26. Januar 2015

Neustart in Griechenland: Die Verantwortung Europas

Lange hat die Linke keinen so erdrutschartigen Wahlsieg mehr errungen wie Syriza mit Alexis Tsipras an der Spitze in Griechenland. So sehr dies eine Herausforderung für die dominierenden Kräfte in Europa sein mag, so wenig angemessen wäre es jetzt, die oberlehrerhafte und erniedrigende Politik der Auflagen und Diktate fortzusetzen, wie sie vor allem die Troika (aus Kommission, EZB und IWF) symbolisierte. Die neue griechische Regierung wird ihren eigenen Reformplan vorlegen. Die Verantwortung Europas besteht jetzt darin, dem Land einen Neuanfang zu ermöglichen. Das betrifft in erster Linie den Umgang mit Griechenlands Auslandsschulden. Vorschläge dazu gibt es genug.


Erst Ende letzter Wochen haben vier führende internationale Wirtschaftswissenschaftler, darunter zwei Nobelpreisträger (Joseph Stiglitz, Washington, Chris Pissarides und Charles Goodhart, beide London School of Economics, sowie Marcus Miller, Warwick), ein solches Konzept unterbreitet (>>> Europe will benefit from Greece being given a fresh start). Dazu gehört erstens eine Streckung der Tilgungsfristen, damit Griechenland, etwa in den nächsten fünf Jahren, nicht alle Schulden bedienen muss bzw. nur dann, wenn die Wirtschaft um mindestens 3% wächst und das Land mindestens 50% seiner Wirtschaftsleistung zurückgewonnen hat, die es seit 2008 verloren hat. Vorbild dafür könnte eine Klausel sein, die Keynes nach dem 2. Weltkrieg mit den US-Gläubigern ausgehandelt hat, nach der Großbritannien erst Schuldendienst leisten musste, nach dem die Wirtschaft ein bestimmtes, verabredetes Niveau wieder erreicht hatte.

Zweitens führt um irgendeine Form der Schuldenreduktion – einen weiteren Schuldenschnitt – kein Weg herum, um den fiskalischen Spielraum der neuen Regierung zu erweitern. (Diese könnte durchaus nach dem Muster der Schuldenerleichterung erfolgen, die Deutschland 1953 auf der Londoner Schuldenkonferenz von den internationalen Gläubigern, darunter Griechenland, gewährt wurde (>>> Mit Syriza aus der Schuldenkrise? Eine „deutsche Lösung“ für Griechenland). Der jungen Bundesrepublik wurde damals eine Entlastung um 50% von allen Auslandskrediten gewährt. Es ist längst an der Zeit, dass sich Deutschland einmal für diese Großzügigkeit revanchiert.)

Drittens, so schreiben die Professoren, braucht Griechenland signifikante Finanzmittel für effiziente Investitionsprojekte, vor allem zur Stärkung seiner Exporte. Als Rahmen dazu könnte der neue Juncker-Plan der EU-Kommission dienen; Finanzierungsinstrumente könnten hier die Europäische Investitionsbank, die Strukturfonds der EU oder auch die deutsche Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) sein. Das würde nicht nur aktuell die aggregierte Nachfrage stärken, sondern auch das Potential für zukünftiges Wachstum.

Natürlich sind Schuldenerleichterungen nur notwendige, aber keine hinreichenden Bedingungen für einen Neustart. Reformen sind notwendig. Die von Syriza intendierten Reformen zielen auf makroökonomische Stabilisierung durch Wachstum, Entmachtung der alten Oligarchen und Effektivierung des Steuersystems, nicht aber durch Ausgabenkürzungen, die die Einkommensbasis des Staates schwächen und zur Steigerung der Schuldenquote führen. Das Euro-Establishment aber muss erst noch lernen, dass Reformpolitik nicht dasselbe wie Austeritätspolitik ist.

23. Januar 2015

Public Eye Lifetime Award an Chevron und Beerdigung des Ungeists von Davos

Vor den Toren des Weltwirtschaftsforums haben die Erklärung von Bern und Greenpeace heute Chevron zum unverantwortlichsten Unternehmen der vergangenen zehn Public Eye-Jahre gekürt. Der US-Ölkonzern erhielt die meisten der knapp 64.000 abgegebenen Online-Stimmen, gefolgt von Glencore und Walmart. An der Abschiedsveranstaltung des legendären WEF-Gegengipfels sagten die Protestsatiriker The Yes Men, freiwillige Unternehmensverantwortung wirke in der Wirtschaftswelt etwa so „wie ein Wundverband auf einem abgeschlagenen Kopf“ – nämlich gar nicht.


Der letzte Public-Eye-Preis geht an den Energiekonzern Chevron wegen der Ölpest in den teils noch unberührten Urwäldern im Norden Ecuadors mit. In seiner Laudatio empörte sich Paul Paz von der nominierenden US-Organisation Amazon Watch besonders über „Chevrons Weigerung, der 2013 erfolgten Verurteilung zur Zahlung von 9,5 Mrd. Dollar Schadensersatz und Reinigungskosten endlich Folge zu leisten. Stattdessen zögern ihre Anwälte und PR-Berater seit 20 Jahren die Gerechtigkeit und damit das Leid der über 30'000 betroffenen Menschen immer weiter hinaus“, so Paz. Amazon Watch will den Verantwortlichen von Chevron ihren „Lifetime Award“ am kalifornischen Firmenhauptsitz überreichen.

In ihrem weltexklusiven WEF-Requiem sagten The Yes Men, dass „öffentlich-private Partnerschaften, wie sie in Davos gefordert und gefördert werden, nicht Teil der Lösung, sondern Teil epochaler Probleme wie der wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich und des drohenden Klimakollaps“ sind. Verkleidet als Totengräber forderten die US-Superstars der globalisierungskritischen Bewegung: „Wir müssen die Wirtschaftsführer dazu zwingen, die für alle richtigen Dinge zu tun, statt uns weiter auf ihren guten Willen zu verlassen“. Und der deutsche Europaparlamentarier, Attac-Mitgründer und W&E-Mitherausgeber Sven Giegold sagte in seiner Keynote-Rede: „Wenn das Public Eye schon sterben muss, so sollte es am G20-Gipfel wiederauferstehen.“

15 Jahre lang sorgte das Public Eye für eine innovative Gegenöffentlichkeit zum WEF, zehn davon mit seinen stilbildenden Negativpreisen für die gravierendsten Fälle von Menschenrechtsverletzungen und Umweltvergehen durch Unternehmen. Hauptgrund für den Abschied von EvB und Greenpeace aus Davos ist, dass in Bern eine viel breitere zivilgesellschaftlichen Allianz aus der Taufe gehoben wird: Mit der Lancierung einer Volksinitiative, die rechtlich verbindliche Regeln für die weltweite Respektierung von Menschenrechten und Umwelt durch Schweizer Unternehmen erreichen will, setzt auch Public Eye seine Arbeit fort.

Davos: Fehlanzeige beim Thema Ungleichheit

WEF 2015: Europa und QE als Top-Story

Mit der Entscheidung der Europäischen Zentralbank zur Einführung einer gelockerten Geldpolitik („QE: Quantitative Easing“) hat auch das diesjährige WEF sein Top-Thema gefunden. Gestern Morgen noch gab es ein Auftaktforum unter dem Motto „Ending the Experiment“, das eigentlich der Normalisierung der Geldpolitik in den USA gewidmet sein sollte. Doch die Diskussion wandte sich schon nach fünf Minuten dem Beginn des QE-Experiments in Europa zu. Da war noch nicht bekannt, dass die EZB mit ihrer Entscheidung, monatlich 60 Mrd. € zum Aufkauf privater und öffentlicher Anleihen auszugeben, alle Erwartungen übertreffen würde. Nicht verwunderlich, dass die zumeist amerikanischen Teilnehmer allesamt für QE plädierten, verbunden mit dem Hinweis, dass das notwendig, wenn auch nicht ausreichend sei, während bei vielen Europäern Skepsis bis Feindschaft vorherrschte.

Tatsächlich ist zu kaum einem Thema von Kritikern so viel Unsinn vorgetragen worden wie zu QE. Da wird behauptet, ein monetärer Stimulus sei wirkungslos in einer Welt der niedrigen Zinsen und zurückhaltender Banken, QE würde zu einer Inflationsspirale führen oder der Anleihekauf würde die Märkte verzerren und den Druck zu Strukturreformen lockern. Keines dieser Argumente ist überzeugend, und zusammengenommen sind sie inkohärent. QE soll ja gerade die Zurückhaltung der Banken bei der Kreditvergabe aufbrechen und Europa vor einer längeren Deflationsperiode bewahren. Und Strukturreformen alleine – welcher Art auch immer – werden keine konjunkturpolitischen Probleme lösen.


An einem Argument der Kritiker ist allerdings was dran: Mit QE versucht die EZB wieder einmal, Zeit zu kaufen bzw. für die Untätigkeit der PolitikerInnen in die Bresche zu sprechen. Doch dieser Einwand wendet sich umgehend gegen die Politik selbst. Es ist nicht die Schuld der Zentralbank, wenn in Europa unter deutscher Dominanz kaum einer mehr was von fiskalischer Stimulierung wissen will, wie der amerikanische Ex-Finanzstaatssekretär Larry Summers in besagter Debatte schmerzhaft spüren musste. Es ist auch nicht die Aufgabe der Zentralbank, den Reformdruck zu erhöhen, zumal das ubiquitäre Plädoyer für „strukturelle Reformen“ (wohlwollend formuliert) nicht einmal in der Lage ist, zwischen Austeritätspolitik und Reformen zu differenzieren.

Es wäre aber höchste Zeit anzuerkennen, dass Kritik an Austerität, Flexibilisierung und Deregulierung und Reformfeindlichkeit nicht dasselbe sind. Das beste Beispiel hierfür ist Syriza, die ihren Kampf gegen die griechische Austeritätspolitik mit einem konkreten Aktionsprogramm gegen die nach wie vor grassierende Korruption und die Ineffizienz der Steuererhebung verknüpft. – Jenseits der QE-Kritiker gibt es übrigens eine breite Skala von QE-Befürwortern; sie reicht vom Syriza-Spitzenkandidaten AlexisTsipras, der das QE-Programm für „lange überfällig“ hält, bis zur Direktorin des IWF, Christine Lagarde, die es unterstützt, weil es dazu beiträgt, die Kreditkosten in der Eurozone zu senken und das Risiko einer hartnäckigen Phase der Deflation zu reduzieren. Wie Ernst ihm dies ist, unterstrich EZB-Chef Mario Draghi gestern mit der Bemerkung, QE ist Europa werde so lange fortgesetzt, bis eine „anhaltende Anpassung“ der Inflationsrate an das EZB-Ziel von knapp 2% zu verzeichnen sei.

21. Januar 2015

Der Davos-Kontext: Kontext eines Requiems

Wie gut, dass ich das Motto des diesjährigen Weltwirtschaftsforums (WEF) in Davos („Der neue globale Kontext“) gleich nach seiner Bekanntgabe im letzten Oktober aufgegriffen habe (>>> Auf- und Überholen in der Weltwirtschaft: Der neue globale Kontext). Die Programm-Macher hatten es nämlich so verstanden, dass in den Headlines der Veranstaltungen am heutigen ersten Tag möglichst oft die Wörter „neu“ und „Kontext“ vorkommen müssten. Und so gab es Panels unter dem Motto „Der neue digitale Kontext“, „Der neue Energiekontext“, „Der neue Wachstumskontext“, „The New Banking Context“ und „Der Lateinamerika-Kontext“. Kein Wunder, dass so mancher Beobachter schon nach kurzer Zeit des Davoser Kontextes überdrüssig war, so der Blogger der Financial Times, der spekulierte, dass auch der britische Prinz Andrew sein Statement zum Sex mit einer Minderjährigen in den „neuen globalen Kontext“ stellen würde.


Dabei ist das diesjährige WEF-Motto, das auf die grundlegenden Verschiebungen in den internationalen Kräfteverhältnissen und die neuen wirtschaftlichen, politischen und sozialen Unsicherheiten verweist, gar nicht so schlecht. Doch hörte man dazu am ersten Tag ebenso wenig Neues wie in jenem Jahr, als der Slogan von Davos großspurig die „Große Transformation“ verkündete. Es kann sein, dass nach 45 Jahren Davos die Luft aus dem Treffen derjenigen raus ist, die sich selbst hochtrabend als die Elite der Weltpolitik und Weltwirtschaft sehen. Des Davoser Kontextes überdrüssig scheinen wohl auch die Organisatoren des Public Eye-Lifetime-Awards zu sein, die ihren Schmähpreis an die verantwortungslosesten Konzerne dieses Jahr zum letzten Mal verleihen und dies mit eine „WEF-Requiem“ verbinden wollen.

Gut ist das WEF allerdings immer noch, um ein paar Dinge über das zu erfahren, was uns im vor uns liegenden Jahr so erwartet. So vernahm man staunend, dass sich die türkische G20-Präsidentschaft 2015 dafür einsetzen will, die G20 zum Instrument für eine „neue Weltordnung der Inklusion“ zu machen. „Inclusiveness“ soll u.a. dadurch hergestellt werden, so der türkische Premierminister Ahmet Davutoglu in Davos, dass die Nicht-G20-Länder wie die Entwicklungsländer mit niedrigem Einkommen (LIDCs) besseren Zugang zur G20 bekommen, Themen wie Ernährungssicherheit und Ungleichheit auf die Tagesordnung kommen. Auch für mehr Frauenpartizipation soll sich die G20 stark machen. Dies alles mag unter dem Stichwort „Window dressing“ verbucht werden. Aber aufhorchen ließ der Hinweis Davutoglus, dass die Transatlantische Handels- und Investment-Partnerschaft (TTIP) in ihrer exklusiven Form auch gegen die Türkei gerichtet ist, die sich in einer Zollunion mit der EU befindet.

* Wer Lust hat, das WEF in Davos live zu verfolgen, kann das >>> hier tun.

Trennbanken in der EU: Risikospiel statt Reformen

Auch im neuen Jahr geht das Ringen zwischen der Finanzmarktlobby und den Reformern in der EU weiter. Eigentlich verfolgt die EU-Finanzreform ehrgeizige Ziele: Sie soll Systemrisiken für Finanzmärkte vorbeugen, die Fehlallokation von Ressourcen verhindern und eine geordnete Sanierung und Abwicklung von Banken ermöglichen. Doch Suleika Reiners vom World Future Council sieht vor allem Schwachstellen: „Der Reformentwurf ist immer mehr verwässert worden. Der Wertpapierhandel im Kundenauftrag („Market-Making“) ist in der Praxis nicht vom Eigenhandel der Bank zu unterscheiden und ähnlichen Risiken ausgesetzt. Dennoch sieht die EU-Reform keine automatische Trennung des Market-Making vom gesetzlich geschützten Einlagengeschäft vor. Das ist jedoch eine absolute Mindestanforderung.“ Schon das 2013 beschlossene deutsche Trennbankengesetz bleibt hinter dieser Anforderung zurück und enthält viele Ausnahmen.

So atmen denn auch die heute von Gunnar Hökmark, schwedisches Mitglied im EU-Parlament und Berichterstatter für die Trennbankenreform, in Brüssel vorgestellten Änderungsvorschläge zum Entwurf der EU-Kommission vor allem den Geist der Finanzmarktakteure. Statt den EU-Vorschlag zu stärken, legt Hökmar weitere Abschwächungen auf den Tisch. So will er die Schwellenwerte für das Abtrennen von Geschäftsbereichen erhöhen. Obendrein soll sich die Geldstrafe bei Verstößen verringern: vom Dreifachen auf das Zweifache des unrechtmäßig erzielten Gewinns.

Dem EU-Parlament bleiben nun acht Tage Zeit, Verbesserungen vorzuschlagen, um das Ganze nicht als Reformillusion platzen zu lassen. Reiners schlägt u.a. einen Finanz-TÜV als Zulassungsprüfung für Finanzinstrumente vor: „Bloßes Trennen von Geschäftsbereichen reicht nicht. Wer die Finanzstabilität erhöhen will, muss zunächst bei den Finanzinstrumenten die Spreu vom Weizen trennen. Viele Derivate sind realwirtschaftlich unnötig und schaffen unnötige Risiken.“ – Die Grundidee der Trennbankenreform ist gut: Die Trennung von gesetzlich garantierten Spargeldern und Wertpapierhandel soll verhindern, dass Banken sich am Kapitalmarkt Finanzierungsvorteile verschaffen und umso riskantere Geschäfte eingehen: Der IWF schätzt den Finanzierungsvorteil und damit die Subventionen, die große Banken aufgrund der impliziten Rettungsgarantie erhalten, auf bis zu 300 Milliarden Dollar in der Eurozone.

15. Januar 2015

Griechenland: Keine Angst vor dem Schuldenschnitt!

Das linke griechische Oppositionsbündnis Syriza gilt einem Großteil der etablierten Presse als so etwas wie die Ausgeburt des Populismus. Angeführt wird dabei immer wieder die Forderung der Partei nach einer Neuverhandlung des Bail-out-Pakets und einem neuen Schuldenschnitt für das von der Eurokrise gebeutelte Land. Doch die Erlassjahr-Bewegung in Deutschland und anderen westlichen Ländern argumentiert ganz ähnlich: „Die Schuldenreduzierung, die Griechenland 2012 von seinen privaten Gläubigern erhielt, kam zu spät und in viel zu geringem Umfang. Zwei Jahre später ist das Land stärker verschuldet als je zuvor“, so Jürgen Kaiser von erlassjahr.de, „Faire und unparteiisch geleitete Verhandlungen sind der einzige Weg aus dem Teufelskreis von unzulänglichen Entlastungen und neuer Kreditaufnahme herauszukommen.“

Nach Informationen der Financial Times beläuft sich die griechische Gesamtverschuldung derzeit auf 317 Mrd. € - das entspricht 177% des griechischen Bruttoinlandsprodukts (BIP), was die meisten Ökonomen für nicht tragfähig halten. Rund die Hälfte der dem Land unter dem Bail-out-Programm der Troika aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank und IWF gewährten Neukredite fließt direkt weiter in den Schuldendienst, um die privaten und öffentlichen Gläubiger zu bedienen. Um diesem Kreislauf aus ständiger Neuverschuldung und Krisenverstetigung zu entkommen, will Syriza nach einem Sieg bei den Wahlen am 25. Januar Neuverhandlungen mit den Gläubigern Griechenlands aufnehmen. Anstrebt wird ein neuer Schuldenschnitt, bei dem 30-50% der griechischen Schulden erlassen werden. Vorbild soll den Syriza-Ökonomen zufolge das Londoner Schuldenabkommen von 1953 sein, in dem der Erlass der Hälfte der deutschen Auslandsschulden bei mehr als 20 Gläubigerstaaten geregelt wurde, darunter bei Griechenland.

Erlassjahr.de hat jetzt in einer Fachinformation Eine „deutsche Lösung“ für Griechenland? die Praktikabilität einer solchen Regelung erläutert. 1953 war danach weniger die Höhe des (beträchtlichen) Schuldenerlasses von Bedeutung als vielmehr die qualitativen Elemente des Abkommens, wie die Regelung aller Schulden in einem einzigen Verfahren und die Verhandlung auf gleicher Augenhöhe. Die Rückzahlung von Schulden sollte zudem nur aus Handelsbilanzüberschüssen erfolgen. Im Fall von Zahlungsschwierigkeiten sah das Abkommen die Möglichkeit vor, ein Schiedsgericht anzurufen. Gegenüber dem Argument des mangelnden Realismus solcher Forderungen gibt erlassjahr.de zu bedenken, dass Griechenland nicht nur Bittsteller ist, sondern auch die Gläubiger im Falle einer ungeordneten Staatspleite einiges zu verlieren hätten. Hinzu kommt: Ein von den Entwicklungs- und Schwellenländern im letzten Jahr in der Vollversammlung der Vereinten Nationen angestoßener Prozess könnte Griechenland Rückenwind geben. Dieser sieht die Schaffung eines geordneten Verfahrens zur Bewältigung von Staatsschuldenkrisen vor. Griechenland könnte das erste Land sein, das von einer solchen Möglichkeit profitiert. Keine Angst also vor einem erneuten Schuldenschnitt für Griechenland!

6. Januar 2015

Trostloser Jahrestag: Die WTO wurde 20, und kaum einer hat es gemerkt

Reichlich sang- und klanglos ist der 20. Jahrestag der Welthandelsorganisation (WTO) am 1. Januar 2015 vorüber gegangen. Selbst in den führenden Organen der Wirtschaftspresse war dies kaum ein Anlass zu ausführlicheren Erörterungen. Angesichts des Jubiläums erklärte der Generaldirektor der WTO, Roberto Azevêdo, lediglich, in den letzten beiden Jahrzehnten habe die Organisation „insgesamt einen wichtigen Beitrag zur globalen Ökonomie und zu reibungsloseren Handelsbeziehungen zwischen den Nationen geleistet“. Zitiert wurde er damit kaum. Welch ein Unterschied ist dies doch zu der ehrgeizigen neuen handelspolitischen Agenda, mit der die WTO einst angetreten war!

Auf ihrem 1. Ministertreffen im Dezember 1996 in Singapur orientierte die WTO-Spitze noch auf eine handelspolitische „Millenniumsrunde“, die weitreichende Liberalisierungen – über den klassischen Warenhandel hinaus – auch in den Bereichen Dienstleistungen, Investitionen, Wettbewerbspolitik und öffentliche Auftragsvergabe bringen sollte. Nach dem Debakel von Seattle 1999 gelang es dann zwar in Doha Ende 2001, diese „neuen Themen“ als Mogelpackung unter dem Etikett der „Doha-Entwicklungsagenda“ unterzubringen. Doch in den folgenden Jahren zerbröselte die weit gefasste Agenda am Widerstand der Entwicklungsländer zusehends, und ein „neues Thema“ nach dem anderen musste von der Agenda genommen werden. Auch was übrig blieb hat mit Entwicklungsagenda so wenig zu tun wie die neuen Themen mit klassischer Handelspolitik.

Bis heute hat die WTO ihren Tiefpunkt noch nicht überwunden, auch wenn jetzt wieder pragmatischer über einfachere Dinge wie technische Handelserleichterungen – das sog. Bali-Paket – verhandelt wird. Interessant ist, dass der Welthandel trotz der zerbröselnden Agenda der WTO enorm hohe Wachstumsraten erzielt hat, die meistens über denen des globalen Outputs lagen. Dieses Muster hat sich erst im Gefolge der jüngsten Finanzkrise verändert: Seither folgt der Welthandel dem Muster der schleppenden und kraftlosen Erholung, die auch die Weltwirtschaft insgesamt kennzeichnet. Dennoch wird kräftig die Illusion geschürt, weitere Liberalisierungen könnten dem lahmenden Wachstum wieder auf die Beine helfen. Doch gilt hier eher das Gegenteil: Erst eine robuste Erholung des Outputs, angetrieben durch starkes Binnenwachstum, dürfte eine erneute Expansion des internationalen Handels beflügeln und nicht umgekehrt.