15. Dezember 2015

10. WTO-Ministerkonferenz in Nairobi: Totengeleut zum Auftakt

Von Tobias Reichert*) - 14 Jahre nach ihrem Beginn und zahlreichen Rückschlägen steht die als Doha-Entwicklungsagenda bezeichnete Verhandlungsrunde vor dem Aus. Die von Beginn an von Krisen, Zusammenbrüchen und Stillstand geprägten Verhandlungen sollen nach dem Willen der US-Regierung und mit Unterstützung von EU und Japan weitgehend ergebnislos abgebrochen werden. Nachdem die USA dies seit einigen Monaten hinter verschlossenen Türen in Genf fordern, hat der Handelsbeauftragte Froman gestern in einem Meinungsbeitrag für die Financial Times nachgelegt: In Nairobi, wo das 10. WTO-Ministerial heute begonnen hat, müsse ein neuer Ansatz für das multilaterale Handelssystem gefunden werden, da die Doha-Runde offensichtlich nicht zu Ergebnissen führe. Stattdessen schlägt er plurilaterale Verhandlungen zu „neuen Themen“ in der WTO oder ganz außerhalb nach dem Muster der pazifischen und atlantischen Handelsabkommen TTIP und TPPA vor. Dagegen fordert die übergroße Mehrheit der Entwicklungsländer, von Brasilien und Indien über die afrikanische Gruppe bis hin zu Venezuela, die Verhandlungen fortzusetzen und auf den bislang erzielten Zwischenergebnissen aufzubauen.


Diese Konstellation stellt die Verhältnisse von zu Beginn der Verhandlungen 2001 auf den Kopf. Damals musste die Mehrheit der Entwicklungsländer mit Appellen an die internationale Solidarität nach den Anschlägen vom 11. September, politischem Druck und einer Präambel die verspricht, die Interessen der Entwicklungsländer ins Zentrum der Verhandlungen zu stellen, dazu gebracht werden, einer neuen umfassenden Liberalisierungsrunde zuzustimmen. Auch von zivilgesellschaftlicher Seite wurde  heftig kritisiert, dass das Mandat der Doha Runde zwar viel von Entwicklung spricht, in der Substanz aber vor allem auf Marktöffnung und Deregulierung abzielt. Entwicklungspoltisch wichtige Fragen, wie verbesserte Möglichkeiten für Entwicklungsländer ihre kleinbäuerliche Landwirtschaft fördern und schützen zu können und industriepolitische Instrumente flexibler einsetzen zu können, dagegen gar nicht oder nur am Rande auftauchen.

Im Verlauf der Verhandlungen gelang es den in verschiedenen Koalitionen koordinierten Entwicklungsländern, die neuen Themen Investitionen, Wettbewerbsrecht und öffentliche Beschaffung aus Mandat herauszunehmen. Zudem konnten sie die Verhandlungen so beeinflussen, dass Entwürfe für ein mögliches Abkommen ihre Interessen, im Rahmen eines allgemein freihändlerischen Mandats, relativ weitgehend widerspiegeln. So würden Industriestaaten verpflichtet, ihre Exportsubventionen für landwirtschaftliche Güter vollständig abzuschaffen und als handelsverzerrend definierte interne Agrarsubventionen weitgehend zu reduzieren. Gleichzeitig könnten Entwicklungsländer zumindest einige für Ernährungssicherheit und ländliche Entwicklung wichtige Güter von der Liberalisierung auszunehmen und einen neuen Schutzmechanismus gegen Preisschwankungen in Anspruch nehmen. Zumindest kleine und verletzliche Entwicklungsländer würden auch weitgehend von Zollsenkungen für Agrar- und Industriegüter ausgenommen, die am wenigsten entwickelten Länder (LDC) ganz.

Zivilgesellschaftliche Gruppen aus Süd und Nord halten diese Zwischenergebnisse aus entwicklungspolitischer und menschenrechtlicher Sicht zwar nach wie vor für unzureichend. Den Industriestaaten, allen voran den USA gehen sie dagegen zu weit. Vor allem an den USA scheiterte daher der letzte ernsthafte Einigungsversuch 2008. Spätestens zu diesem Zeitpunkt, war die Mehrheit der Entwicklungs- und Schwellenländer mit dem Stand der Verhandlungen zufriedener als die USA.

Nach der WTO-Konferenz von Bali 2013, die die jahrelang eingefrorenen Verhandlungen wiederbelebt hatte, zeigt sich, dass die Situation im Kern unverändert ist. Während die Entwicklungsländer auf Grundlage des 2008 erzielten Stands weiter verhandeln wollen, lehnen die USA dies ab und forderten die Verhandlungen auf einer neuen Grundlage fortzuführen. Nachdem sie sich damit nicht durchsetzen konnten, forderten sie zunächst hinter verschlossenen Türen, die Verhandlungen ganz zu beenden. Dass dies in Nairobi formal beschlossen wird, ist trotz Unterstützung durch EU und Japan unwahrscheinlich. Wie allerdings die Verhandlungen glaubhaft fortgesetzt werden können, wenn die weltgrößte Volkswirtschaft offen dagegen ist, ist völlig unklar.

Die Debatte um die Zukunft der Doha-Runde überlagert ansonsten mögliche positive Teilergebnisse in Nairobi, vor allem das Ende der staatlichen Förderung von Agrarexporten durch Subventionen oder staatliche Kreditprogramme. Die EU schlägt dies nun nach langem Widerstand selbst vor, trifft aber auf den Widerstand der USA, die ihre Exportkredite nicht einschränken wollen. – Die Tatsache, dass die Doha-Runde, bei der die Anliegen der Entwicklungsländer im Zentrum stehen sollten, nun - offiziell oder de facto - daran scheitern wird, dass diese sich zumindest teilweise durchsetzen konnten, ist ein besonders unerfreuliches Kapitel der internationalen Handelsdiplomatie.

*) Tobias Reichert blogt für W&E aus Nairobi. Er ist Teamleiter für Welthandel und Ernährungsfragen bei Germanwatch.

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