Good Governance“ drohten etliche fragile Staaten zu „vergessenen Staaten“ zu
werden. Debiel sprach in diesem Zusammenhang von einer „erheblichen Volatilität
der Entwicklungsmittel“ für solche Staaten – räumte aber ein, dass die
Zusammenarbeit hier vor einem Dilemma stehe: Fehlende staatliche Strukturen
oder Parallelstrukturen bedeuteten immer auch die Gefahr einer Veruntreuung der
Gelder.
Auch Gabi Hesselbein von der London School of
Economics konstatierte in einer schriftlichen Stellungnahme „massiv
widersprüchliche Zahlen und Einschätzungen über Fragilität“. Als Merkmale fragiler
Staaten nannte sie unter anderem die Aufweichung und Aushöhlung des staatlichen
Gewaltmonopols, den Verlust des Monopols über die Steuererhebung und „eine
Koexistenz von rivalisierenden Autoritäten und Institutionen“. Hesselbein
sprach sich auch dafür aus, mit Machteliten zusammenzuarbeiten, sofern sie
willens und in der Lage seien, die drängenden Probleme in ihrem Land anpacken
zu wollen, auch wenn „Handlungsweisen und Entscheidungen dieser Akteure“ weit
entfernt von dem seien, „was unter guter Regierungsführung, Transparenz und
Demokratie erwartet wird“. Zur Überwindung von Fragilität sei zudem eine
gezielte Agrar- und Industriepolitik zur Hebung von Steuereinahmen und
Wohlfahrt notwendig. Wichtig sei zudem, dass in Übergangsphasen
Entwicklungsorganisationen keine Parallelstrukturen zu staatlichen Stellen -
etwa im Gesundheitswesen - aufbauen, sondern „unbedingt mit den staatlichen
Strukturen“ zusammenarbeiten.
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