Mit diplomierten Erwerbslosen auf dem Weltsozialforum
Gastblog von Urs Sekinger*)
Was
die Diplomierten Erwerbslosen – die Diplômés Chômeurs – vom Weltsozialforum in
Tunis denn erwarteten, wird Belgacem Ben Abdallah, arbeitsloser Lehrer und
Mitglied der nationalen Führung der Bewegung der „Diplômés Chômeurs“, zum Ende
seiner Ausführungen vor der Delegation aus der Schweiz gefragt. Er sei noch nie
an einem Sozialforum gewesen, antwortet er, aber er hoffe, dass die zehntausenden
von Menschen, die in den nächsten Tagen hier zusammenkommen würden, ihre
Erfahrungen austauschen und sich gegenseitig weiterbringen können. Die
Arbeitslosigkeit beispielsweise sei kein nationales Problem, sondern ein
globales, das gemeinsam angegangen werden müsse. Wir seien Weltbürger.
Es
ist vielleicht eine Viertelstunde verstrichen, die mit Informationen zum
Weltsozialforum bestens ausgefüllt waren, als Belgacem atemlos im Raum
erscheint und sich vielmals für die Verspätung entschuldigt. Erwerbslose seien
in Tunis eben zu Fuß unterwegs, ein Taxi liege nicht drin und die öffentlichen
Verkehrsmittel seien schlecht. Doch dann legt er los: Über den Kampf der
Diplômés Chômeurs gegen das Ben Ali-Regime, den Sieg im Januar 2011 und die
Enttäuschung, dass unter der islamistischen Ennahdah-Regierung in sozialer und
wirtschaftlicher Hinsicht alles weitergehe wie zuvor. Dabei müsste in der
schwierigen Übergangszeit hier in Tunesien der Staat eine führende Rolle
übernehmen und vor allem Arbeitsplätze schaffen. Insbesondere für die rund
40-Jährigen, die meist seit zehn und mehr Jahren erwerbslos sind und deren
Chance auf eine Stelle mit jedem Tag sinkt. Aber die aktuelle Regierung hänge
nach wie vor einer neoliberalen Wirtschaftspolitik an und verkaufe funktionierende
Staatsbetriebe lieber ins Ausland, wodurch die Arbeitslosigkeit weiter zunehme.
Engagiert
beantwortet Belgacem alle Fragen und strahlt dabei eine Freude auf das baldige
Weltsozialforum und einen Optimismus aus, wo ich immer wieder staune, woher
Menschen wie er diesen hernehmen. Er, der zu Fuß durch Tunis laufen muss, weil
er an einer freien Schule arbeitet und 80 Dinar (40 €)
verdient, was nicht zum Leben reicht.
Auf
die Migration von jungen Menschen aus Tunesien nach Europa angesprochen, wird
Belgacem nachdenklich, überlegt einen kurzen Augenblick und antwortet mit einer
kleinen Geschichte: Kürzlich sei er an ein Treffen von Erwerbslosen nach
Marseille eingeladen worden. Etwa 120 € habe allein das Visum gekostet. Bei der
Einreise hätten die Beamten ihn gefragt, ob er ein Rückreisebillet habe, von
wem genau er eingeladen sei, wo er wohne. Es sei ihm vorgekommen wie bei einem
Polizeiverhör unter der Ben Ali-Diktatur, ohne jeglichen menschlichen Respekt.
Sind wir WeltbürgerInnen? Belgacem, wir sind in Tunesien angekommen, danke!
*) Urs Sekinger ist Koordinator
des Schweizer Solifonds. Seinen Beitrag übernehmen wir mit freundlicher
Genehmigung aus dem Blog der Schweizer NGO-Arbeitsgemeinschaft alliance sud.
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