26. September 2014

Kakophonie nach dem Klimagipfel

UN-Generalsekretär Ban Ki-moon hatte gerade den Erfolg des Klimagipfels verkündet: „Wir haben geliefert.“ Da trat nochmal Graca Machel, die ehemalige First Lady Südafrikas (s. Foto) ans Rednerpult der UN-Generalversammlung und sagte und sagte all den anwesenden Staatschefs ins Gesicht: „Ich erkenne an, dass man beginnt, den Ernst der Herausforderung, der wir uns gegenüber sehen, zu verstehen. Doch gleichzeitig habe ich den Eindruck, dass die Größe der Herausforderung und die Antwort, die wir heute gehört haben, heillos auseinanderklaffen.“


Inzwischen wurden die üblichen Gipfelauswertungen veröffentlicht, nuancenreich bis scharf gegensätzlich wie immer. Was hat der Gipfel geliefert? Hier drei Einschätzungen, eine verhalten positiv, eine negativ und eine vernichtend:


Lesenswert auf alle Fälle auch:

25. September 2014

CETA-Fiebern vor dem EU-Kanada-Gipfel

Wenn am morgigen Freitag die Abgesandten der EU und Kanadas zu ihrem Gipfel im kanadischen Ottawa zusammenkommen, wird ein Thema alles andere überragen: das geplante und im Grunde genommen fertig ausgehandelte Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und Kanada. Dass das globalisierungskritische Netzwerk Attac nach wie vor strikt gegen das Abkommen ist („Es bleibt dabei: CETA darf nicht unterzeichnet werden.“), nimmt nicht wunder. Doch auch die Bundesregierung könnte der EU-Kommission noch einen Strich durch die Rechnung machen. Zwar hat Wirtschaftsminister Gabriel kürzlich die parteiinternen Kritiker zur Ordnung gerufen. Nach Informationen der taz jedoch sind ihm die Investitionsschutzklauseln des Abkommensentwurfs nach wie vor ein Dorn im Auge.

Tatsächlich strotzt der Vertragstext nur so vor unklaren Formulierungen, die viel Spielraum für Interpretationen im Sinne der Konzerne lassen. Mit CETA würde eine intransparente Paralleljustiz mit Sonderrechten für Konzerne etabliert. Das ist und bleibt für die KritikerInnen inakzeptabel. Laut CETA-Text könnten Konzerne vor einem internationalen Schiedsgericht klagen, wenn sie ihre „legitimen Erwartungen“ auf Gewinn geschmälert sehen. Weitere unpräzise Definitionen wie „faire und gerechte Behandlung“ oder „legitime öffentliche Interessen“ bieten ebenfalls ein weites Feld von Klagemöglichkeiten. Auch eine Klausel, die Klagen von ausländischen Briefkastenfirmen verhindern soll, ist wohl weitgehend wirkungslos: Verlangt werden lediglich „substanzielle Geschäftsaktivitäten“ in dem beklagten Land. Zudem sieht der CETA-Vertrag keine verbindliche Revisionsmöglichkeit vor. Ein „Komitee für Dienstleistungen und Investitionen“ soll nur prüfen, ob ein Berufungsmechanismus als notwendig erachtet wird.

Ein Gutachten im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums spielt den Investorenschutz im CETA zwar weitgehend herunter. Das ist aber nicht verwunderlich, fungiert dessen Verfasser, der Völkerrechtler Stephan Schill, doch selbst als Schlichter für die internationalen Schiedsgerichte der Weltbank. Auch ein weiteres vom Wirtschaftsministerium veröffentlichtes Gutachten zu
CETA, demzufolge die nationalen Parlamente das Abkommen ratifizieren müssen, deuten die Kritiker nicht als Entwarnung, solange die EU-Kommission das anders sieht. Denn dass die Kommission nicht davor zurückschrecke, für einen kurzfristigen Erfolg die Demokratie in Europa zu beschädigen, zeige ihre Weigerung, die Europäische Bürgerinitiative gegen TTIP zuzulassen.


CETA ist auch deshalb so wichtig, weil es die Vorstufe zu dem viel größeren transatlantischen Freihandelsabkommen ist, über das z.Zt. verhandelt wird. Damit wollen die EU und die USA Standards für die ganze Welt setzen. „Nicht die aufstrebenden Handelsmächte China und Indien sollen im 21. Jahrhundert den Ton angeben,“ kommentierte die taz treffend, „sondern Amerikaner, Kanadier und Europäer in einem riesigen gemeinsamen Markt. CETA ist die Vorspeise, TTIP das Hauptgericht. Deswegen will (EU-Handelskommissar) De Gucht CETA durchboxen, deswegen gibt es Streit. Denn was mit Kanada vereinbart wird, dürfte auch im Abkommen mit den USA stehen.“

23. September 2014

Klimasplitter zum Gipfel in New York

Während der UN-Sondergipfel zum Klimawandel in New York beginnt, erhebt sich wieder der Chorus, der ein weiteres Palaver ohne konkrete Ergebnisse befürchtet, einen Talking Shop eben. Viele beklagen das Fernbleiben Angela Merkels von dem Treffen der über 120 Staats- und Regierungschefs; andere weisen darauf hin, dass schließlich auch China und Indien nicht mit ihren Chefs vertreten sind. Letzteres könnte damit zu tun haben, dass der Prozess hin zur Pariser Klimakonferenz 2015, dessen Bestandteil der UN-Gipfel ist, auch dazu genutzt wird, Druck auf die Entwicklungsländer auszuüben: Sie sollen Zusagen für die CO2-Reduktion nach 2020 machen, ohne dass es Anzeichen dafür gibt, dass die Industrieländer ihre Verpflichtungen zum Finanz- und Technologietransfer in die Tat umsetzen, so Meena Raman von Third World Network in einem Artikel. Ohne Fortschritte in Finanzfragen wäre der Gipfel wirklich ein Flop.

Überhaupt China bzw. China-Bashing: Rechtzeitig zum Gipfel hat das Global Carbon Project eine neue Statistik veröffentlicht, wonach China inzwischen mehr CO2 pro Kopf der Bevölkerung ausstößt als die EU-Länder. Was in den gängigen Medien weniger herausgestellt wird: China investiert inzwischen (seit 2013) auch mehr in Erneuerbare Energien als Europa und die USA. Nach UN-Angaben waren es im letzten Jahr 56 Mrd. Dollar, während Europa auf 48 und die USA auf 36 Mrd. Dollar kamen.

Dass die Zukunft bei den Erneuerbaren liegt, ist nicht nur ein Rechenexempel. Wie die Umweltkorrespondentin der Financial Times, Pilita Clark, heute schreibt, lastet inzwischen auf der fossilen Industrie – vor allem Öl- und Kohlekonzernen – ein beträchtlicher gesellschaftlicher Druck, der auch durch ein wachsendes Divestment in diesen Sektoren (modelliert nach der Anti-Apartheid-Kampagne) angetrieben und in den nächsten Jahren noch zunehmen wird. Verantwortlich ist dafür eine neue Klimabewegung, die sich übers Wochenende in mächtigen Demonstrationen artikulierte – kein Wunder, dass Konzerne wie ExxonMobil und Shell oder Kohleproduzenten wie Peabody Energy versuchen, auch den New Yorker Gipfel als Plattform zu nutzen, was freilich zivilgesellschaftliche Warnrufe vor einem „corporate takeover“ beflügelt. Der private Sektor, den die westlichen Regierungen anrufen, wird’s nicht richten; eher ist es umgekehrt, bislang jedenfalls: „Das größte Hindernis für eine sensible Klimapolitik“, kommentierte selbst die Financial Times, „ist die Lobbymacht etablierter Interessen, die den Wandel bekämpfen, indem sie ihr eigenes Wohlergehen als das der Wirtschaft als Ganzes hinstellen.“

Mit dem Gipfel ist auch wieder die „Neue Klimaökonomie“ in aller Munde – so ein gerade veröffentlichter Bericht der „Global Commission on the Economy and the Climate“, die proklamiert, dass „ein besseres Wachstum und ein besseres Klima“ zusammengehen können. Prinzipiell mögen ein gewandelter Kapitalismus und die Erfordernisse der Klimapolitik ja vereinbar sein. Dennoch sollte gerade dieser Bericht kein Anlass zu Blauäugigkeit unter NGOs sein, wie sie Lili Fuhr in ihrem Blog Klima der Gerechtigkeit ausfindig gemacht hat. Schließlich macht der Bericht nicht nur nützliche Vorschläge, sondern propagiert auch viel Fragwürdiges: die Grüne Revolution etwa als technokratisches Instrument zur Lösung der Ernährungsfrage oder den Ausbau des REDD-Ansatzes als marktbasiertes Instrument und Rezepte von McKinsey, die in den letzten Jahren der Kritik kaum standgehalten haben.

22. September 2014

Absurdes Wachstumstheater in Cairns

Nichts scheint der australischen G20-Präsidentschaft so wichtig wie mehr Wachstum. Doch je lauter die Wachstumsrufe, desto düsterer die Wachstumsaussichten, so scheint es. Da wird auf der einen Seite proklamiert, die Weltwirtschaft solle bis 2018 zusätzlich (d.h. über den aktuellen Wachstumspfad hinaus) um 1,8% wachsen. Auf der anderen Seite korrigieren die relevanten internationalen Institutionen, wie OECD und IWF, reihenweise ihre Wachstumsprognosen nach unten. Doch als sei diese Realität nicht existent, wird weiter angekündigt, bei ihrem Gipfel im November in Canberra wollten die G20 zusätzliche Maßnahmen beschließen, um doch noch die zusätzlichen 2% Wachstum zu erreichen, die sich Australien zu Beginn ihrer G20-Präsidentschaft auf die Fahnen geschrieben hat.

Selten waren Ankündigung und Wirklichkeit weiter auseinander! Auch beim „Wie“ hapert es. Der Wachstumsfetischismus soll durch „Strukturreformen“ befriedigt werden – Konjunkturstimuli, die angesichts der drohenden Deflation in der Eurozone und der abnehmenden Wachstumsraten in den Schwellenländern dringend notwendig wären, kommen nicht in die Tüte. Und die lautstark gepriesene globale Infrastrukturinitiative der G20 enthält erstens nur Maßnahmen, die ohnehin von den Mitgliedsländern bereits geplant waren, und kapriziert sich – nicht zuletzt auf deutsche Intervention hin – ganz auf den privaten Sektor, der auf kurzfristige Gewinne aus und deshalb für langfristige Investitionen kaum brauchbar ist.

Immerhin hat das Treffen der Finanzminister erneut die Spaltung zwischen den USA und der von Deutschland dominierten Eurozone in Konjunkturfragen deutlich gemacht. Dies beinhaltet in Europa jetzt eine andere Konstellation als noch vor einem Jahr, da mit Frankreich und Italien zwei wichtige Länder auf eine Lockerung der Sparziele drängen. Völlig aus der Welt sind die G20-Finanzminister also nicht. Und in ihrem gestern veröffentlichten Kommuniqué heißt es immerhin: „Abwärtsrisiken halten an, darunter auf den Finanzmärkten und aufgrund geopolitischer Spannungen. Die Weltwirtschaft sieht sich immer noch einer anhaltenden Nachfrageschwäche gegenüber, und Zwänge auf der Angebotsseite hemmen das Wachstum.“

Dennoch: Der Wachstumsfetischismus von Cairns ist hohl; den wirklichen Risiken der Weltwirtschaft wird er nicht gerecht. Auch nicht den neuen Gefahren, mit denen die aufstrebenden Ökonomien im Süden konfrontiert sind. In ihrem jüngsten Vierteljahresbericht beispielsweise warnt die Baseler Bank für internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), die „Mutter aller Zentralbanken“, vor überraschendem Kapitalabzug aus den Schwellenländern und vor neuer Währungsvolatilität. Diesen Problemen haben sich die G20 – bei allem sonstigen Aktivismus – noch nicht einmal angenähert.

18. September 2014

G20-Finanzminister in Cairns: Beschleunigung oder Roll-back?

Dass von der australischen G20-Präsidentschaft am anderen Ende der Welt nicht viel Schwung für den G20-Prozess und die darin angestoßenen Reformen ausgehen wird, ist desöfteren angemerkt worden. Das Treffen G20-Finanzminister und -Zentralbankchefs an diesem Wochenende in Cairns/Australien könnte die vielleicht konkreteste Nagelprobe für die Frage werden: Was dominiert die G20? Beschleunigung oder Rückschritt? Über all dem zeigen sich zunehmende Spaltungslinien, die vor allem eine konsequentere Reform des internationalen Finanzsystems – das Kerngebiet der G20 – behindern.


Auf Betreiben der globalen Wirtschafts- und Finanzlobby, die unter der Bezeichnung B20 (Business 20) eine Art Schattenorgan hinter den G20 gebildet hat, wird der Streitpunkt die Minister beschäftigen, ob nicht ein zusätzlicher Review-Prozess notwendig ist, um die Folgen bisheriger und künftiger Finanzmarktregulierungen für Wachstum und Arbeitsplätze abzuschätzen. Diese vom australischen Finanzminister Joe Hockey unterstützte Initiierung zusätzlicher „impact assessments“ ist der nur mühsam verschleierte Versuch, den Prozess der Reform der internationalen Finanzordnung endgültig zu stoppen oder zurückzurollen. Er wird deshalb auch von jenen, die in diesem Prozess relativ weiter als andere fortgeschritten sind, etwa die USA, zurückgewiesen.

Das Bild einer gespaltenen G20 zeigt sich auch auf dem Gebiet der Bekämpfung aggressiver Steuervermeidung durch multinationale Konzerne, das im Zentrum der Agenda in Cairns steht. Der in dieser Woche im Auftrag der G20 vorgelegte Bericht der OECD zu „base erosion and profit shifting“ (BEPS) stellt zwar keine Verwässerung des ursprünglichen Auftrags dar und bietet einige Fortschritte, z.B. beim Kampf gegen das „treaty shopping“ und gegen Hybridstrukturen, mit denen die Konzerne Steuern möglichst dort anfallen lassen können, wo sie niedrig oder sogar gleich Null sind. Doch das ist erst ein Anfang.

Das System der über 300 Doppelbesteuerungsabkommen sei inzwischen so effektiv, merkt ein Video der OECD sarkastisch an, dass die Vermeidung von Doppelbesteuerung oft zur Vermeidung von Besteuerung überhaupt mutiert ist. Doch auch beim BEPS-Projekt der G20/OECD gibt es Bereiche, die ausgespart werden müssen, weil einige Steuerparadiese Widerspruch eingelegt haben; etwa bei der Beseitigung von Ausnahmeregelungen für Einkünfte aus Patenten und intellektuellem Eigentum. Das ist Ländern wie Großbritannien, Luxemburg, den Niederlanden und Spanien offensichtlich so wichtig, dass sie sich querstellen. Doch ohne eine Regelung auf diesem Gebiet wird BEPS wenig bringen.

Ungelöst ist nach wie vor auch das Too-Big-to-Fail-Problem und die Frage, wie künftig marode Banken im G20-Bereich nach einheitlichen Standards abgewickelt werden können. Beides beschäftigt die G20 seit dem Gipfel von Cannes im Jahre 2011. Soeben hat die Europäische Zentralbank wieder Ergebnisse aus der neuesten Stress-Test-Runde vorgelegt, die zeigen, dass gerade europäische Banken auch sechs Jahre nach dem Ausbruch der globalen Finanzkrise auf wackeligen Beinen stehen. Länder wie Frankreich und auch Japan streben daher größere „Flexibilität“ bei der Anwendung der Abwicklungsregeln innerhalb der Länder an. Wie immer das ausgeht: Es zeigt sich, dass aus der vor Jahren groß angekündigten internationalen Reregulierung der Finanzmärkte bestenfalls ein Flickenteppichs geworden ist und die nationalen Regulierungssysteme nach wie vor den Vorrang haben.

12. September 2014

Junckers EU-Kommission: Selbstumzingelung

Als der ehemalige Luxemburgische Premierminister zum Chef der Europäischen Kommission gewählt wurde, sahen wir darin einen „Pyrrhussieg Junckers“. Denn – so die Vermutung – er würde diese Wahl durch Konzessionen bei der Benennung seiner Kommission bezahlen müssen (>>> W&E06/2014). Jetzt ist klar, wie diese Konzessionen aussehen: Juncker hat sich selbst umzingelt mit den eigenen Konservativen, mit austeritätspolitischen Hardlinern und Aposteln des Freien-Markt-Kapitalismus. Selbst der neue Kommissar für Wirtschaft, Pierre Moscovici, neben der neuen Außenbeauftragten der EU Frederica Mogherini der einzig verbliebene Sozialist an der EU-Spitze, ist da kein Korrektiv. Er geriert sich als markt- und wirtschaftsergebener Sozialdemokrat (nach deutschem Modell), dem etwa die Finanztransaktionssteuer ein Graus ist.

Für den Fall, dass er in der Haushaltspolitik von den strikten neoliberalen Sparvorgaben der EU abweichen sollte, hat er eine ganze Garde von Bewachern zur Seite: den neuen Vizepräsidenten der Kommission aus Lettland, Valdis Dombrovskis, etwa, der die drakonischsten Einschnitte mit zu verantworten hat, die jemals ein Land hinnehmen musste; den Finnen Jyrki Katainen, der ausgerechnet für Arbeit und Wachstum zuständig ist und in seiner Zeit als Premierminister zu den schärfsten Advokaten der „austerity“ in Europa gehörte, die konservativ-liberalen Frauen Cecilia Malmström aus Schweden (die neue Handelskommissarin), Margarethe Vestager aus Dänemark (Wettbewerbspolitik) und Elzbieta Bienkowska aus Polen (die neue Binnenmarkt-Kommissarin). Für Energie und Klimawandel ist jetzt Arias Canete zuständig, der einmal Präsident eines Ölkonzerns war.

Es mag ein schlechtes Omen dafür sein, was von der neuen Truppe in Brüssel zu erwarten ist, dass gestern das geplante europäische Bürgerbegehren gegen TTIP, das geplante Transatlantische Freihandelsabkommen, unter fadenscheinigen Gründen abgelehnt wurde. Die größte Provokation freilich ist die Besetzung des Kommissars für Finanzmarktangelegenheiten mit dem konservativ-liberalen Lord Hill aus Großbritannien, der fast die ganze Zeit seines politischen und beruflichen Lebens als Finanzmarktlobbyist verbracht hat. Das sei ein Palmenzweig Junckers für Cameron und eine Gewährleistung für den Finanzplatz London, wird jetzt gesagt. Es könnte jedoch auch sein, dass dem Luxemburger Juncker die Ernennung des Briten Hill durchaus zupass kommt. Denn so sehr sich die Finanzplätze London und Luxemburg Konkurrenz machen und sich gerne gegenseitig eins auswischen, so sehr spielt man zusammen, wenn es ums grundsätzliche Interesse am eigenen Überleben geht. Die Erfahrung, wie man sich gegenseitig die Bälle zuspielt, hat der Luxemburger.

10. September 2014

UN-Generalversammlung: Mehrheit pro Staateninsolvenz

Mit 124 gegen 11 Stimmen bei 41 Enthaltungen hat die Generalversammlung der Vereinten Nationen die von den Entwicklungsländern (G77 und China) eingebrachte Resolution angenommen, die die Schaffung eines Staateninsolvenzverfahrens fordert (s. Blog vom Vortag). Deutschland stimmte gegen die Resolution. Mit der Entschließung verpflichtet sich die UNO, in der laufenden Sitzungsperiode, also bis zum Ende des Jahres, ein rechtlich verbindliches Entschuldungsverfahren auszuhandeln.

Die Entschließung stellt einen enormen Rückenwind für alle Staaten dar, die nicht länger in den von den Gläubigern beherrschten Foren in Paris und Washington über ihre Schuldenprobleme verhandeln wollen. Zusammen mit nur wenigen Industriestaaten hat Deutschland gegen die Resolution gestimmt – ein Umstand, den Jürgen Kaiser von erlassjahr.de beschämend findet. Denn sowohl die von der CDU/CSU wie auch von der SPD geführten Bundesregierungen haben in den letzten 15 Jahren genau die gleiche Forderung nach einem rechtsstaatlichen Entschuldungs­verfahren erhoben. Mit ihrer jetzigen Haltung hat sich Berlin innerhalb der internationalen Gemeinschaft einmal mehr in die
Selbstisolierung begeben.

9. September 2014

G77 fordert in der UNO faires Entschuldungsverfahren

Heute fordert die Gruppe der Entwicklungs- und Schwellenländer (G77) in der UN-Generalversammlung die Einrichtung einer fairen und geordneten Insolvenzregelung für Staaten. In einem entsprechenden Resolutionsentwurf heißt es, während der 69. Vollversammlung solle schwerpunktmäßig ein multilaterales rechtliches Rahmenwerk für Schuldenreduzierung ausgehandelt werden, das u.a. zur Steigerung der Effizienz des internationalen Finanzsystems und zu inklusivem, gerechten Wachstum sowie zu nachhaltiger Entwicklung beiträgt.

Zivilgesellschaftliche Organisationen in Europa unterstützen diese Forderung seit langem und rufen ihre Regierungen auf, der Resolution zuzustimmen. Hintergrund des Vorschlags der G77 ist die jüngste Erfahrung Argentiniens, das von einem US-Gericht zur Zahlung von 1,3 Mrd. US-Dollar auf Altschulden aus den 1990er Jahren an den Geierfonds NML Capital verurteilt worden war. Anders als Unternehmen haben Staaten nicht die Möglichkeit, bei Zahlungsunfähigkeit ein geordnetes Insolvenzverfahren zu durchlaufen, sondern unterliegen der Rechtsprechung durch die Gläubiger.


In Deutschland begrüßte die Kampagne erlassjahr.de die Initiative der G77, diesem Mangel an Rechtsstaatlichkeit abzuhelfen. Zusammen mit Partnerbewegungen in 22 europäischen Ländern hat sie einen Appell an die europäischen Regierungen gerichtet, die Initiative der ärmeren Länder aufzunehmen und ein geordnetes Entschuldungsverfahren unter dem Dach der Vereinten Nationen mitzugestalten. Jürgen Kaiser, Koordinator von erlassjahr.de sagte: „Die Länder des Südens haben nach Jahrzehnten der Gängelung durch die Gläubiger und deren Ausführungsorgane Internationaler Währungsfonds und Weltbank genug. Länder wollen nicht länger 13 Mal über die gleichen Schulden im Pariser Club verhandeln und dann, wie der Senegal oder wie Argentinien Spekulationsobjekt von Geierfonds werden.“

Zwar können die 133 Entwicklungs- und Schwellenländer der G77 mit ihrer Stimmenmehrheit die Resolution bei der UN-Generalversammlung auch gegen den Willen der Industriestaaten durchbringen. Wie verbindlich ein in der UNO beschlossenes Verfahren werden kann, wird indes auch von der Unterstützung derjenigen Staaten abhängen, die sich in der Vergangenheit bereits für ein geordnetes Staateninsolvenzverfahren ausgesprochen haben. Dazu gehört neben der Schweiz und Norwegen auch Deutschland. Die Frage ist allerdings, ob sie dabei auch bleiben, wenn sie vor der Weltgemeinschaft Farbe bekennen müssen.