Wirtschaftliche Entwicklung der Emerging Economies: Ausgewachsen?
Noch
vor einem Jahr waren die Emerging Markets,
die Schwellenländer, als Starperformer der Weltwirtschaft in aller Munde.
Inzwischen ist die Euphorie teilweise der Ernüchterung gewichen. Denn die
Wachstumsraten solcher Länder wie China und Indien, Brasilien und Argentinien, Singapur
und Malaysia sind in diesem Jahr deutlich niedriger als im Durchschnitt der
letzten Jahre. Natürlich ist dies zunächst einmal ein zyklisch-konjunkturelles
Phänomen (>>> Die Krise erreicht den Süden). Mit dem Abschwung in den USA und der erneuten
Rezession in Europa gehen externe Sonderbedingungen zu Ende, die der
verarbeitenden Industrie der Schwellenländer, allen voran Chinas, besondere
Exportbedingungen geboten hatten (kreditgestütztes Konsumniveau in den USA, weltweiter
Rohstoffboom).
Es
können aber auch grundlegendere, strukturelle Argumente geltend gemacht werden,
die die Abkühlung in den aufstrebenden Ökonomien des Südens erklären können.
Eines davon hat kürzlich der Harvard-Ökonom Dani Rodrik dargelegt. Rodrik argumentiert, dass die jüngste starke
Wachstumsphase in den Schwellenländern eher die Ausnahme als die Regel war. Sie
beruhte auf einem bewährten Muster, das wesentlich durch die Entwicklung der
verarbeitenden Industrie getrieben wurde, wo es relativ leicht sei,
ausländische Produktionstechnologie und Produkte zu kopieren. Mit dem stärkeren
Gewicht hochproduktiver Dienstleistungen, die komplexe Qualifikationen und eine
anspruchsvollere institutionelle Infrastruktur erforderten, werde der Eintritt
in den Globalisierungsprozess wesentlich schwerer, zumal auch die Ausbildungs-
und Kapitalintensität in der verarbeitenden Industrie zunehme. Hinzu kommt,
dass mit wachsender Produktivität auch in den Schwellenländern die Löhne
wachsen, so dass auch deren Lohnkostenvorteil tendenziell schwindet.
Ein
ähnliches Argument entwickelt der Financial-Times-Journalist Peter Marsh in
seinem neuen Buch The New Industrial Revolution: Consumers, Globalization and the End of Mass Production. Nach
Marsh nehmen die Möglichkeiten der Teilhabe neuer Länder am Prozess der verarbeitenden
Industrie – im Zuge einer Neuen Industriellen Revolution – vor allem aus
technologischen Gründen ab. Dies führt möglicherweise dazu, dass die alten
Industrieländer Anteile, die in den letzten Jahren an die Schwellenländer verloren
gingen, wieder zurückgewinnen können. Marsh nennt hier u.a. hochtechnologische
Formen der Automatisierung und die wachsende Nachfrage nach maßgeschneiderten
Produkten, die vor allem auch Marktnähe erforderten.
Nun
ist die Spekulation um die Rückverlagerung von Industrien in die alten Zentren
so alt wie die Debatten um die Globalisierung und den Übergang zu einer Neuen
Internationalen Arbeitsteilung zwischen Nord und Süd selbst. Ob die aktuelle
Abkühlung des Wirtschaftswachstums in den Schwellenländern bereits Anzeichen
dafür ist, dass solche strukturellen Faktoren zu greifen beginnen, lässt sich
schwer vorhersagen. Aber selbst wenn die Emerging
Economies künftig etwas moderater wachsen sollten oder sich der zyklische
Charakter wirtschaftlicher Entwicklung dort stärker als bisher akzentuieren
sollte (wofür einiges spricht) – „ausgewachsen“ im Sinne anhaltender
stagnativer Tendenzen sind diese Länder noch lange nicht.
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