Diese Woche New York: Umkämpfte Gipfelarchitektur
Das große internationale Ereignis in dieser Woche ist sicherlich die hochrangige UN-Konferenz über die „Globale Wirtschafts- und Finanzkrise und ihre Auswirkungen auf die Entwicklungsländer“. Das New Yorker Treffen von Mittwoch bis Freitag ist das erste, auf dem das Thema unter allen 192 UN-Mitgliedsländern und nicht nur in einem Kreis ausgewählter Nationen wie der G8 oder der G20 diskutiert werden soll. Doch das Hauptanliegen der Industrieländer besteht nach wie vor darin, die Bedeutung der UNO in Wirtschaftsfragen möglichst klein zu halten.
Der UN-Gipfel soll nach den im Konsens gefassten Beschlüssen „auf höchster Ebene“ stattfinden, d.h. auf der Ebene von Staats- und Regierungschefs. Doch werden allenfalls gut 30 solcher Chefs in New York erwartet. Sie kommen allesamt aus Entwicklungs- und Schwellenländern. Was die Industrieländer betrifft, kann man schon froh sein, wenn sie sich von Ministern – aus Deutschland kommt die Entwicklungsministerin Heidi Wieczorek-Zeul – vertreten lassen und nicht bloße „note-takers“ schicken, was im diplomatischen Jargon so viel heißt wie Stenotypisten, die keinerlei Interventions- und Entscheidungsbefugnis haben.
Zu dem gezielten „Downgrading“ der Konferenz gehört, dass der größte Teil des Nordens das Ereignis gerne als Eintagsfliege hätte, um hernach in G8 und G20 wie bisher weitermachen zu können. Entsprechend verbittert ist das Gerangel zwischen den Industrieländern und der G77 (einschließlich Chinas) um das Follow-Up. Letztere wollen, dass eine Arbeitsgruppe eingesetzt wird, die die Umsetzung der Gipfelbeschlüsse kontrolliert und die Brücke zur nächsten UN-Vollversammlung schlägt, die turnusgemäß im nächsten September, kurz vor dem nächsten G20-Gipfel, stattfindet. Dies sind mehr aus reine Verfahrensfragen, denn letztlich geht es darum, ob das hegemoniale Zentrum bei der künftigen Gestaltung des Weltwirtschafts- und Finanzsystems in den Vereinten Nationen oder bei der G20 liegen wird. (Die G8 können wir dafür wohl getrost abschreiben – zumal unter ihrer derzeitigen italienischen Präsidentschaft.)
Nicht minder erbittert gestaltet sich daher auch das inhaltliche Ringen, um ein Abschlussdokument, aus dem die Industrieländer gerade die für die G77 am wichtigsten Fragen am liebsten ganz heraushalten möchten. In der letzten Woche hatte dieses Outcome-Dokument noch 96 Seiten, weil nach dem jüngsten Streit um den Entwurf (>>> W&E-Hintergrund Mai 2009) nahezu alle Staatengruppen zu nahezu allen Unterpunkten eigenständige Formulierungen eingebracht haben, die jetzt in nächtelängen Sitzungen einander angenähert werden müssen.
Von den beiden Hauptpunkten, um die es geht, wie den Entwicklungsländern in der Krise helfen und wie das internationale Finanzsystem reformieren, ist der zweite Punkt der bei weitem umstrittenere. Die Industrieländer sind dagegen, wie es die G77 (ähnlich übrigens wie der Finanzmagnat George Soros; >>> W&E-Hintergrund Mai 2009) fordert, die geplante Neuzuteilung von Sonderziehungsrechten beim IWF vornehmlich der Dritten Welt zugute kommen zu lassen. Die G77 fordern ein teilweises Schuldenmoratorium für die am meisten von der Krise betroffenen armen Länder, doch der Norden lehnt dies fast unisono ab. Die meisten Fragen der Reform des Finanzsystems möchten die Industrieländer am liebsten nur noch in der G20 oder in den von ihnen beherrschten Institutionen wie IWF und Weltbank erörtern. Einige von ihnen tragen zwar den Vorschlag mit, bei den UN einen Globalen Wirtschaftsrat zu errichten. Aber echte Kontrollbefugnisse gegenüber den Bretton-Woods-Institutionen sind bislang nicht vorgesehen – eher ein Arbeitsteilung nach der Art: fürs Eingemachte haben wir IWF, Weltbank und WTO; um die hehren Prinzipien kann sich dann der UN-Rat kümmern.
Es dürfte freilich schwerfallen, aus den Beschlüssen des New Yorker Gipfels alle Elemente zu entfernen, die den Industrieländern missfallen. Und selbst wenn Positionsgegensätze bestehen bleiben, können diese weiter diskutiert werden, wenn es gelingt, einen Follow-Up-Mechanismus einzurichten. Auch die Krise selbst erhöht den Druck: Es geht schließlich um 1.000 Mrd. US-Dollar, die der Süden bis dato aus Exportrückgängen und Kapitalabflüssen im Gefolge der Krise zu beklagen hat. Es steht also viel auf dem Spiel.
Zum Gipfel ist ein weiterer W&E-Hintergrund (Juni 2009; s. Abbildung) erschienen, der sich mit den Auswirkungen der Krise auf den Süden und möglichen Alternativen befasst: >>> hier.
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