Beendigung des Welthungers bis 2030? Wie hehre Ziele manipuliert werden
Die neue 2030-Agenda mit ihren 17 Zielen für nachhaltige
Entwicklung (SDGs), die am Wochenende in New York beschlossen wird, proklamiert
als Ziel Nr. 2 nicht weniger als den Hunger in der Welt in den nächsten 15
Jahren komplett auszurotten. Doch schon die bisherigen Erfahrungen mit durchaus
bescheideneren Zielen lassen Zweifel aufkommen.
Die Welternährungsorganisation FAO schätzt, dass
heute 795 Millionen Menschen an schwerem Hunger leiden. Damit verzeichnet die
FAO einen Rückgang um 172 Millionen Hungerleidende seit dem
Welternährungsgipfel 1996. Versprochen wurde damals jedoch, die Zahl der
Hungernden von 966 Millionen zu halbieren. Rechnet man China raus, in dem die
FAO einen Rückgang um 102 Millionen verzeichnet, ist die Zahl der Hungernden
seit 1996 um gerade mal 70 Millionen gesunken. Für den ehemaligen
UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, Olivier De Schutter,
stellt sich die Lage noch pessimistischer dar. Nach seiner Schätzung oszilliert
die Zahl der Hungernden seit den frühen 1970er Jahre um die 850 Millionen.
Doch selbst das bescheidene Ergebnis der FAO
ergibt sich nur, weil die Bemessungsgrundlagen im Nachhinein geschönt wurden.
So hat die FAO im Jahr 2012 eine neue Methodik zur Schätzung der Hungerzahlen
eingeführt. Damit wurde die Ausgangssituation in den 1990er Jahren sehr viel
negativer und die Situation heute sehr viel positiver. Anstatt 850 Millionen
schätzte die FAO nun die Zahl der schwer Hungernden im Jahr 1992 auf 1
Milliarde. Für 2009 änderte sich die geschätzte Zahl von 925 Millionen auf
825 Millionen. Da die alte Methodik nicht weitergeführt wurde, können die
entsprechenden Zahlen für 2015 nicht verglichen werden.
Durch die Millennium-Entwicklungsziele (MDGs),
den Vorgänger der 2030-Agenda, wurde das Hungerbekämpfungsziel überlagert und zusätzlich
verwässert. Die MDGs versprachen nicht mehr, die absolute Anzahl der
Hungernden, sondern nur noch den prozentualen Anteil zu halbieren. Heute steht
fest: Beide Ziele wurden nicht erreicht. Dies zeigt sich auch regional. Von den
129 Ländern, zu denen Schätzungen vorliegen, haben 29 das Ziel der Halbierung
des Hungers erreicht, unter ihnen Länder wie Venezuela, Brasilien, Ghana oder
Vietnam. Andere Ländern wie Sambia, Guatemala oder Indien verzeichneten einen
Anstieg der Zahl der an schwerem Hunger leidenden Menschen.
In Indien beispielsweise lebt fast ein Viertel
aller Hungernden und gleichzeitig erzielt das Land große Überschüsse in der
Agrarproduktion. Hunger ist also besonders eine Frage der Verteilungsgerechtigkeit.
Leider, so betonen Kritiker, wird genau diese Frage bei der neuen Zielsetzung
ausgeklammert. Stattdessen setzt das neue Ziel auf Produktionssteigerung in der
Landwirtschaft. Angesichts dieser Versäumnisse fragen sich viele zu Recht, wie das
neue, noch ambitioniertere Versprechen, den Hunger komplett auszurotten, in
noch kürzerer Zeit erfüllt werden soll. Es wäre jedoch kein Wunder, wenn nicht
spätestens fünf bis zehn Jahre nach Verabschiedung der 2030-Agenda neue
statistische Kunstgriffe erfolgten, um die Bilanz besser aussehen zu lassen,
als sie in Wirklichkeit sein wird.