Couragierter Frenchman: Ernährungssicherheit vs. Agrarliberalismus
Der französische Landwirtschaftsminister Michel Barnier (s. Photo) ist wegen seiner Bemerkung, die Gemeinsame Agrarpolitik (CAP) der EU könne in gewisser Hinsicht als Modell für Ernährungssicherheit in Afrika dienen, ins Schussfeld der Marktliberalen geraten (>>> Barnier’s barriers). In einem Leserbrief an die Financial Times schießt Barnier heute zurück:
„Zu behaupten, dass die Zukunft der armen Länder der Welt in ihrer Fähigkeit liegt, in die reicheren Teile der Welt zu exportieren, steht in doppeltem Gegensatz zur Wirklichkeit. Erstens weil die am wenigsten entwickelten Länder bereits freien Marktzugang zu den größten Märkten – denen der Europäischen Union und ihren 450 Millionen Konsumenten – genießen. Zweitens weil es gerade die Wahl einer exportorientierten Landwirtschaft war, die die Subsistenzlandwirtschaft und die lokale Produktion in den ärmsten Ländern der Welt ruiniert hat.
Sie behaupten, ich wollte den Entwicklungsländern den Zugang zu den Weltmärkten nehmen. Was ich sage ist, dass Ernährungssicherheit weder durch Protektionismus noch durch Handel allein erreicht werden kann. Die Antwort auf die globale Knappheit muss in der weltweiten Steigerung der Produktionskapazität liegen und nicht nur dort, wo es am profitabelsten ist. In diesem Zusammenhang werden die Verlierer der Doha-Runde unvermeidlich die Hungrigen und Armen der Welt sein, woran wir kürzlich durch Ihre eigene Zeitung (FT vom 3.4.2008) und durch Ökonomen der Weltbank und der Carnegie Endowment erinnert wurden.
Und es gibt keinen Anlass für die Europäische Union, rot zu werden für das, was wir auf den Tisch gelegt haben: eine durchschnittliche Reduzierung der Importzölle um über die Hälfte im Agrarbereich und die Beendigung aller Exportsubventionen. Unter Verweis auf den Begriff Gemeinschaftspräferenz zu behaupten, wir wollten die Zölle anheben, ist vollkommen inkorrekt.
Gleichzeitig stellt sich die Frage, was denn die Vorschläge unserer Haupthandelspartner sind. Angesichts der Krise ergreifen die großen Agrarexporteure wie Brasilien und Argentinien Maßnahmen, um ihre Exporte zu begrenzen, während die USA, die derzeit ihre Agrarpolitik konsolidieren, ihre indirekten Exporthilfen – ungeachtet der langfristigen Schädigung der Entwicklungsländer – fortführen werden.
Ich habe niemals ‚Nahrungsmittelautarkie‘ vorgeschlagen. Wofür ich aber plädiere, ist eine Wende zu mehr Agrarpolitik und –regulierung innerhalb homogener regionaler Blöcke. Den armen Bauern, die in der Konkurrenz heute schon nicht mithalten zu können, dadurch helfen zu wollen, dass man sie freier Konkurrenz aussetzt, macht überhaupt keinen Sinn. In der Praxis läuft das auf die Verweigerung eines Minimums an Ernährungssicherheit in Afrika hinaus und würde die einzig wirkliche Lösung entmutigen: die langfristige Schaffung eines günstigen Klimas für landwirtschaftliche Investitionen – der einzige Weg, um die Armut zu verringern und den Hunger auszurotten.
In dieser Hinsicht kann die CAP ein Modell sein.“
So weit, so gut. Was unser couragierter Frenchman allerdings geflissentlich nicht erwähnt, ist, dass es auch die angesprochenen Konzessionen der EU im Agrarbereich in der Doha-Runde nicht zum Nulltarif geben wird. Vielmehr fordert die EU im Gegenzug weitreichende Liberalisierungen in der verarbeitenden Industrie und im Dienstleistungsbereich von den armen Ländern. Und hier ließe sich angesichts der Position der Afrikaner auf der Stufenleiter der internationalen Arbeitsteilung sicher ebenso oder ähnlich argumentieren wie im Agrarsektor.
>>> Barnier im FT-Interview
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