10. WTO-Ministerkonferenz in Nairobi: Totengeleut zum Auftakt
Von Tobias Reichert*) - 14 Jahre nach ihrem
Beginn und zahlreichen Rückschlägen steht die als Doha-Entwicklungsagenda
bezeichnete Verhandlungsrunde vor dem Aus. Die von Beginn an von Krisen,
Zusammenbrüchen und Stillstand geprägten Verhandlungen sollen nach dem Willen
der US-Regierung und mit Unterstützung von EU und Japan weitgehend ergebnislos
abgebrochen werden. Nachdem die USA dies seit einigen Monaten hinter
verschlossenen Türen in Genf fordern, hat der Handelsbeauftragte Froman gestern
in einem Meinungsbeitrag für die Financial Times nachgelegt: In Nairobi, wo das 10. WTO-Ministerial heute begonnen
hat, müsse ein neuer Ansatz für das multilaterale Handelssystem gefunden
werden, da die Doha-Runde offensichtlich nicht zu Ergebnissen führe. Stattdessen
schlägt er plurilaterale Verhandlungen zu „neuen Themen“ in der WTO oder ganz
außerhalb nach dem Muster der pazifischen und atlantischen Handelsabkommen TTIP
und TPPA vor. Dagegen fordert die übergroße Mehrheit der Entwicklungsländer,
von Brasilien und Indien über die afrikanische Gruppe bis hin zu Venezuela, die
Verhandlungen fortzusetzen und auf den bislang erzielten Zwischenergebnissen
aufzubauen.
Diese
Konstellation stellt die Verhältnisse von zu Beginn der Verhandlungen 2001 auf
den Kopf. Damals musste die Mehrheit der Entwicklungsländer mit Appellen an die
internationale Solidarität nach den Anschlägen vom 11. September, politischem
Druck und einer Präambel die verspricht, die Interessen der Entwicklungsländer
ins Zentrum der Verhandlungen zu stellen, dazu gebracht werden, einer neuen
umfassenden Liberalisierungsrunde zuzustimmen. Auch von zivilgesellschaftlicher
Seite wurde heftig kritisiert, dass das
Mandat der Doha Runde zwar viel von Entwicklung spricht, in der Substanz aber
vor allem auf Marktöffnung und Deregulierung abzielt. Entwicklungspoltisch
wichtige Fragen, wie verbesserte Möglichkeiten für Entwicklungsländer ihre
kleinbäuerliche Landwirtschaft fördern und schützen zu können und
industriepolitische Instrumente flexibler einsetzen zu können, dagegen gar
nicht oder nur am Rande auftauchen.
Im
Verlauf der Verhandlungen gelang es den in verschiedenen Koalitionen koordinierten
Entwicklungsländern, die neuen Themen Investitionen, Wettbewerbsrecht und
öffentliche Beschaffung aus Mandat herauszunehmen. Zudem konnten sie die
Verhandlungen so beeinflussen, dass Entwürfe für ein mögliches Abkommen ihre
Interessen, im Rahmen eines allgemein freihändlerischen Mandats, relativ
weitgehend widerspiegeln. So würden Industriestaaten verpflichtet, ihre
Exportsubventionen für landwirtschaftliche Güter vollständig abzuschaffen und
als handelsverzerrend definierte interne Agrarsubventionen weitgehend zu
reduzieren. Gleichzeitig könnten Entwicklungsländer zumindest einige für
Ernährungssicherheit und ländliche Entwicklung wichtige Güter von der
Liberalisierung auszunehmen und einen neuen Schutzmechanismus gegen
Preisschwankungen in Anspruch nehmen. Zumindest kleine und verletzliche
Entwicklungsländer würden auch weitgehend von Zollsenkungen für Agrar- und
Industriegüter ausgenommen, die am wenigsten entwickelten Länder (LDC) ganz.
Zivilgesellschaftliche
Gruppen aus Süd und Nord halten diese Zwischenergebnisse aus
entwicklungspolitischer und menschenrechtlicher Sicht zwar nach wie vor für
unzureichend. Den Industriestaaten, allen voran den USA gehen sie dagegen zu
weit. Vor allem an den USA scheiterte daher der letzte ernsthafte
Einigungsversuch 2008. Spätestens zu diesem Zeitpunkt, war die Mehrheit der
Entwicklungs- und Schwellenländer mit dem Stand der Verhandlungen zufriedener
als die USA.
Nach
der WTO-Konferenz von Bali 2013, die die jahrelang eingefrorenen Verhandlungen
wiederbelebt hatte, zeigt sich, dass die Situation im Kern unverändert ist.
Während die Entwicklungsländer auf Grundlage des 2008 erzielten Stands weiter
verhandeln wollen, lehnen die USA dies ab und forderten die Verhandlungen auf
einer neuen Grundlage fortzuführen. Nachdem sie sich damit nicht durchsetzen
konnten, forderten sie zunächst hinter verschlossenen Türen, die Verhandlungen
ganz zu beenden. Dass dies in Nairobi formal beschlossen wird, ist trotz
Unterstützung durch EU und Japan unwahrscheinlich. Wie allerdings die
Verhandlungen glaubhaft fortgesetzt werden können, wenn
die weltgrößte Volkswirtschaft offen dagegen ist, ist völlig unklar.
Die
Debatte um die Zukunft der Doha-Runde überlagert ansonsten mögliche positive
Teilergebnisse in Nairobi, vor allem das Ende der staatlichen Förderung von
Agrarexporten durch Subventionen oder staatliche Kreditprogramme. Die EU
schlägt dies nun nach langem Widerstand selbst vor, trifft aber auf den
Widerstand der USA, die ihre Exportkredite nicht einschränken wollen. – Die
Tatsache, dass die Doha-Runde, bei der die Anliegen der Entwicklungsländer im
Zentrum stehen sollten, nun - offiziell oder de facto - daran scheitern wird,
dass diese sich zumindest teilweise durchsetzen konnten, ist ein besonders
unerfreuliches Kapitel der internationalen Handelsdiplomatie.
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