11. Dezember 2017

Die WTO in Argentinien: Grosse Krise oder weiter in kleinen Schritten?

Gastblog von Tobias Reichert aus Buenos Aires 

Die mit Krisen und Blockaden erfahrenen Delegierten der Welthandelsorganisation (WTO) haben gestern im argentinischen Buenos Aires die 11. Ministerkonferenz begonnen, die bis zum 13. Dezember andauern wird. Die Unsicherheiten sind dabei so groß wie selten. Zum einen ist seit der letzten Konferenz in Nairobi umstrittener denn je, ob und in welcher Form die sich seit 2001 hinziehende Doha-Verhandlungsrunde fortgesetzt werden soll. Zum anderen ist unklar, inwieweit die US-Delegation, der Abneigung des Präsidenten gegen multilaterale Abkommen folgend, versuchen wird, die Organisation weiter zu schwächen.

Einen Versuch, die Doha-Runde mit ihrem Mandat, den Handel mit Gütern und Dienstleistungen zu liberalisieren, Agrarsubventionen abzubauen und bestehende Regeln zu Subventionen und Anti-Dumping-Maßnahmen zu verschärfen, in einem Schritt abzuschließen, wird es nicht geben. Bei den letzten beiden Konferenzen war es gelungen, sich auf verbindliche Abkommen zu Einzelfragen aus dem Mandat zu einigen. Auch in Buenos Aires wird daher versucht werden, zu einigen spezifischen Punkten einen Konsens zu erreichen. Die Aussichten sind aufgrund der Haltung der USA nicht gut.

Mögliche Ergebnisse: Mehr öffentliche Lagerhaltung für Ernährungssicherheit… 

Nach Einschätzung von WTO-Generalsekretär Azevedo und vieler Mitglieder könnte es eine Einigung bei der Frage geben, ob Entwicklungsländern zusätzlicher Spielraum für öffentliche Lagerhaltung für die Ernährungssicherheit eingeräumt werden soll. Das Problem besteht darin, dass die bestehenden WTO-Regeln Ausgaben für öffentliche Lagerhaltung von Lebensmitteln in unbegrenzter Höhe nur dann zulassen, wenn der Ankauf zu Marktpreisen erfolgt. Legt dagegen die Regierung den Preis fest, werden die Programme als „handelsverzerrende“ Unterstützung der Landwirtschaft gewertet. Dafür besteht eine Obergrenze, in die auch andere Maßnahmen wie der vergünstigte Verkauf von Düngern und Saatgut eingerechnet werden.

Viele Entwicklungsländer kaufen Agrargüter zu festgelegten Preisen an, um damit gleichzeitig die Einkommen der kleinbäuerlichen Bevölkerung zu stabilisieren. Indien hat die Unterstützung seiner Landwirtschaft so weit ausgebaut, dass es durch einen weiteren Ausbau der Lagerhaltung die geltende WTO-Obergrenze für „handelsverzerrende Maßnahmen“ zu überschreiten droht. Die von der G33-Gruppe um Indien und Indonesien schon länger erhobene Forderung, die Lagerhaltung nicht mehr als handelsverzerrend einzustufen, erhielt damit bei der WTO-Konferenz in Bali neue Dringlichkeit. Die Ausgaben für ähnliche Programme in anderen Entwicklungsländern liegen derzeit unterhalb der Grenzen für handelsverzerrende Maßnahmen. In Bali wurde eine sog. "Friedensklausel", beschlossen, die mögliche Beschwerden gegen das Agrarabkommen aussetzt, wenn sie aus bereits 2013 bestehenden Programmen resultieren. Sie gilt, bis eine dauerhafte Lösung vereinbart ist, kommt aber faktisch nur Indien zu Gute.

Eine Reihe von Ländern, darunter auch Entwicklungsländer, befürchtet, dass Lebensmittel aus den öffentlichen Lagern auf indirektem Weg auf den Weltmarkt gelangen. Das hätte dann eine ähnliche Wirkung wie die jetzt verbotenen Exportsubventionen. Um das zu vermeiden, sei als Vorsichtsmaßnahme größere Transparenz darüber notwendig, welche Menge von welchen Produkten angekauft und eingelagert werden, was davon wiederverkauft wird und an wen. Die G33 stimmt dem im Prinzip zu, will aber verhindern, dass die Abläufe administrativ so aufwändig werden, dass sie den Einsatz der Lagerhaltung erschweren.

In einem gemeinsamen Vorschlag mit Brasilien, Kolumbien, Peru und Uruguay fordert die EU nicht nur weitgehende Berichtspflichten, sondern auch eine Obergrenze.  Die Ausgaben für die angekauften Lebensmittel dürften 10% des gesamten Produktionswerts des jeweiligen Produkts nicht überschreiten. Zudem müssten sich die Programme auf „traditionelle Grundnahrungsmittel“ beschränken. Dies ist für die Ernährungssicherheit nicht sinnvoll, da es sich dabei meist um überwiegend stärkehaltige Produkte wie Reis oder Weizen handelt. Eiweiß- und Vitaminreichere Produkte wie Hülsenfrüchte, Milchprodukte oder Obst und Gemüse, mit denen auch Mangelernährung besser begegnet werden kann, wären dagegen ausgeschlossen.  Die G33 lehnt diese Beschränkungen mit Unterstützung vieler anderer Entwicklungsländer ab. 

… und weniger Subventionen für illegale Fischerei 

Möglich erscheinen auch Fortschritte bei der Begrenzung der Fischereisubventionen. Insbesondere könnten Subventionen für illegale, unregulierte und undokumentierte (IUU) Fischerei verboten werden. Die WTO sieht sich hier auch einer im Rahmen der (freiwilligen) globalen Ziele nachhaltiger Entwicklung gemachten Vorgabe gegenüber. Danach sollen bis 2020 schädliche Fischereisubventionen abgeschafft werden. Weltweit sind nach Schätzung der UN-Landwirtschaftsorganisation FAO fast ein Drittel aller Fischbestände überfischt. Es werden also mehr Fische gefangen, als nachwachsen, so dass die Bestände mittelfristig zu verschwinden drohen. Mehr als die Hälfte wird voll genutzt, so dass größere Fangmengen zur Überfischung führen würden, und nur etwa ein Zehntel wird weniger befischt als nachhaltig möglich. Um dem Problem der Übernutzung zu begegnen, regulieren Länder die Fischerei in ihren Hoheitsgewässern und in umgebenden Gewässern durch nationale Gesetzgebung und zunehmend durch regionale Fischmanagementabkommen (RFMO), die sich auch internationale Gewässer beziehen können.

Diese Regeln und Abkommen werden allerdings in großem Umfang verletzt. Es wird geschätzt, dass zwischen 13 und 30% aller Fische illegal (durch Schiffe aus Ländern, die einem RFMO angehören, aber die Regeln verletzen), unreguliert (durch Schiffe, die einem RFMO nicht angehören, aber trotzdem in der erfassten Region fischen) oder undokumentiert (Fänge werden der zuständigen Regierung oder RFMO nicht oder unvollständig mitgeteilt) gefangen werden. In westafrikanischen Gewässern sollen etwa 37% aller Fische unter IUU-Bedingungen gefangen werden.

Die wirtschaftlichen Verluste für ganz Afrika in Form entgangener Lizenzgebühren oder geringerer Einkommen für einheimische Fischer werden auf 6-7 Mrd. € geschätzt. Wie hoch die Subventionen für die Fischerei insgesamt sind, ist unklar, auch deswegen, weil keine allgemein anerkannte Definition existiert. Das South Centre schließt aus einer umfassenden Literaturrecherche, dass die Subventionen wahrscheinlich um die 35 Mrd. US-$ pro Jahr betragen. Das entspricht 30-40% des Werts des jährlich wild gefangenen Fischs.

Angesichts dieser sich seit Jahren verschärfenden Problematik, wurde bereits im Mandat für die Doha-Runde festgelegt, über strengere Regeln für Fischereisubventionen zu verhandeln. Wie für die meisten Themen der Runde bislang ohne konkretes Ergebnis. In den UN-Zielen für nachhaltige Entwicklung (SDG) wird der Ansatz allerdings aufgegriffen. Im Ziel 14 zum Schutz der Meere wird in Unterziel 6 gefordert:  Bis 2020 … bestimmte Formen der Fischereisubventionen [zu] untersagen, die zu Überkapazitäten und Überfischung beitragen, … zu illegaler, ungemeldeter und unregulierter Fischerei beitragen, und keine neuen derartigen Subventionen einführen.“ Die Verhandlungen darüber sollen in der WTO stattfinden, und eine geeignete und wirksame besondere und differenzierte Behandlung der Entwicklungsländer und der am wenigsten entwickelten Länder sicherstellen. In den letzten zwei Jahren wurde auch deswegen wieder intensiver in der WTO über Fischereisubventionen verhandelt.

Dabei haben Länder wie Russland und China klargemacht, dass sie nicht bereit sind, über den Abbau von Subventionen zu sprechen, die zu Überkapazitäten führen. Die Verhandlungen konzentrieren sich daher auf Subventionen, die IUU-Fischerei befördern. Darüber ob diese sofort verboten werden sollen, oder die Mitglieder darauf hinarbeiten, sie abzubauen, konnte aber im Vorfeld keine Einigung erzielt werden. Auch zur entwicklungspolitisch wichtigen Frage, wie und ob Kleinfischer weiter unterstützt werden sollen, auch wenn sie oft undokumentiert fischen und damit technisch unter die IUU-Kategorie fallen, ist weiter offen. Ein mögliches Ergebnis in Buenos Aires könnte daher sein, Punkte, bei denen sich ein Konsens erzielen lässt, in einer Ministererklärung festzuhalten und zu versprechen, bei der nächsten Ministerkonferenz 2019 ein Abkommen zu schließen, was dem in den SDGs vorgegebenen Zeitplan gerade noch entsprechen würde.

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Überschattet wird die gesamte Konferenz von der Haltung der USA, die in Genf die Verhandlungen über eine gemeinsame Ministererklärung blockiert haben. Die wäre allerdings nicht nötig, um Ministerentscheidungen zu einzelnen Themen zu treffen. Der argentinische Präsident Macri hat angekündigt, während der Konferenz noch einen Anlauf für eine Ministererklärung zu machen. Ob die USA dies zum Anlass nehmen könnten, die Konferenz insgesamt zu blockieren, ist offen.


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