IWF spricht mit gespaltener Zunge
Wie schon in vielen Jahren zuvor, habe ich dem Neuen Deutschland wieder ein Interview zur Jahrestagung von IWF und Weltbank gegeben. Hier ist der Text:
FRAGE: 1975, 1982, 1991, 2008 – das waren die vier Rezessionsjahre der
Weltwirtschaft in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Der Internationale
Währungsfonds (IWF) befürchtet nun für 2013 die fünfte Weltrezession, gerade
mal fünf Jahre nach der letzten. Mit Recht?
ANTWORT: Jedenfalls nicht zu Unrecht. Sicher ist auf alle Fälle, dass
die letzte große Krise, die globale Finanz- und Wirtschaftskrise von 2008,
immer noch auf der Weltwirtschaft lastet. Die seitdem erlebte Erholung fiel
wesentlich schwächer aus als die Erholungsprozesse nach früheren Rezessionen.
Woran liegt das?
Das hat damit zu tun, dass die Risikofaktoren nach wie vor stark sind
und weiterhin die weltwirtschaftliche Entwicklung bedrohen. Die Problematik der
globalen Ungleichgewichte, wie die extremen Leistungsbilanzüberschüsse
Deutschlands und die hohen Leistungsbilanzdefizite der USA, besteht nach wie
vor. Hinzu kommen die regionalen Ungleichgewichte innerhalb der Euro-Zone. Die
vollmundig angekündigte Reform des Weltfinanzsystems ist ihren Kinderschuhen
noch nicht entwachsen. Das Maß an Reregulierung der Finanzmärkte ist vollkommen
unzureichend, eine grundlegende Veränderung des Weltfinanzsystems steht nach
wie vor aus.
Der IWF hält für Deutschland auf Grund der guten Arbeitsmarktlage höhere
Löhne, höhere Inflation sowie höhere Vermögenswerte als globalen
Stabilitätsbeitrag für angebracht. Das klingt eher keynesianisch und nicht wie
nach den üblichen neoliberalen Austeritätsrezepten. Gibt es beim IWF einen
Kurswandel?
Der IWF spricht seit einiger Zeit mit einer gespaltenen Zunge. Er
predigt den einen nach wie brachiale Austerität, zum Beispiel für Südeuropa,
und andere fordert er dazu auf, Wachstumsanreize per Staatsintervention zu
setzen. Noch am Donnerstag hat Christine Lagarde, die Geschäftsführende Direktorin
des IWF, sogar zu einer Pause bei der Sparpolitik in Südeuropa aufgerufen. Sie
meinte, man müsse diesen Prozessen zwei Jahre mehr Zeit geben. Der IWF ist bei
seinen Politikempfehlungen nicht mehr so eindimensional wie früher.
Und in der Praxis?
Da läuft vieles wie gehabt. Was von Lagarde und Co. deklariert wird,
findet in der Umsetzung der IWF-Politik oft kein Gehör. Vor Ort wird oft noch
die alte Politik der neoliberalen Strukturanpassung mit allen Indikatoren, die
dazu gehören, praktiziert.
Brasiliens Finanzminister Guido Mantega kritisiert die EU, dass sie ihre
Reformen wie die Bankenaufsicht und den Anleihenaufkauf durch die Europäische
Zentralbankviel zu zaghaft und langsam vorantreibt und deswegen die
Schwellenländer in Mitleidenschaft gezogen werden. Ist dieser Vorwurf
berechtigt?
Der Vorwurf ist sicher berechtigt, wobei es nicht die EU als solche ist,
sondern meist einzelne Länder, allen voran Deutschland, die im Bremserhäuschen
sitzen. Deswegen kommen die Reformprozesse nur sehr schleppend voran. Im
Übrigen geht es nicht nur um die Geschwindigkeit von Reformen, sondern um ihre
inhaltliche Ausrichtung. Hier gibt es Nachholbedarf: Bei aller unbestrittenen
Notwendigkeit, Politik stärker im europäischen Rahmen zu vergemeinschaften, sind
die Wegweiser derzeit nach wie vor in eine neoliberale Richtung gestellt sind.
Hier ist ein grundlegender Kurswechsel zu einem sozialen Europa notwendig.
Der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble sieht die EU-Staaten in Sachen
Haushaltskonsolidierung mit Ausnahme Griechenlands auf gutem Reformkurs. Er
sieht eher die USA und Japan in der Bringschuld. Ist diese Position von
Schäuble nachvollziehbar?
Nein. Schäuble ist aus globaler Sicht ein einsamer Rufer in der Wüste.
Fakt ist, dass die USA nach wie vor höheres Wachstum als die Eurozone, die
jetzt in der Rezession ist, aufweisen, dass auch Japan gewisse
Erholungsanzeichen aufweist und dass Europa mit der Euro-Zone nach wie vor das
Epizentrum der aktuellen Krise ist. Deswegen stehen objektiv vor allen Dingen
die Europäer in der Pflicht, ihre eigenen Probleme in den Griff zu bekommen, um
die negativen Auswirkungen, die von Europa derzeit auf die Weltwirtschaft
ausgehen, zu beheben.
Ist von der IWF-Herbsttagung eine konzertierte Aktion gegen die
heraufziehende Krise zu erwarten? Eine drohende Weltrezession ist ja keine
Kleinigkeit...
Konzertierte Aktion? Schön wär's. Der Schwung der Zusammenarbeit im
Rahmen der G20 nach der Krise 2008 hat viel an Kraft verloren. Inzwischen treten
die Interessengegensätze wieder stärker in den Vordergrund. Es mangelt an
Kooperation und Kooperationsbereitschaft mangelt. Die Jahrestagung in Tokio
wird daran kaum etwas ändern. Vor den Wahlen in den USA wird sich in diesem
Sinne sowieso nichts bewegen.
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