G20-Aktionsplan: Gegen die Symptome, aber nicht gegen die Ursachen
Stellungnahme von Olivier De Schutter
Zum G20-Aktionsplan zur Preisvolatilität bei Nahrungsmitteln und zur Landwirtschaft gab der Sonderbeauftragte der Vereinten Nation für das Recht auf Nahrung, Olivier De Schutter, folgende Erklärung ab:
Die Tatsache, dass die G20-Agrarminister in Paris eine Übereinkunft erreicht haben, ist eine hervorragende Nachricht, die zeigt, dass die Regierungen zu der Einsicht kommen, dass Business as usual nicht länger eine Option darstellt. Gleichwohl geht der heute angenommene Aktionsplan nur die Symptome an, aber nicht die Ursachen. Mehrere Punkte des Plans sind unzureichend.
1. Die Abschlusserklärung ist besonders enttäuschend in der Frage der Pflanzentreibstoffe. Es ist Konsens unter internationalen Institutionen, dass die Pflanzentreibstoffproduktion und besonders die Umwidmung von Land zur Getreideproduktion einer der Hauptfaktoren des Preisanstiegs bei Grundnahrungsmitteln in den letzten vier Jahren war. Dass die G20 immer noch auf der Notwendigkeit von mehr Studien insistieren statt auf der Notwendigkeit, verzerrende Anreize und Subventionen abzuschaffen, zeigt, wie kommerzielle Interessen gegenüber den Belangen der Nahungsmittelsicherheit triumphieren. Es ist ebenso irritierend, dass Pflanzentreibstoffe als eine Quelle der ländlichen Entwicklung erwähnt werden, wo sich in der Praxis doch – zumindest bis heute – erwiesen hat, von der Produktion von Pflanzentreibstoffen vor allem große Agro-Exportunternehmen profitieren, die die natürlichen Ressourcen des Südens nutzen, um den Durst des Nordens nach erneuerbaren Energien zu befriedigen.
2. Zur Frage der Nahrungsmittelreserven bezieht sich die Abschlussdeklaration auf ein zielgerichtetes System humanitärer Notfallreserven von Nahrungsmitteln. Das ist natürlich ein wichtiges Instrument für das Welternährungsprogramm und wird diesem ermöglichen, im Krisenfall rechtzeitig Zugang zu Nahrungsmittellagern zu haben. Doch gleichzeitig wird die Frage der Nahrungsmittellager, die einen stabilisierenden Effekt auf die Preisbildung haben könnten, geflissentlich umgangen. Aber diese Frage wird notwendigerweise erneut aufgeworfen werden, wenn es darum geht, wie die Notreserven funktionieren sollen: Von welchen Bauern wird gekauft? Berücksichtigen wir dabei die Kleinbauern vor Ort oder werden diese Reserven ein Mittel für US- oder EU-Farmer sein, um ihre Überschüsse los zu werden? Und werden wir zu einem fairen Preis kaufen und damit die Einkommen der Kleinbauern unterstützen, auf deren Angebot wir zurück greifen?
3. Der Abschnitt über finanzielle Regulierung ist zu begrüßen, es fehlt jedoch der wichtigste Punkt. Die Agrarminister ermutigen ihre Finanzministerkollegen, ihren Behörden die Beaufsichtigung der Finanzmärkte zu gestatten und auch die Positionen einzelner Händler zu begrenzen. Gleichwohl resultiert die Spekulation typischerweise nicht aus der Preismanipulation einzelner Marktakteure, die exzessive Positionen eingehen, sondern aus dem gemeinsamen Handeln eine Vielzahl von Akteuren, einem Herdenverhalten. Es ist dieses Herdenverhalten, das den Preisblasen zugrunde liegt.
4. Schließlich ist es wichtig, Länder und ökonomische Akteure zum Hedging gegen die Volatilität in die Lage zu versetzen. Einige Entwicklungsländer wie Malawi, Mexiko oder Ghana nutzen bereits dieses Instrument, sei es, um Importe zu tragbaren Preise zu sichern oder um ihre Exporteinkünfte zu schützen. Aber das bleiben Ausnahmefälle, und die meisten Entwicklungsländer – und die Unternehmen in diesen Ländern – haben im Allgemeinen keine Zugang zu solchen Instrumenten, um gegen das Volatilitätsrisiko zu hedgen. Um diese Instrumente, wie den – in Kooperation mit JPMorgan und der Chase Bank – neu errichteten Fonds der Weltbank zu nutzen, werden Kleinbauern und Kooperativen in den Entwicklungsländern beträchtliche Kapazitäten aufbauen müssen. Doch es ist nicht klar, ob sie das schaffen werden. Man sollte auch sehen, dass solche Instrumente die Konsequenzen der Volatilität angehen und die negativen Folgen für Produzenten und Konsumenten reduzieren; sie sind natürlich keine Mittel, um die Ursachen anzugehen, die vorrangig aus mangelnden Investitionen in die Nahrungsmittelproduktion, aus klimatischen Veränderung, wachsender Konkurrenz um Land zwischen der Expansion der Städte und dessen landwirtschaftlicher Nutzung, aus der Verknüpfung zwischen Nahrungsmittel- und Energiemärkte sowie aus der Spekulation resultieren.
Die Wurzeln des Problems werden in diesem Aktionsplan nicht angegangen: Nahrungsmittelmärkte, die von den Energiemärkte hochgradig abhängig sind, unverantwortliche Bestrebungen zur Steigerung der Produktion und der Nutzung von Pflanzentreibstoffen und Spekulation, die sich nicht auf einige Investoren reduzieren lässt, die die Preise manipulieren. Und während mehr Transparenz in der Lagerhaltung schon helfen kann die Attraktivität der Spekulation zu reduzieren, bleibt zweifelhaft, ob der private Sektor genug Anreize haben wird, um an dem zu schaffenden Informationssystem zu partizipieren. Tatsächlich sind sogar einige Instrumente, mit denen die Symptome bekämpft werden sollen, stumpf: Finanzinstrumente zur Befähigung der Produzenten zum Hedging gegen Preisvolatilität stehen den Kleinbauern nicht zur Verfügung, und wie sie gegenwärtig konzipiert sind, werden auch die Notfallreserven von Nahrungsmitteln aus sich selbst heraus nicht in der Lage sein, die humanitäre Krise zu bewältigen, stabile Einkommen für die Produzenten zu sichern und arme Haushalte vor Preisschocks zu schützen. Der G20-Aktionsplan ist ein Schritt in die richtige Richtung. Doch die derzeitige Situation verlangt nach einem ehrgeizigen Sprung nach vorne.
Brüssel, den 23. Juni 2011
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