Die WTO liefert in Bali, doch Bedenken bleiben
Gastblog von Tobias Reichert, z.Zt. Bali
● Indien erreicht Minimallösung
Der Abschluss des Bali-Pakets erscheint nun in Reichweite: Nach intensiven Verhandlungen legte WTO-Generaldirektor Azevedo heute abend Kompromisstexte zu allen Themen vor. Wie erwartet, war die Friedensklausel für öffentliche Ernährungssicherheits- und Lagerhaltungsprogramme zu staatlich administrierten Preisen der am heftigsten umstrittene Punkt. Indien konnte hier durchsetzen, dass die Friedensklausel als echte Interimslösung so lange in Kraft bleibt, bis eine dauerhafte Lösung durch eine Anpassung des Agrarabkommens beschlossen ist, was innerhalb von vier Jahren geschehen soll. Damit können andere WTO-Mitglieder kein Streitschlichtungsverfahren beginnen, falls Indien seine Ausgaben für sein Ernährungssicherheitsprogramm über die tolerierte Obergrenze anhebt.
Um dies zu erreichen, musste Indien allerdings sehr weit gehende Einschränkungen akzeptieren. Die Friedensklausel ist auf traditionelle Grundnahrungsmittel begrenzt, und gilt nur für Programme, die jetzt schon in Kraft sind. Damit können andere Länder keine Programme nach dem indischen Vorbild neu auflegen, wenn diese die Obergrenzen überschreiten.
Organisationen wie die indische „Right to Food Campaign“ kritisieren dies heftig. Mindestens ebenso bedeutend ist für sie, dass Indien selbst nicht neue Nahrungsmittel in sein Programm aufnehmen darf, da dies wahrscheinlich als neue Maßnahme angesehen würde. Zivilgesellschaftliche Gruppen fordern aber gerade, dass nicht nur eine ausreichende Kalorienversorgung mit Weizen, Reis und Hirse gefördert werden soll. Vielmehr geht es auch um eine ausgewogene Ernährung mit nährstoffreicheren Linsen, Milch oder Obst.
Schließlich müssen Länder, die die Friedensklausel in Anspruch nehmen wollen, jedes Jahr bei der WTO Informationen darüber hinterlegen, welche Produkten, zu welchen Mengen und Preisen an- und verkauft werden, und wie die Preise berechnet wurden, wie die Lagerbestände sich verändert, und wie viel von dem jeweiligen Produkt im- und exportiert wurde.
● Keine Begrenzung der Exportsubventionen – unverbindliche Versprechungen für die am wenigsten entwickelten Länder (LDCs)
Der Aufwand, den Indien betreiben muss, um Programme für Ernährungssicherheit und Kleinbauern abzusichern, die den Handel verzerren könnten, kontrastiert mit dem auch nach Bali uneingeschränkten Recht der großen Industriestaaten, die entwicklungs- und handelspolitisch besonders schädlichen Exportsubventionen einzusetzen. Schon in Genf hatten EU und USA den Versuch der G20 blockiert, in Bali zumindest eine Verringerung der Obergrenzen festzulegen. Stattdessen wurde eine wortreiche Erklärung über die äußerste Zurückhaltung bei der Gewährung der Exportsubventionen verabschiedet, die mit dem Satz endet, dass die Rechte und Verpflichtungen der Mitglieder unverändert bleiben. Damit können sie selbst entscheiden, ob sie sich daran halten oder nicht.
Ähnlich vage bleiben die Erklärungen zu den Anliegen der LDCs – in denen die Industriestaaten nicht einklagbare Versprechen machen. Besonders peinlich ist der Text zu Baumwolle, in dem bedauert wird, dass der 2005 (unverbindlich) vereinbarte schnellstmögliche Abbau der Subventionen der Industrieländer für den Sektor leider nicht umgesetzt wurde. Ein neues Komitee soll die Situation jetzt alle zwei (!) Jahre neu beraten – was darauf hinweist, dass die Subventionen noch eine Weile bestehen bleiben werden.
● Administrative Handelserleichterungen abhängig von Kapazität
Beim handelspolitisch relevantesten Thema, dem neuen Abkommen zu administrativen Handelserleichterungen, konnten die Entwicklungsländer das Prinzip durchsetzen, dass sie nur Bestimmungen des Abkommens umsetzen müssen, für die sie ausreichende Kapazitäten haben. Ob dies der Fall ist, entscheidet aber letztlich ein Komitee der WTO-Mitglieder, ob dies immer zu den richtigen Entscheidungen kommt, bleibt abzuwarten. Die Versprechen der Industriestaaten auf Unterstützung bleiben auch zu dem Thema vage.
● Doha-Runde vorerst gerettet
Mit dem Bali-Paket hat sich die WTO, wenn auch zaghaft, als Forum für die Gestaltung internationaler Handelsregeln zurückgemeldet. Es wurde aber wieder deutlich, dass Fragen der Nachhaltigkeit wie Ernährungssicherheit und effektive Unterstützung der Entwicklungsländer nur unter größten Schwierigkeiten durchzusetzen sind. Die USA haben erst in letzter Minute beschlossen, Freihandelsprinzipien hinter diesen Zielen zurück stehen zu lassen. Für die angestrebte dauerhafte Regelung lässt diese harte Haltung nichts Gutes erwarten. Damit droht die Gefahr, dass die eng auf die indische Situation zugeschnittene Friedensklausel lange erhalten bleibt.
Nach dem Willen der Minister sollen die Themen der Doha- Runde nun anscheinend weiter in kleineren Paketen angegangen werden. Die Vertreter in Genf werden beauftragt, im nächsten Jahr einen Arbeitsplan für weitere Verhandlungen zu beschließen, mit den Schwerpunkten Landwirtschaft, Entwicklung/LDCs und „aller anderen Themen, die für den Abschluss der Runde zentral sind“.
● Demokratie als Gefahr für die Handelsdiplomatie
In Bali hatten alle maßgeblichen Länder eine Einigung angestrebt, um die Rolle der WTO wieder zu stabilisieren. Die verhandelten Themen verlangen – anders als die ausgeklammerten Marktzugangs- und Subventionsthemen – in keinem Land große Veränderungen, und galten deswegen eigentlich als wenig kontrovers. Dass es doch noch fast zu einem Scheitern kam, lag weniger an den Regierungen, als an der aktiven Rolle der Zivilgesellschaft in Indien, deren Einfluss durch die bevorstehenden Wahlen noch verstärkt wird.
Das neue indische Ernährungssicherheitsgesetz, um das sich der Hauptkonflikt drehte, ist ein Ergebnis der Forderungen von Bewegungen wie der „Right to Food Campaign“ und wichtigen indischen Bauernverbänden – auch wenn es deren Forderungen nicht komplett widerspiegelt. Als die indische Regierung schon in Genf einem Kompromiss zugestimmt hatte, dies mit einer auf vier Jahre angelegten Friedensklausel vor Klagen zu schützen, brach in Indien ein Sturm der Entrüstung los. Dieser zwang den indischen Handelsminister zu seiner Kehrtwende. Die in der Handelspolitik übliche Reaktion, vor allem von USA und EU, erst einmal kräftig Druck auf Indien auszuüben, hätte dann fast zum Scheitern Verhandlungen geführt.
Irritiert von dem abrupten Kurswechsel zeigten sich allerdings auch einige Verbündete Indiens in der Gruppe der Entwicklungsländer mit überwiegend kleinbäuerlicher Landwirtschaft (G33). Die indische Delegation hatte es versäumt, sie über die neue Linie vorab zu informieren. Trotz der Verstimmungen ist es unwahrscheinlich, dass die Arbeit der Gruppe mit strategisch ähnlichen Interessen langfristig leidet.
Die WTO hat mit dem knapp erzielten Erfolg in Bali wieder etwas an Statur gewonnen und will dies nun wiederholen. Wenn die Anliegen und Forderungen der Zivilgesellschaft vor allem in Entwicklungsländern weiter nur in Ausnahmefällen berücksichtigt werden, ist der Erfolg dieses Vorhabens weiter unsicher.
* Die Beschlüsse zum Bali-Paket finden sich im Wortlaut >>> hier.
● Indien erreicht Minimallösung
Der Abschluss des Bali-Pakets erscheint nun in Reichweite: Nach intensiven Verhandlungen legte WTO-Generaldirektor Azevedo heute abend Kompromisstexte zu allen Themen vor. Wie erwartet, war die Friedensklausel für öffentliche Ernährungssicherheits- und Lagerhaltungsprogramme zu staatlich administrierten Preisen der am heftigsten umstrittene Punkt. Indien konnte hier durchsetzen, dass die Friedensklausel als echte Interimslösung so lange in Kraft bleibt, bis eine dauerhafte Lösung durch eine Anpassung des Agrarabkommens beschlossen ist, was innerhalb von vier Jahren geschehen soll. Damit können andere WTO-Mitglieder kein Streitschlichtungsverfahren beginnen, falls Indien seine Ausgaben für sein Ernährungssicherheitsprogramm über die tolerierte Obergrenze anhebt.
Um dies zu erreichen, musste Indien allerdings sehr weit gehende Einschränkungen akzeptieren. Die Friedensklausel ist auf traditionelle Grundnahrungsmittel begrenzt, und gilt nur für Programme, die jetzt schon in Kraft sind. Damit können andere Länder keine Programme nach dem indischen Vorbild neu auflegen, wenn diese die Obergrenzen überschreiten.
Organisationen wie die indische „Right to Food Campaign“ kritisieren dies heftig. Mindestens ebenso bedeutend ist für sie, dass Indien selbst nicht neue Nahrungsmittel in sein Programm aufnehmen darf, da dies wahrscheinlich als neue Maßnahme angesehen würde. Zivilgesellschaftliche Gruppen fordern aber gerade, dass nicht nur eine ausreichende Kalorienversorgung mit Weizen, Reis und Hirse gefördert werden soll. Vielmehr geht es auch um eine ausgewogene Ernährung mit nährstoffreicheren Linsen, Milch oder Obst.
Schließlich müssen Länder, die die Friedensklausel in Anspruch nehmen wollen, jedes Jahr bei der WTO Informationen darüber hinterlegen, welche Produkten, zu welchen Mengen und Preisen an- und verkauft werden, und wie die Preise berechnet wurden, wie die Lagerbestände sich verändert, und wie viel von dem jeweiligen Produkt im- und exportiert wurde.
● Keine Begrenzung der Exportsubventionen – unverbindliche Versprechungen für die am wenigsten entwickelten Länder (LDCs)
Der Aufwand, den Indien betreiben muss, um Programme für Ernährungssicherheit und Kleinbauern abzusichern, die den Handel verzerren könnten, kontrastiert mit dem auch nach Bali uneingeschränkten Recht der großen Industriestaaten, die entwicklungs- und handelspolitisch besonders schädlichen Exportsubventionen einzusetzen. Schon in Genf hatten EU und USA den Versuch der G20 blockiert, in Bali zumindest eine Verringerung der Obergrenzen festzulegen. Stattdessen wurde eine wortreiche Erklärung über die äußerste Zurückhaltung bei der Gewährung der Exportsubventionen verabschiedet, die mit dem Satz endet, dass die Rechte und Verpflichtungen der Mitglieder unverändert bleiben. Damit können sie selbst entscheiden, ob sie sich daran halten oder nicht.
Ähnlich vage bleiben die Erklärungen zu den Anliegen der LDCs – in denen die Industriestaaten nicht einklagbare Versprechen machen. Besonders peinlich ist der Text zu Baumwolle, in dem bedauert wird, dass der 2005 (unverbindlich) vereinbarte schnellstmögliche Abbau der Subventionen der Industrieländer für den Sektor leider nicht umgesetzt wurde. Ein neues Komitee soll die Situation jetzt alle zwei (!) Jahre neu beraten – was darauf hinweist, dass die Subventionen noch eine Weile bestehen bleiben werden.
● Administrative Handelserleichterungen abhängig von Kapazität
Beim handelspolitisch relevantesten Thema, dem neuen Abkommen zu administrativen Handelserleichterungen, konnten die Entwicklungsländer das Prinzip durchsetzen, dass sie nur Bestimmungen des Abkommens umsetzen müssen, für die sie ausreichende Kapazitäten haben. Ob dies der Fall ist, entscheidet aber letztlich ein Komitee der WTO-Mitglieder, ob dies immer zu den richtigen Entscheidungen kommt, bleibt abzuwarten. Die Versprechen der Industriestaaten auf Unterstützung bleiben auch zu dem Thema vage.
● Doha-Runde vorerst gerettet
Mit dem Bali-Paket hat sich die WTO, wenn auch zaghaft, als Forum für die Gestaltung internationaler Handelsregeln zurückgemeldet. Es wurde aber wieder deutlich, dass Fragen der Nachhaltigkeit wie Ernährungssicherheit und effektive Unterstützung der Entwicklungsländer nur unter größten Schwierigkeiten durchzusetzen sind. Die USA haben erst in letzter Minute beschlossen, Freihandelsprinzipien hinter diesen Zielen zurück stehen zu lassen. Für die angestrebte dauerhafte Regelung lässt diese harte Haltung nichts Gutes erwarten. Damit droht die Gefahr, dass die eng auf die indische Situation zugeschnittene Friedensklausel lange erhalten bleibt.
Nach dem Willen der Minister sollen die Themen der Doha- Runde nun anscheinend weiter in kleineren Paketen angegangen werden. Die Vertreter in Genf werden beauftragt, im nächsten Jahr einen Arbeitsplan für weitere Verhandlungen zu beschließen, mit den Schwerpunkten Landwirtschaft, Entwicklung/LDCs und „aller anderen Themen, die für den Abschluss der Runde zentral sind“.
● Demokratie als Gefahr für die Handelsdiplomatie
In Bali hatten alle maßgeblichen Länder eine Einigung angestrebt, um die Rolle der WTO wieder zu stabilisieren. Die verhandelten Themen verlangen – anders als die ausgeklammerten Marktzugangs- und Subventionsthemen – in keinem Land große Veränderungen, und galten deswegen eigentlich als wenig kontrovers. Dass es doch noch fast zu einem Scheitern kam, lag weniger an den Regierungen, als an der aktiven Rolle der Zivilgesellschaft in Indien, deren Einfluss durch die bevorstehenden Wahlen noch verstärkt wird.
Das neue indische Ernährungssicherheitsgesetz, um das sich der Hauptkonflikt drehte, ist ein Ergebnis der Forderungen von Bewegungen wie der „Right to Food Campaign“ und wichtigen indischen Bauernverbänden – auch wenn es deren Forderungen nicht komplett widerspiegelt. Als die indische Regierung schon in Genf einem Kompromiss zugestimmt hatte, dies mit einer auf vier Jahre angelegten Friedensklausel vor Klagen zu schützen, brach in Indien ein Sturm der Entrüstung los. Dieser zwang den indischen Handelsminister zu seiner Kehrtwende. Die in der Handelspolitik übliche Reaktion, vor allem von USA und EU, erst einmal kräftig Druck auf Indien auszuüben, hätte dann fast zum Scheitern Verhandlungen geführt.
Irritiert von dem abrupten Kurswechsel zeigten sich allerdings auch einige Verbündete Indiens in der Gruppe der Entwicklungsländer mit überwiegend kleinbäuerlicher Landwirtschaft (G33). Die indische Delegation hatte es versäumt, sie über die neue Linie vorab zu informieren. Trotz der Verstimmungen ist es unwahrscheinlich, dass die Arbeit der Gruppe mit strategisch ähnlichen Interessen langfristig leidet.
Die WTO hat mit dem knapp erzielten Erfolg in Bali wieder etwas an Statur gewonnen und will dies nun wiederholen. Wenn die Anliegen und Forderungen der Zivilgesellschaft vor allem in Entwicklungsländern weiter nur in Ausnahmefällen berücksichtigt werden, ist der Erfolg dieses Vorhabens weiter unsicher.
* Die Beschlüsse zum Bali-Paket finden sich im Wortlaut >>> hier.
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