Lebendiger Nord-Sued-Gegensatz
Seit
die deutsche Außenpolitik unter Hans-Dietrich Genscher die zunehmende Tendenz
der Differenzierung des Südens entdeckt (und herbeigewünscht) hat, lautet der
wohl wohlfeilste Topos einer ganz breiten Gemeinde, der Nord-Süd-Gegensatz sei „verdampft“
und gehöre der Geschichte an. Die Anhänger dieser schönen (und beruhigenden) These
müssten sich in diesen Tagen und Wochen eigentlich eines Besseren belehren
lassen.
Schon
auf der Frühjahrstagung von IWF und Weltbank wartete der Süden unter Führung
der großen Schwellenländer mit dem kraftvollen Anspruch auf mehr Mitsprache und
Beteiligung in den traditionell vom Norden bzw. Westen beherrschten
Bretton-Woods-Institutionen auf. Zur Wahl des Weltbank-Präsidenten, der
demnächst sein Amt antritt, präsentierten die Entwicklungsländer erstmals zwei
überzeugende Gegenkandidaten. Sie konnten sich nicht durchsetzen, doch die
Konstellation war klar: Der Norden verteidigt seine überkommenen Privilegien,
und der Süden will die vorherrschenden Asymmetrien nicht länger einfach so hinnehmen.
Ein
neu auflebender und lebendiger Nord-Süd-Gegensatz strukturiert auch andere
Großereignisse, die derzeit stattfinden. Die Kontroversen im
Vorbereitungsprozess auf Rio+20 verlaufen wesentlich entlang von Nord-Süd-Spaltungen
(sei es beim Finanz- und Technologietransfer oder bei der Green Economy),
wenngleich es auch Bereiche gibt, in denen der Süden gespalten ist (>>> Der Countdown läuft:Nachsitzen für Rio+20 oder >>>Die Nord-Süd-Gegensätze vor Rio+20). Auch der kommende G20-Gipfel – dort ist
der Süden zwar nur in Form der wirtschaftlich stärksten Länder vertreten und der
Rest ausgeschlossen – könnte stärker von Interessengegensätzen gekennzeichnet
sein als die ersten Ausgaben, mit „Währungskriegen“, neuen regionalen Verteidigungslinien
(seit kurzem hat beispielsweise Asien seinen eigenen IWF) oder dem Streit
darüber, in welchem Ausmaß Europa auf die IWF-Ressourcen zugreifen kann, ohne
seine eigenen Hausaufgaben zu machen.
Ein
Nord-Süd-Gegensatz besonderer Schärfe, die viele im Süden an einen „neuen
Neokolonialismus“ erinnerte, flackerte im Vorfeld und auf der letzten
UNCTAD-Konferenz in Doha auf (>>>UNCTAD XIII: Seltener Sieg). Dort ging es um nicht mehr und nicht weniger als um
die Frage, ob der Süden Anspruch auf ein internationales Forum (in diesem Fall
eine Sonderorganisation der Vereinten Nationen) hat, das traditionell als
Plattform der Interessenartikulation des Südens gilt. Das war zweifellos nicht
der traditionelle Nord-Süd-Konflikt der 1970er Jahre, als der Süden den Norden
mit dem Slogan einer „Neuen Weltwirtschaftsordnung“ angriff. Vielmehr äußerte
sich in der Attacke des Nordens auf das Mandat von UNCTAD der Versuch, das in
der Finanzkrise schwer ramponierte
Deutungsmonopol der beiden westlich dominierten Finanzinstitutionen wiederherzustellen
(s. die vorigen Einträge in diesem Blog).
Das
war freilich nicht nur eine Frage von Nord gegen Süd, sondern richtete sich
gegen die Interessen vieler Menschen überall auf der Welt, wie die indische
Ökonomin Jayati Ghosh schrieb. Doch
dass sich in Doha letztlich auch die BRICS und andere Schwellenländer für die
Bekräftigung des bisherigen UNCTAD-Mandats engagierten, ist ein Glücksfall und ein
Beispiel dafür, dass eine einheitliche Front des Südens in vielen Fragen auch
heute noch nicht nur wünschenswert, sondern möglich ist. Es bedarf dafür
allerdings auch im Süden des Interessenausgleichs. Der Nord-Süd-Gegensatz ist kein
altmodisches Hirngespinst, sondern eine sich wandelnde Realität.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen