Neustart in Griechenland: Die Verantwortung Europas
Lange hat die
Linke keinen so erdrutschartigen Wahlsieg mehr errungen wie Syriza mit Alexis
Tsipras an der Spitze in Griechenland. So sehr dies eine Herausforderung für
die dominierenden Kräfte in Europa sein mag, so wenig angemessen wäre es jetzt,
die oberlehrerhafte und erniedrigende Politik der Auflagen und Diktate
fortzusetzen, wie sie vor allem die Troika (aus Kommission, EZB und IWF) symbolisierte.
Die neue griechische Regierung wird ihren eigenen Reformplan vorlegen. Die
Verantwortung Europas besteht jetzt darin, dem Land einen Neuanfang zu
ermöglichen. Das betrifft in erster Linie den Umgang mit Griechenlands
Auslandsschulden. Vorschläge dazu gibt es genug.
Erst
Ende letzter Wochen haben vier führende internationale Wirtschaftswissenschaftler,
darunter zwei Nobelpreisträger (Joseph Stiglitz, Washington, Chris Pissarides
und Charles Goodhart, beide London School of Economics, sowie Marcus Miller,
Warwick), ein solches Konzept unterbreitet (>>> Europe will benefit from Greece being given a fresh start).
Dazu gehört erstens eine Streckung
der Tilgungsfristen, damit Griechenland, etwa in den nächsten fünf Jahren,
nicht alle Schulden bedienen muss bzw. nur dann, wenn die Wirtschaft um
mindestens 3% wächst und das Land mindestens 50% seiner Wirtschaftsleistung
zurückgewonnen hat, die es seit 2008 verloren hat. Vorbild dafür könnte eine
Klausel sein, die Keynes nach dem 2. Weltkrieg mit den US-Gläubigern
ausgehandelt hat, nach der Großbritannien erst Schuldendienst leisten musste,
nach dem die Wirtschaft ein bestimmtes, verabredetes Niveau wieder erreicht
hatte.
Zweitens führt um
irgendeine Form der Schuldenreduktion – einen weiteren Schuldenschnitt – kein Weg
herum, um den fiskalischen Spielraum der neuen Regierung zu erweitern. (Diese
könnte durchaus nach dem Muster der Schuldenerleichterung erfolgen, die
Deutschland 1953 auf der Londoner Schuldenkonferenz von den internationalen
Gläubigern, darunter Griechenland, gewährt wurde (>>> Mit Syriza aus der Schuldenkrise? Eine „deutsche Lösung“ für Griechenland). Der jungen Bundesrepublik wurde damals eine Entlastung
um 50% von allen Auslandskrediten gewährt. Es ist längst an der Zeit, dass sich
Deutschland einmal für diese Großzügigkeit revanchiert.)
Drittens, so schreiben
die Professoren, braucht Griechenland signifikante Finanzmittel für effiziente
Investitionsprojekte, vor allem zur Stärkung seiner Exporte. Als Rahmen dazu
könnte der neue Juncker-Plan der EU-Kommission dienen; Finanzierungsinstrumente
könnten hier die Europäische Investitionsbank, die Strukturfonds der EU oder
auch die deutsche Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) sein. Das würde nicht
nur aktuell die aggregierte Nachfrage stärken, sondern auch das Potential für
zukünftiges Wachstum.