Deutscher G20-Vorsitz: Blasse Agenda
Zwei Tage vor dem Beginn der deutschen G20-Präsidentschaft ist die
offizielle Agenda der Bundesregierung geleakt worden. Doch während einem Leak
normalerweise etwas Sensationelles anhaftet, ist das jetzt durchgesickerte Dokument vor allem eines: blass. Zwar
übernimmt die Bundesregierung von der chinesischen G20-Präsidentschaft die
Formel vom „starken, nachhaltigen, ausgewogenen und inklusiven Wachstum“. Doch
eine Konkretisierung findet nicht statt.
Vermerkt wird immerhin „eine zunehmende Skepsis gegenüber
grenzüberschreitendem Handel und offenen Märkten“. Wer jedoch die wachsenden
Ängste gegenüber der Globalisierung angehen will, muss sich um die Lösung von
Problemen kümmern: die außer Kontrolle geratenen Finanzmärkt, die
Massenarbeitslosigkeit und die zunehmende Einkommens- und Vermögensungleichheit
etwa. Doch dazu findet sich in dem deutschen Programmdokument nichts bzw. so
gut wie nichts: die Finanzmärkte sollen „weiterentwickelt“ werden.
Arbeitslosigkeit soll vor allem mit „Strukturreformen“ bekämpft werden. Zur gesellschaftlichen
und ökonomischen Ungleichheit kein Wort. Stattdessen heißt es naiv und lapidar:
„Globales Handeln und zunehmende Integration von Volkswirtschaften und
Gesellschaften sind vorteilhaft für die Menschen – diese Botschaft muss besser
unterlegt und kommuniziert werden.“ Als ob der wachsende Backlash gegen die
Globalisierung vor allem ein Kommunikationsproblem und Missverständnis wäre!
Fast genau so blass wie die offizielle Agenda sind übrigens
die Forderungen, mit denen die deutsche NGO-Szene die G20-Präsidentschaft
bislang begleitet: Die Bundesregierung müsse eine „gerechte Gestaltung der
Globalisierung in den Fokus rücken“. Und: Die Bundesregierung müsse sich an der
2030-Agenda für nachhaltige Entwicklung messen lassen, heißt es bei den
Dachverbänden Venro und Forum für Umwelt und Entwicklung. Die Bundesregierung
könnte da – nicht ganz zu Unrecht – einwenden: Das alles steht ja auch in
unserer Agenda für den G20-Gipfel im nächsten Jahr. Es bleibt aber eben
folgenlos.
Wie gut, dass es bereits die ersten kritischen Stimmen zur
offiziellen G20-Agenda gibt. Eine kommt von Sven Giegold, Mitglied im Europaparlament und Mitherausgeber von
W&E:
"Deutschland übernimmt die G20-Präsidentschaft in Zeiten großer Herausforderungen für die internationale Zusammenarbeit. Angesichts von Trumps Ankündigungen drohen verstärkte Abschottung, Protektionismus und politische Renationalisierung. Die deutsche Präsidentschaft muss daher eine aktive Verteidigung multilateraler Zusammenarbeit werden. Das kann jedoch nur gelingen, wenn die Früchte einer offenen Wirtschaft und Gesellschaft fair und breit verteilt werden. Dazu bleibt das Programm der G20 Antworten schuldig.Das deutsche Programm verknüpft im Sinne unseres Green New Deals die wirtschaftlichen Chancen höherer Investitionen in die soziale und ökologische Modernisierung. Auch die geplanten Initiativen für "Green Finance" sind erfreulich. Jedoch verweigert sich die Bundesregierung weiterhin, international koordiniert gegen makroökonomische Ungleichgewichte vorzugehen. Damit gefährdet der deutsche Vorsitz seine eigene Legitimität, denn offensichtlich will Deutschland seine eigenen Exportüberschüsse vor Kritik bewahren. Ein Vorsitz, der kurzfristige Eigeninteressen verfolgt, riskiert seine Glaubwürdigkeit. Doch die Exportüberschüsse Deutschlands bedeuten neue Verschuldung von Partnerländern. Es offenbart ein gestörtes Verhältnis zu den Grundrechenarten, dass die Bundesregierung hohe Schulden kritisiert, aber gleichzeitig zu den hohen Exportüberschüssen schweigt. Ebenso fehlt jedes Bekenntnis zu Menschenrechten, fairem Handel und sozialen Mindeststandards in der Globalisierung.Ein Offenbarungseid für Finanzminister Schäuble ist, dass die Finanztransaktionssteuer trotz anderer Ankündigungen mit keinem Wort erwähnt wird. Die Steuer muss jetzt in Europa kommen, oder sie wird scheitern. Das wäre Wasser auf die Mühlen all derjenigen, die meinen, die Politik habe sich der Finanzbranche unterworfen. Erfreulich ist dagegen die Ankündigung, die Arbeit gegen Steuerdumping fortzusetzen und gegen Geldwäsche zu verschärfen."
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