Nochmals Davos: Die neue Realität ist weitestgehend die alte
"Gemeinsame Normen für die Neue Realität“ wollte man suchen. Doch am Ende erwies sich diese „Neue Realität“ weitgehend als die alte. Allenfalls ist die Unkalkulierbarkeit von Entwicklungen bzw. die Unfähigkeit, bestimmte Ereignisse vorherzusagen, noch größer geworden. Die Aufstände in Nordafrika zeigen das. Halb Nordafrika brennt – doch das Thema kam im offiziellen Programm des diesjährigen Weltwirtschaftsforums überhaupt nicht vor. Auf den Gängen wurde darüber freilich umso mehr diskutiert.
Die neue Realität ist weitgehend die alte. Nirgendwo zeigte sich dies deutlicher als im thematischen Kernbereich des WEF. Die Freunde war groß darüber, dass sich die Wachstumszahlen nach dem tiefen Einbruch 2009 wieder in den positiven Bereich gedreht haben. Die Stimmung unter den Wirtschaftsführern hat sich eindeutig zum Optimismus gewendet, wie der vorab veröffentlichte internationale Geschäftsindex von Price Waterhouse Coopers demonstrierte und viele Beobachter dann vor Ort in Davos feststellen konnten. Die internationalen Großbanken brachten ihre neue Selbstzufriedenheit mit einer „Friedensinitiative“ der besonderen Art auf den Punkt: Es müsse endlich Schluss sein mit dem „Banker-Bashing“ und der „Regulierungswut“ gegenüber den Finanzmärkten. Die Staaten und die Finanzwelt müssten wieder Frieden schließen – als ob die Beziehung jemals zu einem „Krieg“ ausgeartet sei.
Die neue Realität war so sehr die alte und der Wunsch der Banker zur Normalität zurückzukehren so stark, dass selbst Angela Merkel sich veranlasst sah, vor zu viel Selbstzufriedenheit zu warnen. Noch sei man nicht gegen eine neue Finanzkrise gewappnet. Nach wie vor sei mehr Regulierung auf den Finanzmärkten notwendig, und bislang sei keineswegs jeder Akteur an den Finanzmärkten einer effizienten Aufsicht unterstellt. Noch deutlicher verwies der französische Präsident Nicolas Sarkozy in einer kämpferischen Rede auf die unerledigten Aufgaben der G20 bei der Finanzmarktregulierung und auf die neuen Risiken der weltwirtschaftlichen Entwicklung, wie die hohe Fluktuation der Währungen und die Volatilität der Rohstoffpreise, darunter der Preise für Nahrungsmittel, die auf eine neue Nahrungsmittelkrise deuten.
Es ist paradox: Auf kaum einem Weltwirtschaftsforum koexistierten der neu gewonnene Optimismus und die Hinweise auf die lange Liste der Risiken so sehr wie in diesem Jahr. Noch vor Beginn des Forums hatte der jüngste Risiko-Report des WEF darauf hingewiesen, dass die existierende, veraltete Global-Governance-Architektur nicht in der Lage ist, die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu bewältigen. Da es keinen einzigen konkreten Vorschlag gab, wie dies zu ändern sei, gehört zu dem alten Neuen nach wie vor auch diese Diskrepanz. Ein einziges Panel der Davoser Tage stand unter dem Motto „Redefining Sustainable Development“. Aber auch hier gab ein nur ein paar Bekenntnisse und Aufrufe zu mehr Ökoeffizienz, als könnte man der Umwelt- und Klimakrise mit rein technischen Lösungen begegnen.
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