27. Oktober 2016

CETA und die Crux der neuen Handelsabkommen

Da habt Ihr den Salat. Es scheint, als hätten die Wallonen CETA den letzten Sargnagel verpasst. Doch nicht die Wallonen sind das Problem, sondern das Abkommen selbst. Wallonien hat das Abkommen erstmals im April per Parlamentsabstimmung zurückgewiesen. Doch arrogant wie üblich tat die Kommission das Votum als lokales Problem ab, das sich schon irgendwie lösen werde. Es folgten drei weitere negative Voten des wallonischen Parlaments (sowie eine ebenso negative Abstimmung der Region Brüssel). Doch erst seit Anfang dieser Woche war den europäischen Spitzen so richtig klar, dass Belgien nicht unterzeichnen könne, wenn nicht alle seine Regionen zustimmen. Ab da wurde versucht, die Wallonen mit „Nachbesserungen“ umzustimmen. Bis heute (Morgen) vergeblich.


Allenthalben lautet die Sprachregelung, dass hier ein „Freihandelsabkommen“ auf Widerstand stößt. Aber CETA heißt nicht von ungefähr CETA: Comprehensive Economic and Trade Agreement, also Umfassendes Wirtschafts- und Handelsabkommen. Es gehört wie TTIP und TPPA zu jener neuen Generation von Handelsabkommen, die mit Freihandel nur noch unter „ferner liefen“ zu tun haben, sondern dessen wichtigste Bestimmungen sich um grenzüberschreitende Investitionen drehen. Seit der Warenhandel im Zuge der diversen GATT-Runden und der WTO weitgehend liberalisiert ist, sind die Handelspolitiker darauf verfallen, weitere Bereiche der internationalen wirtschaftlichen Expansion einfach der Handelspolitik zuzuschlagen. Das rächt sich nicht erst seit CETA zwischen den EU und Kanada. Das ging schon beim Versuch eines Multilateralen Investitionsabkommens (MAI) innerhalb der OECD schief oder bei dem Versuch, die sog. Singapurthemen (Investitionen, Wettbewerb, Staatsaufträge) in die sog. Doha-Entwicklungsagenda der WTO zu schmuggeln.

Sicher – es geht bei CETA auch um die Reduzierung einiger Agrarzölle, etwa auf Ahornsirup. Doch ökonomisch und politisch entscheidend ist der Versuch, ein System von Schiedsgerichten für Investitionsstreitigkeiten zu schaffen, das völlig losgelöst von den nationalen Rechtssystemen agiert. Zwar sollen dies unter CETA jetzt öffentliche Schiedsgerichte und keine privaten Gremien sein, die von privaten, von den Konzernen bestellten Rechtsanwälten gestellt werden. Doch es bleibt dabei, dass neben den nationalen Rechtssystemen ein separates rechtliches Paralleluniversum entstehen wird, wenn CETA abgeschlossen wird. Dagegen richtet sich der Protest (nicht nur) der Wallonen und der dort regierenden Sozialisten – eine der wenigen sozialdemokratischen Parteien übrigens, die erkannt haben, dass den konservativen und sozialdemokratischen Parteien allenthalben auch deshalb die WählerInnen weglaufen, weil sie ihr Schicksal an diese neuen Handelsabkommen knüpfen.

Die Europäische Kommission übrigens hätte den jetzigen Schlamassel verhindern können, wenn sie ein wesentlich weniger ehrgeiziges CETA im Rahmen ihres traditionellen handelspolitischen Mandats verhandelt und auf die schleichende Erweiterung dieses Mandats verzichtet hätte. Denn erst aufgrund der neuen Themen wurden die Ansprüche geweckt, das Abkommen von allen Mitgliedsstaaten ratifizieren zu lassen. Jetzt aber, wie der Präsident des Europäischen Parlaments Martin Schulz, dafür zu plädieren, künftig nicht mehr alle alles zu fragen, wäre genau die falsche Schlussfolgerung. Sie würde die europäischen Institutionen nur noch weiter delegitimieren.

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