27. Februar 2013

Londoner Schuldenabkommen wird heute 60

Heute jährt sich die Unterzeichnung des Londoner Schuldenabkommens zum 60. Mal. Die West-Alliierten und weitere Gläubigerstaaten - darunter Griechenland - erließen damals der jungen Bundesrepublik Deutschland gut 50% ihrer Schulden, insgesamt 15 Mrd. DM. Die insgesamt 21 Länder – darunter auch Griechenland – wollten aus Versailles lernen und den Schuldendienst an die tatsächliche Leistungsfähigkeit des Landes anpassen. Neben einem fünfjährigen Zahlungsmoratorium beschlossen die Gläubiger eine Nachhaltigkeitsklausel: Deutschland musste nur ein Zwanzigstel seiner Exporteinnahmen für den Schuldendienst aufwenden. Zusammen mit dem Marshallplan lieferte das Schuldenabkommen eine entscheidende Voraussetzung für die Bundesrepublik, um aus einer Abwärts- in eine Aufwärtsspirale zu gelangen.

NGOs wie erlassjahr.de und Germanwatch betonen heute, dass man auch für die aktuelle Situation viel aus dem Abkommen lernen kann: Die Verhandlungen fanden auf Augenhöhe zwischen Gläubiger und Schuldner statt. Deutschland musste seine Schulden nur aus dem Exportüberschuss finanzieren. Die Gläubiger hatten dadurch einen Anreiz, deutsche Waren zu kaufen. Dabei war Deutschlands Situation 1953 viel weniger dramatisch als die in Griechenland heute: Der Schuldenstand im Vergleich zum Bruttoinlandsprodukt lag für Deutschland damals bei 23%. Heute werden selbst Entwicklungsländer erst ab einem Wert von 40% als gefährdet angesehen. Griechenland liegt bei 160%, und nur Optimisten hoffen diese Quote auf 120% senken zu können.

Weitsicht und Intelligenz statt Arroganz und Besserwisserei gegenüber Schuldnerstaaten fordert deshalb Germanwatch für Schuldnerstaaten wie Griechenland. Der Germanwatch-Vorsitzende und Mitherausgeber von W&E, Klaus Milke, meint: „Deutschland und die EU sollten ähnliches Augenmaß angesichts der heutigen Staatsschuldenkrise innerhalb der EU, aber auch der Länder des Südens zeigen. Dort geht es darum, die Abwärtsspirale zu stoppen und einen Rahmen für Investitionen zu ermöglichen, der Arbeitsplätze schafft und zugleich die Energiewende sowie den Umbau zur Kreislaufwirtschaft voran bringt." Für Jürgen Kaiser wäre für Griechenland heute „entweder ein Schuldenschnitt auf ein vernünftiges Maß oder die Anwendung der Handelsdefizit-Regeln von 1953“ angebracht. Der traurige Wahrheit aber ist: Derartige Lektionen aus dem Schuldenabkommen von 1953 müssen auch heute erst noch gelernt werden.

Hinweis:
Erlaßjahr.de und die Kindernothilfe haben heute den >>> Schuldenreport 2013 veröffentlicht. Er hat das Schwerpunktthema „1953-2013: Das Londoner Schuldenabkommen. 60 Jahre Entschuldung Deutschlands“.

20. Februar 2013

Abgekasperte G8-Kampagne

Auch wenn die G8 infolge des Aufstiegs der G20 viel an Bedeutung verloren hat, bleibt sie ein bedeutendes Forum der Koordination der Industrieländer untereinander. Nicht nur die diesjährige G8-Präsidentschaft Großbritanniens, auch die britischen NGOs wollen sie nutzen, um entwicklungspolitische Akzente zu setzen. Rund 100 NGOs haben deshalb Anfang des Jahres die Kampagne „Enough Food for Everyone“, die sog. IF Campaign, lanciert. Die Regierung ihrerseits ist u.a. daran interessiert, London als großzügigen Entwicklungshilfe-Geber, der kurz vor der Erreichung des 0,7%-Ziels steht, und Premierminister Cameron selbst als entschiedenen Kämpfer gegen den Welthunger darzustellen. Ein Sonderevent im Rahmen der G8-Präsidentschaft ist zum Thema „Food and Nutrition“ geplant, in Anknüpfung an den zur Olympiade im letzten Jahr inszenierten „Hungergipfel“ und die ebenfalls im letzten Jahr gegründete G8-Initiative „New Alliance for Food Security and Nutrition in Africa“.

Das bietet für die Zivilgesellschaft sicher zahlreiche Anknüpfungspunkte zur kritischen Intervention. Doch was als kritische Kampagne daherkommt, kann seine Regierungsnähe nicht verbergen. Da wird beispielsweise die „Leadership“ Camerons gerühmt. Höchst problematisch ist darüber hinaus, dass die nach außen hin u.a. auf das britische Entwicklungsministerium (DFID) zielende Kampagne nahezu komplett von diesem finanziert wird. Auch inhaltlich wurden wesentliche Kampagnen-Elemente bereits ein Jahr zuvor mit dem Ministerium abgekaspert, wie jetzt die Website brightgreenscotland.org enthüllt hat. Als Beleg wird ein Schreiben von DFID an John Hillary von War on Want angeführt.

Während die IF Campaign im Wesentlichen von großen NGOs wie Oxfam GB, Christian Aid, CAFOD, ActionAid und Save the Children (die sich zur BOAG – British Overseas Aid Group – zusammengeschlossen haben) gesteuert wird, zogen es andere NGOs, z.B. War on Want und das World Development Movement, und die Gewerkschaften vor, der Kampagne wegen ihrer mangelnden Distanz zur Regierung fernzubleiben.

Deutlich kritischer als das Gros der britischen Kollegen sehen offensichtlich die deutschen NGOs die G8-Politik. Vornehmlich als Wegbereitung für private Direktinvestitionen im afrikanischen Agrarsektor wird von ihnen die „New Alliance for Food Security and Nutrition in Africa“ eingeschätzt, die im letzten Mai unter der US-amerikanischen G8-Präsidentschaft ins Leben gerufen wurde. Dies ist einem Positionspapier („Strukturanpassung 2.0“) zu entnehmen, das u.a. von Brot für die Welt, Misereor, Germanwatch und Oxfam Deutschland erarbeitet wurde. In der Neuen Allianz arbeiten die G8-Staaten mit sechs afrikanischen Staaten (Äthiopien, Burkina Faso, Elfenbeinküste, Ghana, Mosambik, Tansania), multilateralen Organisation (u.a. Weltbank, Welternährungsprogramm) und einigen der größten Unternehmen des Agrar- und Ernährungsbereichs (u.a. Cargill, Syngenta, Monsanto, Yara) zusammen. Ihr Ziel ist es, in diesen afrikanischen Ländern sichere Rahmenbedingungen für private Investitionen im Agrarsektor zu schaffen. Man erhofft sich, damit in den nächsten zehn Jahren 50 Millionen Menschen aus der Armut zu befreien. Die Bundesregierung unterstützt die Neue Allianz für Ernährungssicherheit aktiv und stellt Mittel unter dem Schirm der G8 New Alliance bereit. Die NGOs warnen jedoch, diese Initiative nütze zwar der Agrar- und Ernährungsindustrie, den Kleinbauern aber könnte sie schaden.

15. Februar 2013

EU-Entwurf der FTT: Willkommene Effektivierung

Ein Gastbeitrag von Peter Wahl*)

Der Entwurf für die Finanztransaktionssteuer (FTT), den die EU-Kommission diese Woche für die Koalition der Willigen im Rahmen der Vertieften Zusammenarbeit vorgelegt hat, ist im Großen und Ganzen identisch mit dem Text, den sie schon 2011 für die EU-27 vorbereitet hatte. Also: Breite Steuerbasis mit Aktien, Anleihen und Derivaten; Steuersatz 0,1% für Aktien und Anleihen und 0,01% für Derivate; Steuerpflicht jeweils für Käufer und Verkäufer, usw. Der damalige Entwurf war den Vorstellungen der Zivilgesellschaft und heterodoxer Ökonomen recht nahe gekommen. Aber jetzt gibt es sogar noch eine angenehme Überraschung: Die Maßnahmen gegen die Umgehung wurden noch einmal verschärft.

Der alte Entwurf enthielt nur das sog. Herkunftsprinzip. D.h. alle Finanzinstitutionen, die ihren juristischen Sitz im Geltungsbereich des Gesetzes haben, sind steuerpflichtig. Wenn also die Deutsche Bank in Hongkong eine beliebige Aktie verkauft oder ein beliebiges Derivat kauft, ist die Steuer fällig. Das ist schon ganz gut, lässt aber doch noch die Möglichkeit offen, durch Verlagerung des Geschäfts auf eine juristisch unabhängige Tochter oder über Abwicklung über Dritte die Steuerpflicht zu unterlaufen. Zwar wird die Bank vorher durchrechnen, was teuerer kommt: die Steuer zu zahlen oder die Geschäftsverlagerung, die natürlich auch Kosten verursacht. Aber für einige Geschäftsmodelle, wie den Hochfrequenzhandel, würde sich die Verlagerung auf jeden Fall rentieren.

Und genau hier soll jetzt zur Ergänzung des Herkunftsprinzips das sog. Ausgabeprinzip zum Einsatz kommen. Demnach werden alle Vermögenswerte, die aus dem Geltungsbereich des Gesetzes stammen, registriert. Bei Aktien, Anleihen und börsengehandelten Derivaten ist das ohnehin schon der Fall. Für außerbörslich gehandelte Derivate wird gerade im Rahmen der Regulierung des Derivatehandels für die meisten Produkte der Handel über eine zentrale Clearingstelle mit Registrierungspflicht vorbereitet.

Sollte sich das Ausgabeprinzip durchsetzen, bedeutet dies, dass jeder Vermögenstitel, der aus dem Geltungsbereich des Gesetzes stammt, also deutsche Aktien, französische Anleihen, italienische Derivate, besteuert wird. Wenn dann eine japanische Bank einem US-Hedgefonds eine Volkswagenaktie verkauft, wird die Steuer fällig - selbst wenn das Geschäft auf dem Mond durchgeführt würde. Und da die Finanzindustrie alle ihre Geschäfte heute über einige wenige elektronische Plattformen abwickelt, ist die Eintreibung der Steuer technisch sehr einfach.

Mit ihrem neuen Vorschlag packt die Kommission ein Erzübel der Globalisierung an: die Möglichkeit des hochmobilen Kapitals sich dem regulatorischen Zugriff des Staates jederzeit und in Sekundenschnelle zu entziehen. Die Maßnahme hat deshalb politische Brisanz weit über die FTT hinaus. Wenn die Sache sich herumspricht, wird es einen Aufschrei geben und die Banker werden alle ihnen nahestehenden Regierungen, Medien und Professoren aufbieten. Nicht nur um den Untergang des Abendlandes zu beschwören. Auch jene Länder, die Steuerhehlerei als Standortvorteil nutzen, werden den Vorschlag als Angriff auf ihre Souveränität werten.

Die entsprechenden Kandidaten haben sich auch schon prompt in Stellung gebracht: Bei der ersten Verhandlungsrunde am 13. Februar haben einige der nicht an der Vertieften Zusammenarbeit beteiligten Mitgliedstaaten in durchgesickerten internen Statements erklärt, sich rechtliche Schritte vorzubehalten, wenn die FTT ihre Wettbewerbsbedingungen und die Regeln des Binnenmarkts tangieren würde. Angeführt wird die Truppe erwartungsgemäß von der Regierung ihrer Majestät, der City of London. Ähnliche Stellungnahmen kamen von den Ministaaten Malta und Luxemburg. Der Fall des Großherzogtums Luxemburg entbehrt nicht einer gewissen Pikanterie. Dessen Staatschef Juncker, bis vor kurzem Vorsitzender der Euro-Gruppe, lässt ja sonst keine Gelegenheit aus, sich als Super-Europäer in direkter Nachfolge von Pippin dem Kurzen zu präsentieren. Aber wenn es um die Wurst bzw. die Bankprofite geht, ist ihm das Hemd des heimischen Finanzplatzes allemal näher als der europapolitische Rock.

Im Ton etwas gemäßigter und ohne Androhung juristischer Schritte ist eine gemeinsame Erklärung von Schweden, Dänemark, Polen, Rumänien, Bulgarien und Ungarn, die aber gleichwohl anmahnten, dass „die Interessen der nicht am Verfahren der Vertiefen Zusammenarbeit teilnehmenden Länder in der weiteren Arbeit berücksichtigt werden.

Es bleibt spannend mit der Finanztransaktionssteuer.

Peter Wahl ist Mitarbeiter von WEED und Mitglied im Steuerungsausschuss der Kampagne „Steuer gegen Armut“.

13. Februar 2013

Die G20 im Wechselkurs-Krieg

Der Begriff “Währungskrieg” ist wahrscheinlich zu unschön, um in ein offizielles Kommuniqué der Gruppe der 20 (wichtigsten Industrie- und Schwellenländer) Eingang zu finden. Doch ist es  genau dies, was einen zentralen Stellenwert auf der Agenda einnehmen wird, wenn am kommenden Freitag und Samstag die Finanzminister und Zentralbankchefs zu ihrem ersten Treffen unter der G20-Präsidentschaft Russlands in Moskau zusammenkommen werden. Die währungspolitischen Leistungen der G20 sind bislang gleich Null, aber die derzeitige Diskussionswelle über den neuen Währungskrieg („currency war“) signalisiert einen wachsenden Handlungsdruck.

Dabei gibt es mehrere Fronten und Ebenen, an und auf denen die Auseinandersetzungen um dieses Thema unter den G20-Mitgliedern geführt werden. Da sind einmal die Klagen diverser Industrieländer, vor allem der USA und der EU, seit Japan ebenfalls zu einer Politik des lockeren Geldes übergegangen ist, was zu einer beträchtlichen (und gewollten) Abwertung des Yen geführt hat. Die G7 haben gestern in einer eilig gezimmerten Erklärung versucht, den Eindruck zu erwecken, dass ein Währungskrieg mit dem Versuch, sich bei den Exportpreisen gegenseitig zu unterbieten, unter den Industrieländern gar nicht stattfinde. Doch letztlich versichert die Erklärung nur, dass man auch künftig die Entwicklung der Wechselkurse dem „Markt“ überlassen wolle und sich auch künftig in Wechselkursfragen („as appropriate“) konsultieren wolle. Erreicht wurde damit freilich das Gegenteil: eine neue Welle der Volatilität hat den Yen erfasst.

Ohnehin ist fraglich, ob die Japaner währungspolitisch jetzt die Hände in den Schoß legen werden. Immerhin kämpft das Land erstmals ernsthaft darum, aus der jahrelangen deflationären Flaute herauszukommen. Fast nicht nachvollziehbar ist, warum die Franzosen der G7-Erklärung zugestimmt haben, hatte deren Präsident François Hollande doch erst letzte Woche dazu aufgerufen, neu über eine Reform des internationalen Währungssystems nachzudenken (>>> Die Eurokrise ist vorbei? Von wegen!).

Höchst fraglich ist auch, ob das Sondervotum der G7 als Vorlage für das Finanzministertreffen der G20 taugt. Gerade die Schwellenländer sehen sich als Opfer des von den Industrieländern entfachten Währungskrieges. Dabei beklagt inzwischen nicht nur Brasilien, dessen Finanzminister Mantega den Begriff „Währungskrieg“ im vorletzten Jahr erfunden hat, die Überschwemmung mit billigem Geld infolge des sog. „Quantitative Easing“ und seiner europäischen Variante in Form des EZB-Anleihe-Aufkaufprogramms OMT („Outright Monetary Transactions“), da dies diese Länder unter Aufwertungsdruck setzt. Ganz Lateinamerika „is going Brazilian“, wie die Financial Times heute berichtet.

Die währungspolitischen Interessengegensätze lassen sich ohnehin durch spitzfindige Kommuniqués nicht wegdiskutieren. „Währungskriege“, so schrieb das Wall Street Journal kürzlich, „bilden eine feste Größe im modernen Finanzwesen, seitdem Anfang der 1970er Jahre das Bretton-Woods-System fester Wechselkurse zusammengebrochen war.“ Hinzuzufügen wäre, dass nur eine Reform dieses „Non-Systems“ hier Abhilfe schaffen könnte. Dazu aber müsste die Agenda der G20 um mindestens zwei Punkte erweitert werden, die bis heute nicht ernsthaft angegangen wurden: erstens die koordinierte globale Regulierung der Finanzflüsse und zweitens die Schaffung eines neuen internationalen Währungssystems auf der Basis einer wirklichen globalen Reservewährung, z.B. auf der Grundlage wesentlich aufgestockter Sonderziehungsrechte des IWF. Aber dies bleibt angesichts der verengten Interessenlagen innerhalb der G20 vorerst Zukunftsmusik.

* Die G7-Erklärung hat folgenden Wortlaut:
 
"We, the G7 Ministers and Governors, reaffirm our longstanding commitment to market determined exchange rates and to consult closely in regard to actions in foreign exchange markets. We reaffirm that our fiscal and monetary policies have been and will remain oriented towards meeting our respective domestic objectives using domestic instruments, and that we will not target exchange rates. We are agreed that excessive volatility and disorderly movements in exchange rates can have adverse implications for economic and financial stability. We will continue to consult closely on exchange markets and cooperate as appropriate."

7. Februar 2013

Die Angst der Spekulanten vor der FTT und die Hoffnungen der Fiskalsanierer

Noch sind die Details der Einführung der Finanztransaktionssteuer (FTT) unter elf EU-Mitgliedsländern nicht definitiv ausgehandelt, doch bereits im Vorfeld schlagen jetzt die Vertreter von Geldmarktfonds Alarm. Die 1 Trillion Dollar schwere Geldmarktfonds-Industrie sieht sich sogar in ihrer Existenz bedroht, sollten die jetzt bekannt gewordenen Vorschläge der EU-Kommission zur Umsetzung der Steuer im Verfahren der „verstärkten Zusammenarbeit“ in die Tat umgesetzt werden. Der Financial Times vom vergangenen Montag zufolge sieht Keith Lawson von ICI Global, eine Managervereinigung globaler Fonds, „ein riesiges Problem“ in den Plänen der Kommission. Dies deshalb, weil die Fondsinvestoren die Steuer zweimal entrichten müssten, zum ersten Mal wenn sie Fondsanteile kaufen oder verkaufen und zum zweiten Mal, wenn der Fonds selbst Papiere kauft oder verkauft, in die er investiert hat.

In der Tat fallen nach den derzeitigen Plänen der Kommission nicht nur der Handel mit Aktien, Anleihen und Derivaten, sondern auch Sekundärmarkttransaktionen von Geldmarktfonds-Instrumenten unter die FTT. Insgesamt wird das Steueraufkommen - bei einem Steuersatz von 0,1% auf den Aktien- und Anleihehandel und 0,01 auf den Derivatehandel - allein aus der Einführung der Steuer in elf Ländern inzwischen auf bis zu 35 Mrd. € pro Jahr geschätzt – wesentlich mehr als bislang erwartet. Dies hat nicht zuletzt auch damit zu tun, dass die Kommission plant, Vorkehrungen gegen die Vermeidung der Steuer durch die Umlenkung von Investitionen zu treffen. Dazu dient vor allem das sog. Firmensitz-Prinzip, wonach die Steuer dort zu entrichten ist, wo sich der Hauptsitz der Firma befindet. Dies bedeutet etwa, dass der Handel mit Papieren auch an Finanzplätzen wie London, New York oder Singapur besteuert werden kann, wenn sich der Sitz der ausgebenden Firma in einem der elf Länder befindet – ein Graus für Spekulanten aller Art.

Die Kardinalfrage, die in den Verhandlungen geklärt werden muss, betrifft allerdings nicht nur Details der geschilderten Art, sondern vor allem die Frage, wofür die zusätzlichen Steuereinnahmen genutzt werden sollen, wenn die Regelung Anfang 2014 in Kraft tritt. Die EU-Kommission hat die Hoffnung noch nicht aufgegeben, mit der FTT eine eigenständige Quelle der Steuererhebung für den EU-Haushalt zu bekommen. Die Protagonisten der fiskalischen Konsolidierung, wie der deutsche Finanzminister Schäuble, würden den erhofften Steuersegen am liebsten in den nationalen Staatshaushalten verschwinden lassen. Nur die NGOs halten derzeit an der ursprünglichen Forderung fest, die FTT zur Stärkung von Entwicklungsfinanzierung und Klimaschutz zu verwenden. Die Pläne zur Kürzung der EZ-Mittel im Rahmen der derzeitigen Verhandlungen um den nächsten EU-Haushalt zeigen, wie notwendig und dringend das ist.

5. Februar 2013

Die Eurokrise ist vorbei? Von wegen!

In den Wochen seit Jahresbeginn verging kaum ein Tag, an dem nicht irgendwer verkündete, die Eurokrise sei jetzt vorbei, oder zumindest doch, das Schlimmste liege jetzt hinter uns. „Das Kapital kehrt in die Länder an der südlichen Peripherie der Eurozone zurück“, so die immer wieder zitierte frohe Botschaft – etwa auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos. Seit gestern jedoch hat sich der Wind wieder gedreht. Mit dem Korruptionsskandal in Spanien und den steigenden Umfragewerten für die Rechtskoalition Berlusconis in Italien ist auch die Verunsicherung „der Anleger“ an „die Märkte“ zurückgekehrt. In Spanien und Italien schnellten die Risikozuschläge auf Staatsanleihen nach oben (Spanien verzeichnete den höchsten Tagesanstieg seit September). Der Aktienboom an den Börsen kühlte sich ab, und der Euro fiel wieder von seinem 15-Monats-Hoch von 1,37 US-Dollar zurück.

Zwar verweisen die Berichte von heute darauf, dass sich die Unsicherheit wieder gelegt hat. Doch der Schock, wie schnell sich das Blatt an den „Märkten“ wenden kann, sitzt den Beobachtern noch in den Knochen. Die Wiederherstellung des sprichwörtlichen „Vertrauens“ lässt doch länger auf sich warten als den Marktoptimisten lieb ist; die konjunkturelle Erholung bleibt fragil.

Da trifft es sich gut, dass der französische Präsident François Hollande heute vor dem Europäischen Parlament davor gewarnt hat, die gegenwärtige Stärke des Euro könnte zu einer Gefahr für die fragile Konjunktur in Europa werden und sich für internationale Aktionen gegen die Verzerrung der Wechselkurse ausgesprochen hat. Der Euro sollte nicht „nach den Marktstimmungen schwanken“ – mal in die eine, mal in die andere Richtung. „Die Eurozone muss sich mittels ihrer Staats- und Regierungschefs für einen mittelfristigen Wechselkurs entscheiden.“ Vor allem aber forderte Hollande „eine unabdingbare Reform des internationalen Währungssystems“. – Damit ist die entscheidende Frage für die Reform der internationalen Finanzordnung – ein Punkt, über den die Diskussion bislang nicht einmal ansatzweise begonnen hat – von französischer Seite erneut auf die Tagesordnung gesetzt worden. Es ist zu hoffen, dass man Hollande mehr Hartnäckigkeit in dieser Frage wird attestieren können als seinem Vorgänger Sarkozy.

1. Februar 2013

Bill Gates erntet in Deutschland Kritik

Im Unterschied zu seinem Auftreten in Davos (>>> Dröge Debatte) ist Bill Gates, der mit seiner Frau Melinda an der Spitze der finanzkräftigsten privaten Stiftung der Welt steht, bei seinem Deutschland-Besuch in dieser Woche auf Kritik deutscher NGOs und PolitikerInnen gestoßen. Zwar ermahnte Gates vor dem Bundestagsausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung die europäischen Staaten, trotz Sparzwängen und Euro-Krise weiter ausreichend Mittel für die Entwicklungspolitik bereitzustellen. Auf Kritik aus den Reihen der Opposition stieß jedoch die Beteiligung der Gates-Stiftung an Großkonzernen, so einem Ölkonzern, der in Nigeria tätig ist. Auch das Engagement der Stiftung für Projekte in der Gentechnik sei fraglich und Ausdruck „blinder Forschrittsgläubigkeit“.

Auf Missfallen stieß auch ein von BMZ veranstalteter „CEO Roundtable”, an dem neben Gates u.a. Bayer-CropScience-Vorstandschef Liam Condon teilnahm. Damit setze Entwicklungsminister Dirk Niebel ein weiteres Zeichen für die Umstrukturierung seines Ministeriums hin zu einer Interessensvertretung der deutschen und internationalen Agrarindustrie, erklärte das FoodFirst-Informations- und Aktions-Netzwerk (FIAN) in Köln. Auch die von Niebel hervorgehobene Initiative „New Alliance for Food Security and Nutrition“ der G8 und die von der Ernährungsindustrie dominierte ‚Scaling Up Nutrition’ (SUN) werden nicht nur von FIAN wegen der Dominanz großer Konzerne scharf kritisiert. Substantielle Interessenskonflikte der Konzerne und menschenrechtliche Konfliktfelder würden tabuisiert. Minister Niebel sollte besser die Vertreter der Hungernden, der Kleinbauern, Indigenen und Hirtenvölker einladen und sich von deren Strategien zur Hungerbekämpfung inspirieren lassen.

Gegen öffentlich-private Partnerschaften und eine verstärkte Zusammenarbeit von Entwicklungsminister Niebel und Agrarministerin Aigner mit der Gates-Stiftung ist dagegen für Thilo Hoppe, der Sprecher der Grünen im Bundestag für Weltwernöhrung grundsätzlich nichts einzuwenden. Ihr jetzt erneut bekräftigtes Bündnis im Kampf gegen den Hunger berge aber mehr Risiken als Chancen, weil es einseitig auf Steigerung der Agrarproduktion zielt und Fragen der sozialen Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit ausblendet. In blinder Fortschrittsgläubigkeit werde dabei auch auf gentechnisch manipuliertes Saatgut gesetzt. Statt neue Absatzmärkte für große Agrarunternehmen zu erschließen, sollte die Bundesregierung endlich den Empfehlungen des Weltagrarberichts (IAASTD) folgen und vor allem die Kleinbauern in den Entwicklungsländern darin unterstützen, auf nachhaltige Weise mehr Nahrungsmittel anzubauen.