Globale Konjunktur: Vorsorgliche Warnungen am Abgrund
Die Fehlprognosen aus der Zeit vor der globalen Finanzkrise müssen dem IWF und anderen arrivierten internationalen Wirtschaftsinstitutionen noch schwer im Magen liegen. Wie sonst wären die scharfen Warnungen, die sich gelegentlich sogar zum Alarmismus steigern, zu erklären? Die Geschäftsführende Direktorin des IWF, Christine Lagarde, hat die globale Konjunkturlage jetzt sogar mit der Situation am Vorabend der Großen Depression der 30er Jahre verglichen. Schon im Spätsommer hat sie davon gesprochen, dass die Weltwirtschaft in „eine neue, gefährliche Phase“ eingetreten ist. Zwischenzeitlich hat sie der Weltwirtschaft „ein verlorenes Jahrzehnt“ – wie in Lateinamerika in den 80er Jahren – vorausgesagt.
Kein verantwortungsbewusster Ökonom oder Wirtschaftspolitiker nimmt solche Begriffe ohne stichhaltigen Grund in den Mund. Und folglich herrscht seither allgemein erhöhte Alarmstimmung im globalen Wirtschafts- und Finanzsystem. Doch die Alarmierten agieren wie Hausbesitzer in einem brennenden Haus, die darüber diskutieren, welche Vorkehrungen getroffen werden könnten, um künftige Brände zu verhindern. Dabei haben die Möchtegern-Feuerwehrleute – sei es in der G20 oder der EU – noch nicht einmal jene Sicherheitslücken korrekt identifiziert, die zu der aktuellen Krise führten. Denn ursächlich hierfür waren ja nicht die Überschuldung der Regierungen, sondern die Überschuldung, das blasengetriebene Wachstum und andere Exzesse des privaten Sektors.
Im Zentrum der neuen Hintergrund-Ausgabe von W&E (>>> W&E-Hintergrund Januar 2012; s. Abbildung) stehen jedoch nicht die Reformen, die notwendig sind, um die Deregulierungsorgie der letzten Jahrzehnte rückgängig zu machen und den Finanzmärkten einen neuen Ordnungsrahmen zu geben, sondern das aktuelle Feuer selbst, d.h. die konjunkturellen Schieflage. Ich selbst habe die jüngsten Zahlen der Vereinten Nationen ausgewertet, die die Weltwirtschaft am Abgrund einer neuen Rezession zeigen. Dieter Boris hat sich die jüngsten Studien zur wirtschaftlichen Lage in Lateinamerika angesehen und kommt zu dem Schluss, dass derzeit kein weiteres „verlorenes Jahrzehnt“ droht, da das Überspringen weltweiter Krisen auf Lateinamerika nicht mehr ganz so automatisch erfolgt, wie in früheren Krisenperioden. Keine ganz schlechte Nachricht also inmitten einer düsteren Globalperspektive.
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